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Kurzfilme |
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64 Die Versöhnung
66 Stella
67 Galaxis
67/68 Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt |
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80 Hast Du Lust mit mir einen Kaffee zu trinken? 84 Zwei Bilder |
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Spielfilme | ||
Info |
Liebe kann man nicht berechnen Versteckt in der Berlinale-Special-Sektion hätte man Rudolf Thomes neuen Film „Pink“ glatt übersehen können. Das wäre aber schade gewesen, denn „Pink“ funkelt kräftig im momentan schillernden deutschen Film-Panoptikum. Rudolf Thome drehte bereits vor über 40 Jahren seinen ersten Langfilm, und „Rote Sonne“ (BRD 1969) ist ein unbestrittener Klassiker des Neuen Deutschen Films. Es ist erfreulich und beachtlich, dass die langen Jahre im Filmbetrieb und die über 30 Filme bei Thome keine abgeklärte Routine oder Anbiederung an einen breiten Publikumsgeschmack zeitigen. Ganz im Gegenteil, „Pink“ zieht die Pistole und knallt nach knapp einer Woche Berlinale erst einmal die eingefahrenen Erzählmuster und Figurencharakterisierungen über den Haufen. „Pink“ haut einem die Erwartungshaltungen wie einen nassen Waschlappen um die Ohren. „Pink“ ist naiv, aber nicht blöd. Gründe genug für Thome, sich schützend vor „Pink“ zu stellen und in seinem Online-Tagebuch auf www.moana.de zu warnen: „Wer sich nicht auf diese Art des Erzählens, der Löcher in der Erzählung und des Humors, der sich darin verbirgt, einlassen kann, hat keine Chance, den Film zu verstehen und zu lieben.“
Daniel Krönke in "Infomedia-sh", 12.2.2009 |
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Berlinale-Empfehlung: Pink von Thome Thomas Groh, "Filmtagebuch", 12.2.2009
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Ganz und gar betörend: Rudolf Thomes "Pink" Der eine singt, die anderen nicht. Pink, die Punk-Dichterin, die zum Vortrag der Punk-Gedichte eine schwarze Perücke trägt, hat die Wahl. Drei Männer werben, in aller Bescheidenheit, um ihr Herz. Nach dem Vortrag stehen sie da, ihren Blumenstrauß in der Hand, und harren und hoffen, dass Pink sie erhört. Ich muss mich entscheiden, sagt sie beim Essen, ich war in der Kirche und bekam den Befehl. Einfach ist es nicht, also rechnet sie zusammen, was für den einen spricht und für die anderen nicht.
Ekkehard Knörer, "Perlentaucher", 12.2.2009
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Gedanken zu PINK und zur Wirkung Ein Brief an Rudolf Thome Lieber Rudolf, Skandal meint laut Lexikon, Anstoß oder auch Ärgernis erregen, weil jemand mit seinem Verhalten (meist in öffentlicher Position) moralisch Grenzen verletzt und damit gegen Werte und Normen verstößt. Im Bereich der Kunst ist es ein Kunstwerk, das Grenzen überschreitet und Regeln verletzt und damit den Rezipient aus seinen gewohnten Erwartungen herausreißt. Das macht den einen wütend, den andern wach. PINK kommt nicht künstlich daher. Der Film tut zunächst so, als sei er eine realistische Geschichte, als erzähle er die bekannte Geschichte einer jungen Frau, die ihr Glück in der Liebe sucht, noch einmal. Der Zuschauer lehnt sich zurück und versucht, in seinen gewohnten Bahnen zu genießen. Er sieht eine junge Frau in ihrem Bett. Einen Mann in seinem Büro, einen anderen beim Schuhkauf. Alle drei Orte sind mehr oder weniger realistisch und alltäglich gezeigt, auch wenn es bestimmte Ausschnitte sind. Wenngleich es ausgesprochen komponierte Bilder sind. Alles stimmt. Nichts ist zufällig. Und doch sind sie nicht vordergründig von Kunstwillen geprägt. Dazu sind sie zu ironisch distanziert in ihrer Einstellung. Pink ist keine komische Figur, keine Karikatur. Auch wenn sie Susi Bauer heißt. Für eine kurze Zeit kann man sich in einem Liebesfilm wähnen. Pink sagt „bezaubernd“ bezaubernde Sätze wie Marilyn Monroe. Putzig, wie sie an ihrem Schreibtisch Listen mit Punkten aufstellt. Dass sie eine Vase abknallt, wirkt übertrieben in einem realistischen Film. Von ihrem Waffenschein haben wir schon erfahren. Für Thomekenner ist es ein Zitat, Frauen mit Revolvern. Du arbeitest mit Kontrasten, wie immer. Aber diesmal ist es besonders stark, wie du Dinge gegeneinander stellst. Es passiert immer das Unerwartete, und doch ist es nach einer inneren Logik gestrickt. Es sind fast alles Ausnahmesituationen, die aber in ihrer Knappheit beiläufig bleiben. PINK funktioniert wie ein Gedicht. Wie Konkrete Poesie. Über Spiegelungen. Varianten. Pinks Mimik ist Material, Oberfläche, jeder einzelne Ausdruck ein zu lösendes Rätsel, zu entschlüsseln nur im Zusammenhang. Variationen eines Themas. Eine Figur in drei „Aggregatzuständen“. Dreischritt. Dreiklang. Auch die Musik ist programmatisch. Ein Hauptthema mit Variationen. Ebenfalls ironisch, je nach Spielort, mit Gershwin- und Hollywoodanklängen. Aber nichts weist über sich selbst hinaus. Alles ist, was es ist. Ganz konkret und ganz dicht und als Ganzes poetisch, wunderschön und doch gebrochen. Mit überraschenden Wendungen, unberechenbar. Es ist wieder der ungeschliffene Diamant. Dessen unvollkommene, dafür umso eindrucksvollere Schönheit man für sich als Betrachter entdecken und erschaffen muss. Es gibt keine psychologische Entwicklung der Protagonistin. Sie sagt zwar bei der zweiten Hochzeit, sie habe gelernt. Aber es ist mehr in einer mechanischen Weise so. Sie läuft nicht gleich weg, wenn sie sich allein fühlt. Sie wartet auf ihren zweiten Mann, handelt dann aber genauso radikal konsequent wie beim ersten. Sie erschießt ihn nur deshalb nicht, weil man über sie nicht sagen soll, „Leichen pflastern ihren Weg“. Du hast gesagt, die, die mich liebten, werden mich nicht mehr lieben und die, die mich nicht liebten, werden mich lieben. Weil du mit PINK alles anders machst als zuvor. Nicht alles, aber vieles. (Vor allem anders als bei den letzten Filmen, die den speziellen Elsner-Touch haben.) Du bist schneller geworden, hast viel mehr Schnitte in PINK, das heißt, die Einstellungen sind kürzer geworden. Das hast du erreicht, indem du eine Geschichte erzählst, in der in einer begrenzten Zeit große Veränderungen passieren, eben drei Hochzeiten, zwei Trennungen, eine Beerdigung, eine Scheidung, eine Affäre in sechs Monaten. Du hast dich dadurch gezwungen, in schnellen Schritten, in großen Sprüngen, mit vielen Auslassungen zu erzählen. (Was du natürlich auch schon in früheren Filmen getan hast.) Es ist eine Geschichte, die über eine zentrale Perspektive, über eine Figur funktioniert. Es gibt keine gewichtigen Nebenhandlungen, keine anderen Stränge neben dem Hauptstrang. Das ist wie beim Märchen. Es gibt die überraschende Episode Lilli, und es gibt Pink, die als Dichterin auftritt. Letzteres sind Momente, die Pink als erfolgreich zeigen, sie ist erfolgreich mit ihrer Kunst, nicht jedoch in ihrem Privatleben. Es ist eine andere Pink hinter einer Maske, die öffentliche Pink, die keine Regung zeigt im Vergleich zu der privaten Pink, die impulsiv reagiert. Die Dichterin trägt reglos Gedichte vor, die von Liebesmord und Geschlechterkampf handeln. Am Ende singt sie ihr Gedicht, vom Liebesglück. Das bezeichnet ihre Entwicklung, eine äußerliche, ihre Veränderung von der Sprechenden zur Singenden. Jedenfalls ist die Geschichte auf den ersten Blick einfach, sie hat eine einfache Struktur. Sie ist auf der inhaltlichen Ebene nicht komplex. So scheint es. Es gibt keine komplizierten Verwicklungen, keine ausgebreiteten psychologischen Untiefen, keine tieferen Bedeutungsebenen, keine Vielschichtigkeit auf der Ebene des Plots. Der Zuschauer empfindet seine Welt, in der er lebt, als komplex, als kompliziert, als unüberschaubar, natürlich sehnt er sich nach Überschaubarkeit, deswegen schaut er sich Pilcher an oder Krimis oder Liebeskomödien, wo der erste Kuss in Minute 10 kommt, liebt Genres im Kino oder im TV die sogenannten Formate, da weiß er, was er kriegt, was er erwarten kann und das wird erfüllt. Oder das Komplexe