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"Rot und Blau"

1. Woche
2. Woche
Drehbuch

    Rot und Blau
   

© 2002 by Moana-Film GmbH


  1.
Ein schöner, warmer Tag im Juli. Durch die flache märkische Landschaft fährt ein siberfarbener ICE. Darüber die Titel und Musik, die zu einem Science-Fiction-Film passen könnte.


2.
In einem der Großraumwagen sitzt ILKE (24). Sie liest einen Reiseführer über Berlin und guckt ab und zu in einen Stadtplan von Berlin. Neben ihr sitzt FRANK (24). Er hört über Kopfhörer Musik und wirft einen Blick auf ILKE. ILKE beachtet ihn nicht. Ihnen gegenüber sitzen eine ÄLTERE DAME (62), die verstohlen die beiden jungen Leute betrachtet. Sie lächelt, als sie FRANKS Blick bemerkt. Außerdem GREGOR (48), der vor sich einen Laptop hat und eine Digitalkamera. Sein Handy klingelt. Er nimmt das Gespräch an. GREGOR: Ja, hallo! – (Gregor hört eine Weile zu und sieht auf seine Uhr). Ich bin in etwa einer Stunde zuhause. – Ich denke daran. Okay. Bis Montag. Laß es dir gutgehen! Alle schauen den telefonierenden GREGOR an. Der legt sein Handy weg. GREGOR: Wenn Sie wollen, mache ich von Ihnen Fotos. Ich kann sie Ihnen dann sofort auf meinem Computer zeigen. FRANK und die ÄLTRERE DAME sind interessiert. ILKE beachtet GREGORS Angebot nicht. GREGOR nimmt die Kamera und macht schnell ein paar Fotos von allen. Von ILKE macht er eine ganze Serie. ILKE sieht GREGOR an. Ihrem Blick ist anzusehen, daß sie nicht fotografiert werden will.


3.
SEBASTIAN (14) und SARAH (13) tragen vier schwere Umzugskartons vom Aufzug zu einem Wagen, einem schwarzen Volvo, der direkt vor der Haustür geparkt ist. SEBASTIAN öffnet den Kofferraum mit der Fernbedienung.


4.
Im Zug hat GREGOR mit FRANK den Platz getauscht. FRANK schreibt etwas auf ein Blatt Papier und gibt es GREGOR. FRANK: Das ist meine email-Adresse. GREGOR zeigt ILKE die Bilder auf dem Computer. GREGOR: Und das ist meine Tochter. Sie ist dreizehn. Und das ist mein Sohn. Das ist meine Frau.


5.
SEBASTIAN: Du mußt den Karton längs reinstellen. Sonst passen sie nicht alle rein. SARAH: Klar passen sie rein. SEBASTIAN will SARAH den Karton abnehmen. SARAH (wütend): Laß mich! Du mußt immer alles besser wissen! SEBSTIAN drückt SARAH vom Kofferraum weg. SARAH: Arschloch! SEBASTIAN boxt SARAH. SARAH will zurückschlagen. In diesem Augenblick kommt BARBARA (52) aus dem Haus. Sie trägt einen Jogginganzug und eine schwere Reisetasche. BARBARA: Hört auf, euch zu streiten! SEBASTIAN: Sie hat Arschloch zu mir gesagt. SARAH: Er hat mich geboxt. BARBARA: Schluß damit! (zu SEBASTIAN) Gib mir den Schlüssel! SEBASTIAN wirft SARAH einen bösen Blick zu und gibt seiner Mutter den Autoschlüssel. BARBARA öffnet den Wagen und stellt ihre Tasche auf den Beifahrersitz. Sie küßt ihre Kinder, zuerst SARAH, dann SEBASTIAN. BARBARA: Ich müßt mir versprechen, daß ihr euch nicht streitet. SEBASTIAN nickt. BARBARA: Euer Vater kommt in einer Stunde. Helft ihm ein bißchen beim Kochen!


6.
BARBARA fährt mit ihrem Wagen aus der Stadt. Auf einmal hat sie Tränen in den Augen.


7.
Der ICE hält im Bahnhof Zoo. ILKE steigt aus. Hinter ihr FRANK mit einem großen blauen Samsonite-Koffer und GREGOR, der zusätzlich zu seinem leichten Gepäck einen zweiten roten Samsonite-Koffer trägt. GREGOR stöhnt (zu ILKE): Mein Gott, was ist denn da drin? ILKE: Alle meine Sachen. GREGOR: Wo wollen Sie denn damit hin? ILKE: Zu einem Taxi.


