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DETEKTIVE UND IHRE KINOABENTEUER
Uraufführung eines Films von Rudolf Thome im Münchner Lenbachkino

Siegfried Schober
Süddeutsche Zeitung
23.5.69

Ein Film, der wichtig ist, der schön ist, der ernst ist, der spielerisch ist, der anmutig ist, der radikal ist - so kann man nur von einem Film sprechen, der, wie der Film "Detektive" von Rudolf Thome eine Menge zu tun hat mit dem, was man selber tut und erlebt und tun und erleben könnte. Ein Film, der das Kino zu einem Ort macht, wo es Vergnügungen und Klarheiten gibt, die so sehr Kino sind, daß man nicht mehr merkt, daß man im Kino ist; wo Erfahrungen und Empfindungen zu machen sind, die einen die Wirklichkeit draußen nicht aus den Augen verlieren lassen und die Augen nicht an die Wirklichkeit drinnen; wo man spürt, daß dieser Film nicht auf Bilder zielt, sondern mit ihnen auf die Realität, und wo einem schließlich bewußt wird, daß dieser Film aus dem Leben kommt und übers Kino wieder dorthin führt.

Solche Filme sind selten, und solche Filme sind immer wieder neu, was stets sehr erstaunt, weil sie gar nicht groß daherkommen. Aber sie sind wie "Detektive” gerade darum groß und wertvoll, weil sie so wenig Schau machen und so unglaublich viel zeigen, was man sonst nie zu sehen bekommt. Solche Filme brauchen wir - dringend, so dringend wie wir helle Wohnungen und eine entrümpelte Politik brauchen. Was nützt die ganze Schönheit, wenn sie nichts nützt, was das schönste Spiel, wenn es nicht wirklich ist?

Warum Fehler gemacht werden

Eine Antwort darauf probieren die Leute in Thomes Film kurzerhand mal aus, so anmutig wie radikal, kein Wunder, daß es dabei dann ganz schön ernst wird. Da sind zwei junge Typen namens Andy und Sebastian, die wollen schnell und bequem zu Geld kommen, ohne richtig arbeiten zu müssen. Arbeiten schon, aber so, daß es Spaß macht, das Geld zu verdienen, das man braucht, um seinen Spaß zu haben. Weil sie wahrscheinlich viel im Kino waren, machen sie eine Detektivagentur auf, und ihr erster Fall ist gleich ein schönes Mädchen, das Annabella heißt.

Nun läuft die Geschichte, aber so, daß einer immer über die Füße des anderen fällt. Die Detektive stehen und rennen, wenn sie nicht gerade Auto fahren oder Liebe machen, viel in der Gegend herum, reden dummes Zeug und machen einen Fehler nach dem anderen. Warum eigentlich? Wie das so passiert, man rutscht von einer Geschichte in die andere, vermutet dort eine Chance und hier eine Hinterlist und handelt und handelt und merkt gar nicht, daß ein paar andere Leute dasselbe tun. Intrigen, Hintergedanken, halbe Wahrheiten, die Tücken der Realität, daß das, was man sieht, nicht immer das ist, was wirklich geschieht, - das sind so einige Sachen, die die Detektive als Akteure und wir als Zuschauer in diesem Film erleben.

Zwei ältere Gegenspieler der Detektive zum Beispiel merken nicht, daß das Spiel, das sie mit den Detektiven spielen wollen, daß die Vorstellungen, die sie hartnäckig im Kopf haben, von banalen, aber recht konkreten Ereignissen in ihrer nächsten Umgebung dauernd verdreht oder gar außer Kurs gesetzt werden, und das genau kostet sie dann das Leben. Wer die Augen nicht offenhält, kommt leicht unter die Räder. Die Detektive kommen gerade noch mit heiler Haut davon und bekommen keine von den Kugeln aus dem Revolver und der Winchester ab, mit denen dauernd jemand herumfuchtelt oder droht, weil sie das Talent und den Instinkt haben, im Rhythmus dessen, was tatsächlich um sie herum passiert, zu bleiben. Sie verlieren nicht die Nerven, das zu sehen, was wirklich los ist in ihrer vertrackten Geschichte und mit den Mädchen, die so etwas wie die geheimen Drahtzieher der ganzen Verwirrung sind.