Hollywood mit den Effekten, sowohl technischer wie erzählerischer Art, bei dem die Qualität darin besteht, dass man kaum mitkommt. Der Mensch will manipuliert werden. Das verweigerst du. Bei PINK weiß er nicht, was das ist. Was das sein soll. Was ist das für eine Figur? Eine Dichterin, die mit solchen Gedichten Erfolg hat? Eine Frau, die so naiv den richtigen Mann sucht. Die so radikal und so kindlich und so brutal und so lieblich in einem ist. Die so schnell abhakt. So etwas gibt es doch in Wirklichkeit gar nicht. Was ist die Botschaft, was wird ihm gesagt. Was soll er lernen? Schlimmstenfalls fühlt er sich verarscht. Soll das alles sein? Der normale Zuschauer geht einmal in einen Film und dabei will er alles mitbekommen. Aber PINK funktioniert wie ein Gedicht, (nicht wie eine Kurzgeschichte oder ein handlicher Kurzroman). Ein Gedicht liest man immer wieder. Muss und will man immer wieder lesen. Diesmal hast du weniger Alltag, dafür mehr Detail, statt langer Einstellungen alltäglicher „unbedeutender“ Vorgänge wie in früheren Filmen, sind es diesmal Großaufnahmen, kürzere, dafür nähere Einstellungen. Du veränderst den Fokus. Das wiederum sind die Thomegucker nicht gewohnt. Und das bricht wiederum ihre Erwartungen. In deinen letzen, den Elsner-Filmen gab es mehr Dialoge, Figuren die sich erklären, die reflektieren, die sich verbal vollkommen öffnen, sich durch Worte kriegen. Auch das ist diesmal anders. Du gibst dem Zuschauer extrem wenig an die Hand, auf der einen Seite, auf der andern gibt es unendlich viel. Die Bilder sind so reich, so liebevoll und genau komponiert, das Spiel der Schauspieler, vor allem das von Hannah Herzsprung ist geradezu minimalistisch. Aber nicht alle Zuschauer können das vielleicht beim ersten Mal schon sehen. Vor allem bewertest du nicht. Gibst dem Zuschauer nur sehr subtil Interpretationshilfen mit. Es ist das Schwebende, Ungefähre zwischen Nähe und Distanz, diese Goethesche Form der Ironie, wie du sagst, die etwas mit Abstand, das heißt, ohne psychologische Einfühlung, aber doch mitfühlend, sehr genau und sehr ernsthaft beschreibt. Es ist die Oberfläche, die Tiefe ist außen, auch hier wieder. Bei PINK ist es das Detail, in Großaufnahme, das man fast für ein Symbol halten könnte, was es aber nicht ist – der Fuß, die Hand, die Blicke, der Gesichtsausdruck, die Farben, das Licht - all das ist, was es ist, dabei reduziert, zeichenhaft verdichtet. Nicht mehr und nicht weniger. Einfach banal und komplex in einem. Je genauer man hinschaut, ohne gleich eindringen zu wollen, je offener, desto mehr sieht und erkennt man. Oder vielmehr fühlt man. Es ist ein Erkennen mit den Sinnen, auch dem siebten, das den Verstand und die Norm weit hinter sich zurück lässt. Livia Theuer in "shomingeki" Nr. 21 |
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Die Reise ins Glück An männermordenden Frauen ist zumindest das Frühwerk von Rudolf Thome - wir erinnern uns an Uschi Obermaier in DETEKTIVE (1969), noch mehr aber in ROTE SONNE (1970) - nicht arm. Mord durch Heirat scheint dann doch neu. Zumindest bringt sich der erste von drei Gatten, welche die "Punk-Dichterin" Pink (großartig: Hannah Herzsprung) im Verlauf des nach ihr benannten Films ehelicht, nach Verlassenwerden um. Zwischen seinem ersten morgendlichen Liebesbrief nach der Hochzeitsnacht und dem mit Farbe groß in die Küche hingeschmierten Abschiedsbrief - "Tschau" - liegen in der erzählten Zeit wenige Wochen. Thome schnippst sie mit der lässigen Geste einer Ellipse weg, ganz einfach so. Ganz einfach so, das sind die magischen Worte, nach denen PINK funktioniert. Die Geschichte, ein Märchen - ganz einfach so: Pink hat drei Lover. Der eine ist wohlhabend, Geschäftsmann mit Herz, der zweite noch einen Tick wohlhabender, aber auch schon ein Aas. Der dritte hat einen idyllischen Bauernhof, ist ein bißchen verträumt und singt beim Wäscheaufhängen gern sehr schräg. Pink ist, ganz einfach so , "Punk-Dichterin" - was immer das sein mag - mit schwarzer Perücke und, ganz einfach so, damit so erfolgreich, daß sie sehr passabel auskommt. Au der Bahnfahrt zur Lesung wird sie, auch ganz einfach so, angesprochen, weil sie so berühmt ist. Und ganz einfach so wissen die drei Lover voneinander und stehen, nach der Lesung, ganz einfach so,zu dritt mit Blumen in einer Reihe, ein bißchen deppert wie begossene Pudel, wie verliebte Jungs mit Blumen eben gerne aussehen. Der Anlaß für solche Aufwartung ist glücklich: Pink will zur Ruhe kommen und einen von den dreien heiraten. Nicht ihr Herz, die Kalkulation fällt die Entscheidung. Das Für und Wider jedes einzelnen wird in Zahlen übersetzt, am Ende zählt das unterm Strich. Das ist beim ersten, wie gesagt, alsbald ein Reinfall, man weiß auch nicht recht, weshalb. Jedenfalls baumelt er dann am Strick, ganz einfach so. Und ganz einfach so steht der Zweite auch noch immer bereit. Es wird gereist, erst mit, dann ohne Pink. Was - über den Umweg einer lesbischen Affäre, ganz einfach so -zur Ehe mit dem Dritten führt. Zum Bauernhof, zum Baum, zum Eheglück: Adam und Eva ganz einfach in ihr ganz eigenes Paradies zurückgespiegelt. Man kann eine solche Märchenfantasie gewiß recht bieder finden, vielleicht als konservativen Backlash. Zur Berlinale, wo Thomes Film schon von vornherein ins profillose Nebengleis der dubiosen "Pecial"-Sektion und damit in den toten Winkel der Aufmerksamkeit abgeschoben wurde, wurden solche Stimmen im Publikum genauso wie in der (spärlichen) Berichterstattung laut. Und doch tun sie diesem wunderbaren Film ganz schrecklich Unrecht, schlimmer: Sie bringen sich um ein kleines, aber dafür ganz bezauberndes Filmwunder. Denn Aussagekraft über die paar Leute, die in PINK gezeigt werden, hinaus, beansprucht der Film ganz einfach wegen seines "ganz einfach so", an keiner Stelle. Er zeigt Menschen, sehr sonderbare obendrein, die, wahlweise, ihr Glück finden oder auch nicht, aus der jeweiligen individuellen Verfaßtheit heraus. Der Bauernhof - regelmäßigen Lesern von Thomes Website glasklar als dessen eigener erkenntlich -ist nichts mehr als ein Ort des erfüllten Glücks nur für diese beiden Menschen. Aber eben auch nichts weniger (und zur moralischen Fabel -Liebe läßt sich nicht berechnen! - schwingt sich PINK in all seiner Lässigkeit, seiner Lust am Erzählen ohnehin an keiner Stelle auf; daß Liebe sich nicht berechnen läßt, nimmt man für den einen Moment zur Kenntnis, nach dem solche Weisheit auch schon gar nicht mehr im Fokus steht). Wie sehr Thome dieser Ort, dieser Hof am Herzen liegt, läßt sich auf seiner Website im übrigen gut nachvollziehen: Seit Jahren bloggt Thome von dort, nur um es überhaupt erst jetzt bloggen zu nennen, und in erster Linie schreibt er dabei vom täglichen Werk auf dem Hof: Von ausgestellter Idyllsucht genauso weit weg wie von Heidegger'schen Holzbänken und Trampelpfaden. Thome schreibt und filmt, ganz einfach so. Unter den Prämissen dieser oft so fürchterlichen Veranstaltung, die sich gemeinhin "deutscher Film" bezeichnet, wäre eine Geschichte, wie PINK sie erzählt, freilich mit beschaulichem Sülz arg und ärger übertüncht. Nichts davon bei Thome, der auch 40 Jahre nach seinem Debüt noch immer "junges Kino" macht: Sein PINK steckt voller Ideen, die nie prahlen, steckt voller entzückender Momente, die flüchtig durch den Film wehen und gleich wieder verschwinden, ganz einfach so, als könnte dieser Thome - dieses Jahr wird er 70 - es noch immer nicht fassen, daß ausgerechnet er es ist, der eigene Filme dreht, ganz einfach so. Dbei bleibt er wendig und einfallsreich und lockerleicht da, wo sonst das deutsche Kino, in genau solchem Vorhaben zur bleiernen Schwere neigt. PINK also ist ganz große Kunst im Kleinen. Und einer der schönsten, witzigsten und überraschenden Filme des Jahres. Ganz einfach so. Thomas Groh in "Splatting Image" Nr. 78 (Juni 08) | ||
