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Das Sichtbare und das Unsichtbare Das Œuvre eines Künstlers ist niemals abgeschlossen. Selbst nach seinem Tod ist es noch ständigen Veränderungen ausgesetzt. Es ist ein stetiges Wachsen und Wandeln. Dies gilt natürlich erst recht für das Werk eines noch aktiven Künstlers. Mit jeder neuen Arbeit erhält sein Gesamtwerk eine neue Facette. Zugleich gibt es da aber auch immer eine gewisse Beständigkeit. Kein Gemälde und kein Roman, keine Komposition und kein Film kommt aus dem Nichts. Jedes neue Werk steht in einem unaufhörlichen Dialog mit allem, was vorher war, und allem, was noch kommen wird. Aus ihm erwächst ein überaus komplexes Gefüge, einem lebenden Organismus durchaus vergleichbar, dessen Herz dieses so fragile Gleichgewicht aus Altem und Neuem, Wandel und Kontinuität, ist. So kann ein Künstler wie der Filmemacher Rudolf Thome sich mit jeder Arbeit wieder neu erfinden und sich doch zugleich immer treu bleiben. Seit mehr als 40 Jahren dreht Thome schon Filme, die Teile eines großen, sich aber ständig verwandelnden Puzzles gleichen. Mit dem melancholischen Künstlerdrama „Das Sichtbare und das Unsichtbare“, seinem 25. Langfilm, hat er diesem Puzzle nun ein ganz besonderes Stück hinzugefügt. Diese grandiose Chronik eines Abschieds markiert einen in seiner Konsequenz schon erschreckenden Endpunkt, aber eben auch einen neuen Anfang. Nach diesem künstlerischen Befreiungsschlag ist alles möglich. Der Maler Marquard von Polheim (Guntram Brattia) steckt in einer tiefen existentiellen Krise. Eigentlich müsste die Verleihung des mit 100.000 Euro dotierten Paul-Gaugin-Preises so etwas wie der Höhepunkt seiner Karriere sein. Endlich wird ihm die Anerkennung zuteil, die ihm so lange verwehrt geblieben ist. Doch er hat innerlich schon mit seiner Kunst abgeschlossen, und so erinnert ihn die Ehrung nur an das, was er glaubt, für immer verloren zu haben. Um seiner Verachtung für die Kunst-Welt Ausdruck zu verleihen, kommt er betrunken und viel zu spät zu der Verleihung. Und als wäre das nicht schon Provokation genug, hält er eine zynische Dankesrede, in der er sich beklagt, dass dieser Preis 20 Jahre zu spät komme. Als er sich schließlich kaum noch auf den Beinen halten kann, bringt ihn seine langjährige Lebensgefährtin, die Malerin Maria Döbereiner (Hannelore Elsner), nach Hause. Ihre Beziehung steckt schon seit einiger Zeit fest, aber dieser Abend ist der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie unternehmen zwar ein paar Tage später noch einmal einen gemeinsamen Ausflug zu einem See, aber die Kluft zwischen ihnen können sie nicht mehr überbrücken. Und so lässt sich Marquard zunächst auf eine Affäre mit seinem Model Angie (Stefanie Roße) ein und fährt dann für drei magische Tage mit seiner Tochter Lucia (Anna Kubin) an die Ostsee. Maria trifft sich währenddessen wieder mit ihrem früheren Freund, dem Philosophen und Pferdezüchter Gregor (Hansa Czypionka). „Das Sichtbare und das Unsichtbare“ – so nennt Maria das Bild, das sie in der Zeit malt, in der Marquard nach und nach immer weiter aus ihrem Leben verschwindet. Es ist ein Werk ihrer Wut, der Hannelore Elsner mit jeder Faser ihres Körpers Ausdruck verleiht. Manchmal hat man fast das Gefühl, der Pinsel – Hannelore Elsner hat das Bild unter der Anleitung von Salomé selbst gemalt – würde