Schöne Mädchen sind keine Gegenstände

Die Mädchen heißen Annabella, Christa und Micky und bringen alles durcheinander, was in diesem Film einen geraden Weg gehen wollte Einer der Detektive, Sebastian, hat einen alten Industriellen aufgetan, der einen Fall für ihn hat, ein Mädchen, und von dem er eine schöne Summe Geld glaubt ergaunern zu können. Seinem Partner Andy unterschlägt er das Geschäft, doch der versucht, das Ding andersherum in den Griff zu bekommen, und so sind die Detektive vollauf damit beschäftigt, sich gegenseitig hereinzulegen. Der alte Mann hat allerdings auch ein krummes Ding vor und das Mädchen ebenso und die anderen Mädchen mischen kräftig mit, solange bis es knallt. Da helfen sich die Detektive, die einander sehr böse waren, wieder, werden im Augenblick der Gefahr wie in einer Oper wieder die alten großen Freunde, haben dem Alten das Geld abgenommen, zwei andere Konkurrenten ausgeschaltet und verschwinden mit den drei Schönen vom Schauplatz ihres gar nicht großartigen Abenteuers.

Von der Nützlichkeit der Verstörung

Wichtig,an diesem Abenteuer ist nicht so sehr die Geschichte, sie ist nur ein Weg, der zu überraschenden Abenteuern des Sehens führt, das ist wichtig. Nicht was diese Geschichte bedeutet zählt, sondern was sie zeigt und vermittelt. Die schönen Mädchen zum Beispiel gehören zu den Qualitäten des Films, weil sie nicht Gegenstände sind, wie das bei den meisten Filmen der Fall ist, sondern wirkliche Mitspieler, die sich frei und physisch präsent bewegen. Thomes Film ist vor allem ein Film, in dem Menschen, Gesten, Handlungen, Worte, Licht und Bewegungen für sich selbst zu entdecken sind. Es ist ein ganz natürliches Kalkül, das diesen Film trägt. Denken und Machen funktionieren da in einem Zug, nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten, im selben Rhythmus: Leben, Kino, Kino, Leben.

Das macht diesen Film so selbstverständlich schön und klar. Was seine Autoren und Mitspieler taten, war, ein Konzentrat, eine Abstraktion ihrer eigenen Existenz auf Film zu fixieren; aus Teilen ihrer persönlichen Welt, Traum und Wirklichkeit, etwas aufs Kino hin zu konstruieren; dort im Film eine Art exakte Definition zu versuchen, die aus dem Zusammenspiel von Leben, Filmemachen und Filmesehen eine neue Realität schafft, die der fertige Film dann selber ist und die zugleich die persönliche Welt, von der alles ausging, die sie auch beim Zuschauer tief treffen kann, deutlicher und durchsichtiger macht.

Thome zeigt, was er gern sieht, und er zeigt es, wie er es sieht, ganz frei, als wäre es zum erstenmal, und das gibt seinem Film seinen eigentümlichen Charme und Ernst. Dem Film ist anzusehen, daß der, der mit ihm etwas zeigt, sich bewußt war, daß er etwas zeigt und wie er es zeigt. Er lehrt, daß "die genaueste Künstlichkeit zu strengster Anmut führt", wie es Peter Handke einmal formuliert hat. Die Faktizität des Psychischen und die Schönheit des Physischen, präzise Naivität, berechnete Aktion, intensive Banalität und praktische Phantasie, Informationen über das, was Leute sehen, tun und fühlen - darin besteht der persönliche Realismus Rudolf Thomes, von daher rührt, es, daß sein Film derart stark und unmittelbar wirkt. Er ist neu in jedem Sinn, auch wenn er einem ganz alltäglich vorkommt, weil er auf Dinge aufmerksam macht, die wir draußen leicht übersehen, weil wir jetzt plötzlich feststellen, daß wir sie schon gesehen haben, aber in den freien Blick beeinträchtigenden Zusammenhängen. Rudolf Thomes Film "Detektive" kann so für den Zuschauer, der ins Kino geht, um vor allem etwas zu sehen, eine nützliche Verstörung und schöne Befreiung sein.




