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System mit Schatten

In Rudolf Thomes Film "Frau fährt, Mann schläft" wird Beziehungsfeinarbeit geleistet


Wenn Tolstoi sich geirrt hätte, wäre Rudolf Thome wahrscheinlich arbeitslos. "Glückliche Familien sind alle gleich; jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich", schrieb der Autor von "Anna Karenina" vor mehr als hundert Jahren. Deshalb ist es natürlich nur ein Witz, wenn sich die Familie Bogenbauer-Süßmilch gleich zu Anfang von Thomes neuem Film als beispielhaft glückliche deutsche Familie in eine9r Talkshow versammelt. Vier halbwüchsige Kinder, die Mutter Zahnärztin, der Vater Philosophieprofessor, das ist das telegene Glückssystem.Jenseits des Fernsehstudios ist es ein System mit Schatten. Liebeskummer, mehrfacher Ehebruch, Schwangerschaft, Tod. Thome braucht die Idylle für die Risse und die Risse für die Beziehungsfeinarbeit. Seine Helden reißen die Risse auf, wenn sie sie zu überdecken versuchen. Das ist so etwas wie das Lebenshandwerk des gutsituierten Berliner Mittelstands, und Rudolf Thome ist seit fast fünfundzwanzig Jahren dessen verläßlichster Chronist - ganz ohne seelenquälerischen Ernst, so spielerisch, wie es die Namen seiner Helden andeuten. Bogenbauer (Karl Kranzkowski) und Süßmilch (Hannelore Elsner) heißen sie diesmal oder Sven Hedin, der Forscher, der in die Ferne zieht und den Hanns Zischler mit der Selbstverständlichkeit eines Stammgastes spielt, der in fast jedem Thome-Film wie von selbst seine Rolle findet, mal im Zentrum, mal am Rand. Diese Namen erinnern an Schelmenromane oder Märchen, obwohl es sich bei Thomes Filmen eher um menschenfreundliche Menschenversuche handelt. Dazu paßt es, wenn Zischlers Forscher das Gewimmel der Welt mit einem Ameisenhaufen vergleicht und findet, daß es von oben aus doch ganz gut aussähe.

Thome arbeitet allerdings lieber in Augenhöhe. Sein Film zeigt den zu Tode fotografierten Potsdamer Platz zwar nicht gänzlich neu - aber als Teil von Thomes Welt. Er ist ein großer Eingemeinder, und die schönsten Bilder des Films wirken nicht gesucht, sondern gefunden. Nach dem Tod des ältesten Sohnes, nach dem Nervenzusammenbruch der Mutter steht die Rumpffamilie im Wohnzimmer vorm Fenster - und wird auf einmal zum Schattenriß. Thome führt solche Bilder nicht mit großer Geste vor, sie scheinen sich einfach zu ergeben. Zugleich ist er ein großer Entdecker und Wiederentdecker, vor allem von Schauspielerinnen. Wenn man Hannelore Elsner bei Thome zusieht, kann das unmöglich dieselbe Frau sein, die montags zur Prime time in der Endlosschleife ermitteln muß.

Thome hat seine Zeitreisentrilogie, deren zweiter Teil "Frau fährt, Mann schläft" ist, auch für sie geschrieben. Nicht als Science-fiction, sondern als Exkursion in den Alltag. Menschen reisen durch die Zeit, die ihr Leben ist. Das Vergangene kommt wieder, es löst sich schmerzhaft ab, die Gegenwart verschwimmt, die Zukunft ist sprunghaft, statt einfach nur die nächste Markierung auf der Zeitachse zu bilden. Thomes Filme haben dabei immer etwas Unaufgeregtes, selbst dann, wenn sie von Krisen und Katastrophen erzählen. Er verteilt seine Sympathien gleichmäßig: mehr Mitleid für die Männer, mehr Bewunderung für die Frauen. Thomes mittelalte Männer richten sich im Leben ein wie in einem bequemen Sessel, sie inventarisieren ihr Glück. Sie packen ihren Laptop aus und zeigen stolz Familienfotos wie in "Rot und Blau", sie geben einem Talkmaster bereitwillig Auskunft übers Glück wie Bogenbauer, als wäre die Zeit ein langer, ruhiger Fluß. Den Frauen dagegen schlägt die lange Dauer aufs Gemüt. Ihr Rhythmus heißt Umbruch, Aufbruch, Abbruch, Zusammenbruch. Und wenn der Philosoph am Ende die neue Situation mit seinen alten Kategorien bewältigen will, läßt seine Frau ihn spüren, daß das Alte nicht mehr geht, auch wenn das Neue ihr selbst noch gar nicht so klar ist.
Thome beherrscht dieses Spiel mit offenen Konstellationen wie kein anderer im deutschen Kino. In seinen Filmen gibt es keinen großen Knall, keine tränenselige Versöhnung, keine definitive Lösung. Manchmal hat man das Gefühl, Thome wundere sich selbst, daß und wie es immer wieder weitergehen kann. Dieses leise Staunen hat er sich in mittlerweile 22 Spielfilmen erhalten. Die deutsche Filmförderung interessiert ihn nicht mehr, weil sie ihn ignoriert. Preise braucht er auch nicht, nur ein Publikumserfolg wie damals mit "Berlin Chamissoplatz" wäre mal wieder ganz schön, sagt Thome.

Er hat seine Nische gefunden. Die ARD-Tochter Degeto finanziert im wesentlichen seine Filme, und weil er ein schneller Arbeiter ist, würde er das jahrelange Brüten über einem Projekt gar nicht aushalten. "Warten, warten: das ist etwas, was ich überhaupt nicht kann" steht auf seiner Website. Deshalb wartet er auch nicht auf seinen 65. Geburtstag am 14. November. Er bereitet lieber seinen nächsten Film mit Hannelore Elsner vor, Arbeitstitel: "Du hast gesagt, daß du mich liebst". Frau spielt, Mann dreht. So kann's weitergehen.

Peter Körte in FAZ 04.11.  04

 

Ehe ohne Szene

Hier muss das ganze Kino hindurch - Rudolf Thomes neuer Film "Frau fährt, Mann schläft"

Frau und Mann: ein paar. Sie, Sue (Hannelore Elsner) ist Zahnärztin und hasst es, wenn Dinge sich verändern. Er, Anton (Karl Kranzkowski) bekleidet einen Lehrstuhl für Philosophie an der FU Berlin, liest sieben Tageszeitungen am Frühstückstisch und doziert über den Tod als Grenzerfahrung der Zeit. Beide sind Mitte fünfzig, haben vier Kinder im Alter zwischen 13 bund 18 Jahren: eine Familie, die als "glücklichste Familie Deutschlands" bei einer kuriosen TV-Talkshowzuliebe zieht man von einer Vorort-Villa in eine Stadtmitte-Wohnung um. Zwischen den Umzugkartons sinniert Sue: "Ich kann mich nicht entscheiden, was ich wegschmeißen soll und was nicht". Drauf arglos belehrend Anton: "Ist doch ganz einfach. Was du in den letzten zwei Jahren nicht einmal angefasst hast, kann weg".

Man ahnt, dass auch Anton selbst zu den besagten Dingen gehört. Risse zeigen sich im Bild der zu Beginn idyllisch und fröhlich-boulevardesk gezeichneten Familie. Mächtige Erschütterungen werden folgen. Der älteste Sohn wird plötzlich schwer erkranken und sterben, die Lebenslügen und lieblos-festgefahrenen Arangements des Paares werden zusammenbrechen. Am Ende sitzen Sue und Anton im Auto, auf dem Weg nach Italien: Frau fährt, Mann schläft. In Sardinien, am Strand, sagt er noch einmal: "Ich liebe dich", und sie zieht den Ehering vom Finger.