PINK „Nach diesem künstlerischen Befreiungsschlag ist alles möglich“, hat Filmstarts über Rudolf Thomes Das Sichtbare und das Unsichtbare geschrieben. Diese enorme Offenheit in Richtung Zukunft, diese überraschende und auch verstörende „Tabula rasa“-Mentalität machte Thomes Künstlertragödie zu einem Ereignis, einem Höhepunkt in seinem Schaffen, aber auch im deutschen Kino, das mit dieser Art von Freiheit meist so seine Schwierigkeiten hat. Nun hat diese Zukunft also begonnen. Und sie erweist sich tatsächlich als rosig, und das nicht nur, weil Thomes neuester Film den Titel „Pink“ trägt. Alles ist möglich in dieser ganz und gar schwerelosen Komödie, mit der er sich an einer ganz eigenen Form des Kino-Märchens versucht. Die Selbstverständlichkeit und die Naivität, mit denen er diese Geschichte von einer jungen Frau und ihren drei Männern erzählt, sind absolut entwaffnend. So etwas würde sich nicht einmal Hollywood trauen, dessen romantische Konventionen Thome zitiert, um sie dann umso lustvoller wieder zu unterlaufen. Pink (Hannah Herzsprung, Vier Minuten, Der Baader Meinhof Komplex, Der Vorleser) schreibt Gedichte und wird dafür von allen geliebt. Bei den Lesungen der „Punk-Dichterin“ stehen ihre Verehrer nicht nur bildlich, sondern gleich auch wörtlich Schlange. An diesem Abend sind es wie schon so oft Carlo (Guntram Brattia, Gegenüber), ein erfolgreicher Geschäftsmann, Georg (Florian Panzner, Operation Walküre, Lichter, Tattoo), ein aalglatter Verleger, und Balthazar (Cornelius Schwalm, Rauchzeichen). Nach der Lesung warten sie, jeder einen Blumenstrauß in der Hand, einträchtig auf Pink und machen sich dabei Hoffnungen – diesmal sogar zu Recht. Pink hat die Stimme Gottes vernommen, und die hat ihr gesagt, dass sie sich endlich entscheiden muss. Nach genauen, das heißt in diesem Fall mathematischen, Überlegungen fällt die Wahl auf Carlo. Und schon bald läuten die Hochzeitsglocken. Doch an ein „... und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ ist bei diesem ungleichen Märchen-Paar nun wahrlich nicht zu denken… In einer typischen romantischen Komödie würde sich alles um die Erkenntnis drehen, dass sich Liebe nicht berechnen lässt, dass sich Gefühle weder um Logik noch um deren Tochter, die Mathematik, scheren. Auch Pink muss das lernen. Aber Rudolf Thome macht daraus keinen Lehrsatz und auch nicht die Moral von der Geschicht’. Die Dichterin verrechnet sich, das gehört einfach dazu. Diese Irrwege und falschen Entscheidungen lassen sich nicht trennen von der Freiheit, von der Thome erzählt und die er zugleich auch selbst in Anspruch nimmt. Alles, was in „Pink“ geschieht, die Hochzeiten und die Affären, ein Selbstmord und eine Beerdigung, die Enttäuschungen und das Glück, geschieht ganz und gar beiläufig. Thome verzichtet auf jede dramatische Überhöhung. Selbst wenn Pink zur Pistole greift und so ihren zweiten Ehemann, der sie betrogen hat, aus der Wohnung jagt oder wenn der nach der Trennung untröstliche Carlo sich in seinem Büro über den Dächern Berlins erhängt, passiert das einfach nur so. Das Außergewöhnliche ist in dieser erstaunlich realistisch wirkenden Märchenwelt genauso selbstverständlich wie das Gewöhnliche. „Pink“ ist der schnellste von Rudolf Thomes Filmen. Sein Tempo übertrifft letztlich sogar das der Komödien von Howard Hawks. Nur ist diese extreme Beschleunigung weniger eine Frage der Dialoge, deren Tempo dem Betrachter allerdings auch das eine oder andere Mal den Atem rauben kann. Sie resultiert vielmehr aus den zahlreichen Auslassungen und extremen Verdichtungen, die Thomes 26. Spielfilm so nachhaltig prägen. Wie die Dichterin Pink, deren Werke der Film nur streift, kommt auch Thome immer sofort auf den Punkt. Auf die Hochzeitsnacht mit Carlo und das erste – eben nicht gemeinsame – Frühstück folgt quasi umgehend Pinks Auszug aus dessen Wohnung. Die Wochen, die dazwischen liegen, gerinnen zu einem einzigen Schnitt. Carlos Beerdigung mündet sogleich in die Vorbereitungen zu Pinks zweiter Ehe. Zeit ist etwas Kostbares, auch im Kino, besonders wenn es die Nähe zum Gedicht sucht. Jede Szene ist eine Zeile, jede größere Sequenz eine Strophe dieses ganz und gar freien Filmpoems. Die Ellipsen sind der Raum dazwischen, den jeder Betrachter alleine für sich erkunden kann. Und wer sich darauf wirklich einlässt, wer dieses „Alles ist möglich“ als einmalige Einladung empfindet, den wird Thomes Poesie umfangen und verzaubern. Schon die Klarheit, die Präzision und die Schönheit der von Ute Freund komponierten Bilder sind überwältigend. Dabei bleiben sie immer ganz dem Augenblick, der Situation verpflichtet. Sie und Hannah Herzsprungs kontrolliertes, auf äußere Effekte weitgehend verzichtendes Spiel beschwören diesen rätselhaften Eindruck von Natürlichkeit herauf, der in diesem so wundervollen, spannungsgeladenen Kontrast zu den eher märchenhaften Geschehnissen steht. Mit diesem Film beweist der nunmehr fast 70-jährige Rudolf Thome einmal mehr, dass er auch mehr als 40 Jahre nach seinem Debüt, immer noch einer der Jüngsten und der Mutigsten unter den deutschen Filmemachern ist. Sascha Westphal in "Filmstarts.de" | ||
PINK „Wer sich nicht auf diese Art des Erzählens, der Löcher in der Erzählung und des Humors, der sich darin verbirgt, einlassen kann,“ warnt Ausnahmeregisseur Rudolf Thome in seinem Online-Tagebuch, „hat keine Chance, den Film zu verstehen und zu lieben.“ Tatsächlich läuft sein neuer Film „Pink“ auf keine Pointe, keine eindeutige These oder keine klare Erkenntnis hinaus. Trotz scheinbarem Happy-End wirkt sein Kinokleinod offen und versteckt mythisch. Ein Rätsel, das sich nicht auf den ersten Blick erschließt, bleibt - wie im Leben. Und wie in guten französischen Filmen. Denn wer hierzulande nach der inszenatorischen Leichtigkeit der Nouvelle Vague sucht, landet fast unweigerlich bei ihm. Die Figur der Kindfrau „Pink“ (Hannah Herzsprung) hat es dem Romantiker angetan. Seine Protagonistin agiert mit der Naivität eines kleinen Mädchens, das gleichzeitig total souverän handelt. Thomes eigenwilliges Porträt zeigt eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach Liebe, Zärtlichkeit, ständiger Zuwendung und Nähe. In ihrer immer gleichen schwarzen Perücke steht die umjubelte Punkpoetin mit ihren sehr persönlichen Liebesgedichten im Rampenlicht. Nach außen hin tritt sie bei ihren Lesungen eher nassforsch auf, manchmal sogar abweisend. Trotzdem begehrt und umgibt die erfolgreiche Dichterin ein Dauertrio von glühenden Verehrern, denen sie abwechselnd ihre Gunst schenkt. Fast zwanghaft sucht sie die Flucht in eine Ehe. Sorgfältig berechnet Pink deshalb die vorteilhaften Eigenschaften ihrer drei sehr unterschiedlichen Liebhaber. Carlo (Guntram Brattia), der smarte Geschäftsmann, verbucht dabei die meisten Punkte und wird geheiratet. Doch die Ehe endet schnell. Grund: Carlo ist ständig unterwegs, Pink zu viel allein. Sie verlässt ihn. Der Verzweifelte erhängt sich nachts in seinem Büro. Eine kurzes Intermezzo mit einer Frau zeigt Pink, dass sie keine Lesbe ist. Aber auch Ehemann Nummer zwei enttäuscht die rastlos Suchende. Der untreue Verleger Georg (Florian Panzner), der nun an der Reihe ist, entpuppt sich als hemmungsloser Gigolo. Bei einem Bordellbesuch infiziert er sich. Sein Geschenk für Pink nach dieser US-Geschäftsreise: ein Tripper. Pink flippt aus. Mit vorgehaltener Pistole treibt sie den Schönling aus der gemeinsamen Wohnung. Bleibt nur noch Balthasar (Cornelius Schwalm), der zurückgezogen auf dem Land lebt. Er scheint nach der Scheidung der sichere Hafen zu sein. Immer für sie da, Zärtlichkeit und Nähe bietend. Ein wunderschönes Bauernhaus in traumhafter Natur. Dann ein Kind. Aber findet Pink im scheinbar vollkommenen Glück dieser bilderbuchhaften Kleinfamilien-Idylle zu sich? Die Antwort bleibt offen. Doch inzwischen weiß sie aus Erfahrung, dass selbst dieses paradiesische Glück endlich sein kann. Thomes übersichtlich rhythmisch linear inszenierte Geschichte lässt Raum für herrlich skurrile Dialoge ohne jeglichen Zynismus. Gekonnt balanciert sein modernes Märchen für Erwachsene immer wieder zwischen Pathos und lässigen Understatement. Charakteristisch für sein Werk, das nicht selten wie ein Versuchsanordnung funktioniert: Seine unsentimentale Emotionalität. Eine Tonlage, die der 69jährige nach wie vor perfekt trifft. Längst sind Frauen bei ihm keine Musen mehr. Sie nehmen immer wieder selbst die schöpferische Männerrolle ein. Gelungen verkörpert Shootingstar Hannah Herzsprung Pink in einer wunderbaren Mischung aus impulsiver Kindfrau und unergründlicher Femme Fatale. Die 28jährige haucht der bunten Comic-Figur Pink erst richtig Leben ein. Gilt die gebürtige Hamburgerin doch spätestens seit ihrem Auftritt in Chris Kraus’ „Vier Minuten“ als eines der Talente des deutschen Kinos schlechthin. Ihre Darstellung der jungen Pianistin im Frauengefängnis wurde zu Recht mit Preisen überhäuft. Gleichzeitig bleibt ihr Spiel dieses Mal mehr zurückhaltend, sodass der Zuschauer nicht sofort in Versuchung kommt, ihre Figur tatsächlich an psychologischen Realitäten außerhalb dieses betörenden Film-Märchens zu messen. Luitgard Koch in "programmkino.de" | ||