Thomas Groh
filmtagebuch
28.7.2007
Plötzlich ist er da: Dieser Hauch des großen Kinos, von Hollywood, dem klassischen, wo das seinerzeit gegenwärtige sich schon auf dem besten Weg in die Krise befand. Detektive, Rudolf Thomes Debüt, ein funkelnd-brillanter, im steten Tempo überraschender, mal brüllend komischer, mal in genialen Dilletantismus entrückter Film, erträumt sich selbt ein "Mollywood", ein Hollywood, das in München, genauer: Schwabing, liegt. Eine Vision in schwarzweiß und Cinemascope, unterlegt mit coolstem Jazz, die man als reinstes Kinoglück gesehen haben muss.
Wie hier plötzlich alles sitzt, wie alles Bequemliche und Stickig-Gemütliche des deutschen Opakinos ohne viel Aufhebens einfach entsorgt wird, und etwas Modernes Einzug erhält, ohne aber sich dem Hyper-Intellektualismus - ganz im Gegenteil - zu ergeben, das alles lässt für einen Moment die Sackgassen und Irrwege der deutschen Nachkriegs-Filmgeschichte vergessen. Detektive, das ist die Liebe zum amerikanischen Kino durch die französische Brille, ein Taktschlag in einer filmhistorischen Kette, die von Humphrey Bogart zu Jean-Paul Belmondo und schließlich zum, wie stets, durch sein Nichtspiel faszinierenden Marquard Bohm reicht, der - soviel steht für mich nach Detektive, Rote Sonne und Deadlock fest - der eigentliche große Star des bundesrepublikanischen Kinos ist, dessen Geschichte allerdings noch geborgen werden muss. Doch von der jungen Iris Berben, Uli Lommel, dem deutschen Alain Delon, und, natürlich, von Uschi Obermaier (im Vorspann "Chrissi Malberg") ist mindestens ebenso zu reden. Das Mehr, das sich ergibt, wenn sich all diese dem großartigen Drehbuch von Max Zihlmann überantworten, ist, gelinde gesagt, von ganz exquisiter Qualität.


[Exkurs: Eine ganz seltsame Geschichte scheint mir bei näherer Betrachtung von dessen imdb-Profil die Filmografie von Uli Lommel zu sein. Vor allem als Regisseur offenbar völlig mißratener, am Stück hintereinander auf den Markt geschmissener Video-Horrorfilme, deren imdb-Votes selten die 1,5 übersteigen (was, angesichts der Schmerzbefreitheit zahlreicher Horrorfilm-Geeks, einiges aussagt), trat er zuletzt in Erscheinung. Doch auch schon in den späten 70ern und vor allem in den 80er Jahren drehte er offenbar Delirantes für die unteren Regale der hinteren Videothekenecken und blieb dabei immer, und man möchte fast sagen: in alter italienischer Tradition, den Vorgaben der jeweils populären Großfilme verbunden. Ich will's mir erst gar nicht vorstellen, was sich in diesem filmhistorischen Orkus nicht noch an, wohl kaum guten, aber vielleicht hübsch verqueren Abstrusitäten bergen ließe!]
Detektive verhehlt kaum, dass es um das, um was es geht, im Endeffekt nicht geht. Wichtiger als der von Zihlmann zwar fein ziselierte Krimiplot - Geldknappheit, reicher Großbürger, schöne Frauen, eine Lebensversicherung, ein wenig Gift und noch zwei, drei Intrigen - , sind die Szenen je für sich, der Moment, das Detail; die Story entfaltet sich fast nebenher, bleibt oft genug insofern egal, dass an ihr der Filmgenuss kaum hängt. Gut abgeschaut vom großen Kino von Übersee ist hingegen die Relevanz der kleinen Geste: ein nervöser Augenaufschlag, ein Zucken in den Gliedern, bevor eine Bewegung stattfindet, ein geworfenes Gewehr, die Lässigkeit eines offenen Hemdknopfes und ein rüde weggefegter von einer schönen Frauenrundung weggefegter Arm. Im an wunderbaren Anekdoten reichen Bonusmaterial des tollen DVD-Sets von Kinowelt fasst Iris Berben - und sichtlich fasziniert - Detektive als Film mit "vielen schönen Frauen und unglaublich lässigen Männern" punktgenau zusammen; das Diktum, dass man für einen Film lediglich eine Waffe und eine Frau benötige - stammt es aus Frankreich, war das Godard? -, wird von Detektive mit aller Coolness dieser Welt noch um zwei Männer, ein Gewehr und ein paar Gläser Whiskey ergänzt.
Eine schiere Freude auch die Montage des Films. Ob's die Unbekümmertheit Thomes war, die wilde Entstehungsgeschichte des Films - vom fast zweieinhalbstündigen Rohschnitt musste auf knapp unter 90 Minuten runtergekürzt werden, die Auflage, noch eine publikumswirksame Sexszene mit der Obermaier nachzudrehen, konnte Thome abwenden - oder vielleicht wirklich eine von der Muse geküsste Strategie, lässt sich kaum mit Sicherheit entscheiden. Jedenfalls sind ihre Ellipsen und Dynamisierungen von einer seinerzeit im deutschen Kino kaum geahnten Modernität (und dass sie eben doch auch französisch im Hinblick auf das Amerikanische wirken, lässt auf eine bewusste Montage zumindest hoffen). Der brillanteste Moment: Uli Lommel legt sich zur nackten Iris Berben ins Bett, Schnitt aufs andere Bett, wo sich Bohm und Obermaier befinden, sowie der reichlich lächerliche Busse (gespielt von Peter Moland) als dritter im Bunde am Rande. Jemand klingelt draußen an der Tür und es dauert lange, bis sich Bohm aufgerappelt hat, um nachzusehen. Zur völligen Überraschung steht dann da die Berben vor der Tür und kommt mit Brötchen rein. Wie noch um die zum Brüllen komische Absurdität dieser wundervoll im vermeintlich perspektivischen Umschnitt camouflierten Ellipse zu unterstreichen, fragt Bohm sie gleich darauf, wo denn bitte Lommel sei. Der ist, so Berben dann, schon vor einer Weile gegangen.
Detektive ist voll von solchen kleinen, wundervollen Momenten, ihnen nachzuspüren, macht eine ungemeine Freude. In ihm liegt eine Utopie, die sich aus der ehrlichen Liebe zum großen Kino einer damals eigentlich schon vergangenen Zeit speist (was ihn auf merkwürdige Weise in die Nähe zu Tarantino rückt, dem dieser Film, so dachte ich es mir wenigstens gelegentlich, sicher gut gefallen würde), eine Utopie, die sich in der deutschen Filmindustrie schließlich kaum verwirklichen ließ. Detektive lässt sich somit auch als Fenster begreifen, durch das man Blicke auf ein Kino späterhin nicht genutzter Möglichkeiten werfen kann. Zu hoffen bleibt, dass diese schöne DVD nachrückende Generationen hinreichend inspiriert, um sich der Schmockigkeit des deutschen Qualitätsfilms endlich zu entledigen; noch steht ja beispielsweise der erste richtige Genrefilm der so genannten "Berliner Schule" aus und zu erwarten.