Ein englisches Ehepaar ist mit dem Auto in Italien unterwegs: Ingrid Bergman fährt, George Sanders schläft. So beginnt Roberto Rossellinis "Viaggio in Italia" (1953), und Rudolf Thomes "Frau fährt, Mann schläft" ist nicht zuletzt eine Reminiszenz an diesen Film. "Viaggio" war nicht nur für die jungen Autoren der Nouvelle Vague leuchtendes Vorbild - Rivette: "Dieser Film öffnet eine Bresche, durch die das ganze Kino hindurch muß". Thome hat hier Prinzipien beschrieben, die für ihn das Kino definieren: Keine Suche nach Perfektion, sondern nach Augenblicken der Wahrheit. Dinge und Personen sollen nicht vorgefassten Vorstellungen unterworfen werden, sondern sich so zeigen, wie sie von sich her sind. Der Blick darf eintauchen ins Alltägliche, und die Erzählung soll von autobiografischen Erfahrungen gespeist sein. Prinzipien des modernen Kinos, denen Thome von seinen ersten Filmen bis heute treu geblieben ist. 1968 schrieb er: "Ich mache Dokumentarfilme über Schauspieler, die Szenen aus einem Drehbuch spielen." Ein Satz, der auch noch für "Frau fährt, Mann schläft" gilt, wo ein Spiel eröffnet wird, das eigenen situativen Impulsen folgt und dem Sich-Zeigen der Darsteller Raum gibt.

Aus solchen Autorenkino-Traditionen kommend hat Thome mit seinen Filmen ein eigenwilliges Universum geschaffen, zu dem die Vorliebe für lang durchgehaltene Plansequenzen ebenso gehört wie die Konzentration auf ein Thema: die Liebe. Wie sie geheimnisvoll entsteht und sich gegen alle Widerstände durchsetzen will, wie sie dem Verrat anheim fällt und dann wieder angstvoll neu beschworen wird. Um der Leere ihres Ehe-Arrangements zu entkommen, hat Sue begonnen, ihre Liebessehnsucht auf einen anderen Mann: den Astronomen Sven Hedin (Hanns Zischler) zu projizieren. Als ihr Sohn Thomas (Markus Perschmann) auf der Intensivstation liegt, gesteht sie es Anton: "Ich liebe einen anderen Mann. Weißt du das? Wir haben zu lange mit diesen Lügen gelebt. Vielleicht ist Thomas deshalb krank geworden!"

Sue fühlt sich schuldig, erleidet einen Nervenzusammenbruch, und als sie sich davon wieder erholt hat, findet der Film zu seiner schönsten Passage. Ein Spaziergang durch den Hospital-Park, bei dem Sue die ganze Geschichte des Paares aufrollt, von den grandiosen Zeiten der ersten Verliebtheit bis zu den traurigen Ernüchterungen der späteren Jahre. Wunderbar, wie Hannelore Elsner ihre Erzählung im Tonfall wehmütiger Erinnerung hält. Kein Vorwurf wird erhoben, kein Streit entfacht. Erinnerung an vergangens Glück, Trauer. In Momenten wie diesen findet der Film ganz zu sich. Thome entwirft Szenen einer Ehe, bei denen keiner dem anderen eine Szene macht. Umso größer das Erschrecken über das Entschwinden einer Liebe. Umso deutlicher, dass die Liebe beim Mann nur eine Suche nach Selbstbestätigungen und eine Flucht vor Einsamkeitsängsten ist. Merkwürdig leer bleibt der soziale Umraum der Familie: keine Parties, keine Besuche von Freunden, kein geselliges Leben. Stattdessen Reflexionen über den Tod, über explodierende Sterne, über das Leben als Ameisenhaufen, in den ein Stein geworfen wird. Angstbilder. Ein Film über Trennung, Tod, Einsamkeit.
Rainer Gansera in Süddeutsche Zeitung, 04.11.2004

 

Kraut und Rüben

Das Leben läuft oft anders, als man es gern hätte. "Frau fährt - Mann schläft" tröstet mit der Botschaft: Auch Tragödien können Sinn machen

Eine der eindringlichsten deutschsprachigen Publikationen über das Kino stammt von dem Filmemacher Rudolf Thome. Fast zwei Jahrzehnte ist es her, dass er sein Buch über Roberto Rossellini geschrieben hat, aber es liest sich immer noch so, als sei es gerade erst erschienen. In Thomes ansteckender Begeisterung für Rossellinis Filme drückt sich eine Liebe zum Kino und zu den Menschen aus, die auch seine eigenen Filme trägt. "Rossellini filmt nicht Gedanken, sondern Menschen", schreibt Thome. "Das macht seine Filme für Menschen, die mehr denken als sehen, so schwierig. Denn diese haben die Welt geordnet. Sie wissen, was richtig und falsch, gut und böse ist. Nur: die Wirklichkeit hält sich nicht an die Regeln des Denkens und die von ihnen erzeugte, künstliche, Ordnung. Da geht vieles wie Kraut und Rüben durcheinander." Thomes Annäherung an das Kino Rosselinis liest sich als luzide Selbstbeschreibung, die eine Wahlverwandschaft zum Ausdruck bringt. Noch nie aber war Thome Rossellini so nah wie bei Frau fährt, Mann schläft, dem zweiten Teil seiner mit Rot und Blau begonnenen Zeitreisen-Trilogie.

Illusion vom Familienidyll

Schon der Titel beschwört Erinnerungen an Viaggio in Italia herauf. Bei Rosselini war es damals Ingrid Bergman, die durch Italien fuhr, während George Sanders neben ihr schlief. Bei Thome ist es nun die von Hannelore Elsner gespielte Zahnärztin Sue Süssmilch, die während einer alles klärenden Reise nach Sardinien von ihrem übernächtigten Mann, dem Philosophieprofessor Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski), das Steuer übernimmt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Mann allerdings die Kontrolle über die Situation längst verloren und eine Tragödie hat die Illusion vom Familienidyll der Süssmilch-Bogenbauers zerstört.

Sue, Anton und ihre vier Kinder Laura (Joya Thome), Martin (Nicolai Thome), Sue Two (Kathleen Fiedler) und Thomas (Markus Perschmann) stecken gerade mitten im ganz normalen Chaos eines Umzugs. Alles, was sich in zwanzig Jahren in der Villa am Rande Berlins angesammelt hat, muss verpackt oder aussortiert werden, damit man in der neuen Wohnung am Potsdamer Platz, mitten im Zentrum des Großstadtlebens, noch einmal von vorne anfangen kann. Zugleich müssen sich die sechs aber noch auf etwas anderes konzentrieren: Sie sind eingeladen, als Gäste in einer Talkshow aufzutreten. Vor den Fernsehkameras sollen sie sich als "glücklichste Familie Deutschlands" präsentieren.

