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Gespräch mit Rudolf Thome

Dein Titel ist schön und altmodisch. Gibt es die  Liebe auf den ersten Blick, ist sie dir begegnet?

Das, was wir unter Liebe verstehen, glaube ich, ist eine Sache, die erst entsteht, wenn man sich länger kennt, wenn man ein paar Stunden wenigstens miteinander zu tun gehabt hat, wenn man mehr über den anderen weiß, wobei dann jede Information, die man über den anderen erhält, die Phantasie anregt. Man macht sich quasi sein Bild vom anderen, und wenn man sich dann verliebt, verliebt man sich ja nicht unbedingt in den anderen, sondern in dieses Bild.

Und die Liebe auf den ersten Blick, das ist also Kino?

Das ist Kino. Wenn Du so willst, ist der Titel also bereits ironisch gemeint. Der Titel ist  sehr alt. Der ist mir schon eingefallen vor vier Jahren in Spanien.  Ich hatte eine Kassette von T-Bone Burnett mit mir, auf der gab es einen Song mit eben diesem Titel: Love at First Sight. Den habe ich jeden Tag im Auto, wenn ich zum Strand gefahren bin, gehört. Da bei mir die Idee zu einem Film immer damit anfängt, daß ich einen Titel habe, suche ich zumächst immer nach Titeln, und einer der möglichen Titel war: Liebe auf den ersten Blick, die deutsche Übersetzung des Songs von T-Bone Burnett. Es hat was mit Kino zu tun.

Was war der Anlaß für die Geschichte? Diese Begegnung einer Frau aus Westberlin mit diesem Mann aus Kleinmachnow, Ex-DDR. Wie ist das entstanden?

Ich habe das Drehbuch im August 1990 geschrieben. Zwei Monate vorher, also ohne die Transitautobahn zu benutzen,  bin ich zum ersten Mal aus Berlin überhaupt rausgefahren. Im Juni und Juli letzten Jahres da existierten die Grenzen ja noch, da mußte man ja noch seinen Personalausweis vorzeigen. Ich bin jeden Tag im Osten gewesen, einfach um zu sehen, was da alles ist.  Ich wußte ja gar nicht, wie es da aussieht. Das ist ein Gebiet, das liegt gerade einen Kilometer von mir entfernt und ich habe überhaupt keine Ahnung, was da ist. Da mußte ich einfach hin. Was ich da alles wahrgenommen habe und was ich mit Leuten gesprochen habe, das hat sicherlich die Geschichte ein bißchen beeinflußt. Dann kam meine Vorliebe zu zugespitzten Situationen hinzu und dann habe ich eben eine Ost-West-Geschichte gemacht. Ich hasse es wie die Pest, wenn man Filme macht über Dinge, die gerade in aller Munde und hochaktuell sind. Es gab zum Zeitpunkt, als die Mauer gefallen ist, Ankündigungen einiger deutscher Filmemacher, daß sie jetzt einen Film über die Mauer machen. Das mag ich überhaupt nicht. Ich wollte nicht spekulativ mit diesem Thema umgehen und habe es daher fast versteckt in dem Film. Es ist nicht das Hauptthema des Films. Das Thema des Films ist einfach eine Liebesgeschichte, aber der Ost-West-Bezug ist unterschwellig, vor  allem auch durch die Assoziationen zum politischen Geschehen, immer da.

Nun sind die Beteiligten dieser Liebesgeschichte ja schon mit ihren eigenen Charakterzügen ausgestattet. Die Frau ist sehr stark, sehr direkt. Der Mann eher zurückhaltend, bescheiden.

Man kann durchaus sagen ein bißchen verklemmt.

Das hat vielleicht in diesem Ost-West-Thema ja auch einen gewissen Bezug.


Die Art, wie der Westen den Osten in Besitz genommen hat, das wollte ich ein bißchen auch in dieser Liebesgeschichte widerspiegeln. Bei mir sind ja die Frauen immer stark, ergreifen immer die Initiative. Und dann kommt noch hinzu, daß die Darstellerin, die diese Rolle gespielt hat, ein bißchen in diese Richtung geht. Beim Drehen, und auch beim Schneiden hatte ich immer wieder das Gefühl – sie überfährt den Mann wie ein Panzer.