Thomas Groh

in filmtagebuch, 28.Juli 2007

 


Ekkehard Knörer
TAZ
18.07.2007

Cool Cats in Mollywood
Uli Lommel, Uschi Obermaier, 1969: München sah selten lässiger aus als in Rudolf Thomes Debütfilm "Detektive".

Zwischen den gespreizten Beinen von Uschi Obermaier hockt Uli Lommel, einen Revolver in der Hand, das Ganze schwarz-weiß: das Cover-Bild einer liebevollen 2-DVD-Edition von Rudolf Thomes Spielfilmdebüt "Detektive" aus dem Jahr 1969. In der Tat ist es eine Art Summe dieses Films "mit vielen schönen Frauen und unheimlich lässigen Männern", wie Iris Berben es im Interview auf der Extra-DVD zusammenfasst. Sie selbst ist eine der schönen Frauen, sie war gerade achtzehn, lebte in Hamburg und hatte so gut wie keine Schauspielerfahrung, als Uwe Nettelbeck, der damalige Filmkritikerstar, sie entdeckte, in sein Auto steckte und zu den Dreharbeiten nach München kutschierte. Dort lungerten schon Marquard Bohm, Uschi Obermaier und Uli Lommel herum sowie Rudolf Thome, der unbedingt einen Film drehen wollte, der so sachlich, so einfach, so präzise ist wie die Werke von Howard Hawks.