Schon auf der Fahrt ins Studio isoliert Rudolf Thome die Mitglieder dieser Musterfamilie voneinander, indem die Kamera sie nacheinander in Großaufnahmen zeigt. Es gibt keinen Schwenk, der von einem zum anderen führen würde, nur lange, starre Blicke und Schnitte, die sie nachhaltig trennen. Sie wohnen zwar noch zusammen, aber jeder von ihnen hat bereits sein Leben, seine eigene Geschichte. Thome wird sie alle erzählen, nebeneinander, in kleinen, schlaglichtartigen Szenen, die immer wieder die Gleichzeitigkeit, zugleich die Unverbundenheit der Ereignisse betonen. Alles geht wild durcheinander, wie Kraut und Rüben eben, der Tod und die Liebe, der Erfolg und das Scheitern, ein Eindruck von Glück und ein Gefühl von Verzweiflung. Man muss dieses Wirrwarr, so Thomes Botschaft, nur wie einst Rossellini akzeptieren, erst dann öffnet sich das Leben in seiner ganzen Fülle und Schönheit.

"Frau fährt, Mann schläft" - das ist mehr als eine Beschreibung einer Schlüsselszene oder einer bloßen Anspielung auf Viaggio in Italia. Die jede Kausalität negierende Reihung der so präzisen Aussagen verweist auf die Parallelität von Lebensläufen. Es gibt nicht die eine Geschichte, den einen Film. Erzählt man von einem Paar, einer Familie, sind es immer mindestens zwei. So verbergen sich hinter dem Titel am Ende zwei Filme - der eine gehört der fahrenden Frau, der andere dem schlafenden Mann.

Zuerst sieht man Sues Geschichte, ihre Präsenz überschattet alle anderen. Selbst wenn Anton oder die Kinder im Zentrum einer Szene stehen, wandert der Blick immer wieder zu ihr. Ihre oft nur minimalen Reaktionen verraten viel über das Leben dieser Familie, deren Mitglieder sich immer mehr aus den Augen verloren haben.

Befreiung aus der Erstarrung

Karl Kranzkowskis fast schon stoische Passivität bildet den Gegenpol zu der inneren Unruhe und Rastlosigkeit Hannelore Elsners. Man könnte sie zunächst leicht als ein Zeichen von Schwäche und Hilflosigkeit missverstehen, doch ein zweiter Blick eröffnet eine andere Perspektive auf den Philosophen Anton Bogenbauer. Seine ständigen Affären haben zwar die Ehe ruiniert, aber Thome geht es nicht um die Frage der Schuld, sondern um die Tragik eines Mannes, der glaubte, die Welt durch sein Denken ordnen zu können und so irgendwann alles verlieren muss. Er selbst kann seine Seitensprünge von seiner Liebe zu Sue vielleicht trennen und so weit rationalisieren, dass sie ihre emotionale Bedeutung verlieren - nur funktioniert das Leben so eben nicht.

Am Strand von Sardinien enden die Fahrt der Frau und der Schlaf des Mannes. Und eine Geste ruft noch eine andere große italienische Reise in Erinnerung: Wie einst Monica Vitti mit der Hand zärtlich über das Haar des in sich zusammengebrochenen Gabriele Ferzetti gestrichen hat, so fährt nun Hannelore Elsner über Kranzkowskis Haar. Doch während Michelangelo Antonionis L'avventura mit dieser Bewegung, in der Trost und Verzweiflung lagen, endgültig zum Stillstand kam, folgt hier die Befreiung aus der Erstarrung. Eine Reise ist vorbei, eine neue kann beginnen.


Sacha Westphal in Frankfurter Rundschau, 4. 11. 2004


"Frau fährt, Mann schläft" und Thome bezaubert

Der Potsdamer Platz und Rudolf Thome haben in den letzten Jahren ein ähnliches Schicksal erlitten: Viel Unfug ist über sie geschrieben worden, von Leuten, die schon lange nicht mehr genau hingeschaut haben. Das neue Hochhausensemble in der Hauptstadtmitte und der demnächst 65 Jahre alte West-Berliner Autorenfilmer wurden beide geschmäht, weil Menschen manchmal vergessen, daß Kunstwerke und Gebäude Zauberspiegel sind: Wenn man hineinschaut und einen Ochsen erblickt, ist nicht immer der Spiegel daran schuld.

Nun begegnen sich Platz und Regisseur in "Frau fährt, Mann schläft" und es ist daraus eine wunderbare Freundschaft zweier Mißverstandener für 120 Minuten geworden. Thome gelang mit diesem zweiten Teil seiner "Zeitreisen"-Trilogie ein überaus entspanntes Altersmeisterwerk, sein bester Film seit langem. Und der Platz kommt als romantische Stadtlandschaft ganz groß raus. Hier zerschellt das scheinbar geregelte Leben des Philosophieprofessors Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski) und der Zahnärztin Sue Süßmilch (Hannelore Elsner) und ihrer vier Kinder. Gerade noch sind sie in einer Talkshow von der jüngsten Tochter "glücklichste Familie Deutschlands" angepriesen worden. Doch gleich am nächsten Tag, nach dem Umzug an den Potsdamer Platz, durchstoßen die Eiszacken die Oberfläche: Sue merkt, daß ihr Geliebter ihr mehr bedeutet, als sie ahnte. Anton erfährt, daß eine Studentin ein Kind von ihm bekommt. Ihr Sohn Thomas wird von seiner Freundin verlassen und fühlt sich krank.

Das tollste an "Frau fährt, Mann schläft" ist, mit welcher Sorgfalt und Schönheit hier die Liebesgeschichten und Leidenschaften der Jüngsten nicht nur gleichzeitig sondern gleichrangig neben denen der äußerlich Erwachsenen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Der Moment, in dem Thomas nachts draußen vor dem Fenster seiner Ex hockend vergeblich versucht, diese durch Hypnose zu beeinflussen steht der größten Szene des Films an Grausamkeit nach: Am Grab ihres Sohnes bricht Sue zusammen und flucht mit der obszönen Gewalt einer Medea. Der Kontrast zwischen der schwarz zugeknöpften Formalität, durch die unsere Zivilisation die Trauer zu bannen versucht, und der rotglühenden Lava dieses Ausbruchs ist wie das Gegeneinander von Hammer und Amboß. Und dazwischen ist der Kopf des Zuschauers. 4.

Matthias Heine in Die Welt, 4. 11. 04

 

"Frau fährt, Mann schläft"

Filmemacher Rudolf Thome spürt den inneren Fliehkräften einer Familie nach


Die Story: In einer Fernsehshow stellen sich die Zahnärztin Sue Süssmilch, der Philosophieprofessor Anton Bogenbauer und ihre vier halbwüchsigen Kinder als "Die glücklichste Familie Deutschlands" vor. Während ihres Umzugs von der Peripherie ins Zentrum Berlins zeigt sich jedoch, dass die Idylle mehr als nur ein paar Risse hat: Da erfährt Anton, der immer schon Affären hatte, dass seine derzeitige Geliebte schwanger von ihm ist. Da hat sich Sue zum ersten Mal ernsthaft in einen anderen Mann verliebt. Und da bricht der älteste Sohn Thomas vor dem Haus seiner Freundin, die zuvor mit ihm Schluss gemacht hatte, bewusstlos zusammen.

Die Schauspieler: Hannelore Elsner und Karl Kranzkowski sind großartig als das einst sehr verliebte Ehepaar, das sich über die Jahre auseinander gelebt hat. Vor allem der Gefühlsausbruch der beiden während einer ohne Unterbrechung gedrehten Beerdigungsszene ist beeindruckend gespielt.

