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Vadim Glowna hat in Rudolf Thomes neuem Film "Ins Blaue" seine letzte große Rolle

In der Regel sind die Filme von Rudolf Thome Filme, die Frauen zusehen bei dem, was sie tun: einer Frau auf der durchaus rabiaten Suche nach einem passenden Mann (Hannah Herzsprung in "Pink"); zwei Frauen, die einen Mann einfangen wie eine Spinne die Beute im Netz (Katharina Lorenz und Seyneb Saleh in "Das rote Zimmer"); davor fünf Filme lange Hannelore Elsner in ein paar der besten und eigenwilligsten Rollen, die sie je spielte; dazwischen auch Serpil Turhan, die Thomas Arslan entdeckt hatte und die nun bei Thomas Heise das Filmemachen studiert. Viel früher, da war Rudolf Thome noch ein junger Regisseur in den Münchener Anti-Oberhausen-Kreisen, zu denen auch Klaus Lemke gehörte, lebte Uschi Obermaier in einer männermordenden WG mit sattbunten Wänden ("Rote Sonne").

Männer allerdings spielen bei Thome sehr wohl eine Rolle, nicht nur als Opfer. Souverän und stark jedoch sind sie selten, eher verführbar und schwach. Manchmal steht gleich Marquard Bohm vor der Tür, das Kreuz auf der Schulter als Jesus wie im Passionsspiel ("Das Geheimnis"). Oder Hanns Zischler lädt  die Frauen seines Lebens zu einer Party zu sich ("Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen"). Sanfte Perversionen christlich-abendländischer Konfigurationen, nie so ganz von dieser Welt. Paradiesutopien sind vorstellbar, meist und zunächst aber kommt etwas dazwischen auf den Wegen ins Glück: die Liebe zum Falschen, eine nicht aufgehende Rechnung, der Tod, Automotordefekte.

Rudolf Thomes jüngster Film heißt "Ins Blaue". Er ist abgedreht, die Berlinale wollte ihn nicht haben, in Cannes ist er eingereicht, die Viennale im Herbst wird ihn auf jeden Fall zeigen. Es ist ein Film, der jungen Frauen - einer ganzen Reihe von ihnen - bei dem zusieht, was sie tun. Im Zentrum steht Nike (Alice Dwyer), die ihren ersten Film dreht um drei junge Frauen, die in Italien unterwegs sind ins Blaue und dabei einem Mönch begegnen, der auch KFZ-Mechaniker ist, und einem Fischer, der als bärtige Aphrodite aus dem Meer kommt und leider nicht spricht, aber der Sex mit ihm in einer verborgenen Höhle ist gut. Junge Frauen, die Männern begegnen und diese Männer zu verführen versuchen: "Ins Blaue", der  Film im Film, ist sichtlich ein Thome-Film, daran ändert die ungewohnt bewegliche, zoomende Kamera von Bernadette Paaßen rein gar nichts.

Komplizierter jedoch wird alles durch die Rahmen-Konstruktion. Als Produzent bei diesem Debütfilm ist nämlich Nikes Vater Abraham mit an Bord, selbst ein sehr erfahrener Filmregisseur. Er wird von Vadim Glowna - in seiner letzten großen Rolle - gespielt. Es gibt noch eine australische TV-Produktion mit Guy Pearce, die er nach Thomes Film abgedreht hat. Vor genau einer Woche ist Vadim Glowna aber überraschend gestorben. Hanns Zischler und Manfred Zapatka waren zuvor für die Rolle des Abraham vorgesehen gewesen, aber Glowna war dann wohl doch die interessanteste Wahl. Einer, der von Veit Harlans "Immensee" (als Baby) bis zum "Traumschiff" und Darsteller und Regisseur ungezählter TV-Krimifolgen mehr Elend als Glanz deutscher Film- und TV-Geschichte von innen gesehen hatte. Einer aber auch, der bei Gründgens und Zadek erfolgreich Theater spielte und der mit seinem heute vergessenen Debüt "Desperado City" (von 1981) als Regisseur in Cannes reüssierte. Als Charakterdarsteller von etwas ungeschlachter Gestalt mit gebrochener Nase wurde er oft aufs Fach des Bösewichts festgelegt, gewann mit seiner heiseren Stimme aber noch dem schlimmsten Rollenklischee etwas Eigenes ab.