Die Handlung von "Detektive" ist, dafür dass sie Nebensache ist, ganz schön kompliziert. Es geht um Mordpläne mit Gift (und schönen Frauen), Detektivarbeit mit Knarren (und schönen Frauen) und um Spiele über einfache und doppelte Banden (natürlich mit schönen Frauen), im Grunde ein kompletter Krimiplot. Das Eigentliche aber sind natürlich Gewehr und Revolver, die künstlich einfachen Dialoge, das Rumstehen, Rumsitzen und Rumliegen in stilisierten Räumen, die Cinemascope-Bilder, Uschi Obermaier und Iris Berben im Bikini, die Autofahrten und zuallererst einfach die Existenz all dieser cool cats in München, das hier nicht leuchtet, aber so entspannt jazzt und swingt, dass man nur staunen kann.
Der ganze damalige Kreis um die Regisseure Eckhart Schmidt, Klaus Lemke, Thome, Fassbinder und irgendwo im Hintergrund auch Jean-Marie Straub), sie wollten, wie Uli Lommel erzählt, "Mollywood", Klein-Hollywood in München. Max Zihlmann schrieb Drehbücher für Lemke und Thome, Lommel spielte bei Thome und Fassbinder, Peter Berling schleppt in Thomes Film Möbel und produziert Lemkes zweiten Film "Negresco" (und Fassbinders "Whity"). Das sind alles Filme, mit denen viel anfängt im deutschen Kino, das sich dann doch irgendwie anders weiterentwickelte, als man damals gedacht hätte. In der wahrscheinlich hinreißendsten Dialogzeile des Films meint der von Marquard Bohm gespielte - oder eher verkörperte, denn ein Schauspieler war Bohm nicht - Detektiv Andreas: "Ich habe auch einmal zu Hoffnungen Anlass gegeben, ich konnte mich nur nie entscheiden, zu welchen."

So war das eigentlich mit den ganzen Mollywood-Streitern, die nicht zuletzt die Abneigung gegen den Oberhausener Kunstfilm einte. Ziemlich bald machte dann aber jeder sein Ding, Fassbinder wurde Fassbinder und ein großer Star und starb jung, und Lemke wurde Lemke und bleibt uns als Ein-Mann-Guerilla, die auf alle Fördertöpfe spuckt, bis heute erhalten. Zuletzt sah man ihn mit einem Protestplakat in diesem Frühjahr beim Filmfest München, zu dem sein jüngster Film "Finale" nicht eingeladen war. Dafür feierte dort Rudolf Thomes aktuelles Werk "Das Sichtbare und das Unsichtbare" Premiere, nur haben seine späten Hannelore-Elsner-Beziehungsfilme mit den hollywoodsüchtigen Anfängen nicht mehr so viel zu tun. Und Uli Lommel ging in die USA, drehte Filme mit Andy Warhol, gründete ein seltsames Direct-to-Video-Imperium und kehrte vor ein paar Jahren für den Daniel-Küblböck-Flop "Daniel, der Zauberer" sogar kurz mal als Regisseur nach Deutschland zurück.
Man muss das alles erzählen, weil ein Film wie "Detektive" einem so große Lust macht auf diese Gegengeschichte des deutschen Kinos, die nur in manchen Teilen in die offizielle Geschichte hineinragt. Ein frustrierter Uli Lommel, für Iris Berben damals der schönste Mann Deutschlands, flucht im DVD-Interview heute über die Achtziger- und Neunzigerjahre, die so überhaupt nicht einlösten, was man sich damals, in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern, in München vom Leben und vom Kino, vom Leben als Kino und vom Kino als Leben versprechen durfte. Aber wie glorreich diese Anfänge waren, davon immerhin zeugt bis heute Rudolf Thomes Debütfilm.
Ekkehard Knörer, TAZ, 18.07.2007



Alf Brustellin
film
Heft 4/1969

Das Kino, ein Leben

Verschiedene Welten. Die eine: zwei jugendliche Detektive, und kein Unterschied, dass der eine attraktiv hübsch und der andere attraktiv hässlich ist; es hat nichts zu sagen oder besser: man spürt das nicht. Dazu drei Mädchen, im bürgerlichen Terminus: alle ungefähr das gleiche "Format", hübsch, aber das spielt auch keine Rolle, es ist vielmehr selbstverständlich. Gemeinsam ist den ziemlich hellen Mädchen und den ziemlich gebrochenen Jungdetektiven, dass es keinen Unterschied gibt zwischen dem, was sie sind und was sie darstellen, ob sie etwas tun oder nichts tun, was sie tun und wie sie's tun. Sie sind alles zugleich und bestehen auf nichts: sie sind böse und lieb, freundlich und feindlich, brutal und zärtlich, komisch und traurig; sie sind immer ganz da, auch wenn sie gleichgültig sind oder "weggetreten"; sie sind lässig in einer Weise, wie es nur Leute sein können, deren Selbstverständnis gar nicht zur Diskussion steht - auch dann nicht, wenn sie Filmfiguren sind.