Der Regisseur: Die Szenen einer Ehe zeigt Rudolf Thome auf seine ganz eigene Art: Ist der Ton in "Rot und Blau", dem ersten Teil seiner Trilogie "Zeitreisen", noch überwiegend heiter, nimmt er hier nun eine spürbar dunklere Färbung an. Wie immer betrachtet die Kamera des 65-jährigen Filmemachers die Figuren, ihre Vorzüge und unverzeihlichen Schwächen mit aufrichtiger Zuneigung.

Fazit: Mehr als einmal lässt der Film den Zuschauer die ganze Härte des Lebens spüren - aber immer auch dessen Schönheit

ECKART ALBERTS in Hamburger Morgenpost, 4. 11. 04


Ein Ehering in den Wellen

Frau Süssmilch und Herr Bogenbauer haben Probleme mit der Zeit: Rudolf Thomes neuer Film "Frau fährt, Mann schläft" ist der Mittelteil einer Trilogie über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft


Barbara Bärenklau war Architektin. Sue Süssmilch ist Zahnärztin. Beide leben mit ihren Familien in Berlin, sind gut situiert und scheinbar glücklich - und doch haben beide Probleme, die unmittelbar mit der Zeit zusammenhängen: Bei der einen, bei Barbara Bärenklau, dringt die Vergangenheit unvermittelt in die Gegenwart ein und zwingt sie dazu, sich mit ihr auseinander zu setzen; bei der anderen, bei Sue Süssmilch, gründen die Schwierigkeiten eher in der Gegenwart selbst, die plötzlich nicht mehr so reibungslos funktionieren will, wie sie das bisher getan hat. Der Mann von Sue Süssmilch, Anton Bogenbauer, ist Philosophieprofessor, und er macht sich von Berufs wegen Gedanken über die Zeit und über die Erkenntnis, dass der Mensch in der Zeit und eben nur in der Zeit ist. Dennoch ist es zuletzt seine Frau, die mit den gegenwärtigen Schwierigkeiten besser umzugehen weiß - der Philosophieprofessor scheitert an der konkreten Umsetzung seiner Erkenntnisse.

Sue Süssmilch ist die Protagonistin in Rudolf Thomes neuem Film "Frau fährt, Mann schläft" - Barbara Bärenklau war diejenige aus seinem letzten Film "Rot und Blau" (2003). Die Verbindung zwischen beiden Filmen wird nicht nur über die Hauptdarstellerin Hannelore Elsner hergestellt, die sowohl die Architektin als auch die Zahnärztin verkörpert, sondern vor allem durch das gemeinsame Thema: Beide Filme sind Teile einer Trilogie mit dem Titel "Zeitreisen", deren letzter Teil, "Rauchzeichen", noch aussteht. "Rot und Blau" handelte von der Vergangenheit, "Rauchzeichen" wird sich um die Zukunft drehen. "Frau fährt, Mann schläft" hat als Mittelstück zwischen den beiden anderen Filmen die Gegenwart zum Thema.

Das macht diesen Film insofern bedeutsam, als Rudolf Thome der Gegenwart in seinen Filmen immer schon ein besonderes Gewicht beigemessen hat: Auch diejenigen Thome-Filme, in denen die Vergangenheit in den Vordergrund drängte, waren immer aus der Gegenwart heraus erzählt und ohne Rückblenden gedreht - das gilt für die Vergangenheitsgeschichte "Rot und Blau" ebenso wie für den Film "Paradiso" (1999), in dem ein Komponist verschiedene Frauen aus seinen verschiedenen Lebensperioden zur gleichen Zeit wiedertrifft. Wenn "Frau fährt, Mann schläft" diese Gegenwart nun ganz explizit zum Thema macht, dann heißt das nicht, dass die Protagonisten keine Vergangenheit hätten. Es heißt aber wohl, dass die Gegenwart zum Ausgangspunkt der Geschichte wird und dass der Film aus dieser Konstruktion heraus seine Wirkung entfaltet.

In einer Talkshow stellt die jüngste Tochter von Sue Süssmilch und Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski) ihre Eltern und Geschwister als beispielhaft glückliche Familie vor. Und tatsächlich - beide Eltern gehen in ihren Berufen auf, lassen ihren vier Kindern die Freiheit, die sie brauchen, und sind trotzdem immer für sie da. Dass dieses scheinbar erfolgreiche Modell des Zusammenlebens dennoch auf einer Lebenslüge basiert und dass es schwerwiegende Verschiebungen erleben wird, das kündigt sich mit dem Umzug der Familie in eine neue Wohnung an. Mit der Veränderung der Räume scheint auch eine Veränderung der Rollen innerhalb der Familie einherzugehen. Antons aktuelle Geliebte erwartet ein Kind von ihm, Sue hat sich ernsthaft in einen anderen Mann verliebt, obwohl sie Anton bisher trotz seiner Affären treu geblieben war. Und die Kinder fangen an, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Als der älteste Sohn dann krank wird und sehr plötzlich stirbt, wird seiner Mutter bewusst, dass sie sich entscheiden muss, ob ihr Leben mit Anton weitergehen soll oder ohne ihn. Am Schluss ist klar, dass die Gegenwart nichts Bedrohliches mehr für sie haben kann, nachdem sie ihre Entscheidung einmal getroffen hat.

"Frau fährt, Mann schläft" heißt dieser Film, und das bezieht sich nicht nur auf die eine Szene, in der Sue und Anton unterwegs nach Sardinien sind, um dort zu einem Entschluss zu kommen: Sicher, es ist sie, die den Wagen der Sonne entgegensteuert, während er neben ihr wie bewusstlos schläft. Aber der Titel weist über diese Szene hinaus: Wie so oft bei Rudolf Thome ist die Protagonistin eine starke und souveräne Frau, die eben nicht nur im Auto das Steuer in der Hand hält. Fahren bedeutet in diesem Zusammenhang, die Richtung vorzugeben, während Schlafen genau das Gegenteil suggeriert.

Dass diese Konstruktion sehr schematisch ist, das tut dem Film in seinen guten Momenten keinen Abbruch - etwa in der Szene, in der Sue am Grab ihres Sohnes einen Nervenzusammenbruch erleidet und genau dadurch stärker ist als alle anderen. In den weniger guten Augenblicken aber lässt die Konstruiertheit den Film etwas plakativ und eindimensional erscheinen, und dann vermag auch Hannelore Elsner nicht darüber hinwegzuhelfen, dass Sue Süssmilch am Ende ihren Ehering ins Meer wirft, und noch weniger darüber, dass man schon minutenlang vorher gewusst hat, dass sie genau das tun würde.

ANNE KRAUME in TAZ, 4.11.2004

 

Umzug ins Unglück

Der neue Film von Rudolf Thome: "Frau fährt, Mann schläft"


Eine Familie zieht um, man weiß nicht recht warum. Ein Einfamilienhaus im alten grünen Berliner Westen - ist's Dahlem? Lichterfelde? - hat Vater, Mutter und vier Kinder bisher zur Zufriedenheit beherbergt. Mehr noch als das: Hier war die Heimat der "glücklichsten Familie Deutschlands" - als eben diese hatte die jüngste Tochter sie einem lokalen Fernsehsender angepriesen. Am Abend vor dem Umzug sitzen sie alle miteinander im Studio und lassen sich die zudringlichen bis dämlichen Fragen eines Talkshow-Moderators über ihr häusliches Glück gefallen: eine Szene mit dschungelcampesken Qualitäten, man sieht sie gepeinigt und genüsslich zugleich an, so nah kommt der ironisch Abstand haltende Regisseur Rudolf Thome sonst der Groteske eigentlich nie.