in ihrer Hand zu einer Art von Waffe. In ihrem fünften Film mit Rudolf Thome präsentiert sich die so vielseitige wie nuancierte Grande Dame des deutschen Kinos als eine moderne Amazone. Nur kann diese Kriegerin ihren Groll in kreative, künstlerische Bahnen lenken. Marias wilde, stürmische Gefühle und dieser immer wieder aufbrandende Hass werden sichtbar und damit noch intensiver erfahrbar in den elementaren Farben, den verzerrten Formen des Gemäldes. Doch da ist auch noch etwas anderes: eine unendliche Sehnsucht und eine große Liebe, die jenseits des äußerlich Wahrnehmbaren liegen, aber trotz allem nicht weniger real sind als ihr Zorn, ihre Verzweiflung und ihre Verachtung. "Das Sichtbare und das Unsichtbare" – das könnte auch das Motto sein, unter dem Rudolf Thomes gesamtes Œuvre steht. Das Sichtbare ist die vom Filmemacher und seinem Team geschaffene Realität, die dann die Kamera einfängt und mit einer Geschwindigkeit von meist 24 Bildern pro Sekunde auf Filmmaterial bannt. Alles, was jenseits des Bildkaders liegt, was sich unserem Blick entweder entzieht oder verschließt, gehört also letztendlich weder zur Wirklichkeit des Films noch zu unserer alltäglichen Realität. Es ist das wahrhaft Unsichtbare und damit gänzlich ungreifbar. Jeder Versuch, es doch in Worte zu fassen, führt direkt ins Reich des Metaphysischen. Aber bei Thome genügen sich die Bilder – auf jeden Fall erst einmal – selbst. Sie erzählen in einem ganz klassischen Sinne eine Geschichte, mit der gewissermaßen alles gesagt ist. In Thomes 25. Langfilm sind es sogar gleich zwei Geschichten, die zunächst wie eine beginnen, sich dann aber trennen und von da an parallel nebeneinanderher laufen. Aber eines ist ihnen zumindest doch gemeinsam. Sie zeichnen beide den Weg eines Künstlers zu sich selbst nach. Als wir Maria erstmals begegnen, steht sie im Badezimmer vor dem Spiegel und trägt Lippenstift auf. Zunächst sind ihre Bewegungen noch kontrolliert, doch dann passiert etwas in ihr. Sie verschmiert den Lippenstift rund um ihren Mund. Ihr Gesicht wird zu einer wüsten Clownsmaske, die aber nichts Heiteres und auch nichts Melancholisches hat. Dieser Verlust der Selbstherrschung wirkt vielmehr erschreckend. Da sind so viele aufgestaute, nicht einmal ansatzweise verarbeitete Gefühle in ihr, das man glaubt, sie könnte jeden Augenblick explodieren. Einst war ihre Beziehung zu Marquard so etwas wie die Erfüllung für die Malerin. Sie hatten sich in der Südsee auf der Insel Moorea kennen gelernt und sich dann einfach an diese zauberische Zeit geklammert, so als hätten sie das Licht der Insel mit nach Berlin gebracht. Nur hat sich ihre Liebe mit der Zeit als Sackgasse entpuppt, aus der Maria nun wieder heraus finden muss. Dass der Weg in die Freiheit auch der Weg zurück zu ihrem ehemaligen Geliebten Gregor ist, entspricht dabei ganz Rudolf Thomes Sicht auf das Leben. Vergangenheit und Gegenwart sind bei ihm immer eins; und gerade eine Kreisbewegung kann auch ein Fortschritt sein. Seine Figuren sehnen sich nach diesen zweiten Chancen, nach diesen Neuanfängen, die alte Fehler zwar nicht auslöschen können, ihnen aber einen neuen Sinn geben. Als wir Marquard zum ersten Mal sehen, rast er mit seiner Maschine über eine von Wald gesäumte Landstraße. Selbst in den schärfsten Biegungen geht er kaum mit dem Tempo herunter. Er legt sich vielmehr