Diese eine Welt, das ist auch: der Regisseur Rudolf Thome, der Drehbuchautor Max Zihlmann, das Kamerateam Hubs Hagen/Niklaus Schilling - für die ist das Filmen erweitertes Selbstverständnis, die Projektion einer Lebensweise, einer Lebensempfindung und einer "Lebenserwartung" in ein Medium. Man kann das im Film DETEKTIVE sehen und spüren: hier treten nicht Leute an, um einen Film zu machen, um sich auszutoben, um mitzuteilen, zu reflektieren, um zu "verfilmen", was in gedanklichem und dramaturgischem Material vorhanden ist, sondern hier bewegen sich ein Medium und ein paar Leute aufeinander zu - das bringt Begegnungen mit sich, die überraschend schön sind und immer auch ein bisschen traurig und zerbrechlich; wahrscheinlich hat das eine Menge mit Liebe (zum Kino) zu tun und fast gar nichts mit Benutzung (des Films) zu irgendeinem Zwecke.

Verschiedene Welten. Die andere: ein halb-kahler, jüngerer, spießiger Weichling, dem man keines der drei Mädchen gönnt; ein älterer, halb-kahler, spießiger Gewissenlos-Harter, dem man schon gar keins der drei Mädchen gönnt; schließlich ein alter Mann, aus dem Bilderbuch, steinreich, einsam, gelüstig nach jungem Fleisch. Bei all denen ist nichts lässig und nichts selbstverständlich; sie sind angestrengt, agieren dauernd fürs eigene Image, stilisieren sich. Sie stellen dar, sind halbe Karikaturen, immer ein wenig lächerlich und ein wenig böse und ein wenig hilflos. Für 90 Minuten geht die Geschichte, diese schöne Geschichte über sie hinweg und sie merken es nicht; sie spielen sich auf als die Mächtigen, die dramaturgischen Eckpfeiler, die Stärkeren, die Befehlshaber, aber am Ende löscht sie der Film aus - ein paar Kinoleichen, für die sich niemand mehr interessiert. Wer sollte auch? Die Ebene, auf der Max Zihlmann seine Geschichte entwarf, ist weder durch Bestimmungen der Moral, noch des Strafgesetzbuches, noch des Knigge eingeengt; in ihr fehlen psychologische Fußangeln und weitgehend auch Motivationsstränge. Dass diese utopische Spiellandschaft dennoch nicht ins Märchenhaft-Unverbindliche entschwindet, dafür sorgen die vielen realistischen Akzente, die dem Regisseur Thome offenbar besonderen Spaß machen, etwa: zwei Mädchen kennen sich kaum ein Stündchen, aber sie trocknen in der Küche gemeinsam Geschirr ab und sprechen die faule Liebesgeschichte der einen durch.

Die DETEKTIVE-Story ist ganz und gar eine Filmstory; sie ist vezwickt, glänzend konstruiert und schlechterdings nicht erzählbar. Nur dies, ganz allgemein: alle acht Figuren handeln erst einmal und vor allem in eigenen Interessen; bei den Älteren kommt hinzu, dass sie ihre Zuneigung zu den Jungen nicht loswerden, bei den Jungen, dass sie die selbstverständliche Freundschaft und Solidarität zu ihresgleichen nicht loswerden und die Älteren brauchen, um Geld - oder was das gleiche ist: ihr Leben - in die Hand zu bekommen.

Thome hat an der Geschichte, wie Zihlmann sie entwarf, nichts geändert, hat sie breit, fast bedächtig inszeniert, mit Phantasie und großer Lust am dekorativen Arrangement, an langen, genüsslich langsamen Szenen, wo viel Platz ist für die kleinen Spannungen, die kleinen Gesten, das Lachen, den Charme und den Zufall, der Leben in die Tableaux' bringt. DETEKTIVE - nur ganz oberflächlich gesehen eine Kriminalkomödie - entpuppt sich als subtiles Kammerspiel, in dem alle Effekte, Emotionen, heroischen und unheroischen Leistungen auf ihre kleinste, selbstverständlichste, "menschlichste" Größe heruntergespielt werden. Ob es sich nun um eine Pistole, ein "peinliches" Verhör, eine Schlägerei, um Bedrohungen, Giftflaschen, ein Schießgewehr, um Liebe oder Kampf handelt, niemals werden die Aktionen und Faszinationen auch nur eine Spur gewichtiger als ihre Träger; das große Spektakel findet genauso lässig und nebenbei statt wie ein Schluck aus dem Whisky-Glas. Ein Beispiel für das Prinzip: wenn jemandem das Glas vor Schreck aus der Hand fällt und zerbricht, geschieht das im Off; die Kamera konstatiert dann nur noch lakonisch Scherben am Boden, die weggeräumt werden müssen.