Ins Blaue

n "Ins Blaue" spielt er nun Abraham und gibt dem Film, der manche begonnene Geschichte ins Leere (oder ins Blaue) laufen lässt, einen Halt. Aus Geldmangel muss er im Film der eigenen Tochter mitspielen, in einer überaus heiklen Rolle, in der sich sein eigenes heikles Verhalten als Produzent zu allem Überfluss spiegelt. Eine Spiegelung eigener Art ist dieser ganze Film: Die Rolle, die Glowna spielt, ist nicht zuletzt ein (bewusst verzerrtes) Selbstporträt Rudolf Thomes, dessen Tochter auch Filme dreht. Daraus resultiert ein höchst intrikates Spiel des Ziehens von Fäden: Thome erfindet einen Regisseur, der ihm in mancher Hinsicht ähnelt und zeigt, wie dieser die eigene Tochter - zu viel darf man im vorhinein nicht verraten - hintergeht. Und die übliche Thome-Konstellation (der Regisseur sieht Frauen zu bei dem, was sie tun) wird umgedreht: Der Regisseur Thome zeigt eine Regisseurin, die ihren Vater in eine pervertierte Urszene nackt vor die eigene Kamera drängt. Neben dem Film im Film und dem Film, der vom Drehen erzählt, gibt es also diesen weiteren Rahmen: Rudolf Thomes bei allen sich ereignenden Heiterkeiten eher grimmiges Porträt einer Vater-Tochter-Beziehung, und zugleich seines Metiers.

"Ins Blaue" ist auch ein Film übers Verschwinden. Der Mönch, der Fischer sind nach Roadmovieart eine Weile sehr präsent, dann verschwinden sie in einer der Ellipsen, die den Film prägen. Auch Abraham, die von Vadim Glowna gespielte Vaterfigur, wird am Ende dann weg sein, in einem Off eigener Art. Es bleibt ein Brief, aber ein letztes, womöglich versöhnendes Bild verweigert Thome bewusst. In dieser vorletzten Rolle klingt vieles an, das Glowna in seinem Leben gespielt hat. "Ins Blaue" ist ein großer Abschied, weil der Schauspieler das moralisch Prekäre seiner Figur mit Selbstverständlichkeit, Mut und Würde darstellt.
Ekkehard Knörer, Der Standard 1. 02. 2012



filmstarts.de (LINK)

Italienische Reise

Am Anfang, als man noch nichts weiß von diesem Film, da spürt man dennoch die Stimmung, die sich von der Leinwand überträgt: Obwohl es "nur" nach Italien geht, ist es ein Aufbruch, sind die jungen Frauen und die Männer, die sie in einer Wagenkolonne begleiten, dabei, Neuland zu betreten. Heiter wirken sie, gelöst, ein wenig aufgeregt, aber nichts kann ihre Stimmung trüben.

Glaubt man zunächst daran, dass Nike Rabenthal (Alice Dwyer), die offensichtlich im Mittelpunkt des Unternehmens steht, vielleicht nach Italien umzieht, wird dann schnell klar, dass hier ein Film gedreht werden soll, dessen Titel wir auch ganz nebenbei erfahren: Er soll Ins Blaue heißen – genauso also wie der Film, den wir gerade sehen. Produziert wird der Film von Nikes Vater Abraham (Vadim Glowna), der am Rande des Bankrotts balanciert, weil die erhoffte Filmförderung ausbleibt. Doch Nike, jung und voller Energie, will sich dadurch nicht entmutigen lassen. Ohne Drehbuch, ohne ausgearbeitete Dialoge, schickt sie ihre drei Protagonistinnen Eva (Esther Zimmering), Josephine (Janina Rudenska) und Laura (Elisabeth-Marie Leistikow) auf die Reise, die Kamera immer mit dabei. Und natürlich kommt es wie immer bei Thome zu Liebesgeschichten – beiläufigen, traurigen, unmöglichen und absurden. Solche, die einen lächeln lassen und ein bisschen still werden. Weil sie so sind, wie das Leben manchmal und das Kino viel zu selten ist.