Pink Eine Punk-Dichterin hat genug von der unmoralischen Viererbeziehung und sucht ihr Glück in der Ehe. Mit dem ersten Ehemann wird sie nicht glücklich, der zweite ist auch nicht viel besser. Am Anfang ist Hannah Herzsprungs Fuß. Dann ihr Kopf, schräg von hinten gefilmt, dann ihre Hand. Fuß, Kopf, Hand: ein harmonischer Dreiklang zu Beginn, dem später im Film andere Dreiklänge antworten werden, manche ebenfalls harmonisch, andere weniger. Schließlich noch ein nachgereichter Establishing Shot: Hannah Herzsprung verkörpert auf bezaubernde Art und Weise Pink. (Ja, genau das ist Hannah Herzsprung in diesem Film: „bezaubernd“, ganz verzichten kann man kaum auf Klischees, wenn man Pink beschreiben will, einem Werk, das Klischees zwar benutzt, aber weder zu bestätigen noch zu kritisieren sucht.) Pink ist eine, das wird man einige Minuten später erfahren, „Punk-Dichterin“, die hier, zu Beginn, noch im Bett liegt und schläft. Nach Pinks erstem Auftritt als Dichterin tauchen drei Männer auf: Carlo (Guntram Brattia), Georg (Florian Panzner) und Balthazar (Cornelius Schwalm), jeweils mit einem Blumenstrauß in der Hand. Sie alle lieben Pink und scheinen bis dato recht glücklich polyamor mit ihr verbandelt gewesen zu sein. Pink liebt zwar ebenfalls alle drei, aber sie war früher Klosterschülerin und jetzt erzählt sie von einer Offenbarung: Sie könne, habe sie erkannt, ihr bisheriges, unmoralisches Leben nicht fortsetzen und müsse sich für einen der drei entscheiden. Genau das macht Pink denn auch, mithilfe einer Liste, die den einzelnen Bewerbern Punktwerte zuschreibt, denn: „Liebe = Das Produkt planmäßigen Vorgehens + eiserner Verstand“. Anschließend greift sie zu einer Pistole (die mehrmals zum Einsatz kommt) und schießt ein nicht näher definiertes Bild von ihrer Zimmerwand herunter. Einfach so, mit derselben Nonchalance, mit der sowohl sie als auch der Film immer wieder ganz sonderbare Dinge anstellen. Carlo, ein erfolgreicher Geschäftsmann, landet zunächst auf Platz eins und wird flugs geheiratet. Pink hat bald keine Lust mehr, allein zu sein und schreibt genau das in pinker Farbe an den Badezimmerspiegel. Die Ehe endet denkbar unglücklich, nämlich mit einer Beerdigung. Nach den Punktwerten und also auch im Film ist als nächstes der Verleger Georg an der Reihe. Mit dem fährt sie zunächst, in der vielleicht allerschönsten Szene des Films, in den Süden für einen gemeinsamen Urlaub. Eine kleine, zurückgenommene Florida-Miniatur: Cabriofahrten, die Palme vor dem Fenster, Frühstück auf der Veranda, mit dem Laptop am Strand. In einer Totalen sieht man Pink ins Meer hinaus schwimmen. Im Bildhintergrund scheint ein Fisch übers Wasser zu springen. Zurück in Deutschland schreibt Pink ihrem Mann eine SMS – überhaupt werden viele SMS geschrieben in diesem Film, es wird auch viel Zug gefahren und manchmal Auto. Auto fährt vor allem Balthazar, der dritte Mann in der Vierergleichung und er singt währenddessen ganz sonderbar vor sich hin. Aber noch ist Pink bei Mann Nummer 2. Ein harter Schnitt in ein amerikanisches Hotelzimmer: Georg vergnügt sich mit vier Prostituierten. Auch im zweiten Versuch findet Pink das Eheglück nicht. Rudolf Thome dreht solche Filme seit gut vier Jahrzehnten: Kleine Fabulierstücke voller erzählerischer Leichtigkeit und freischwebender, in nichts weiter als der menschlichen Natur geerdeter Fantasie, echtes Kino in Äquidistanz zu prätentiösem Kunstwillen und den Mechanismen des kommerziellen Filmschaffens. Oft kreisen die Filme um Männer, die mehrere Frauen, oder, wie hier, um Frauen, die mehrere Männer lieben, aber zu einer Autorenhandschrift im klassischen Sinne fügt sich in Thomes Werk wenig, vielleicht, weil aus dem, was er zeigt, nie unmittelbar etwas (anderes) folgt. Pink und Pink, Film wie Figur, enden im Paradies, beziehungsweise auf einem idyllischen Bauernhof. Dieser Bauernhof ist derselbe, in dem der Regisseur selbst seit einigen Jahren lebt und arbeitet. Hier schreibt er sein Internettagebuch und seine Drehbücher, die ebenfalls rechtzeitig vor Drehbeginn komplett ins Netz gestellt werden. Nachdem Thome in den letzten Jahren fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit drehte, scheint sein aktueller Film, vielleicht auch aufgrund einiger jüngst erschienener DVD-Editionen älterer Werke, wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Pink hat diese und noch viel mehr Aufmerksamkeit von der ersten bis zur letzten Minute verdient. Lukas Foerster in “critic.de" | ||
Heute bin ich eine Wölfin Ein Film über das Glück und die Klischees vom Glück: Hannah Herzsprung in Rudolf Thomes "Pink". Noch was, sagt die junge Frau, nachdem der junge Mann sie kurz und innig geküsst hat, seine Hand liegt noch behutsam an ihrem Hinterkopf. Noch was also: "Schwör mir, dass du dich nicht umbringst, wenn ich dich verlasse. Ich hab keine Lust später in der Zeitung zu lesen: Leichen pflastern ihren Weg ..." Die beiden waren eben auf dem Standesamt und stehen nun an ihrer Hochzeitstafel, es ist die zweite Ehe für die Frau, von ihrem ersten Mann hat sie sich rasch wieder scheiden lassen; und in einer finsteren, trostlosen Nacht hat er sich aufgehängt in seinem Büro. Es geht ums Glück in diesem Film, noch intensiver als bisher bei Rudolf Thome, um die Vorstellungen und die Bilder und die Klischees vom Glück. Und um die Fabrikation des Glücks, die auch heute noch am besten nach dem Baukastenprinzip erfolgt. Drei Männer hatte die junge Frau - Pink nennt sie sich, sie wird von Hannah Herzsprung verkörpert -, drei Männer nebeneinander, die einander in freundschaftlicher Konkurrenz verbunden sind. Sie leben glücklich in ihrer kleinen Bohèmewelt, in der langstielige Weingläser und bauchige Kerzen den Ton angeben. Dann hat Pink die Stimme Gottes gehört, und die sagte, so kann es nicht weitergehen, sie muss sich entscheiden; und Pink setzte sich an den Tisch und fing an, die drei Männer zu beurteilen und zu bewerten, tabellarisch, numerisch, Punkt für Punkt. Was eine Liebe in dieser Rechnung ausmacht: Konten, Immobilien, Sparsamkeit, Durchsetzungsvermögen, Aussehen, Sportlichkeit, Bildung, Neugierde, Hobbys, Bekanntschaften ... Pink macht ihre Hausaufgaben, und Hannah Herzsprung schaut wirklich wie ein Schulmädchen dabei, voll konzentriert, manchmal verzieht sie einen Mundwinkel ganz kurz, unentschlossen und ein wenig schnippisch, in ihrer Ratlosigkeit. So wird "Pink" ein kleines Lehrstück, in klassischer Tradition. Am falschen Meeresstrand Die Sorgen um zynische Schlagzeilen, eine falsche PR sind durchaus berechtigt, Pink ist Poetin, eine erfolgreiche, sie trägt vor und signiert, Buch für Buch, nicht einer der Fans wird zurückgeschickt. Hannah Herzsprung ist ungewöhnlich sexy für eine Thome-Heldin, und es ist schön, wie er sie von dem unentwegten Furioso runterholt, das ihr Markenzeichen geworden ist, vom besinnungslosen Tempo, in das sie sich steigert, in Filmen wie "Vier Minuten" oder "Das wahre Leben" oder, als