DETEKTIVE ist ein Film ohne Höhepunkte; dass sich der Regisseur dieses gleichmäßige Engagement leisten konnte, spricht wiederum für das Drehbuch. Die Purzelbäume, die es schlägt, geschehen gewissermaßen in Zeitlupe; das soll vor allem heißen: man hat Zeit, Details wirklich zu sehen, sich in Bewegungsabläufe, Harmonien und Disharmonien hineinzuschauen, die sonst in kaltem Tempo verhuschen. Es ist wie bei einer komplizierten Turnübung: richtig Schön-Finden, Leistungen und Fehler durchschauen kann man nur in Zeitlupe - vorausgesetzt, die Übung ist gut und der Turner ist gut. Und die Detektive-Besetzung ist hervorragend, schon das ist eine Regie-Leistung.

Schade nur, dass über dieser Kammerstory ein falscher Ton liegt: der durchgehende Synchronton (1) bewegt sich oft wie ein Schleier vor den Bildern, errichtet eine akustische Wand. Man muss sich hindurchzwängen und braucht hin und wieder schon ein großes Stück Phantasie, um sich vom auf- und draufgesetzten Gestus der Sprache nicht beirren zu lassen. Doppelt schade, da Zihlmanns Dialoge die Figuren immer wieder neu beleben und sie nie im Satz erstarren lassen.

Aber vielleicht muss auch dieses Manko sein, um die so utopisch gewordene Hoffnung, die der Film DETEKTIVE evoziert, ein wenig einzuglätten: die Hoffnung auf - oder die Erinnerung an - eine "Filmwelt", in der die Trennung zwischen U-Film und E-Film, zwischen Kino-Kunst und "Mach-dir-ein-paar-schöne-Stunden", zwichen Cinéast und Filmverbraucher lästig und lächerlich wird. Ein Film wie Thomes DETEKTIVE könnte die forcierte, bittere und so typisch-kapitalistische Entfremdung zwischen "künstlerischem" und "kommerziellem" Kino ein bisschen aufheben helfen - sofern ihm die Branche gnädig ist und der Regisseur seine Liebe zum Film nicht auf den Markt trägt, um sie meistbietend zu verscherbeln.
Alf Brustellin in film Heft 4/1969

(1) Thome hat den Film zuerst mit Originalton gedreht, wurde dann aber vom Produzenten gezwungen, den Film vollständig zu synchronisieren. Vom Primärton sind nur einige Geräusche übriggeblieben.

 


Hans Helmut Kirst
Münchner Merkur
23.06.69

Thomes München-Krimi

"Detektive" - zwei junge Leute mimen Kompagnons, solange sich das zu lohnen scheint; dann liefern sie sich kaltblütige Konkurrenzkämpfe, als einer allein zu kassieren versucht. Denn: Liebe kann sein, Geld muss sein. Klienten müssen zahlen oder krepieren - "ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit".

Die Girls mögen in Mini locken, ein älterer Knabe aufgeregt mit einem automatischen Gewehr herumfummeln, ein Lebegreis über sein Verhältnis zu Spielmädchen referieren - "Das Thema ist aktuell! - und schließlich diverse Leichen herumliegen - na und? Ein "schmutziger Beruf" - wie einst bei Raymond Chandler, dem bisher immer noch unübertroffenen Klassiker der Kriminalliteteratur. Doch dieser Film wagt sich einen ganz erheblichen Schritt weiter.

Produzent und Regisseur ist Rolf Thome, 1939 geboren; in München hat er studiert und sich hier auch, seit 1963 als ambitionierter Filmkritiker betätigt. Geradezu rigoros forderte er die Überwindung des Konventionellen - wobei er sich aber dazu bekannte, daß das Publikum ein Anrecht darauf habe, sich nicht zu langweilen. Diese anspruchsvollen Theorien in die Praxis umzusetzen, hatte er nun Gelegenheit - das Ergebnis ist frappierend.

Thomes Film läßt sich nicht ohne weiteres einordnen - er gehört nicht zu irgendeiner "Schule", hat keine erkennbaren Vorläufer, ist aber von großer Originalität. Es ist kein Film ohne zwangsläufige Logik bar jegicher dramaturgschen Regeln, ohne die geringsten aufgepulverten Effekte. Jeder gefgen jeden - also jeder für sich.