so tief in diese Kurven hinein, dass er den Asphalt fast zu berühren scheint. Wer so Motorrad fährt, den interessiert es nicht mehr, was mit ihm passiert. In diesem Rausch der Geschwindigkeit tritt ein Überdruss am Leben zutage, den Marquard auch später nicht überwinden kann. Selbst das Glück, das er in den stillen Tagen mit seiner Tochter am Meer empfindet, ruft nur den Wunsch nach dem Ende in ihm hervor. Trotzdem ist er, als er von der Ostsee zurückkommt und sich von Lucia verabschiedet, nicht mehr der Mann, der zu Beginn auf den Tod zugerast ist. Je näher Marquard seiner Bestimmung kommt, desto ruhiger wirkt Guntram Brattia. Die anfängliche Aggressivität seines Spiels weicht einer nicht weniger intensiven inneren Gelassenheit. In den kleinsten Gesten und Regungen offenbaren sich die Entschlossenheit und die Zufriedenheit eines Mannes, der sein Schicksal nicht nur akzeptiert, sondern aus ganzem Herzen umarmt. Die Subtilität von Brattias Darstellung hat etwas geradezu Umwerfendes. Seit Thome mit Hannelore Elsner dreht, also seit seinem 21. Film „Rot und Blau“, standen die männlichen Charaktere immer ein wenig im Schatten dieser Schauspielerin. Brattia ist der erste, der sich ihr gegenüber behaupten kann und seinem Charakter das gleiche Gewicht verleiht, das auch Maria hat. Aber Rudolf Thome ist nicht nur der Geschichtenerzähler, der ungebrochenen Zeugnis von den vielfältigen Irrungen und Wirrungen des Lebens abgelegt. Er ist auch der stille, unermüdlich suchende Metaphysiker unter den Filmemacher, die sich damals in der zweiten Hälfte der 60er Jahre anschickten, den deutschen Film noch einmal ganz neu zu erfinden. Seine Bilder mögen sich selbst genug sein, aber zwischen ihnen passiert immer etwas, das über das Sichtbare weit hinausgeht. Bei „Das Sichtbare und Unsichtbare“ hat er nun erstmals mit Fred Kelemen als Kameramann gearbeitet. Und es ist, als ob diese Zusammenarbeit noch einmal alles verändert hätte. Kelemens Bilder sind ungeheuer elegant – seine langsamen Fahrten und seine beinahe unmerklichen Zooms suchen ihres gleichen im deutschen Kino. Aber diese Schönheit kennt keine Milde. Sie paart sich mit einer Härte, die man so bisher noch nicht aus Thome Filmen kannte. Es ist die kühle, klare Schönheit eines in jeder Hinsicht perfekten Diamanten. Hier hat ein Filmemacher eine derartige Kontrolle über das Sichtbare, dass das Unsichtbare als Vision hinter den Bildern immer präsent ist. Thome selbst spricht in Interviews und in seinem Tagebuch oft von der Seele der Figuren, die im Spiel der Darsteller aufscheint. Und besser kann man diesen magischen Akt, der sein Kino so einzigartig macht, auch nicht beschreiben. Während man Hannelore Elsner und Guntram Brattia zusieht, hat man immer das Gefühl, einen so kostbaren wie rätselhaften Einblick in die Seele ihrer Charaktere zu erhalten. Und so tun sich hinter den Bildern Abgründe auf, in denen man zusammen mit Thome fast zu verschwinden droht. Vor allem der Blick in Marquards Seele lässt einen schwindlig werden – insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Thome selbst eine zeitlang glaubte, dies könnte durchaus sein letzter Film werden. Wer diese Schönheit und diese Dunkelheit geschaut, ist dem Tod näher, als je zuvor. Aber dieses Schwindelgefühl muss man aushalten, schließlich manifestiert sich in ihm das Unsichtbare, ohne