Am Morgen danach geht es für Familie Süßmilch-Bogenbauer zum Potsdamer Platz, in eine sterile Neubau-Dachgeschosswohnung, auf die sich nur die vier adoleszenten Sprösslinge freuen. Sie sollen näher ans Großstadtleben rücken dürfen, den Eltern ist's eigentlich egal. Inmitten halb fertig gepackter Kisten wird die Frühstücksroutine aufrecht erhalten: Die kurdische Haushälterin (Serpil Turhan) bringt wie immer jedem sein Lieblingsbrötchen mit; Vater Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski), ein Philosophieprofessor, durchblättert die sieben Tageszeitungen, die man sich im Abonnement hält. Mutter Sue Süßmilch (Hannelore Elsner), eine promovierte Zahnärztin, umschwebt im schmetterlingszarten Gewand den Tisch, an dem man sich artig Zucker und Marmelade reicht - dies aber so beängstigend abwesend, dass der Zuschauer ahnt: Es wird nicht mehr viele Tage wie diesen geben.

"Frau fährt, Mann schläft" ist der zweite Abschnitt der "Zeitreisen"-Trilogie von Rudolf Thome. Nachdem es im ersten Teil, "Rot und Blau", zurück in die Vergangenheit ging, ist jetzt die Gegenwart dran; der letzte Film soll in die Zukunft führen. Alle drei verbindet formal, dass Hannelore Elsner eine tragende Rolle inne hat; die inhaltliche Klammer ist eine Beschäftigung mit der Frage, ob das Glück im bürgerlichen Leben Erfüllung finden kann oder unweigerlich im Philistertum enden muss. Thome, der am 14. November seinen 65.Geburtstag feiert, widmet diesem Thema ohnehin eine Langzeitstudie - die Beschwörung des utopischen Glücks-Moments durchzieht sein gesamtes Werk, von der anfänglich schluffigen "Man müsste mal ."-Attitüde der späten Sechziger bis hin zu den Filmen der letzten Jahre: wie "Paradiso" (1999), worin ein 60-Jähriger die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens nebst aller Kinder zur Wahlfamilie gruppiert; wie "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" (1998), worin ein unsterblicher Zeitreisender aus ferner Zukunft be i bereits desillusionierten Jungvermählten nach der richtigen Liebe sucht. Und "Rot und Blau" geleitete 2003 wieder in jenes scheinbar aufgeklärte, sich vor hohlen Ritualen gefeit glaubende und doch darin erstarrte bildungsbürgerliche Milieu, das Thome seit den 80er-Jahren in seinen beiläufigen Alltagsbeobachtungen analysiert.

In "Frau fährt, Mann schläft" nutzt er die Architektur des Potsdamer Platzes als Metapher einer Leere, die sich allmählich ins Herz einer Familie frisst. Mögen etliche Werbekampagnen der letzten Jahre auch wie eine Image-Broschüre für diesen Ort funktionieren - Rudolf Thome lässt seinen Kameramann Michael Wiesweg ausschließlich die lediglich zweckmäßig ausgestatteten Abseiten aufnehmen, die ohne jeden Designglanz fertig gestellten Funktionswege bar der euphorisierten Passanten, die normierten und meist dunklen Fenster ohne persönliche Dekoration. Es ist ein dankenswert realistischer Blick, der enttäuschen muss.

Das Auge findet in dieser Außenwelt kein neues Glück, und so richtet es sich gewissermaßen nach innen - dahin, wo ihm das alte längst abhanden gekommen ist, wo kontinuierlich über das hohle Gefühl hinweg gelebt wird. Anton pflegt ewig schon diverse Verhältnisse, aktuell gerade eins mit der Haushälterin und eins mit einer Studentin, die ihn zwar mit der Plattitüde "Denken ist sexy" nicht abschrecken kann, wohl aber mit der Eröffnung, sie sei schwanger. Sue ist seit geraumer Zeit in einen Forscher verliebt, der nun jedoch nach Lateinamerika gehen muss. Die Kinder haben längst ihre eigenen Pläne. Sie träumen, je nach Alter, von Ponies und Filmrollen oder der ersten großen Liebe, was (wie auch bei den Erwachsenen) mitunter in sonderbar gestelzte Dialoge mündet; welcher Teenager spricht denn wirklich so einen Satz aus wie "Du liebst doch nur meine Schönheit"?

Eine gefährliche Krankheit des ältesten Sohnes wirft die Eltern zurück auf die - recht langatmig entrollte - Erkenntnis, dass sie ihr gemeinsames Glück verloren haben. Sie fahren nach Italien, um es zu suchen. Und ein Ehering fällt erstmal ins Wasser.

Carmen Böker in Berliner Zeitung, 4. 11. 04

 

Frau fährt, Mann schläft

Die glücklichste Familie von Deutschland soll das sein, der Berliner Philosophieprofessor Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski), seine Frau, die Zahnärztin Sue (Hannelore Elsner) und ihre vier Kinder, alle umsorgt von einer jungen, engelsgleich-fürsorglichen Haushälterin (Serpil Turhan). Zumindest die jüngste Tochter sieht das so, und deshalb gibt es einen Auftritt der Familie in einer Talkshow, bei dem man auch erfahren kann, dass sich “Denken und Kinder” nicht zwangsläufig ausschließen. Der Anschein von Erfolg und Glück aber trügt. Der älteste Sohn leidet an schlimmem Liebeskummer und fühlt sich krank, Sue ist heftig in einen anderen Mann (Hanns Zischler) verliebt, und Bogenbauer hat eine Affäre mit einer blonden Studentin (Eva Herzig). Wenn in der ersten Hälfte diese Verhältnisse geschildert werden, in denen sich die Personen offenbar ganz gut eingerichtet haben, hat das beinahe den Tonfall eines amüsanten Boulevardstückes, in dem nur gelegentlich irritierende Momente aufscheinen: die Anhänglichkeit Sues an ein altes Springseil etwa, oder die Beschwörung der Katastrophe in einem Ameisenhaufen, wenn dort ein Stein hineinfällt, alles rennt durcheinander, und die Leichen werden abtransportiert. In seiner Vorlesung beschäftigt sich Bogenbauer mit der Zeit und erkennt: “Der Tod ist der Austritt aus der Zeit.”

Wieder erzählt Rudolf Thome eine tückisch einfache Geschichte, in die er ganz beiläufig Erkenntnisse und Ideen von ungeheurer Spannbreite und philosophischer Brisanz einbringt. Der Umzug der Familie weist da schon auf ganz andere Umbrüche hin, vom Chaos in einem Ameisenhaufen ist es nur ein Gedanke zum Kollaps eines Sternensystems. Der Titel FRAU FÄHRT, MANN SCHLÄFT zitiert einerseits ganz direkt den Anfang von VIAGGIO IN ITALIA des von Thome bewunderten Roberto Rossellini, über den er in einem Band der Reihe Hanser geschrieben hat: ein englisches Ehepaar unterwegs in Italien, Ingrid Bergman fährt, George Sanders schläft, dann hält sie an und sie tauschen die Plätze. Andererseits ist die Aufmerksamkeit für einen so banalen Vorgang aber auch schon ein bestimmtes ästhetisches Programm, das Thome mit Rossellini und anderen Regisseuren der filmischen Moderne teilt: dass sich die Welt erschließen lässt, wenn ihre äußeren Erscheinungen sorgfältig und genau festgehalten werden, mit einem Effekt, den Gottfried Benn auf die Formel gebracht hat: “Die Tiefe ist außen”.