Dass Thomes Film und der Film-im-Film, von dessen Entstehen Ins Blaue berichtet, den gleichen Titel tragen, ist nicht die einzige schlitzohrige Vertracktheit, die sich Rudolf Thome für sein neues Werk ausgedacht hat. Eine weitere liegt in der Verschränkung von Realität und Inszenierung. Und die hat – wie so vieles in Thomes 28. Film – nicht nur einen doppelten Boden, sondern gleich mehrere. Werkimmanent durchdringen sich die Dreharbeiten zu dem Film und die Szenen aus dem Film (also jenem, der von Nike realisiert wird), ergänzen sich, kommentieren sich im einen und widersprechen sich im nächsten Moment und sind auf den ersten Blick von der "Realität" (also jener der ersten Ebene) kaum unterscheidbar, was immer wieder für die herrlichsten Irritationen seitens der Zuschauer sorgt. Die zweite Ebene deutet sich ja schon in der Parallelität der beiden Filmtitel an.

Und nicht zuletzt könnte man Ins Blaue (und zwar sowohl den Titel als auch den so bezeichneten Film selbst) auch als Beschreibung, als Motto des gesamten bisherigen filmischen Schaffens von Rudolf Thome begreifen. Zum einen ganz wörtlich, weil dieser Mann seit vielen Jahren immer wieder den Mut besitzt, sich nicht anzupassen, nicht stets die gleichen Filme zu drehen, sondern immer wieder Neuland zu betreten – einfach so, "ins Blaue" hinein. Und zum anderen natürlich, weil der Film von nichts anderem handelt als vom Filmemachen selbst – und zwar vom Filmemachen auf diese unvergleichliche Art, wie sie seit langem nur Thome selbst hinbekommt. Wenn man nun bedenkt, dass Thomes Tochter Joya im realen Leben ebenfalls Filme dreht – und man darf vermuten, dass sie das ebenfalls mit Hilfe ihres Vaters tut –, dann wird schnell klar, dass Vadim Glowna in seiner vorletzten (Doppel)Rolle niemand Geringeres ist als ein filmisches Alter Ego von Rudolf Thome.

Im Film, also im Film-im-Film spielt Glowna, eher widerwillig und aus Geldmangel, den erfundenen Sohn des genialen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Und als der sagt er an einer Stelle zu seiner Angebeteten Laura, dass eine Menschenliebe wohl nie dazu ausreichen wird, die volle Bedeutung von Heraklits berühmtem Satz "Pantha Rei" ("Alles fließt") zu ergründen. Das mag stimmen, doch andererseits vermittelt gerade Thomes Film eine Ahnung davon, welche enorme Verführungskraft, welcher Zauber und welche Schwierigkeiten gerade darin liegen: Im Fließen. Selbst wenn wir die Bedeutung nicht vollständig begreifen werden: Beim Betrachten von Ins Blaue bekommt man eine fast schon körperliche Ahnung davon, wie sich dieses Fließen anfühlt. Und spürt, dass Fiktion und Realität, Gemacht-sein und Da-sein keine Gegensatzpaare sind, sondern in manchen magischen Momenten ineinanderfließen und sich vereinigen und dann zu einem machtvollen Strom werden, der unsere Vorstellungen vom Leben, der Liebe und der Kunst hinweg spült.

Überhaupt Glowna: Als besäßen er und Thome hellseherische Kräfte, ist diese Rolle fast schon so etwas wie ein Vermächtnis des Schauspielers, der am 24. Januar diesen Jahres verstarb. Am Ende von Ins Blaue verschwindet er einfach im Nirgendwo und allein in diesem Schlussbild liegt so ungeheuer viel Tröstliches. Vielleicht ist er ja gar nicht tot, sondern irgendwo an einem Ort, wo es besser ist. Das Leben, das Lieben und das Filmemachen.

Ins Blaue ist ein echtes Geschenk – ein Film (eigentlich nicht einer, sondern ganz viele), der ganz einfach aussieht und der doch unendlich kompliziert und raffiniert ist, ohne dabei im Geringsten anzustrengen. Vielleicht, nein, ziemlich sicher ist Thome ja damit etwas gelungen, von dem seine Filmtochter Nike nur träumen konnte – eine Kombination aus den Qualitäten der Nouvelle Vague mit den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts zu realisieren.

