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Es ist an der Zeit, Thome zu lieben„Tarot“ vist Ihre zweite Version der „Wahlverwandtschaften“, „Tagebuch“ vor zehn Jahren waqr die erste. Hat sich soviel verändert, daß ein neues Verhältnis zum Stoff entstand, eine neue Perspektive? Als ich vor 20 jahren anfing, Filme zu machen, hatte ich die Verfilmung des Stoffes bereits vor, aber ich merkte: ich kann ihn nicht historisch machen. Auf der anderen Seite wollte ich aber nicht auf die Dialoge von Goethe verzichten – also ich es damals ganz gelassen. Und jetzt kam von Max Zihlmann der Vorschlag, diesen Stoff noch einmal zu verfilmen. Das war sensationell. Denn Zihlmann hat seit zehn Jahren kein Drehbuch für mich schreiben wollen – und plötzlich kommt er mit dieser Idee. Er war überzeugt, das sei meine Geschichte. Und ich habe es sofort genauso gesehen. Zuerst war dann mein Problem: es ist ja eigentlich eine Frechheit, das Thema noch einmal zu verfilmen. Aber dann hat mir diese Frechheit gefallen. Bei „Tagebuch“ habe ich die Geschichte von Goethe nur als Ausgangsmaterial genommen, um es zu verändern. „Tagebuch“ hat ein positives Ende, die Liebesgeschichte zwischen Eduard und Ottilie geht auf. Und jetzt ist der Handlungsverlauf exakt so wie bei Goethe. Es geht tragisch aus. „Die Wahlverwandtschaften“ ist für mich – das habe ich bei der Uraufführung in Cannes gesagt – die Liebesgeschichte par excellence. Es ist der Traum von einem Paar, das einfach zusammenkommen muß auf Grund von Naturgesetzen. Bei Goethe war es die Chemie, was bei mir durch die Chemie des Tarots ersetzt wird. Für mich verbindet sich Tarot mit Schicksal und mit dem Tod. Es geht um vier Menschen – zwei Männer, zwei Frauen. Eduard – allen voran – „spielt“ Schicksal. Er wird bei Lügen und Manipulationen ertappt, sehr kritisch gezeigt. Er ist Filmregisseur – der Verdacht einer biographischen Verwandtschaft drängt sich geradezu auf. Auf wessen Seite stehen Sie? Wenn mich etwas mit dem Roman von Goethe verbindet, dann ist es die Einstellung, die er zu seinen Personen hat. In seiner Erzählhaltung. Und das ist für mich schockierend: Eduard ist auch bei Goethe ein Schwein. Goethe beschreibt ihn mit Distanz, aber auch mit Liebe. Er identifiziert sich sogar mit ihm. Das dreht einem das Herz um. Aber ich habe mich nicht mit Eduard identifiziert. Bei Lesen des Drehbuchs nicht und beim Drehen auch nicht. Er hat mich eher irritiert. Aber gibt es nicht eine Verwandtschaft zum filmsüchtigen Thome? Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Aber die Franzosen in Cannes sahen es. Sie waren begeistert. Die „Libération“ schrieb: „Man kommt aus dem Film so bewegt heraus, als hätte man zehn Filme gesehen“. Und in den „Cahiers du Cinéma“ wurde geschrieben: „Ich halte diesen Film für den schönsten über die Utopie der Liebe, der je gedreht worden ist“. Die Gefühle der Beteiligten spielen sich vor allem im Inneren ab – alle werden in langen ruhigen Einstellungen gezeigt und verbalisieren mehr, was sie empfinden, als daß sie es offen zeigen. Damit bin ich nicht einverstanden. Es gibt Ausbrüche. Eduard hat bei seinem Telefongespräch mit Ottilie einen Wutausbruch. Otto fällt mindestens einmal aus der Rolle. Und bei Ottilie sieht man die Gefühle ganz deutlich, sie zeigt sie ja ganz direkt. Bei Eduard wird klar, daß er keine Emotionen zeigen will. Da gibt es doch die Sequenz auf dem Friedhof, als er vor dem Grab seines Sohnes steht. Lange. Und eine Minute später ist er mit den anderen zusammen und erzählt: „Ich stand vor dem Grab meines Kindes und habe nichts empfunden.“ Wir wissen es besser. Und wir wissen damit aber auch, daß er seine Gefühle verbirgt. Und bei Charlotte, die immer so wunderbar reagiert, äußert sich nichts in Tränen. Aber wenn sie nach dem Tod ihres Kindes mit Otto spricht, dann ist das hart – man hört es an der Stimme, man sieht es ihr an, wie sehr sie rationalisiert. Da muß man sehr mißtrauisch sein. Das Ganze ist ein herber Kommentar zur Befindlichkeit von Männern – ein Gegenbild zu den sogenannten „neuen Männern“, die manche gesehen haben wollen – eine Anmerkung über ihre Entscheidungsunfähigkeit, ihre Selbstherrlichkeit. Ich kenne Männer ganz gut. Ich bin ja selbst einer. Und im Laufe der Jahre hatte ich Gelegenheit, mich ein bißchen besser kennenzulernen. Auf dieser Ebene gibt es natürlich Dinge, die etwas mit einem Selbstporträt zu tun haben. Nur da, wo es zwischen Eduard und mir berufliche Ähnlichkeiten gibt, da also, wo es am nächsten liegen würde, gibt es keine Ähnlichkeit. Ich mache andere Filme als Eduard. Ein Glück. Er verrät sich viel zu schnell. Er beschreibt sich gerade noch als einen Filmsüchtigen – und reist im nächsten Augenblick nach Kamerun, um etwas für das Vorabendprogramm zu drehen und schwärmt dann auch noch über fünf Fernseh-Folgen. Das ist Selbstverrat. Da gibt es keine Parallelen. Aber da wo ich zeigen kann, wie Männer auch sind, gibt es sie sicher. Der Film ist auch sehr ironisch. Nach der zweiten Hälfte steigert sich das Tempo enorm, es werden ganz brutal die Schicksalsschläge aufgezählt. Es ist ja auch brutal. Wenn soviel passiert, kann man nicht auch noch erzählen, wie jemand sich rasiert, frühstückt. Alles wird unerheblich. Am Anfang dagegen ist die Zeit für alles da. Da wird die Welt, in der der Film spielen wird, etabliert. Ich mußte zunächst einmal eine Realität schaffen – und dann passieren diese Schicksalsschläge. Schlag auf Schlag. Da erzähle ich nur noch die nackte Geschichte. Und wenn man später dann das Haus in der Luftaufnahme sieht, dann wird dieser Ort fast zum Theater: war alles, was passiert ist, nur ein Spiel? Wie war die Resonanz in Cannes? Die Franzosen fangen an, mich zu entdecken. Serge Daney schrieb in „Libération“: „Es
ist an der Zeit, Thome zu lieben.“ |