Würdest Du denn den Prozeß der deutschen Einheit sozusagen als liebevolle Inbesitznahme ansehen?

Da ist natürlich viel Ironie im Spiel. Man kann es so darstellen, natürlich, aber das ist hochironisch. Ich meine, man hat ja vorher immer von den Brüdern und Schwestern im Osten geredet. 
Ich habe mit dem Gedanken gespielt, den Film mit dem Slogan ins Kino zu bringen: Liebe auf den ersten Blick – die Vereinigung von Deutschland Ost und Deutschland West im Bett.  Da käme die Ironie natürlich voll heraus, aber das wäre vermutlich spekulativ.

Die Musik von Chico Hamilton ist für einen Low-budget- Film ja eher ungewöhnlich.

Die Musik war in allen meinen Filmen mehr oder weniger ein Problem. Ich suche seit BERLIN CHAMISSOPLATZ im Grunde genommen nach dem Komponisten, der für mich arbeiten kann. Der mit meiner Art Film zurecht kommt und dessen Musik zu meinem Film, am Ende, wenn der Film fertig ist, alle lieben. Denn das hätte ich natürlich gerne. Und das ist in den letzten Filmen eben nie passiert. Im Gegenteil. Ich habe große Kritik an der Musik in den letzten Filmen erhalten. Und mit allen weiteren Musiken war ich eben mehr oder weniger zufrieden, aber so ganz glücklich war ich nie. Und vor allen Dingen die Zuschauer auch nicht und die Kritiker.
Jetzt bei diesem Film bin ich ein für mein Gefühl sehr, sehr großes Wagnis eingegangen. Chico Hamilton ist ein Jazzmusiker, der in den 50iger und 60iger Jahren sehr berühmt war, der auch schon Filmmusiken gemacht hat. Unter anderem für Polanskis EKEL.  Als von Julian Benedikt der Vorschlag kam, mit ihm zu arbeiten, habe ich mir alle Schallplatten und CDs von Chico Hamilton angehört. Ich habe gedacht, warum nicht. Wir können es versuchen. Und als der Film fertig geschnitten war, und ich mit dem Film nach New York gefahren bin, um die Musik dort aufzunehmen, haben wir einen Tag vorher den Film auf Video angeschaut und Chico Hamilton hat mir dann vorgeschlagen, an welchen Stellen er denkt, daß Musik hinkommen müßte. Meistens habe ich ja gesagt, weil ich mich  voll auf ihn verlassen habe, ich hatte ja auch keine Wahl. Am übernächsten Tag haben wir die Musik aufgenommen und es war zunächst eine ungeheure Anspannung, weil ich total nervös war und unsicher und gespannt: wird das nun gutgehn oder werde ich am Ende vielleicht gar nichts davon benutzen können? Und nach ein, zwei Stücken war die Spannung dann gottseidank weg, weil es mir gefallen hat und es hat Chico Hamilton gefallen, den Musikern gefallen, den Leuten im Studio und von da ab lief es. Es entstand in den acht Stunden, in denen wir die Musik aufgenommen hatten, eine Atmosphäre, die fast ein bißchen wie eine Jam Session war, weil mehr und mehr auch improvisiert wurde, und in einem der schönsten Momente hat Hale Smith, ein berühmter New Yorker klassischer Komponist die drei Szenen, wo im Film eine Cassette oder eine CD aufgelegt wird, am Klavier improvisiert, und bei dem letzten Stück hat Chico Hamilton einfach so dazu gesungen.
Ich hatte den Eindruck bei der Aufnahme, daß Chico manchmal ein bißchen die Kontrolle über das, was im Studio, was mit den Musikern und so passiert, verloren hatte und dachte, meine Güte, ich muß aufpassen, ich bin der Einzige, der hier noch durchblickt und das erinnerte mich ein bißchen manchmal an meine Arbeit, wie ich bei einem Film arbeite, aber er wußte ganz genau was los war. Das Gefühl entstand bei mir dadurch, daß er den Leuten sehr viel Freiheit gelassen hat. Wirklich auch sie selbst hat Sachen erfinden lassen und da geht es dann halt ein bißchen durcheinander, das ist klar, aber letzten Endes zählt das Resultat und er hat immer ganz genau gewußt, was nun gerade da entstand. Und das größte Wunder war für mich dann, als ich zurückkam mit der Musik und wir sie angelegt haben an den Film und es paßte! Es war wie ein Wunder, ich wußte ja vorher in New York auch noch nicht, ob es gehen würde. Ob es wirklich gehen würde. Aber es ging wunderbar und es waren einige Kühnheiten dabei.