Susanne Albrecht, in "Der Baader Meinhof Komplex". Man spürt kaum noch etwas von dieser Hitzigkeit, dieser Hetze in den stillen, friedfertigen Momenten, die Pink sich gestaltet. In ihrer Naivität spielt eine schöne Künstlichkeit mit, diese Frau ist nicht unmittelbar und nicht natürlich. Einmal sitzt sie vor einem blauen Meeresstrand neben einer Palme, aber das ist alles nur auf die Wand ihres Berliner Zimmers gemalt. Sie hockt in einem schwarzen Sessel, der sie schützend in sich birgt. Man weiß, wie heftig Thome das amerikanische Kino liebt und den Western, aber die Weite, die Grenzenlosigkeit lösen dann doch Unruhe und Unsicherheit aus in seinen Filmen. "Heute ist Vollmond", textet Pink, "heute bin ich eine Wölfin / Und heule den Mond an ... Ich hätte nie gedacht, / dass das Leben und alles, / was einfach so da ist, / die Wolken im Himmel und darunter die Erde, / so schön sein kann." Sollte das also das Glück sein, auf einer mit Palmen bestückten Küstenstraße in Florida unterwegs zu sein, in einem schwarzen Ford Thunderbird Cabrio? Ist das also Glück, in einer Hängematte auf einem Landsitz vor Berlin zu sein, mit dem geliebten, dem geehelichten Mann? Wie es aussieht, hat die Stimme Gottes gar nicht recht gehabt. Das Glück, die Liebe und all die anderen Dinge des Lebens, sie sind wirklich hochkompliziert, aber man sollte sich hüten, sie zu vereinfachen, ihnen ihre schmerzvolle Komplexität zu nehmen. Thomes Kino kennt keine Endgültigkeit und keine Dauer, es ist absolut diesseitig, will selbst im Paradies sich nur auf den jeweiligen Augenblick konzentrieren und vom nächsten noch nichts wissen. Es ist der Konstruktivismus, von dem sie seit Beginn des 20.Jahrhunderts immer geträumt haben und den nur das Kino zu realisieren vermag, Menschen, von der Kamera in ihrer Präsenz erfasst, ohne dass sie abgeschlossene, zielstrebige Charaktere werden. Hypothetische Wesen: "Schon daß der Mensch", schrieb Brecht, "nicht ganz noch endgültig zu erkennen ist, sondern ein nicht so leicht Erschöpfliches, viele Möglichkeiten in sich Bergendes und Verbergendes ist (wovon seine Entwicklungsfähigkeit kommt), ist eine lustvolle Erkenntnis." Als Pink ihre Liste abgeschlossen hat, holt sie eine Pistole aus der Tasche: "Wenn mein Papa mich sehen könnte, wäre er stolz auf seine Tochter." Aber dann feuert sie, und eine Vase geht zu Bruch. Fritz Göttler in "Süddeutsche Zeitung" 20. 08. 2009 | ||
Der Archipel Thome Er schreibt und dreht und schreibt und dreht den zauberhaften Alltagsmärchenfilm “Pink” Als die meisten “Blog” noch nicht mal buchstabieren konnten, hatte er schon einen, ohne ihn so zu nennen. Er führt seit 2003 sein Arbeitstagebuch im Netz, stellt Bilder dazu, veröffentlicht seine Drehbücher – und macht kein großes Aufhebens davon. Rudolf Thome, der im November siebzig wird, der seit mehr als vierzig Jahren Filme dreht, ist der große Einzelgänger im deutschen Kino, der, je nach Blickwinkel, seiner Zeit mal voraus schien und mal wie aus der Zeit gefallen. Er hat keine Schüler, keine Lobby, er hat sich nie angebiedert und nie darum gekümmert, was der jeweilige Mainstream gerade verlangte. Er dreht und schreibt und dreht, obwohl es immer schwieriger wird, so zu arbeiten. Wenn jetzt “Pink” anläuft, kann man auf Thomes Homepage (www.moana.de) schon die Drehbücher zu den beiden nächsten Filmen nachlesen. Und ausgerechnet die Degeto, die große deutsche Fernsehschmonzettenfabrik, finanziert seit Jahren Thomes Filme mit, was man ruhig als eine Art Abbitte betrachten darf. “Pink” ist der Film von Hannah Herzsprung, einem neuen Mitglied der weitverzweigten Thome-Großfamilie, aus der auch diesmal viele vertraute Gesichter zu sehen sind. Hannah Herzsprung spielt nicht einfach die Titelfigur, eine junge Punkdichterin, sie trägt den Film mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit. So schön, so geheimnisvoll, so kindlich und zugleich erwachsen wie Thome und seine Kamerafrau Ute Freund hat sie noch keiner aussehen lassen. Pink hat drei Verehrer, sie kalkuliert mit dem Taschenrechner, wen sie heiraten soll, und verrechnet sich natürlich. Mit dem Geschäftsmann (Guntram Brattia) ist sie einsam, verlässt ihn, und er erhängt sich. Der Verleger (Florian Panzner) ist untreu, beschert ihr einen Tripper und wird mit vorgehaltener Pistole aus der Wohnung gejagt. Was in der Ehe mit dem freundlichen Landidyllbewohner (Cornelius Schwalm) geschieht, sollte man nicht verraten. Es reicht zu sagen, dass “Pink” ein Märchen ist, so wie es auch reicht, anzudeuten, mit welchen Gedichten Pink so erfolgreich ist. Und nach all den Thomefilmen, die immer einfach, klar und einleuchtend fotografiert waren, die nie malerisch sein wollten und auch nicht dokumentarisch, ist “Pink” der Film, dessen Farben intensiver leuchten, dessen Lichtsetzung schöner ist als sonst, weil die Bilder “durchkomponierter” wirken, ohne mit dieser geleckten Hochglanzoptik zu prahlen. Natürlich muss man sie mögen, diese scheinbare Naivität, diesen unbekümmerten Alltagsmärchenton von Thome. Es sieht so simpel aus, so anstrengungslos, es ist auf eine so diskrete wie charmante Weise ein wenig durchgedreht, wie das nur Thome kann. Vor dreißig Jahren hat er (mit Cynthia Beatt) mal einen ethnographischen Spiefilm gedreht, “Beschreibung einer Insel”. Mittlerweile bilden seine Filme selbst den noch zu entdeckenden Archipel Thome: eine Welt, die ihre eigene Währung hat und in der die Konventionen des Erzählens einem rapiden Kursverfall unterliegen – von dem der Zuschauer profitiert. Peter Körte in FAZ am Sonntag, 16.08.09 | ||
Kleine Kulturlandschaft PRÄSTABILIERTE HARMONIE Rudolf Thome pflegt mit seinem neuen Film "Pink", der von den Umwegen einer jungen Dichterin zu ihrem Herzensmann erzählt, weiter seine Nische Rosen, Chrysanthemen, Orchideen - welche Blumen werden der Dichterin wohl am meisten zusagen? Drei Männer mit drei Sträußen stehen in Leipzig freundschaftlich nebeneinander. Sie warten alle drei auf dieselbe Frau: Susi Bauer, Künstlername Pink, höchst erfolgreiche Dichterin und angebetetes Wesen. In einem Lokal namens Heaven's Gate wird der Abend gefeiert, doch dann gibt es eine Enttäuschung. Keiner von den dreien wird an diesem Abend der Glückliche sein, sie müssen alle allein schlafen, denn Pink hat in einer Kirche einen Auftrag von Gott bekommen. Sie kann nicht länger in der glücklich Eintracht einer dreifach offenen Beziehung leben, sie muss sich entscheiden und ihrer Entscheidung auch noch eine sakramentale Form geben. Pink will heiraten, weil sie von ihrem Vater aber gelernt hat, dass Liebe "planmäßiges Vorgehen und eiserner Verstand" ist, entscheidet sie mit der Rechenmaschine. Aussehen, Körperkraft und was der Eigenschaften mehr sind rechnet sie von jedem ihrer drei Männer genau nach Punkten aus, den Zuschlag, das Ja vor dem Altar, bekommt der mit den meisten Punkten: Carlo, der kompromisslose Geschäftsmann. Georg und Balthazar gehen leer aus, sie fügen sich in ihr Geschick, ganz so, als wüssten sie, dass dieses eine "Ja" von Pink noch nicht das letzte Wort ist. Für Menschen, für die "Pink" nicht der erste Film von Rudolf Thome ist, muss die Entscheidung für Carlo ohnehin dubios erscheinen. Das mondäne, aber auch ein wenig arg funktionalistische Dachgeschossbüro, von dem aus er seine Geschäft macht, deutet schon zu Beginn darauf hin, dass das nicht die Welt ist, in der Susi Bauer ihr Glück finden wird. Um nichts Geringeres als das Glück geht es aber in "Pink". Nicht um ein Happyend, nicht um den richtigen Partner, sondern um das große Ganze - Einheit, Natur, Sonne, Seligkeit. Die Objektwahl bildet dabei nur einen Teil, aber eben den entscheidenden, denn der Mann erschließt der Frau in "Pink" ganz traditionell eine Welt. Ihre eigene Welt, die der Lesungen, der Signierstunden, der Fernsehinterviews, ist der filmischen Erzählung nicht weiter wert, sie wird mit ein paar halb bissigen Szenen abgetan. Hannah Herzsprung spielt Pink, diesen Star eines Literaturbetriebs, den es so unbedarft, wie