Joachim Kurz auf kinozeit.de (LINK)

Ins Blaue

Seit mehr als vier Jahrzehnten gelingt es Rudolf Thome, sein Genre der beiläufig erzählten Komödien ins Kino zu bringen. Verlässlich spinnen seine Filme immer neue Varianten seiner Lieblingsthemen aus.

Bei Thome tun die Frauen an malerischen Schauplätzen ziemlich verrückte Dinge, die Männer wollen dabei nicht zurückstehen, sehen aber am Ende ungleich zerrupfter aus. Wichtig dabei: Rudolf Thomes Filme folgen unbeirrt dem Glauben, das wirkliche Lebensende vor der Kamera seine schönste Fortsetzung.

Auch sein 28. Film INS BLAUE bricht die goldene Regel nicht. Doch der Regisseur hat die siebzig überschritten. Zeit also di Irrungen des Alters ins Spiel zu bringen und die Kuriositäten des eigenen Handwerks milde zu belächeln. So handelt INS BLAUE von den Abenteuern einer kleinen Filmcrew, die sich nach Italien aufmacht, um in etwas schmuddeliger Cinema-direct-Manier Dreharbeiten fortzuführen. Das sieht nach einem Low-Budget-Film und verworrenen Drehbuchskizzen aus, doch den Spaß mindern diese Umstände wenig - bis zu einer gewissen Grenze.

Nike (Alice Dwyer), eine resolute Jungregisseurin, reist mit ihrem Vater Abraham Rabenthal (Vadim Glowna in seiner letzten Filmrolle), einem alten Filmproduzenten Richtung Bari, um in seinem an der Küste gelegenen Traumhaus zu drehen. Rabenthal erfährt unterwegs von der Ablehnung eines Förderantrags und so wird flugs entschieden, dass er aus Gründen der Kostenersparnis selbst die Rolle des Herbert Wittgenstein, Sohn des großen Philosophen übernimmt.

Hauptdarstellerinnen des Films im Film sind die jungen Schauspielerinnen Laura, Eva und Josephine (Elisabeth Leistikow, Esther Zimmering und Janina Rudenska), drei Minirock tragende, viel Haut zeigende Grazien aus Thomes Figurenrepertoire. Tonman Lukas (Christian Althoff) wird im Lauf der Ereignisse schließlich die Hand der Regisseurin halten. Regieassistent Wilhelm (Stefan Rudolf) dagegen bei Josephine abblitzen. Eva verführt den Schauspieler Paul (Henning Vogt), der einen bayerischen Franziskaner-Mönch gibt.

Pointen, Stimmungen, verführerische Leichtigkeit tragen INS BLAUE; eine gradlinige Story würde da nur stören. Pasolinis Bocchaccio-Film, Godards DIE VERACHTUNG, viele andere Italienfilme des Kinos grüßen Thomes Trash-Komödie wie große Paten. Bernadette Paaßens lichtdurchflutete Totalen spenden dem Abenteuer Glanz.

Selbst letzte Dinge werden in solch lässiger Atmosphäre wie Smalltalk erörtert. Warum hat der Mönch kein Handy? Weil man mit Gott nicht telefonieren kann. Ist Gott tot? Nein, er ist alles , in uns und überall.

Rabenthal schließlich kommt dazu, dem Leichtsinn eine Spur Drama beizumengen. Der gealterte Vadim Glowna lässt sich augenzwinkernd auf dieses letzte souveräne Spiel mit den Klischees ein. Im Film seiner Tochter will er die abweisende Laura endlich noch einmal in sein Bett bringen. Doch worauf sich die Schauspielerin vor den Dreharbeiten einließ, um die Rolle zu bekommen, ist ihr jetzt zuwider. Das Leben findet vor der Kamera vielleicht doch nicht immer seine schönste Fortsetzung. Für einen kurzen Moment gibt es Ärger im Paradies, dann ereilt Abraham/Glowna das Los der Rudolf Thome-Männer.

Claudia Lenssen in epd-Film 9/2012