Vor allen Dingen doch auch bei der Liebesszene...


Bei der Liebesszene gibt es nur ein Schlagzeug.

...das ist sehr kühn, aber Du hast es gewagt.


Chico Hamilton hat es gewagt! Es ist seine Art.  Er ist unglaublich liebevoll und gütig. Er hat die Musik gemacht für mich quasi wie ein Vater.

Wie verhält sich dieser neue Film zu deinen drei vorangegangenen, die ja eine Trilogie gebildet haben, die du FORMEN DER LIEBE genannt hast? Zu diesem Thema müßte er doch auch gehören.

Die Idee mit der Trilogie existierte am Anfang gar nicht. Angefangen hat das Ganze damit, daß ich nach dem Drehen von TAROT und nach dem Herausbringen von TAROT frustriert war mit dem kommerziellen Resultat, das TAROT in Deutschland auf dem Kinomarkt hatte, und ich wollte irgendetwas verändern, wollte also nicht weiter Filme machen wie BERLIN CHAMISSOPLATZ, SYSTEM OHNE SCHATTEN und dann TAROT. Martin Schäfer hat  – nach dem Drehen von TAROT – immer  wieder mir gesagt, laß uns doch mal wieder  einen ganz kleinen Film machen, mit ganz wenig Geld, wo wir einfach beweglicher sind und wieder mehr Freiheit haben, das zu tun, was uns im Moment einfällt. Wenn man vier Stunden braucht, um eine Einstellung auszuleuchten, das ist so enervierend für die Schauspieler und so anstrengend, da die Spannung, die Intensität aufrecht zu erhalten, es war irgendwie klar, wir können das nicht weitertreiben.  Die Idee entstand einmal aus der Erfahrung mit dieser übermäßigen Technik bei TAROT und dann eben von dem kommerziellen Resultat her, daß ein Film, der 1,8 Millionen gekostet hat, dann praktisch am Ende nichts bringt. Der Film hatte 30.000 Zuschauer und das war für mich eine Katastrophe. Und dann habe ich gesagt, gut Martin, wir machen einen ganz kleinen, billigen Film.

Der Zyklus war noch nicht auf drei Filme veranschlagt damals?

Nein, es war von mir nie auf drei Filme veranschlagt. Während des Drehens von  DAS MIKROSKOP – von dem ersten Film – hat  Jochen Brunow, der Produktionsleiter war, eine Presseerklärung verfaßt, und darin stand eben das Wort Trilogie. Ich hatte das vorher nie benutzt. Und das hat dann seinen Weg gemacht, dieses Wort von der Trilogie und plötzlich habe ich mich selber dran gehalten, weil es dann auch überall zu lesen war. Meine Art des Low-budget-Films ist eine Antwort auf die totale Beherrschung des Marktes durch das Hollywoodkino. Wir sind Außenseiter und sollten uns auch verhalten wie Außenseiter und nicht versuchen, das Hollywoodkino zu imitieren.

Eine Verbindung zwischen den vier Filmen wäre auch, daß Du immer der Autor bist und kein anderer Autor am Buch beteiligt war.