8.
Alle drei, ILKE voraus und die beiden Männer mit ihrem Gepäck hinterher, gehen auf den Taxistand zu. Der TAXIFAHRER verstaut die schweren Koffer im Kofferraum seines Wagens. GREGOR gibt ihr seine Visitenkarte: Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, rufen Sie mich einfach an. ILKE: Danke. Ich brauche keine Hilfe. ILKE schenkt FRANK ein Lächeln. ILKE: Ihre Musik gefällt mir. Danke für die Hilfe. FRANK: Kein Problem. Hab ich gern gemacht. FRANK geht weg. GREGOR: Vielleicht brauchen Sie einen neuen Computer? Über den Preis könnten wir reden.


9.
BARBARA fährt auf einem nicht asphaltierten Feldweg und hält vor einem alleinstehenden Backsteinhaus. Sie holt den Schlüssel aus ihrer Reisetasche und schließt die Haustüre auf.


10.
BARBARA geht durch die Räume, denen man ansieht, daß schon lange niemand mehr dagewesen ist. Sie öffnet die Fenster, um frische Luft hereinzulassen.


11.
BARBARA geht in den Garten hinter dem Haus. Alles ist zugewachsen. Sie setzt sich auf eine halb vermoderte Bank und wieder hat sie Tränen in den Augen. BARBARA spricht laut zu sich selbst: Hier wollte ich einmal leben. BARBARA zündet sich eine Zigarette an, und sieht sich um. BARBARA steht wieder auf, geht ein paar Schritte und spricht wieder zu sich selbst: Das sollte einmal mein Paradies werden. Ich war verrückt!


12.
ILKE steht mit ihren beiden Koffern im Empfang einer kleinen Pension. ERIKA WEINMEISTER, die Besitzerin (55): Sie kriegen mein schönstes Zimmer. Ihr Vater war immer hier, wenn er nach Berlin kam. Wie lange wollen Sie bleiben? ILKE: Ich weiß noch nicht. Vielleicht eine Woche. Ich suche eine billige kleine Wohnung in Kreuzberg. Ich habe da einen Freund. ERIKA WEINMEISTER: Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Es ist nicht leicht, für junge türkische Mädchen eine Wohnung zu finden. ILKE: Ich habe einen deutschen Paß. ERIKA WEINMEISTER mustert ILKE von oben bis unten: Ich glaube nicht, daß Ihnen ein deutscher Paß viel hilft.


13.
ERIKA WEINMEISTER stellt vor ILKES Zimmer den blauen Koffer, den sie getragen hat, ab und schließt die Türe auf. ERIKA WEINMEISTER: Bitte, kommen Sie, Frau Tercan. ILKE geht in den Raum und stellt ihren roten Koffer ab. ILKE: Danke schön. Sagen Sie Ilke zu mir. ERIKA WEINMEISTER öffnet die Vorhänge. Die Sonne scheint herein. ERIKA WEINMEISTER: Fühlen Sie sich wie zu Hause. Übrigens, Herrenbesuch ist bei mir nicht gestattet. Einen schönen Tag noch, Ilke. ERIKA WEINMEISTER verläßt das Zimmer und ILKE schaut sich um.


14.
BARBARA geht in den hinteren Teil des Gartens auf einen Walnußbaum zu. Sie umarmt ihn. BARBARA (spricht zum Baum): Du bist mein Lieblingsbaum. Geht’s dir gut? Sie legt den Kopf an den Stamm, um zu hören, was er sagt. Sie schließt die Augen. BARBARA öffnet die Augen wieder und sagt nach einer langen Pause: Du bist bestimmt doppelt so alt wie ich. Erzähl mir was vom Leben! Mir geht’s im Moment nicht so gut.