Thome ihn erscheinen lässt, in Deutschland wohl doch nicht gibt. Ein Buchtitel wie "Kopfsprung ins Leben" verweist auf das sprachliche Niveau, das die Gedichte von Pink haben. Es zeugt von dem ganz besonderen Status, den Rudolf Thome sich im Lauf vieler Jahre und zahlreicher schöner Film erarbeitet hat, dass er eine Rolle wie die der Pink mit einer Schauspielerin wie Hannah Herzsprung besetzen kann, und dass diese sich mit der allergrößten Selbstverständlichkeit auf eine Rolle einlässt, die hart am Rande der Karikatur entlangschrammt. Das mag zum Teil den Produktionsumständen geschuldet sein. Denn Rudolf Thomes Filme sind zuletzt immer mehr zu skizzenhaften Variationen eines großen Themas geworden, die Figuren (vor allem die Männer) gehen ineinander über, und so ist auch "Pink" eigentlich eher so etwas wie ein weiterer Auftrag auf ein großes Gemälde als ein vollständig ausgearbeiteter Film. Das große Thema ist das des erfüllten Lebens, vor allem das der Frauen und in Beziehung dazu das der Männer. Thome begnügt sich dabei mit einfachen Figuren, die nur aus wenigen Eigenschaften zusammengesetzt zu sein scheinen, ganz so, als wäre es gar nicht so wichtig, dass sie zu voller Subjektivität heranwachsen, solange sie nur ihren Ort in dem idealistischen Weltentwurf finden, den Thome ihnen zuweist. In "Pink" geht er noch einmal einige Riesenschritte weiter in Richtung einer prästabilierten Harmonie, denn die Umwege der jungen Dichterin zu ihrem Herzensmann sind recht schnell als solche durchschaubar, und der Richtige muss nur geduldig im Ohrensessel sitzen bleiben, bis seine Zeit gekommen ist. Der relevante Moment von "Pink" ist dann der, in dem Thome sich selbst - als Regisseur und Autor - vor die einzige dramatische Entscheidung des Films stellt. Er lässt sie mit Bedacht verstreichen, und wählt das Glück im Winkel, in den die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH fährt. Auch hier wird, wie schon in "Rauchzeichen" (2005), ein Teich angelegt - das unabgründige Gewässer wird allmählich auch zu einer Metapher für das Werk von Rudolf Thome, das sich aus dem offenen Meer des Lebens immer mehr auf die kleine Kulturlandschaft zurückzieht, die er mit einem Film wie "Pink" daraus abgrenzt. Bert Rebhandl in TAZ, 20.08.2009 | ||
Die Poesie des Banalen Neu im Kino: „Pink“ von Rudolf Thome Im November wird Rudolf Thome siebzig, Filme dreht er seit über vierzig Jahren; und doch gelingt ihm immer wieder das Phänomen, seine Geschichten mit dem Mut zum Risiko und der Neugier eines Debütanten zu erzählen. Dabei wirken seine Werke auf den ersten Blick mitunter fast belanglos. Erst der zweite offenbart die sorgfältige Komposition von Geschichte und Inszenierung; selbst wenn sich so manches beinahe wie von selbst ergeben hat. Aber auch das ist ja eine Kunst: dem Zufall die Chance zu geben, Bilder und Inhalt so zu gestalten, dass die Darsteller und das Leben eigene Akzente setzen können. Und manchmal muss man das Glück auch erzwingen: wenn ein Drehbuch mit einer Schneeszene endet und es beim Drehen tatsächlich zu schneien beginnt. Das Wetter spielt auch in „Pink“ eine große Rolle, und Thome scheut sich nicht, die Jahreszeiten klischeehaft als Metapher zu nutzen. Drei mal heiratet seine Heldin (Hannah Herzsprung): im Herbst, im Winter und im Frühling; doch erst die dritte Verbindung verspricht dauerhaftes Glück. Im Grunde ist das die ganze Geschichte: Ein junges Mädchen sucht die Liebe, hört aber nicht auf ihr Gefühl, sondern geht die Partnerwahl wie eine Geldanlage an, indem sie Vor- und Nachteile mit Hilfe von Punktesystem und Taschenrechner gegeneinander aufwiegt. Das kann vielleicht sogar funktionieren, aber Dichterin Pink, trotz ihrer eher belanglosen Reime gefeiert wie ein Popstar, ist in der Liebe so drastisch wie in der Poesie. Wenn ihr ein Vers nicht gefällt, klappt sie einfach den Laptop zu. Und wenn ihr ein Mann nicht geben kann oder will, was sie erwartet, macht sie einen klaren Schnitt, notfalls mit Gewalt: indem sie ihm buchstäblich die Pistole auf die Brust setzt. Mit soviel Radikalität kommt nicht jeder klar: Der vielbeschäftigte Geschäftsmann Carlo (Guntram Brattia) bringt sich um, als Pink ihn verlässt; „Liebe ist Mord“ lautete zuvor einer ihrer Zeilen. Und während sich der Gatte das Leben nimmt, gibt sich die Angebetete einer Psychotherapeutin (Christina Hecke) hin, die ihre Gedichte gelesen und sich Hals über Kopf in die junge Poetin verliebt hat. Auch der im Winter geehelichte Mann Nummer zwei (Florian Panzner) trägt Pink nur am Hochzeitstag auf Händen. Als er ihr später einen Tripper andreht, ist diese Ehe ebenfalls zu Ende, und endlich ist der Weg frei für Balthazar (Cornelius Schwalm). Der deutlich ältere dritte Liebhaber dürfte ohnehin Thomes Lieblingsfigur sein, denn Balthazar ist wie der Film: vordergründig wenig geheimnisvoll und sogar beinahe banal, aber für Überraschungen gut; und außerdem eine treue Seele. Balthazar lässt den Dingen ihren Lauf und kann sich, da offenbar kurz zuvor zu Wohlstand gekommen, rund um die Uhr der Pflege seines Gartens wie auch der gemeinsamen Liebe widmen, während Blumen, Büsche und Bäume blühen, was das Zeug hält. Dass er seine Gefühle gern als Sprechgesang zum Besten gibt, lässt ihn allerdings etwas skurril erscheinen. Thomes Filme („Berlin – Chamissoplatz“, „Der Philosoph“) waren immer schon ähnlich konsequent wie Pinks Dichtkunst. Es schien ihm nie wichtig zu sein, ob man sie mag oder nicht. Sieht man mal davon ab, dass die Schnittfrequenz von „Pink“ deutlich flotter ist als in früheren Werken, hat sich an dieser Haltung knapp vier Jahrzehnte und rund dreißig Filme nach „Rote Sonne“ nicht viel geändert. Und doch gelingt es ihm wie kaum einem anderen, die Poesie in der Banalität des Alltags zu entdecken. Natürlich spielen beim Titel „Pink“ (die Parallele zur gleichnamigem Sängerin ist in der Tat Zufall) auch die Farben eine große Rolle: Thome unterstreicht das familiäre Frühlingsglück am Ende, indem er Pink, Balthazar und das gemeinsame Baby mitten im frühlingsbunten Garten auf einer knallroten Decke platziert. Dabei hätte man sich schon bei der ersten Eheschließung denken können, dass Pink am Ende beim bodenständigen Balthazar landen wird: Da erfährt man nämlich, dass sich hinter dem farbenfrohen Pseudonym ein Mädchen namens Susi Bauer verbirgt. Tilmann P. Gangloff in "Südkurier" 20.08.2009 | ||
PINK Auf seiner Website hatte Rudolf Thome einmal davon gesprochen, dass dieser „unglaubliche Film“ die „Thome-Welt“ umzustürzen imstande sei: Seine Feinde würden ihn lieben, seine Freunde ihn hassen. Mittlerweile sitzt Thome bereits an neuen Projekten und hat seine Erwartungen an „Pink“ etwas relativiert. Allzu viele Gründe, in die Defensive zu gehen, gibt es aber nicht, denn „Pink“ wartet in der Tat mit einer überraschenden Kino-Erfahrung auf. Was Thome hier erzählt, ist gewissermaßen die Essenz von gut 100 Folgen „Verbotene Liebe“ oder „Lindenstraße“, bloß, dass „Pink“ sich all die trivialen Handlungsretardationen und Intrigen-Ornamente spart und nur die Höhepunkte aneinanderreiht. „Pink“ lebt von der Spannung zwischen dem Erzählten und dem Gezeigten und der Verdichtung von Gesten und Posen. Weil man das alles schon Hunderte Male gesehen hat, spart Thome sich die Zeit und kommt lieber auf den Punkt. Dabei ist es schwierig, die Erzählhaltung hinter „Pink“ genau zu bestimmen. Thomes Grundeinstellung zur Geschichte, die er erzählt, ist ironisch, aber in jeder Szene dieser Reihung von Ellipsen geht es gänzlich unironisch um alles. Lässt man sich auf dieses ungewöhnliche (latent auf Carl Sternheim verweisende) Erzählverfahren ein, erlebt man ein Abenteuer, dass in manchem an Truffauts „Die Braut trug schwarz“ (fd 15 362) erinnert, was weniger mit der Handlung als mit der vorzüglichen Kameraarbeit von Ute Freund und der perfekten, den Mehrwert der Szenen betonenden Musik von Katia Tchemberdji zu tun hat. Voila, Nouvelle Vague! Worum geht es? Drei Hochzeiten und ein Todesfall! Ein Märchen aus uralten Zeiten! Eine Rückkehr ins Paradies in der Larve der bürgerlichen Kleinfamilie. Mit dunkler Perücke und überdimensionaler Sonnenbrille wird aus der ehemaligen Klosterschülerin Susi Bauer die vergötterte Punk-Dichterin Pink, die sich den Luxus leistet, gleichzeitig drei Männer zu lieben. Susi ist ein Waisenkind, doch Pink besitzt einen Waffenschein, um aufdringliche Fans zu verscheuchen. Pink weiß eines genau: „Liebe ist Mord!