Ja, das war am Anfang, bei DAS MIKROSKOP, eine Sparmaßnahme, weil ich nie gerne Drehbücher geschrieben habe.  Ich habe zwar vorher schon Drehbücher geschrieben, aber kein einziges verfilmt, außer  BERLIN CHAMISSOPLATZ, das habe ich mit Jochen Brunow zusammengeschrieben, aber die, die ich alleine geschrieben habe, sind alle nicht verfilmt. Es war also eine Sparmaßnahme und der relative Erfolg von  DAS MIKROSKOP, von diesem ersten Selbstschreiben, hat mich dann dazu gebracht, das weiterzumachen. Bei den nächsten Filmen wäre das ja auch noch als Sparmaßnahme einzustufen gewesen, aber aus dieser Sparmaßnahme wurde mehr und mehr etwas, was mir dann auch Spaß gemacht hat. Und ich meine, jetzt ist es wirklich so, wenn ich mich hinsetze und sage, also jetzt in den nächsten vier Wochen will ich ein Drehbuch schreiben, dann ist das für mich wie einen Film zu machen. Es ist dann einfach ein Unternehmen, wo ich mich zurückziehe und dann nichts anderes tue als das eben. Ich habe vorher überhaupt keine Ahnung, was daraus werden wird, aber bisher ist immer etwas daraus geworden und die Reaktionen auf die Bücher, die ich selbst geschrieben habe, sind irgendwie größer gewesen als auf die Sachen, die ich vorher mit anderen Autoren gemacht habe. Ein Film wie TAROT, mit einem wirklich ausgezeichneten Drehbuch, da ist nichts passiert. Nichts. Mit SYSTEM OHNE SCHATTEN ist im Prinzip auch nichts passiert.

Was die Geschichte angeht, haben die vier Filme doch auch alle einen märchenhaften Einschlag gemeinsam. Es gibt die vielen Momente der Alltäglichkeit in der Inszenierung und in den Abläufen, aber die Geschichte als solche, hat immer irgendwie eine märchenhafte Fügung.

Für die ersten drei Filme trifft das auf jeden Fall zu, aber für  LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK?

Würdest Du den als realistischen Film ansehen?

Was ist daran märchenhaft? Daß es so gut geht?

Ich denke schon.

Alle Liebesgeschichten gehen bis zu einem bestimmten Punkt gut!

Aber in dem Film passiert ja mehr, als daß sich nur zwei Leute treffen und verlieben, sondern sie leben in einer konkreten Welt.  In Kleinmachnow, Ex-DDR und Westberlin und sie haben ihre Kinder beispielsweise. Das sind ja konkrete Schwierigkeiten und all das wird überwunden oder es stellt keine großen Probleme dar. Bis auf die Kinder, die stören das Paar in gewisser Weise, aber  all  das fügt sich ja auch zum Guten , sehr schnell.

Wenn man es so sieht, kann man das als märchenhaft bezeichnen.

Dieser Film ist ganz gradlinig. In der Wirklichkeit würde es doch viele Probleme auslösen, daß deine beiden Hauptfiguren verschiedenen Welten angehören, aber die sind in dem Film letztlich ohne Bedeutung. Sie verlieben sich, kommen zusammen , es gibt kleine Hindernisse, beispielsweise die Kinder, die das  ein bißchen erschweren und am Schluß wollen sie heiraten. Das ist eine wunderbar logische und konsequente Liebesgeschichte.

Natürlich wäre es denkbar, daß Schwierigkeiten  auftauchen würden, wenn es  konkret passierte. Die habe ich alle weggelassen. Ich wollte nicht irgendeine Sache problematisieren. Im Grunde genommen mache ich keine realistischen Filme. Der Eindruck entsteht, weil  ich so viel mit dem Alltag arbeite, aber das ist eine Sache, die auch vorher in den Genrefilmen da war. Selbst in einem Kriminalfilm, sind mir die Alltagsprobleme wichtiger als die Kriminalhandlung. Mich hat von Anfang an am Erzählen von Geschichten das Alltägliche interessiert. Der Gegensatz oder die Spannung zwischen dem Alltäglichen und der Zugespitztheit der Geschichte. Zum Beispiel in ROTE SONNE, wo vier Frauen zusammenleben und Männer erschießen. Man sieht sie aber in ihrem Lebensalltalltag und dieses Erschießen  der Männer  ist völlig in ihren Lebensalltag integriert, und das ist die Provokation des Films. Und in den letzten Filmen sind die Geschichten im Grund genommen wie eine mathematische Konstruktion, eine geometrische Figurenkonstellation.

Was hat Dich diese Berufe so wählen lassen, daß die  Personen  sich mit Vergangenheit oder Zukunft beschäftigen?