das es keine große Kunst gäbe. Die Liebe gilt dem leichten Leben Künstler-Bohème in "Das Sichtbare und das Unsichtbare"Am Anfang macht einem der Regisseur Rudolf Thome ein bisschen Angst: Sein Maler Marquard von Polheim (Guntram Brattia) bekommt einen Preis. Schön. Nur kommt der Preis, wie er ins Rednermikro murmelt "zwanzig Jahre zu spät". Er habe nur noch wenige Bilder zu malen. Der Künstler ist besoffen am Ende, aber er weiß noch, was er sagt. Hier will einer nur noch aufhören. Thome ("Rote Sonne", "Berlin Chamissoplatz") gesteht, sich genau mit diesem Gedanken getragen zu haben. Allein sein nächstes Projekt ist schon unter Dach und Fach - da haben wir ja noch mal Glück gehabt! Seite Jahrzehnten schon ist der 69-Jährige ein zuverlässiger Chronist des Berliner Bürgertums. Nun hat er sich, nach seiner "Zeitreisen"-Trilogie, der alt gewordenen Künstler-Bohème zugewendet, aber das ändert nicht viel. Die einen sind mit ihren Aussteigerfantasien eben schon ein wenig weiter als die anderen. Marquard und seine ebenfalls malende Frau Maria (Hannelore Elsner) sind sogar schon mitten in der Krise. Auch was die Liebe angeht, Thomes ewig gleich schönes Thema, neben dem Glück. Die Liebe geht, aber sie bleibt nicht stehen. Maria geht, mit weißer Farbe im Gesicht, auf den "Kriegspfad". Marquard geht, weg vom gemeinsamen Wodkafrühstück, zuerst zu einem seiner Modelle und dann mit seiner Tochter an die See. Für andere wäre dieser selbsternannte wilde Mann mit der schwarzen Motorradlederjacke eine Witzfigur, für Thome verkörpert er mit der Annahme seines Scheiterns eine Utopie. Sie gilt dem leichten Leben, vielleicht auch dem Tod, jedenfalls etwas Neuem. Maria träumt noch immer von der Südsee, wo für beide alles begann; sie wird sich umorientieren müssen. Die Leichtigkeit - das könnte das Unsichtbare sein, von dem der Titel spricht. Viel spürbarer ist sie als das so offenkundig Sichtbare, die Resignation, mit der man doch nur seine Zeit verschwendet. Manches ist auch unsagbar. An der See überredet Lucia (Anna Kubin) ihren Vater zu einem Spiel: Bis er "den Zauber" spüre, dürften beide kein Wort sprechen. Den Zauber ihrer Intimität spürt man sehr bald, nur wollen beide nicht so schnell davon lassen. Wie die Kamera in diesen Szenen ein allumfassendes Einverständnis erzeugt, braucht tatsächlich keine Worte. Ginge das latent inzestuöse Verhältnis zum Äußersten, man fände wohl gar nichts dabei. Diese utopische Kraft, den Dingen ihren Lauf zu lassen, ist im deutschen Kino noch immer einmalig. In einen Film von Rudolf Thome geht man nicht, um sich aufklären zu lassen oder schlicht einer Handlung zu folgen. Nein, mit seinen Filmen breitet dieser Regisseur ein Lebensgefühl aus wie Maria ihre Picknickdecke, an die sich zu setzen jedem unbenommen ist. Sie sorgt dann schon dafür, dass es nicht zu kuschelig wird. In einem herrlichen Moment der Hassliebe frisst hier Hannelore Elsner, nun schon zum fünften Mal dabei, Teile des Preisgelds. Dann wieder lauscht sie wie entrückt dem flüssig dahinimprovisierten Gesang ihres Schauspielerkollegen Hansa Czypionka. Am Ende steht eine Katastrophe. Aber die Angst ist weg. Philipp Bühler in Berliner Zeitung, 6.12.07 DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE Rudolf Thomes Film über die letzten Tage eines Malers Eine wilde Raserei auf dem Motorrad. Dann ein stilles