“ Ihre drei Verehrer könnten unterschiedlicher nicht sein, sind aber nur unterschiedliche Facetten eines „kompletten“ Mannes. Carlo ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und viel unterwegs, Georg ein extrem modebewusster, eitler, hedonistischer Verleger, Balthazar ist Musiker, durch einen Lottogewinn finanziell unabhängig auf dem Land lebend. Da die drei Männer allesamt sehr wohl erzogen sind, könnte diese menage à quatre sehr schön sein, doch eines Tages befiehlt Gott Susi Bauer, sie möge sich doch bitte für einen der Männer entscheiden. Leider hat die Stimme Gottes ihr nicht die Qual der Wahl erspart. Pink vertraut auf die alte sowjetische Weisheit: Liebe = das Produkt planmäßigen Vorgehens + eisernem Verstand. Folglich versucht sie es mit Arithmetik, listet mit reichlich Stirnfalten und Taschenrechner die Pros und Contras der Bewerber – und Carlo bekommt den Zuschlag. Es wird geheiratet, doch Carlo ändert nicht sein Leben, kümmert sich nicht um Pink, ist viel unterwegs. „Pinkilein“ aber hat keine Lust, allein zu sein. Die Trennung erfolgt per SMS. Während sich Carlo – etwas sehr theatralisch mit Countdown – in seinem Büro erhängt, experimentiert Pink, wie sich die Liebe (oder der Sex?) mit einer Frau anfühlt. Später wird sie sagen: „Ich habe dazu gelernt.“ Dann ist Georg an der Reihe. Mit ihm kann man reisen und Abenteuer erleben, doch er ist nicht treu, will Pink, aber auch Sex und Drogen. Bleibt Balthazar, dessen aufreizend milde Geduld belohnt wird. Sah man zu Beginn eine urbane Punk-Dichterin mit den um sie buhlenden Männern, sieht man am Ende eine Mutter mit Mann, Kind und Bauernhof. Solch konservatives Idyll sollte man freilich nicht zu ernst nehmen, weil Thome das glückliche Paar zuvor gemeinsam bei einem Konzert gezeigt hat: Sie singt ihre bedeutungslosen Reime, er spielt die Gitarre, ohne auch nur einmal den Akkord zu wechseln. Selten wurde Mittelmäßigeres so emphatisch vom Publikum gefeiert! Noch radikaler und wirklich provozierend unbekümmert als in seinen letzten Filmen präsentiert Thome die reine Oberfläche des Erzählens. „Pink“ zeigt alles, was einfach so da ist. Hier ist nichts symbolisch oder allegorisch zu verstehen, hier folgt eine Erzählung den Einfällen eines Erzählers, der solche und ähnliche Geschichten seit Jahrzehnten erzählt und sich selbst nicht langweilen will. Ob man die ländliche Idylle am Ende als ironisch oder im Sinne einer konservativen Utopie begreift, liegt im Auge des Betrachters. Die kindlich-naive, nicht allzu kluge Pink praktiziert „Learning by Doing“, jede Station ist ein kleiner Irrtum auf dem Weg zum Glück. Susi Bauer probiert sich aus, gibt sich selbstbewusst und weiß doch: „Ich bin überhaupt nicht neugierig!“ Als sie sich zu Beginn für Carlo entscheidet, ist sie geradezu erleichtert: „Jetzt liegt alles bei dir, jetzt musst du mich glücklich machen.“ In welchem anderen deutschen Film der letzten Zeit wurde eine junge Punk-Dichterin beim Suchen von Ostereiern im Garten gezeigt? Verspottet hier vielleicht der alte Feminist Thome eine Generation von Nachgeborenen, die unter den geerbten Emanzipationsansprüchen ihrer Mütter ächzen? Oder ist „Pink“ einer Männerfantasie? Man staunt, wie jung, frisch und böse sich „Pink“ neben all den bleischweren deutschen Beziehungsdramen der Saison ausnimmt. Man muss nur staunen wollen! Ulrich Kriest in film-dienst 17/2009 | ||
Pink Der 32. Film von Thome, wieder selbst produziert, liegt konsequent auf der Linie seiner Vorgänger: seriell angelegte Versuchsanordnungen der Paarung – bis sich am Ende doch noch die Richtigen finden. Pink ist eine junge Frau mit rundem Kindergesicht, die sich à la Femme fatale hinter dunklem Perückenpony und Sonnenbrille verbirgt, wenn sie ihre weltberühmten Gedichte in vollen Sälen vorträgt. Am Strand, im Garten, wo auch immer, hackt sie Zeilen in ihr silbriges Notebook, die sich dann in Riesenlettern wie ein Mädchentagebuch lesen, zum Beispiel so: »Ich habe gelacht und geweint/meine Uhr ist ins Meer gefallen.« Hannah Herzsprung spielt in Rudolf Thomes Pink wie gewohnt einen zornigen weiblichen Ego-Shooter, allerdings mit ro mantisch weichen Zügen, die im Lauf des Films scriptbedingt immer mehr die Oberhand gewinnen. Rudolf Thomes Universum ist eine rührend altmodische Männerfantasie, ein ewiges Loblied auf anschmiegsame weibliche Wesen und komisch-konfuse Männer. Doch Pink kommt als Kinokunstfigur daher, deren Èducation sentimentale ironisches Vergnügen bereitet. Es mag am schnörkellosen 90-Minuten-Format liegen, an den ge lassen servierten Genre-Versatzstücken, dem ausgeruhten Schauspielteam und den Kamerabildern von Ute Freund, dass Thome eine abgründig unernste Romantic Comedy ge lungen ist. Das Schlussbild spricht für sich: Mama Pink samt Papa und Baby auf einer Picknickdecke im Garten. Mit Produktionsgeldern der Fernsehkitschfirma Degeto macht Thome vor, wie man Klischees durch gutes Timing und beiläufige Dialoge auf die Schippe nimmt. Pink, die eigentlich Susi heißt, hat drei Geliebte mit so sprechenden Namen wie Georg Heilig (Florian Panzner), Carlos Bauer-meister (Guntram Brattia) und Balthasar Beck (Cornelius Schwalm). Drei Mal wird geheiratet, zwei Mal nimmt es kein gutes Ende. Der erste Mann hastet vom Flugplatz in sein gläsernes Loft-Büro und veranlasst die Poetin zu einer farbsatten Zerstörungsorgie in der gemeinsamen Wohnung. Als der Gatte sich nach ihrer Trennung in seinem Büro das Leben nimmt, hinterlässt er einen Zettel mit dem Satz: »Ich tue immer, was ich sage.« Der zweite Ehemann zeigt Pink in einem Strandhaus das wahre kalifornische Lebensgefühl, steckt seine Frau jedoch nach einem »Ausrutscher« mit Tripper an. Die Ärztin will einen Termin mit beiden verabreden, was Pink mit der Bemerkung ablehnt: »Nicht nötig, ich werde ihn erschießen.« Der dritte Mann, Balthasar, wartet in seinem Brandenburger Landhaus den ganzen Film über gelassen auf die Geliebte, extemporiert seine Gefühle in gemurmeltem Bluesgesang – ohne Angst vor Lächerlichkeit. Auf romantischen Spaziergängen, deren landschaftliche Schönheit die Kamera zelebriert, findet das Paar allmählich zueinander. Rudolf Thome feiert einen langsameren Rhythmus und feiert das Glück im stillen Winkel mit Herbst-, Winter- und Frühlingsfarben, inszeniert ein Ostereiersuchen als kleines Liebesfest und erzählt so die Geschichte einer Heilung vom Stadtleben, dem Bohemegehabe mit permanentem SMS-Gewitter und abrupten Liebesenttäuschungen. Die konservative Innerlichkeit seines Kinos wäre unerträglich, wenn seine Erzählformen nicht dessen bodenlose Märchenhaftigkeit offenlegen würden. Claudia Lenssen in epd Film 8/2009 | ||