Ich habe sie in ihren Berufen eben totale Gegensätze sein lassen. Das ist genauso wie die Konstruktion von BERLIN CHAMISSOPLATZ. Ein Architekt, der ein Stadtviertel von Berlin saniert, begegnet einer Studentin, die gegen diese Sanierung arbeitet. Die sind von ihrer Ausgangsituation her, einfach schon Gegensätze.
Hier begegnet ein Archäologe einer Futurologin. Daß ich die Archäologie der DDR zugeordnet habe und die Futurologie Westdeutschland, darüber habe ich nicht so genau nachgedacht, es gibt keine ganz präzisen Übereinstimmungen. So wie in der Musik ein bestimmter Ton oder eine bestimmte Tonart nicht gleich etwas bestimmtes bedeuten müssen, so kann man das vielleicht sehen. Eher musikalisch. Für mich mußte der Archäologe aus der DDR sein. Man hätte es nicht umkehren können.

Wenn ich an Regisseure denke, von denen ich weiß, daß Du sie bewunderst: Ozu oder  Rossellini, die haben immer auch diese Vorliebe für das Alltägliche, aber ich sehe bei Ihnen eigentlich einen ganz anderen Typ von Geschichten. Sie drehen schon eher realistische Geschichten. Ist das für Dich der Reiz diesen Kontrast von  Genauigkeit im Kleinen und relativ banalen Abläufen  und eine Geschichte, die nicht so den Alltagsgesetzen entspricht.

Die Spannung, die dadurch entsteht, daß ich die beiden Sachen zusammenbringe, das ist das, was mich reizt und die Lust am Erzählen von Geschichten, die eben dieses pointierte, dieses märchenhafte, dieses  konstruierte Moment aufweisen. Das ist ein spielerisches Moment. Ich spiele im Grunde genommen auch, ich experimentiere ein bißchen dabei immer. Früher als kleiner Junge hat es mich immer fasziniert, chemische Experimente zu machen und ich wäre gerne auch Chemiker geworden, wie ich überhaupt gerne Naturwissenschaftler geworden wäre. Davon hat mich mein Mathematiklehrer abgehalten. Er hat mir, obwohl ich gut war in Mathematik, gesagt, ich hätte dafür zu wenig Phantasie, ich solle Künstler werden.

Und jetzt machst Du die Naturwissenschaft in der Kunst.

Ja, ich schaffe mir Versuchsanordnungen und mache Experimente und weiß auch nicht, was dann rauskommen wird. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Moment. Und es gibt einen weiteren Zusammenhang: den zwischen Experiment und Spiel. SYSTEM OHNE SCHATTEN war ein Film über Leute, die gespielt haben und das Spiel in dem Film hatte eine wichtige Funktion. Das trifft auch auf mich zu. Ich bin immer ein bißchen auch ein Spieler. Was aber nicht heißt, daß ich die Sache nicht ernst nehme, überhaupt nicht. Das ist kein Widerspruch. Spieler nehmen, wenn sie  spielen, die Sache verdammt ernst, die bringen sich auch um, wenn's nicht gut geht, es geht für sie um Leben und Tod. Mein Spiel mit dem Erzählen das ist auch 'ne Sache auf Leben und Tod, es geht wirklich um was dabei.

Worauf bezieht sich jetzt das Spiel, beispielsweise darauf, wie die Geschichte sich entwickelt?

Nein, nicht wie die Geschichte sich entwickelt. Das Spiel, das ist schon die Konstruktion der Geschichte.

Und dann zu sehen was sich daraus ergibt.