Letztlich geht es in Thomes Geschichte mit vielen Facetten um Veränderungen, um Bewegung in erstarrten Verhältnissen und die Fähigkeiten der Menschen, mit Veränderungen zu leben. Das Gehirn kann sich nach einem Zusammenbruch wieder erholen, und am Computer, so weiß der jüngere Sohn, ist es sowieso einfach: “Neustart.” Ziemlich genau in der Mitte kommt es auch zu einer Neubesinnung des Films. Da hat das Schicksal mit elementarer Wucht zugeschlagen, der ältere Sohn Thomas (Markus Perschmann) ist überraschend gestorben. Mit großem Ernst werden nun die unterschiedlichen Reaktionen der Familie auf diese Katastrophe verfolgt. Für Sue, die eigentlich jede Veränderung hasst, ist sie Anlass, ihre Ehe überhaupt in Frage zu stellen. Im psychologisch ungemein genauen Spiel von Hannelore Elsner und Karl Kranzkowski entsteht daraus ein dichtes Drama, in dem noch ein falsch erinnertes Vaterunser auf dem Krankenhausflur zum Ereignis wird. Bis zum Schluss bleibt offen, ob der Ehering am Strand von Sardinien ins Meer geworfen wird oder nicht.

Szenen einer Ehe. Durch den Tod ihres Sohnes gerät ein Ehepaar in die Krise und versucht eine Klärung auf einer Reise nach Italien. Rudolf Thomes Film glänzt mit philosophischen Perspektiven auf Zeit und Tod und mit Hannelore Elsner und Karl Kranzkowski als hervorragenden Schauspielern.

Karlheinz Oplustil in epd-Film November 2004


Frau fährt, Mann schläft (Zeitreisen 2 – Die Gegenwart)

Alles, was du in den letzten zwei Jahren nicht angefasst hast, kann weg“, rät der pragmatische Philosophie-Professor Anton seiner umzugsunwilligen Frau Sue, die sich nicht von Dingen trennen mag. So liegt über dem Beginn eine leise Melancholie, die mehr von Abschied als von Aufbruch erzählt. Die Familie Bogenbauer-Süssmilch zieht von der Peripherie direkt dorthin, wo man „ganz dicht am richtigen Leben“ ist, wie Tochter Laura sagt. Routiniert und mit mildem Spott reagiert Anton auf seine gereizte Frau. Kein Wunder, schließlich hat man es hier mit „Deutschlands glücklichster Familie“ zu tun; als solche tritt die sechsköpfige Familie in einer Fernseh- Talkshow auf und schlägt sich angesichts der professionellen Oberflächlichkeit des Moderators Harald Flickschuster mehr als wacker.

Anton Bogenbauer, Sue Süssmilch, Harald Flickschuster – wenn Figuren solche Namen tragen, befindet man sich mitten im Universum von Rudolf Thome, in dem man türkische Haushälterinnen und italienische Freundinnen hat, morgens fünf Tageszeitungen liest und über „Weltformeln“ und die „absolute Wahrheit des Universums“ nachdenkt. „Frau fährt, Mann schläft“ erzählt von der Brüchigkeit und bestenfalls kurzfristig zu stabilisierenden Erfahrung von Glück. Allzu glücklich ist „Deutschlands glücklichste Familie“ nämlich nicht. Seit Jahren schlafen Sue und Anton getrennt – man darf die eingangs zitierte Maxime Antons auch auf ihre Beziehung münzen. Anton hat ein Verhältnis mit einer Studentin, Sue hat sich in den Astronomen Sven Hedin verliebt, der älteste Sohn Thomas hat gerade von seiner Freundin den Laufpass bekommen, und auch die anderen drei Kinder erleben ihre ersten Beziehungen außerhalb der Familie. So stehen neben den räumlichen auch emotionale Veränderungen an, doch erst der unerwartete Tod von Thomas schafft die nötige Distanz zur Alltäglichkeit.

Meisterlich gestattet Thome im zweiten, der Gegenwart gewidmeten Teil seiner „Zeitreisen“-Trilogie einen präzisen Blick in seine phänomenologische Poetik und verhandelt „letzte Dinge“ auf ernsthafte, zugleich stets leicht distanziert-amüsierte, vielleicht auch nur extrem zugespitzte Weise. Im Gang vor Thomas’ Krankenbett gesteht Sue Anton, dass sie einen anderen Mann liebt, und dass sie beide zu lange mit ihren Lügen gelebt hätten. Anton reagiert regungslos, sein zuvor souveränes Verhalten „entlarvt“ sich binnen Sekunden als selbstgefällig und egozentrisch. Als Glücksfall für Thomes komplexe psychologische Studie erweist sich das präzise Spiel der Hauptdarsteller: Hannelore Elsner braucht nur einen langen, abschätzenden und abschätzigen Blick, um die Entfremdung von Dokuihrem Mann zu vermitteln; begeisternder noch ist, wie Karl Kranzikowski äußerst zurückhaltend die nahezu vollständige Dekonstruktion seiner Figur als selbstgefälligen „Poser“ anlegt, der jedem Rock nachsteigt. Am Grab des Sohnes erleidet Sue einen Nervenzusammenbruch und wird von Anton in die Spezialklinik eines befreundeten Arztes gebracht, was sie als Verrat begreift. Doch es ist genau diese Distanz von der Familie, die Sue, die zunächst über ihre Defizite und Ängste charakterisiert wurde, den Raum gibt, um ihre Ehe und Träume zu bilanzieren. Ihr Fazit ist bitter, eröffnet der gemeinsamen Zukunft aber eine letzte Chance.
Der Film endet mit einer Reise nach Italien, auf die der eigenwillige Filmtitel anspielt. Roberto Rossellinis „Viaggio in Italia“ (1953), gleichfalls die Geschichte einer Ehekrise, begann mit einer Einstellung, die genau das zeigte: Frau (Ingrid Bergman) fährt, Mann (George Sanders) schläft. Thome, für den die Italien-Reise ein beständig wiederkehrendes Motiv ist, schrieb 1987 dazu: „Rossellini hat nicht eine Vorstellung im Kopf gehabt, die er, wenn er dreht, in Bilder, in Filmszenen umsetzt ... Das, was Rossellini sucht, ist etwas Flüchtiges. Nennen wir es Glück, nennen wir es Wahrheit. Das sind große Worte, die gar nicht so wichtig sind. Es geht auf jeden Fall darum, worum es in jeder Kunst geht: um den Versuch, die Wirklichkeit zu sehen und darzustellen.“ Vergleichbar produktiv, wie Thome hier einen unüberschaubaren Referenzraum aktualisiert, schmuggelt er durch die Profession der um Sue werbenden Männer Subtexte als Kommentar in seinen Film. So trägt der Moderator Flickschuster Thesen aus Antons Studie „Das Zeitproblem – Gestern, Heute, Morgen“ vor, in der es heißt: „Wer nicht darauf vertraut, dass die Macht der Phänomene, selbst unermesslich, viel stärker ist als jene kümmerlichen Gebilde, die wir als unsere Begriffe mit uns herum tragen, der hat noch nicht angefangen zu denken. Also Wirkliches zu erfassen, wie es von sich aus ist!“ Später stellt Anton in einer Vorlesung zur Metaphysik fest: „Der Mensch weiß, dass er in der Zeit ist, der Tod ist der Austritt aus der Zeit, das Wissen um die eigene Sterblichkeit distanziert den Menschen inmitten der Zeit von der Zeit, nur aus Distanz ist also Erkenntnis möglich.“ Interessant wird es, wenn Sue, zunächst überfordert, feststellt: „Mein Gott! Warum passiert immer alles gleichzeitig?“, um wenig später gegenüber Anton das erkenntnistheoretische Paradoxon „Stell’ dir vor, es gibt nur die Gegenwart!“ zu formulieren. Tatsächlich kreist „Frau fährt, Mann schläft“ um einen Moment profaner Erleuchtung, um die Aufhebung der Distanz zur Gegenwart. Wenn Sue am Schluss ihren Ehering ins Meer wirft, ist wirklich alles entschieden; hatte sie doch zuvor ihrem Geliebten Sven Hedin ihren Traum erzählt, indem es hieß: „Du musst dein Liebstes opfern, dann bist du frei!“