Besäufnis mit einem "Stolichnaya" nach dem anderen. Danach Pöbeleien im gehobenen Ambiente. Neugierig und voller Staunen wird erforscht, wie ein Mann ins Absonderliche abrutscht. So aufregend wie irritierend ist dabei, dass oft nur das Skizzenhafte des Geschehens angegangen ist, in dem das Situative dominiert, nicht das Narrative. Es geht um die letzten Tage eines angesehenen Malers, der in der Krise steckt. Als ihm ein hoher Kulturpreis verliehen wird, empfindet er die Auszeichnung als überholt, sie komme 20 Jahre zu spät. "Wenn einer am Ziel angekommen ist, dann sollte er aufhören." Er provoziert und schimpft - und trinkt, bis ihn die Frau, mit der er zusammenlebt, ins Bett bringen muss. In den Tagen danach ist er unfähig zu malen. Er zählt sein Preisgeld - es sind 100.000 Euro in 500er-Scheinen -, er geht baden, er trifft einen alten Freund und seine schöne Tochter, er lässt sich auf eine andere Frau ein. Schließlich reist er mit der Tochter für ein paar Tage ans Meer, in denen sie, so ihre Vereinbarung, nicht reden wollen. Sie essen trinken, gehen spazieren - und schauen schweigend aufs Wasser. Was ihnen zu Augenblicken innigster Empfindung wird, zu einer existenziellen Grenzerfahrung, die ihm die Kraft gibt, mit allem abzuschließen. Wasser ist Wasser, selbstverständlich, aber nicht nur. DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE - der Titel ist charakteristisch für Thomes Filme insgesamt, die von Anfang an geprägt waren von der Spannung zwischen dem, was konkret zu sehen ist, und der Dimension dahinter, die etwas ganz anderes auslöst. Rudolf Thome ist geradezu obsessiv erfüllt von der Schönheit des Verlagerns, das verstärkt wird durch die Versuche einer subjektiven Färbung. In denen sind leere Flecken als Momente gegen das Selbstverständliche des Objektiv-Realen inszeniert (auch im Sinne einer Strategie der Unterschiebung). Beispielhaft dafür stehen Fred Kelemens Bilder von der Reise durch Brandenburg, bei denen die Autofahrt nach vorne durch die Alleen kombiniert ist mit einem extrem langen und langsamen Rückzoom. Die Erfahrung der kontrapunktischen Bewegung schafft Raum für Imagination: Plötzlich meint man zu sehen, was doch nur zu empfinden ist. Das Unsichtbare inmitten des Sichtbaren, das meint Thome auch, was Roland Barthes einmal "die Leere" nannte, die zur Schicht des Neuen zu zählen und von daher als "Gegenteil der Wiederholung" zu begreifen sei. Die Leere dürfe "nicht mehr in Gestalt einer Abwesenheit (von Körpern, Dingen, Gefühlen, Wörtern usw.: als Nichts) gedacht (imaginiert) werden". Sie sei eher als "Wiederkehr des Neuen" zu begreifen. Für das Kino verweist dies auf die Momente, in denen die Kamera mitten in einer funktionalen Beobachtung weggeht vom Geschehen und einen eigenen Blick auf die Welt wirft, um dann auf einer höheren Windung der ästhetischen Spirale zu den Figuren und ihren Aktionen zurückzukehren. Thomes Kino lebte ja seit jeher von der "Dichte seiner subjektiven Konstruktion", die nie aufgeht in Illusion, sondern stets Momente des Offenen und Brüchigen, auch des Schrägen und Unebenen enthält. Er folgt nie den üblichen Regeln, sondern hält seine Bilder in der Schwebe, um ständig die Richtung wechseln zu können. So macht er sichtbar, sehr physisch, wie Verhalten Reaktionen auslöst, die alles in Frage stellen und dadurch neue Gefühle hervorrufen, die