Die Versuchsanordnung, das ist ein Spielmoment, weil mir ihre Künstlichkeit natürlich bewußt ist. Ich mache es aber trotzdem zum Spaß, und nehme dann aber die Sache ernst.  Ich wurde im letzten Jahr in  der Cinematheque in Paris – als dort eine Retrospektive gemacht wurde – von Serge Toubiana gefragt, warum ich  immer nur B-pictures drehe. Und ich konnte damit gar nicht so richtig was anfangen, es auch nicht wirklich erklären. Ich habe überlegt, was ist das,was ist ein B-picture, – was ist das Gegenteil von B-picture…ein Mainstreamfilm vielleicht. Es würde mir gar keinen Spaß machen, einen Film zu drehen – sagen wir mal den Zauberberg zu verfilmen, was mit Sicherheit kein B-picture werden könnte. Bei mir ist der fertige Film etwas, was während des Schreibens und während des Drehens nicht feststeht. Das steht erst fest, wenn der Film wirklich  fertig ist.  Das Machen des Films selbst ist ein Experiment und bei einem Experiment kann man nicht wissen, was rauskommt und das was mich daran interessiert, ist eben dieses Nichtwissen, was herauskommt. Um wieder zurückzukommen zu LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK, als ich zum ersten Mal den fertig geschnittenen Film am Schneidetisch gesehen habe, habe ich mich gewundert, wie sehr der Film das geworden ist, was bei mir im Kopf war als vages Bild, als ich das geschrieben hatte, und  ich habe mich auch gewundert, wie sehr der Film dem Drehbuch ähnelt. Eines der möglichen Resultate eines solchen Experiments kann eben auch sein, das genau das herauskommt, was am Anfang, in Form des Drehbuchs, da war. Das ist eine ganz merkwürdige Erfahrung, die ich auch schon früher mit Drehbüchern von Jochen Brunow und Max Zihlmann gemacht habe. Ich kann während des Drehens scheinbar alles verändern, Dialoge, ganze Szenen rausschmeißen oder hinzufügen, am Ende ist der Film eine Verfilmung des Drehbuchs. Ein Drehbuch wirkt wie ein Kristallisationskern. Es hat eine ganz eigentümliche Kraft.

Wenn man deine Arbeitsweise mit der Literatur vergleicht, könnte man sagen, daß dir Romane nicht liegen, wohl aber Erzählungen. Hast du einmal daran gedacht, dich auch an einem Roman zu versuchen?

Kurioserweise habe ich in dem Jahr, als ich mein Abitur gemacht habe, selbst einen Roman geschrieben. Der ist mein einziger geblieben. Ich habe ihn zu Rowohlt geschickt, aber er ist abgelehnt worden. Etwas später habe ich ihn verbrannt. Ich habe angefangen, Germanistik zu studieren, um mich eben mit dem, was mich am meisten interessiert hat, nämlich Erzählen, Romane schreiben, zu beschäftigen. Durch verschiedene Umstände bin ich dazu gekommen, Filme zu machen, und im Grunde genommen habe ich die ganze Zeit nur immer einen Teil von dem gemacht, was mich interessiert hat. Dadurch daß ich nur die Regie gemacht und nicht geschrieben habe, auch wenn ich Ko-Autor war, habe ich nicht wirklich das Ganze gemacht und alleine erzählt. Und seitdem ich schreibe, bin ich quasi an den Punkt gekommen, an dem ich eigentlich anfangen wollte, als ich das Abitur gemacht habe und Romane schreiben wollte. Ich bin Autor geworden.

In gewisser Weise schließt sich dabei ein Kreis.

Nachdem es passiert war, habe ich gemerkt: das ist ja das, was mir gefällt, das mach' ich ja gerne.

Würde dich auch ein Film reizen, der der literarischen Form des Romans entsprechen würde?

Ja natürlich. Mein nächster Film nach LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK steht fest, DIE SONNENGÖTTIN, das ist sicher auch wieder die Form der Erzählung. Aber ich will nicht ewig so weitermachen. Ich habe noch nichts geschrieben, aber ich habe jetzt schon das Gefühl, ich muß danach in eine neue Richtung gehen. Was mich interessiert, ist, wieder etwas Neues zu probieren. Das paßt auch in diese experimentelle Haltung, die ich innerhalb eines Filmes sowieso einnehme.

Zur Erfindung der Geschichte: wie war das jetzt bei  LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK, war da nicht von vornherein klar, zwei Menschen lernen sich kennen und nachher werden sie heiraten. Wo ist da die Erfindung, wo ist die Entwicklung der Geschichte dabei?

Als ich es geschrieben hatte, hatte ich das Gefühl, etwas unendlich Kühnes gewagt zu haben, eine Geschichte zu erzählen, in der eigentlich nichts passiert. Das ist auch eine Erfindung! Vor fünf Jahren beim Moskauer Filmfestival, war ich in einem Museum, und da hing dieses schwarze Quadrat von Malewitsch. Da ist auch sonst nichts. Ich denke, LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK ist vergleichbar damit, es ist nichts darin an Geschichte und das war das, was zu erzählen mich gereizt hat.