Dermaßen konzise gelingt Thome die Weitung der Ehegeschichte ins Allgemeine, dass „Frau fährt, Mann schläft“ zur Quintessenz seiner aktuellen Werkphase wird. Bei aller Schärfe im Detail bleibt sein Blick aufs Geschehen dennoch milde und ungerührt. Hier kommt die Perspektive des Astronomen Hedin ins Spiel, der das Leben mit einem Ameisenhaufen vergleicht, in den man einen Stein wirft; binnen kurzer Zeit seien die Leichen fortgeschafft, sei das Chaos in eine neue Ordnung überführt. Thomas’ Tod ist ein solcher Stein, der für kurze Zeit ein Chaos erzeugt. Aus der Distanz jedoch, auch davon erzählt Thome, ist die Krise nur ein vorübergehendes Moment im Rhythmus von Werden und Vergehen. Dass Antons und Sues Kinder nach der Katastrophe rasch in ihren Alltag zurückfinden, sexuelle, künstlerische oder freundschaftliche Erfahrungen machen, bestätigt diese Perspektive aufs Leben.

Ulrich Kriest in FILMDIENST 23/2004

 

Das ganze Gewimmel

Rare Ausnahme im deutschen Kino der Gegenwart: Rudolf Thome und sein jüngster Film "Frau fährt, Mann schläft" Krise, das andere Gesicht der Dauer: Hannelore Elsner und Karl Kranzowski in "Frau fährt, Mann schläft" von Rudolf Thome

Im deutschen Kino der Gegenwart, daszwischen Großspurigkeit und Askese schwankt, ist Rudolf Thome eine rare Ausnahme. Heuer stellt er auf der Viennale Frau fährt, Mann schläft vor.

Die Familie Süßmilch-Bogenhauser kennt keinen Generationenkonflikt. Beim Frühstück sitzen alle genauso einhellig beisammen wie in der Talkshow von Harald Flickschuster, wo sie als "die glücklichste Familie Deutschlands" eingeladen sind. Der vier adoleszenten Kinder wegen ziehen die Süßmilch-Bogenhausers noch einmal um – von der Villa im Grünen in die Dachwohnung am Potsdamer Platz, im Zentrum Berlins.

Rudolf Thomes neuem Film Frau fährt, Mann schläft ist allerdings an der Zeit mehr gelegen als an Orten. Ein Goethe'sches Interesse an der Dauer im Wechsel bestimmt diese Geschichte, in deren Mittelpunkt wie schon in Rot und Blau , der letztes Jahr auf der Viennale lief, die Schauspielerin Hannelore Elsner steht. Sie spielt die Zahnärztin Sue Süßmilch, die Mutter der vier Kinder, die Ehefrau, die zum ersten Mal in ihrem Leben einen anderen Mann liebt, seit sie vor vielen Jahren den Philosophen Anton Bogenbauer geheiratet hat. Aber Sven Hedin (Hanns Zischler) muss nach Lateinamerika, wo er Forschungen betreibt.

Bürgertum ...

Die blumigen Namen, mit denen Rudolf Thome seine Figuren versieht, sind wohl Programm. Das Milieu, dessen Langzeitbeobachtung sich der Berliner Filmemacher verschrieben hat, ist schon vor einiger Zeit in ein Stadium der Klassizität eingetreten. Der akademische Beruf, das türkische Hausmädchen, die sieben Tageszeitungen am Morgen, die getrennten Betten, die braven Kinder, der gepflegte Seitensprung: Es herrscht ein großes Kontinuum, von dem selbst die Pubertät und der Liebeskummer der Kinder geprägt sind.

Nur Thomas, der älteste Sohn, hat an der Abfolge der Werke und Tage keine Freude. Er hat einen Kopfschmerz, der gefährlicher ist, als sein Vater anfangs glauben möchte. Thome begreift Krise jedoch vor allem als das andere Gesicht der Dauer. Jenseits des fünfzigsten Geburtstags kann man entweder noch einmal alles über den Haufen werfen und den wilden Mann oder die wilde Frau geben, oder man kann sich auf die Suche nach einer olympischen Perspektive machen.

Rudolf Thome findet sie natürlich nicht (das wäre sicher schlechtes Kino), aber er deutet doch einige Modelle der Selbsterschließung an. Die philiströsen Vorlesungen des Professor Bogenbauer zählen da weniger dazu als die Versuche einer naturwissenschaftlichen Wesensschau (es gibt zwei Computertomografien in diesem Film).

Als die Viennale 1997 ein Special über Filme aus der BRD aus den Jahren 1964–76 zusammenstellte, lief auch ein Kurzfilm von Rudolf Thome aus dem Jahr 1966: In Stella ging er von dem Goethe-Stück aus und machte daraus ein kleines Experiment über die offene Zweierbeziehung. Thomes Geschichte danach, der Erfolg mit Detektive und Rote Sonne , ist gut bekannt, auch die Westberliner Klassiker wie Berlin Chamissoplatz .

Die Viennale hat Thome im Jahr 2000 mit Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen mehr oder weniger wiederentdeckt und verfolgt seither sein häufig mit den Filmen von Rohmer verglichenes Lebenswerk, zu dem auch ein Internettagebuch ( www.moana.de ) gehört. Im deutschen Kino der Gegenwart, das zwischen Großspurigkeit und Askese schwankt, ist Thome eine rare Ausnahme, weil er kontinuierlich produziert und seine Idiosynkrasien selten esoterisch werden.

... nach der Krise

Frau fährt, Mann schläft ist der mittlere von insgesamt drei geplanten Filmen mit Hannelore Elsner. Sie ist ein Star, der sich bei Thome ganz intim geben darf. Hier lernt sie allmählich, wieder "ich" zu sagen. Sie tut es, nach leidvollen Erfahrungen, laut und deutlich und mit einem Nervenzusammenbruch.
Der Erfahrung von bürgerlicher Zeit tut dies keinen Abbruch. Nach der Krise sammelt man sich, fährt nach Italien, trifft eine Entscheidung – so ist das Leben, für das Sven Hedin das Bild vom Ameisenhaufen bemüht: Von oben besehen ist das ganze Gewimmel doch sehr in Ordnung.
Bert Rebhandl in DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.10.2004