ihrerseits Verhältnisse verändern. Am Ende von Thomes Film zählt nur noch wenig: kein Bild, kein Preis, kein Drink. Nur die Erinnerung an die Blicke aufs Wasser, mit einem Menschen an der Seite, der Ähnliches empfand. Man muss sich den sterbenden Maler als glücklichen Menschen vorstellen. Wenn einer am Ziel angekommen ist, sollte er aufhören: Rudolf Thome schildert die Krise, in die ein Maler gerät, nachdem er eine lang erwartete Auszeichnung erhält, in Bildern, die stets die Schwebe halten. Subjektiv, offen, brüchig und nah an den Empfindungen seiner Figuren. Das Sichtbare und das Unsichtbare Das „silberne“ Jubiläum seiner 25. abendfüllenden Regiearbeit nahm Rudolf Thome zum Anlass, von einem Maler zu erzählen, der am Ziel seines Schaffens angelangt ist. Es gibt nur ein allerletztes Bild, das er noch machen möchte. Thomes „Das Sichtbare und das Unsichtbare“ beschreibt, wie dieses Bild zustande kommt. Es liegt nun nahe, den vor der Kamera sichtbaren Künstler als Alter Ego des unsichtbaren Künstlers dahinter zu lesen. Thome unterstützt eine solche Interpretation, indem er zugibt, selbst lange davon ausgegangen zu sein, dass dieser Film sein letzter sein könnte. Dann aber wälzte er die Schaffenskrise erfolgreich auf seinen Protagonisten ab.Wer Referenzen auf die Wirklichkeit sucht, kann im Maler Marquard von Pohlheim unschwer auch den 2006 verstorbenen Schauspieler Marquard Bohm erahnen, mit dem Thome in so vielen Filmen zusammenarbeitete. Auch der wilde und „kaputte Charme“ des Wodka trinkenden und Motorrad fahrenden Malermachos, den Guntram Brattia – ein weiterer Stammschauspieler Thomes – glaubhaft verkörpert, erinnert an Bohms Filmrollen. Wiederum eher an Thome lässt sich denken, wenn Marquard auf einer Veranstaltung, auf der ihm ein hochdotierter Kunstpreis überreicht wird, beklagt, dass diese Anerkennung „20 Jahre zu spät“ käme. Schließlich gelangte Thome in nun beinahe 40 Kinojahren nie so recht über den Status eines Kritikerlieblings hinaus. Was daran liegen könnte, dass er sich einerseits als unspektakulärer „Ethnograf“ zwischenmenschlicher Beziehungen bewährte, andererseits aber seine Beobachtungen nie an naturalistischen Vorlagen schulte, sondern seine stets ein wenig zu sprachgewandte Idealtypen durch fiktive Boheme-Welten wandeln ließ. Damit schnitt er sich das Publikum nach zwei Seiten hin ab, sodass ihm nur eine relativ kleine, dafür aber treue Kinogemeinde erhalten blieb. In diese dürfte auch „Das Sichtbare und das Unsichtbare“ nur wenig Bewegung bringen. Zwar verleihen die Darsteller ihren Figuren diesmal überwiegend authentische Züge – mit Ausnahme von Hannelore Elsner, die Marquards Lebensgefährtin Maria so spielt, wie sie fast alle ihre Figuren darstellt: mit einer Wucht, die zum Affektierten neigt, und einer hörbuchtauglichen sprachlichen Prägnanz, die im Film bisweilen theatralisch wirkt, was bei Thome aber durchaus erwünscht sein könnte. Der Plot löst sich indes umso mehr von einer sozialrealistischen Alltagsbeschreibung. Gleich mehrere Beziehungskonstellationen werden durchgespielt. Die deutlich ältere Malerin Maria ist – wie sich herausstellt zu Recht – eifersüchtig auf die deutlich jüngere Blondine Angie, die ihm Modell steht. Sie bemalt sich das Gesicht wie eine Indianerin auf Kriegspfad, spricht mit Pferden und findet Trost bei ihrem ehemaligen Partner, einem