In der Geschichte gibt es ja eine überraschende Wendung. Elsa erklärt deutlich die Ehe paßt nicht mehr in unsere Zeit, und Zenon lehnt es ab, zu ihr zu ziehen, als er einen neuen Job hat, worauf sie sehr sauer ist und von ihm weggeht. Nachher ändern sie ihre Meinung, und man wird nur mit dem Ergebnis konfrontiert. Aus welchen Gründen ändern sie ihre Meinung?

Solche überraschenden Meinungsänderungen, das habe ich gern, das mag ich. Ich halte sie für sehr menschlich, so funktionieren Menschen eben, sie verstoßen gegen ihre eigenen Prinzipien. Frauen erklären, daß sie nicht heiraten wollen, und heiraten zwei Tage später. Das macht es für mich realistisch.  Am Schluß fahren  sie zusammen an die Ostsee, dann hält Elsa  ihren Vortrag. Danach kommen die beiden nach Hause, und Zenon sagt, er sei maßlos beeindruckt gewesen von ihrem Vortrag und sagt, jetzt will er sie heiraten. Das ist ein beinahe kindliches Verhalten von ihm. Sein Beeindrucktsein von ihrem hochintellektuellen Vortrag bringt ihn dazu, daß er sie heiraten will – das ist doch in höchstem Maße naiv! Auch der letzte Satz im Film, wenn sie zu ihm kommt und sagt, sie will ein Kind von ihm – das ist fast grotesk. Sie haben drei Kinder zusammen, und die Schwierigkeiten, die sie haben, miteinander ins Bett zu gehen, hängen mit den Kindern zusammen. Und aus so einer Situation heraus zu sagen, ich will ein Kind von dir…Das ist schon Ernst, natürlich auch, aber es ist auch ein bißchen zuviel. Aber auch sehr menschlich, weil es direkter Ausdruck ihrer Liebe ist. Sie könnte genausogut sagen, ich liebe dich sehr, aber es ist mehr noch, weil es viel verbindlicher ist und viel einschneidendere Konsequenzen hat.
Mit der Szene am Anfang, wo die beiden sich begegnen, ich glaube, damit werden viele Zuschauer Schwierigkeiten haben. Einmal wie die Szene inszeniert ist und natürlich auch durch die Art, wie die Frau dabei auftritt. Durch ihre forsche Art ist der Mann, der  am Spielplatz auf der Bank sitzt, erstmal ganz schön eingeschüchtert.
Der Mann ist nicht nur eingeschüchtert, er verhält sich durchaus wie ein realistischer Mann, er geht auch auf die Frau zu. Er guckt auch nach ihr, etwas verstohlen zwar, aber er tut auch etwas, er ist nicht nur da und wird einfach überrollt.
Die Szene paßt ja sehr gut in meine Theorie, nämlich daß man diesen Moment der Begegnung, wirklich den ersten Blick dieser Liebe,  gar nicht sieht. Man sieht, was daraus wird.

Warum nimmst du den Titel so unglaublich wörtlich? Im Französischen heißt "Liebe auf den ersten Blick" coup de foudre, Blitzschlag. Da gibt es keinen Blick. Und Stendhal umschreibt diesen "Blitzschlag" mit "im voraus lieben", was für mein Gefühl dieses Naturereignis am präzisesten charakterisiert.  Wieso gehst Du davon aus, daß man den ersten Blick der Frau sehen muß?

Weil das der handlungsauslösende Moment ist, und wenn Du schon diesen Moment im Titel ansprichst, würde es nahe liegen, ihn auch zu zeigen. Aber ich meine ja, das paßt wiederum zu Dir …

…immer die entscheidenden Dinge spare ich aus.

Nein, es gibt so ein Wechsel von Aussparung und Ausführlichkeit. Nicht daß Du sie aussparst unbedingt, sondern daß Du sie sehr stark verkürzt, so sehe ich das hierbei. Du hast ja mal diesen Satz gesagt: Erzählen ist eigentlich Weglassen. Das wäre schon eine Szene, die das belegt.  Dann gibt es die eine Szene in der “Liebe auf den ersten Blick”, die überraschend ist, wenn man Deine früheren Filme kennt, diese lange Szene im Bett. In deinen frühen Filmen ist sowas immer weggelassen, abgeblendet etwa oder in der Ellipse verborgen.

Ich habe immer geschnitten in dem Moment, wo eine Liebesszene hätte gezeigt werden können.