Eine derartige systematisch herbeigeführte Unsicherheit menschlicher Reaktionen schafft eine eigenartige Spannung: keiner kann mehr ausrechnen, was geschieht oder was geschehen muß. Es ist ein Film, der das Elebnisbedürfnis seines Publikums nicht schnell befriedigt, sondern bewußt aktiviert - er fordert mitschaffende Phantasie.

Das geschieht mit klarkonturigen Schwarzweiß-Bildern. In den besten Szenen werden darstellerische Möglichkeiten geradezu verwegen untertrieben. Zwischentöne wären Zeitverschwendung. ("Ich traue jedem alles zu!")

Das Drehbuch ist von Max Zihlmann, einem bereits mehrfach Bewährten. Seine Dialoge muten an wie angelesener Illustriertenjargon - "Die Zeit ist angebrochen, wo jeder an sich selbst denken muß!" Hier erscheint das als wirksames Mittel, die Situation junger Zeitgenossen zu umreißen: rede was und wie du willst, aber "sei doch realistisch".

Das ist dieser Film - von karger Klarheit und zugleich ein kaltschnäuziger Krimi. Mitten aus München. Un in seinen besten Augenblicken ein leidenschaftslos analysiertes Krankheitsbild: über Menschenleben kann wie bei einer Bestellung an irgendeinem Bratwurststand entschieden werden. (Im Lenbach-Filmtheater)

 


Der Spiegel
73.16.69

Ungezähmte Mädchen

Die Detektive (Deutschland). "Sozialkritik und tiefschürfende Analysen", sonst Leitmotive vieler jungdeutscher Regie-Eleven, sind dem Münchner Rudolf Thome, 29, zuwider. In seinem ersten Spielfilm will er "einfach eine Geschichte erzählen".

Und erzählen, das kann der einstige Filmkritiker (rund 600 Rezensionen) schon fast so kühl wie sein Regie-Vorbild Howard Hawks ("The Big Sleep"). Mit professioneller Gelassenheit bebildert Thome eine bis zur Undurchscaubarkeit verschachtelte Moritat von zwei Detektiven, die erst für, dann gegen ihre Auftraggeber und schließlich sogar gegeneinander arbeiten.

Diesem Beispiel folgen (nach einem grotesken Drehbuch von Max Zihlmann, 32) auch die übrigen Figuren: Unternehmer, Mörder und Mätressen wechseln immer wieder Gesinnung und Partner, bis schließlich zwei Leichen und die - zur Abwechslung wieder verbündeten - Detektive übrigbleiben.

Doch der verwirrende Run auf eine fette Versicherungspolice - Parodie und Apotheose des Hollywood-Thrillers in einem - verläuft stets nach strengem Kalkül; denn der Erzähler Thome kann vorzüglich rechnen.

Als Kreditsachbearbeiter einer Bausparkasse hatte er früher "große Projekte" entschieden und "eine Menge Geld über meinen Tisch" geschoben. Thome: "Das war schön, wirklich."

Darum wohl hat der Regisseur seinen Traum vom schönen, schnell verdienten Geld, den er demnächst mit einem "internationalen Cinemascope-Riesending" verwirklichen will, zum Motiv seiner Detektive gemacht: Nur aus Habgier schröpfen sie ihre Klienten.

Zweites Thema des Thome-Films: Mädchen. Weil den "Feministen" ("Filmkritik") seit seinen ersten Kurzfilmen die "Mädchen nicht als Gegenstände, sondern als Menschen interessieren", zeigt Thome sie so ungezähmt wie vor ihm kein andere deutscher Debütant.

Schön, selbstsicher und miederlos herrscht etwa das Photomodell Chrissie Malberg, 21, über ihren männlichen Kollegen. Vor allem über den Detektiv-Spieler Marquard Bohm, der bei den Dreharbeiten das Team mit linken Parolen bedrängte und dem Filmautor schließlich ein Minimum an sozialkritischem Dialoig abtrotzte. "Diesen Kapitalisten", so zürnt Bohm etwa im leergeräumten Detektiv-Büro, "werde ich es noch besorgen."

Dennoch ist Thome mit seinem Erstling zufrieden: "Ich glaube", so äußert er stolz, "ich habe einen ganz guten Film gemacht, den man noch in 20 Jahren zeigen wird."

 

Am Freitag, den 14. Januar - also über 40 Jahre später - läuft "DETEKTIVE - in den Tilsiter-Lichtspielen in Berlin