Thome hier, Thome da Ich habe ja mit meiner Wertschätzung für Rudolf Thomes PINK bisher nicht hinterm Berg gehalten und schreibe gerne ausdrücklich noch mal, dass das mit ziemlicher Sicherheit der beste deutsche Film dieses Jahres nicht nur ist, sondern auch bleibt. Ab Donnerstag ist das hinreißende kleine Meisterwerk in deutschen Kinos zu sehen, in ein paar davon jedenfalls. Ich zitiere kurz noch aus Lukas Foersters neuer Kritik zum Film bei Critic.de Rudolf Thome dreht solche Filme seit gut vier Jahrzehnten: Kleine Fabulierstücke voller erzählerischer Leichtigkeit und freischwebender, in nichts weiter als der menschlichen Natur geerdeter Fantasie, echtes Kino in Äquidistanz zu prätentiösem Kunstwillen und den Mechanismen des kommerziellen Filmschaffens. Und aus Peter Körtes Kritik in der Sonntags-FAZ: Und nach all den Thomefilmen, die immer einfach, klar und einleuchtend fotografiert waren, die nie malerisch sein wollten und auch nicht dokumentarisch, ist „Pink“ der Film, dessen Farben intensiver leuchten, dessen Lichtsetzung schöner ist als sonst, weil die Bilder „durchkomponierter“ wirken, ohne mit dieser geleckten Hochglanzoptik zu prahlen. Natürlich muss man sie mögen, diese scheinbare Naivität, diesen unbekümmerten Alltagsmärchenton von Thome. Es sieht so simpel aus, so anstrengungslos, es ist auf eine so diskrete wie charmante Weise ein wenig durchgedreht, wie das nur Thome kann. Allen in Berlin Lebenden, die die Wieder- oder Erstbegegnung mit den Filmen des Regisseurs suchen, sei die Thome-Reihe im Lichtblick-Kino (pdf) ans Herz gelegt. Dort werden, beginnend am Samstag um 22.45 mit PINK in Anwesenheit von Hannah Herzsprung und Rudolf Thome, frühe Klassiker wie ROTE SONNE und BERLIN CHAMISSOPLATZ ebenso gezeigt wie der aufs Angenehmste relaxte PARADISO, SIEBEN TAGE MIT SIEBEN FRAUEN mit Hanns Zischler sowie RAUCHZEICHEN aus der Hannelore-Elsner-Phase. (DIE SONNENGÖTTIN, die auch zu sehen ist, gehört mit ihrem arg esoterischen Einschlag, vorsichtig gesagt, nicht zu meinen Lieblings-Thomes.) Auch noch einmal hingewiesen sei bei der Gelegenheit auf den von Ulrich Kriest herausgegebenen Thome-Band "Formen der Liebe", der zum 70. Geburtstag des Regisseurs im November bei Schüren erscheinen wird. (Darin, full disclosure, ein Text von mir zu PINK.) Ekkehard Knörer in CARGO, 18.08.2009 | ||
LIEBESKOMÖDIE Eine junge Frau hat drei Verehrer, die sie in einer langen Nacht kritisch bewertet. Dem Punktsieger winkt die Hochzeit. Das geht schief – wie vieles in dieser Komödie. Doch wenn sich Originalität und Klischee heftig reiben, springt ein Funke über. Vor allem, wenn die Hauptfigur Hannah Herzsprung heißt. Was mag wohl jemand von "Pink" denken, der nie zuvor einen Film von Rudolf Thome gesehen hat? Soll man ihn darum beneiden, dass er es zum ersten Mal erleben darf, das Staunen über die wunderliche Kombination aus anmutiger Frische und altbackenem Charme, die der bald 70 Jahre alte Regisseur zu seiner eigenen Kunstform entwickelt hat? Thomes große Liebe gilt jenem Genre, das oft verächtlich "Romcom" genannt wird, was für "romantic comedy" steht und prosaisch mit "Liebeskomödie" zu übersetzen wäre. Handlungstechnisch kann es "Pink" bestens mit der unbekümmerten Unwirklichkeit der üblichen Hollywood-Liebeskomödien aufnehmen: Eine junge Frau hat drei glühende Verehrer. In einer langen Nacht werden sie nach Kriterien gelistet und bewertet, dem Punktsieger bietet sie die Heirat an. Das geht schief. Darauf heiratet sie den Zweitplatzierten, und als auch das schiefgeht, den dritten. Die letzte Szene im Film zeigt sie mit einem Baby im Arm. Kein Zweifel: Es ist eine Geschichte, wie es sie nur im Kino gibt. Das, und darin besteht der Triumph von "Pink", gilt aber auch umgekehrt: Es gäbe das Kino nicht ohne solche Geschichten. Man kann sich gut vorstellen, wie die Hollywood-Version dieser Drehbuchidee aussähe: Katherine Heigl oder Rachel McAdams wird über einen Hindernisparcours von Ungeschick, Missverständnis und Enttäuschung gejagt, orchestriert von Situationskomik und spritzigen Dialogen – um sich am Ende in einem süßlichen Happyend aller Ecken und Kanten zu entledigen. Bei Rudolf Thome fehlen eigentlich nur die Situationskomik und die spritzigen Dialoge, ansonsten bleibt sich das Muster gleich. Erstaunlicherweise nimmt man das nicht als Mangel wahr, sondern als Bereicherung: Thomes Figuren sind auf gewissermaßen deutsche Weise schwerfällig. Entstand nicht die Romantik aus einer ganz ähnlichen Schwerfälligkeit heraus? Pink, die titelgebende Hauptperson, ist nicht umsonst von Beruf Dichterin. Für ihre Bühnenauftritte zieht sie sich eine schwarze Perücke über und rezitiert mit brüchiger Stimme vor ergebenem Publikum. Hannah Herzsprung spielt sie als aufregende Mischung aus Natürlichkeit, Temperament, Unabhängigkeitsstreben und Anlehnungsbedürfnis. Zudringliche Fans verjagt sie schon mal mit dem Revolver, aber wenn ein Mann sie zu lange alleine lässt, wird sie weinerlich. Von ähnlicher Typenhaftigkeit sind auch die drei Männer, die sie letztlich wie Kleider durchprobiert: Carlo (Guntram Brattia) ist der Erfolgsmensch mit gläsernem Büro über den Dächern von Berlin. Georg (Florian Panzner) liebt das gute Leben ein bisschen zu sehr. Der dritte schließlich, Balthazar (Cornelius Schwalm), ist ein kauziger Einzelgänger. Wie es sich gehört bei Liebeskomödien, weiß man eigentlich von Anfang an, dass er der Richtige sein wird. Aber wenn sich Originalität und Klischee so heftig wie bei Thome reiben, springt auf jeden Fall ein Funke über. Barbara Schweizerhof in "Die Welt", 20.08.09 | ||
Ich, die Wölfin Zu einem gelungenen Liebesfilm gehört mehr als nur ein Paar, das sich tief in die Augen blickt. Der Zuschauer muss auch die Liebe derjenigen spüren, die hinter der Kamera stehen. Sie ist in Rudolf Thomes Film „Pink“ allgegenwärtig. Ob die Dichterin Pink im roten T-Shirt vor einem blauen Hintergrund sitzt oder im lilafarbenen T-Shirt vor giftgrünem Hintergrund: Bei jeder Gelegenheit spielt Thome mit Farben, und die präzise Lichtsetzung seiner Kamerafrau Ute Freund sorgt dafür, dass die Farben miteinander harmonieren. Liebe spricht auch aus der Musik von Katia Tchemberdji, die den Geist der sechziger Jahre atmet. Sie klingt nach Nouvelle Vague, nach Georges Delerue vielleicht; etwas schief und jazzig, aber doch melodisch. Es gibt sogar ein Leitmotiv für die Hauptfigur. Für sie hat Thome eine neue Muse gefunden: Hannah Herzsprung liebt die Kamera, und die Kamera liebt sie. Sie ist das seltene Beispiel einer Schauspielerin, die es sich leisten kann, narzisstisch zu sein. Liebe, wohin man schaut – wie schön wäre es, wenn es auch zwischen Pink und ihren drei Verehrern funken würde. Guntram Brattia ist der Geschäftsmann Carlo, ein auf den ersten Blick kalter Mann, der bald sanfte und depressive Züge offenbart. Florian Panzner spielt den Verleger Georg, einen StandardTraummann mit Siegerlächeln, dessen erster Auftritt nicht zufällig in einem Schuhgeschäft stattfindet. Thome mag Männer wie ihn nicht; das wird deutlich, wenn er Georg eine Kokainparty mit vier Prostituierten feiern lässt. Hier wird der französischste unter den deutschen Regisseuren plötzlich prüde. Der dritte Bewerber ist Cornelius Schwalm als Balthazar, ein liebenswert-trotteliger Ökobauer, der hobbydichtet (grottenschlecht) und singt (noch schlechter) und „irgendwie“ reich geworden ist. Man erfährt nie, wie Pink diese Männer kennengelernt hat. Nichts gegen Auslassungen. Aber in diesem Fall kann man sich die erste Begegnung nicht einmal vorstellen. Thomes Ehrfurcht vor Frauen ist spürbar, allerdings auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Er deutet auf ein paar Abgründe, die er nicht näher erforschen möchte. Pinks verstorbener Vater spielt eine wichtige, leider ungeklärte Rolle. Endlich besucht sie eine Psychoanalytikerin, doch die Analyse interessiert Thome nicht. Für ihn ist die Episode nur Vorwand, Pink mit einem lesbischen Abenteuer zu versehen. Pink braucht keinen Mann, schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Als Dichterin ist sie erfolgreich. Ihre Lesungen, die sie mit Gisela-Elsner-Perücke abhält, werden von Bravorufen begleitet. Die erste Kostprobe ihrer Dichtkunst lautet: „Ich werde schreiben bis ich tot bin.“ Das nimmt man ihr nicht ab, dazu wirkt sie zu wenig besessen. Manchmal stammelt sie auch nur: „Kopf ... leer ... Zorn.“ Auf ein Gedicht ist Thome sogar so stolz, dass er es zweimal wiederholen lässt: „Heute ist Vollmond / Heute bin ich eine Wölfin / und heule den Mond an.“ Und findet doch dafür keine entsprechenden Bilder. Eine zornige Dichterin, die heult und beißt: Thome kokettiert mit dem Exzess, und Hannah Herzsprung könnte ihm Ausdruck verleihen. Aber für den Regisseur ist Liebe gleichbedeutend mit Harmonie. Solange er sich damit begnügt, ist er ein Meister. Frank Noack im Tagesspiegel, 22. 08. 2009 | ||