Warum?

Bei BERLIN CHAMISSOPLATZ haben einige Kritiker in Deutschland mir das hoch angerechnet. Für mich war das Beifall von der falschen Seite, das wollte ich nicht. Ganz am Anfang, also vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, zeigte ich Liebesszenen nicht, weil ich nicht spekulativ sein wollte. Der Produzent von DETEKTIVE hat mich, dazu verdonnern wollen, drei Liebesszenen mit der Uschi Obermeier nachzudrehen. Ich habe sie nicht gedreht, und das hat er dann schließlich akzeptiert. Das hatte damals ein total spekulatives Moment, das ist heute nicht mehr so. Das Spekulative fällt weg, das ist kein Grund mehr, es nicht zu machen. Ich hatte natürlich auch Angst davor, solche Szenen zu drehen. Und seitdem ich solche Szenen drehe, weiß ich auch, wovor ich Angst hatte, denn das ist in der Tat wirklich schwierig, eine ganz schwierige Situation für die Schauspieler und für die Leute, die es aufnehmen. Wenn ein Paar miteinanderschläft, kann man das nicht einfach so filmen, wie wenn ein Paar zusammen frühstückt. Aber seitdem ich diese Szenen zeige, bin ich nicht unglücklich damit, wie ich es gemacht habe, aber ich bin auch nicht glücklich damit. Ich träume eigentlich noch immer davon, irgendwann einmal eine absolut perfekte Liebesszene drehen zu können. Was Vergleichbares ist das Tanzen. In meinem dritten Kurzfilm – GALAXIS – gibt es die erste Tanzszene. Ich habe früher sehr gerne getanzt, und es ist ein Traum von mir, eine wirklich schöne Tanzszene zu machen.

Mir fällt auch ein:  in ROTE SONNE da gibt es eine wichtige Tanzszene...


Wo Frieda Grafe geschrieben hat, die sei so gut wie die Tanzszene in VIVRE SA VIE mit Anna Karina. Das hat mir sehr gefallen. Diese Szene bei Godard hat mich damals maßlos beeindruckt. Das war wie mein Traum vom Kino. Es gibt noch eine Szene in VIVRE SA VIE, die mir nie aus dem Kopf gehen wird.  Wenn Anna Karina in ein Café geht und dieses Gespräch mit dem Philosophen führt, mit Brice Parain. Er erzählt ihr dabei die Geschichte aus den “Drei Musketieren” über das Gehen, wo der Held in dem Moment, als er anfängt, darüber nachzudenken, nicht mehr gehen kann und die Höhle über ihm zusammenkracht, und er tot ist. Auch eine solche Szene, eine philosophische Szene, das ist etwas, was ich immer wieder mal ansatzweise versucht habe und was mir noch nie wirklich gelungen ist. Eine Tanzszene, eine philosophische Szene und eine wunderbare Liebesszene, das wäre allein schon ein Film! Ein bißchen versuche ich das mit Abwandlungen immer wieder.


Als ich Sophie Maintigneux kennenlernte, wußte ich gar nicht, daß sie Filme mit Rohmer gedreht hatte, das habe ich erst später erfahren. Der Film sollte ursprünglich eine deutsch-französische Koproduktion werden, und dabei muß ein gewisser Teil des Stabs die französische Staatsangehörigkeit haben. Ich wollte auf diesen Fall vorbereitet sein, und mit der Kamerafrau, der Regieassistentin und dem Kameraassistenten – das waren alles Franzosen – wäre es machbar gewesen. Die Regieassistentin hat Sophie Maintigneux vorgeschlagen, und ich hatte in den letzten zwei Jahren ein paar Mal ihren Namen gehört, ich wußte, daß sie den Film von Michael Klier gedreht hatte. Ich habe sie in Paris angerufen, und als sie in Berlin war, um Vorgespräche mit Michael Klier zu führen, habe ich sie getroffen. Wir hatten uns um zwölf Uhr im Restaurant verabredet, und um fünf saßen wir immer noch beieinander und haben sehr schönen Rotwein getrunken und uns dabei wirklich glänzend verstanden. In dem Gespräch habe ich dann erfahren, daß sie bei Rohmer angefangen hat. Ihr erster Film war DAS GRÜNE LEUCHTEN.