Philosophen. Marquard dagegen erkennt in der jungen Blonden nur das Spiegelbild seiner Tochter, mit der er dann ans Meer fährt und in einem freiwilligen Schweigegelübde wortlos schöne Tage verbringt. Ein Glück freilich, das, inzestuös eingefärbt, immer auch ein bisschen nach Tod schmeckt; so wie auch die vielen Bade- und Strandszenen, in denen Thome seine wechselnden Paare miteinander vereint. Am Ende malt Marquard sein letztes Bild, und Marias Philosoph singt ein Lied von Fanny van Dannen: „Stell dir vor, das Leben wär’ einfach.“ In diesem Konjunktiv drückt sich aus, was Thomes neuem Film ebenso wie seinem gesamten Oeuvre jene eigenartige atmosphärische Ambivalenz zwischen Präzision und Prätention verleiht: das Sichtbare verschmilzt mit dem Unsichtbaren; das was da ist, mit dem, was fehlt. Ein des Lebens müder Maler möchte ein letztes Bild malen, was ihm auch gelingt, nachdem er sich aus seiner langjährigen Beziehung gelöst, eine Affäre mit seinem Modell ausgelebt und drei wortlose Tage mit seiner Tochter am Meer verbacht hat. Auch die Menschen in seiner Umgebung werden in einen Beziehungsreigen einbezogen, der schließlich zum Stillstand kommt. Rudolf Thomes 25. abendfüllende Regiearbeit ist erneut eine Versuchsanordnung, die den Charakteren Gelegenheit gibt, sich mit ihrem Leben und ihren Erwartungen zu arrangieren und beides in Einklang zu bringen. In der Hauptrolle glaubhaft gespielt lässt der Film reizvolle Interpretationen zu Thomes Werk zu. Stefan Volk in Filmdienst 25/2007 Der Künstler und sein Preis Mindestens zwanzig Jahre zu spät komme dieser Preis, mault der lederbejackte, angetrunkene Künstler Marquard von Polheim (Guntram Brattia). Die ausgelobten 100.000 Euro nimmt er aber trotz seines mürrischen Haderns mit, und wer seine epigonalen, in der Manier der Neuen Wilden gemalten Bilder sieht, ahnt, dass er um das unverdiente Glück dieses Preises weiß. Wieder sind wir mittendrin im filmischen Kosmos Rudolf Thomes, dessen 25. Spielfilm „Das Sichtbare und das Unsichtbare" ist. Wie stets genügt ihm wenig, um die Erzählmaschine in Bewegung zu setzen, um zu sehen, welche Entwicklungen der gesteckte Rahmen zulässt. So klischeehaft dieser Künstlerfilm mit der Pferdebilder malenden Lebensgefährtin Polheims (Hannelore Elsner) beginnt, mit seinem Suff, seinen Frauengeschichten und Männlichkeitsposen: spätestens wenn Polheim mit der Tochter Lucia (Anna Kubin) an die Ostsee fährt, wo man sich schweigend einander versichert, ist man gepackt von der Intensität dieser Vater-Tochter-Beziehung. Doch fehlt die neugierige und zugleich märchenhafte Leichtigkeit früherer Thome-Filme, die den Beziehungen der Figuren fast experimentell nachspürten und doch präzise, ja fast ethnografisch von unserem sich wandelnden Alltag und den dazugehörenden Haltungen und Mentalitäten erzählten. Der Tod hat in Thomes Filmen immer eine Rolle gespielt, aber diesmal geht es ernsthafter zu. Der Film zeigt die letzten Tage im Leben eines Künstlers, dem der Preis klarmacht, dass sein Weg längst vollendet ist. Was bleibt, ist ein letztes Bild. Was bleibt, ist die mitunter schmerzhafte Klärung der Beziehungen. Was bleibt, ist das Glück wortloser Intimität. Und Thome zeigt diesen Prozess der Klärung nicht melodramatisch, sondern mit der gebotenen Klarheit und Härte. Ulrich Kriest in Stuttgarter Zeitung 13.12. 2007 |