Frau fährt, Mann schläft
Zusammen mit ihren vier Kindern bilden die Zahnärztin Sue Süßmilch (H. E.) und der Philosophieprofessor Anton Bogenbauer (K. K.) eine so perfekte Einheit, dass sie es auf Betreiben der jüngsten Tochter sogar in eine TV-Talkshow geschafft haben -als die glücklichste Familie Deutschlands. Aber Glück ist eine zerbrechliche Geschichte, und was im Fernsehen klar und sauber wirkt, schaut im Leben oft ganz anders aus. Geheimnisse, Affären, Sehnsüchte, Wünsche drängen sich ins Bild, auch die Liebe lässt sich nicht so einfach ausknipsen wie eine Lampe, deren Licht urplötzlich lästig wurde. Es ist eine idyllische Falle, in die der deutsche Autorenfilmer Rudolf Thome seine Zuschauer lockt, denn "diese Ehe ist festgefressen wie ein Motor mit einem Kolbenbrenner". So muß ein schlimmer Schock her, damit wieder Bewegung in die Situation kommt. Leichtes Weinen in einer lebensfrohen Tragödie.
(p.k. in SKIP - Viennale Guide)

 

Die Glückssucher

Hannelore Elsner unterwegs: "Frau fährt, Mann schläft"

Es muss schon allerhand passieren, bis eine Filmfigur von Rudolf Thome einen Nervenzusammenbruch erleidet. Der Regisseur Rudolf Thome gilt als Romantiker, für seine Charaktere richtet er gerne kleine Paradiese inmitten der Großstadt ein. Aber jetzt kann Sue Süßmilch (Hannelore Elsner) nicht mehr, und man kann sie verstehen: Sue steht am Grab ihres ältesten Sohnes und schreit und flucht und klagt an. Dazwischen entfährt ihr der verrückt-verzweifelte Satz: "Ich muss glücklich sein."
Dabei waren Sue, ihr Ehemann Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski) und die vier Kinder kurz zuvor noch als "glücklichste Familie Deutschlands" in eine Talkshow eingeladen worden. Auf der Fahrt ins Studio schaute die Kamera jedem einzelnen Familienmitglied lange ins Gesicht, und der Zuschauer forschte nach Zeichen des Glücks. Viel war in den verschlossenen Mienen aber nicht zu entdecken. Und sowieso wirkt die heile Welt von Beginn an seltsam exklusiv: Man sieht kaum andere Leute, sogar an öffentlichen Plätzen sitzen die Familienmitglieder ganz für sich allein.

Dann erkrankt Sohn Thomas, und in Sue schwelt fortan der groteske Verdacht, dass die Ursache dafür womöglich in den Lebenslügen der Eltern zu suchen ist. Sie, die Zahnärztin, liebt einen anderen Mann, seit Anton sie nicht mehr liebt, und Anton, der Philosophieprofessor, hat Affären mit Studentinnen. Eine erwartet ein Kind von ihm.
So verfahren ist die Situation, dass der 65-jährige Regisseur Thome sich entschieden hat, die Dramatik seines Films "Frau fährt, Mann schläft" ausnahmsweise mal nicht in einer Komödie aufzuheben. In "Rot und Blau", dem ersten Teil der geplanten "Zeitreisen"-Trilogie, mit "Vergangenheit" untertitelt, war das noch anders. Da spielte Hannelore Elsner eine Frau, die ihre Tochter verließ, als diese noch ein Baby war. Als erwachsene Frau tauchte die wütende Tochter wieder auf. Doch schnell glättenden sich die Wogen, sanft lächelnd ging man zum Rotwein über.

Nun sind wir in der Gegenwart angelangt, und die lässt sich offenkundig nicht so leicht abhaken wie Vergangenes. Sie lässt sich nicht einmal verstehen, auch wenn hier das dauernd behauptet wird. Der Philosophieprofessor doziert über die Wahrheiten im Universum, und die Computertomografen blinken, wenn die Menschen in Röhren durchleuchtet werden. Das Innerste registrieren die Apparate aber nicht, vielleicht hat Sues Geliebter (Hanns Zischler) Recht, wenn er sagt, das Leben sei ein Ameisenhaufen, in den ein Junge einen Stein werfe und Chaos verursache.

Manchmal klingt das alles viel zu klug, um wahr zu sein. Und doch ist "Frau fährt, Mann schläft" ein kluger Film, der beste von Thome seit langem. Der Regisseur drückt sich dieses Mal auch nicht um existentielle Entscheidungen herum: Als Sue wieder gesund ist, übernimmt sie das Steuer und fährt mit ihrem schlafenden Mann auf dem Beifahrersitz in den Urlaub nach Italien. Sie, die bislang vor der kleinsten Veränderung zurückscheute, weiß nun, dass ihr eine große bevorsteht. Doch wenn nicht alles täuscht, dann ist sie jetzt trotz allen Unglücks glücklich. Ein kleines bisschen jedenfalls.

Stefan Stosch in Hannoversche Allgemeine, 2. 12. 2004

 

Familie unter Druck

Rudolf Thome ist mit "Frau fährt, Mann schläft" einer seiner bislang besten Filme gelungen

In einer Talkshow wird die Familie Bogenbauer, Vater, Mutter und vier fast erwachsene Kinder als "glücklichste Familie Deutschlands" präsentiert. Da kann es eigentlich nur noch bergab gehen. So ist es denn auch. Dem Vater (Karl Kranzkowski), Professor für Philosophie, eröffnet eine Studentin, dass sie von ihm schwanger sei. Die Mutter (Hannelore Elsner), eine Zahnärztin, kann nur schwer verwinden, dass ihr Geliebter (Hanns Zischler) eine längere Amerikareise antritt.

Die vier Kinder haben sich allesamt verliebt, aber nicht immer glücklich, und die Hausangestellte (Serpil Turhan) mag nicht länger mit dem Herrn des Hauses schlafen. Einen Familienfilm der etwas anderen Art drehte Rudolf Thome mit "Frau fährt, Mann schläft". Die Fakten scheinen verzwickt, aber es geht hier nicht um das übliche Problem der bürgerlichen Familie, die ihre Fassade poliert. Vielmehr sieht man, wie die Familie als Existenzgemeinschaft mit den Forderungen des Lebens umzugehen versucht.

Welch harte Probe das sein kann, zeigt sich, als eines der Kinder stirbt, nun wird auch die Ehe der Eltern Anton und Sue in Frage gestellt. Rudolf Thome versteht es, die Handlungsfäden seiner komplexen Figurenkonstellation straff in der Hand zu behalten.

Ungewissheit bis zur letzten Szene

Er vertrödelt seine Geschichte nicht auf Nebenschauplätzen, jede Einstellung treibt den Film voran. "Frau fährt, Mann schläft" präsentiert sich als die Summe der Filme, die Thome in den 90er Jahren drehte. Endlich einmal reicht seine Kraft zu mehr als einer eigenwilligen Inszenierung. Tatsächlich zeigt Thome die Familie als Schicksalsgemeinschaft, die sich fragen muss, wie es angesichts der Katastrophe weitergehen soll. Kameramann Michael Wiesweg liefert die Bilder dazu, die ihre Intensität aus einer stoischen Ruhe beziehen — ein Großstadtfilm ohne jeden Lärm.
Hannelore Elsner spielt erfahren und doch frisch und authentisch. Karl Kranzkowski, der noch zu einem Star des deutschen Films werden könnte, gleicht mit seiner unerschütterlichen Präsenz das einzige Manko dieses Films aus, in dem die Rolle des Vaters zu wenig inszeniert ist. Gleichwohl offeriert Thome ein Werk, das sich international sehen lassen kann. Und bis zur letzten Szene weiß man nicht, wie die Geschichte von Anton und Sue ausgeht. Selbst dann gibt es noch was zu erzählen, was den Zuschauer noch beim Verlassen des Kinos beschäftigt.

Thomas Linden in Kölnische Rundschau 18. 11. 2004