15.
BARBARA holt einen Umzugskarton aus dem aus dem Kofferraum ihres Wagens.


16.
BARBARA hat hinten im Garten, neben einem Biertisch und einer Bank ein riesiges Feuer gemacht. Auf dem Biertisch steht eine Flasche Rotwein und ein Glas. BARBARA verbrennt nutzlose Dinge, kaputte alte Stühle, einen Korbsessel und die Bank, auf der sie vorher gesessen hat. In der Nähe des Feuers stehen die vier Umzugskartons. Sie öffnet den ersten. Darin sind Berge von gebündelten Briefen und Aktenordner. Sie nimmt ein Bündel und wirft es ins Feuer. Dann setzt sie sich auf die Bank, gießt sich ein Glas Rotwein voll, nimmt einen Schluck und zündet sich eine Zigarette an. Sie wirft einen Aktenordner ins Feuer und schaut zu, wie er langsam verbrennt.
Die Sonne steht noch immer hoch am Himmel. Ihr Gesicht ist gerötet und angespannt. Dann nimmt sie einen ganzen Umzugskarton und wirft ihn ins Feuer. Als der Karton Feuer gefangen hat, schlagen die Flammen etwa zwei Meter hoch. Als enthielte er feuergefährliches Material. BARBARAS Gesicht wirkt wild und entschlossen. So als verbrenne sie nicht nur Papiere, sondern einen Teufel.


17.
ILKE hat einen Brief in der Hand und wählt eine Telefonnummer. ILKE: Hier spricht Ilke Tercan. – Mein Vater hat mir hinterlassen, daß ich als Allererstes, wenn ich in Berlin ankomme, Sie anrufen soll. – Ich kenne mich in dieser Stadt noch nicht aus. Aber ich denke, ich kann in etwa einer Stunde bei Ihnen sein. – Gut, ich werde dreimal klingeln.


18.
Ein Taxi hält vor einem Altbau in Schöneberg. ILKE steigt aus und betrachtet die Schilder am Hauseingang: ein Rechtsanwaltsbüro, ein Heilpraktiker, ein Massagesalon und ein Detektivbüro. Silke liest den Namen: Samuel Eisenstein, Detektivbüro, Sprechstunden nur nach Vereinbarung. Sie klingelt dreimal. Eine Stimme sagt: Ja hallo. ILKE: Ich bin es, Ilke Tercan. Die Stimme sagt: Fahren Sie in den dritten Stock und klingeln sie an der Tür rechts.


19.
SAMUEL EISENSTEIN, ein Mann mit Glatze etwa Ende vierzig, führt ILKE in das Konferenzzimmer seines Büros. SAMUEL: Bitte nehmen Sie Platz. ILKE: Ich bin erstaunt, daß ihr Büro sogar am Wochende geöffnet ist. SAMUEL: Die Geschäfte gehen schlecht, seitdem Ihr Vater nicht mehr lebt. Ich habe in den letzten Jahren fast nur noch für ihn gearbeitet. Was darf ich Ihnen anbieten. Kaffee, Tee, Cola? ILKE: Ich hätte gern eine Cola. SAMUEL verläßt den Raum und ILKE holt aus ihrer Handtasche einen dicken an SAMUEL adressierten Brief. SAMUEL kommt zurück mit einer Coladose und zwei Gläsern, stellt die Coladose und ein Glas vor ILKE auf den Tisch und das andere, bereits mit Whisky und Eis gefüllte Glas auf die andere Seite des Tisches. Er läßt sich dann in einen komfortablen Sessel fallen. SAMUEL: Womit fangen wir an, Ilke. Ich darf doch Ilke zu Ihnen sagen? ILKE: Bitte. Mein Vater hat mir diesen Brief für Sie mitgegeben. ILKE schiebt den Brief über den Konferenztisch. ILKE: Ich weiß nicht, was drin steht. SAMUEL betrachtet den Briefumschlag, öffnet ihn und überfliegt schnell das erste Blatt. Dann blättert er durch die beigefügten Seiten. SAMUEL trinkt einen Schluck aus seinem Glas. ILKE sieht ihn gespannt an. SAMUEL: Zuerst mal brauchen wir eine Wohnung. Ich werde noch am Wochende mit ein paar Freunden telefonieren. Dann müssen Sie sich beim Einwohnermeldeamt anmelden und dann brauchen Sie ein gutes Bankkonto. ILKE: Ich möchte, daß Sie alles über meine Mutter herausfinden. Ich weiß nicht, wo sie wohnt. Ich weiß nicht einmal, wie sie jetzt heißt. SAMUEL: Machen Sie sich keine Sorgen. Ab sofort arbeitet das Detektivbüro Samuel Weinstein nur noch für Sie.


20.
GREGOR und SEBASTIAN spielen auf der Terrasse miteinander Schach. Es ist eine Endspielsituation. Nur noch wenige Figuren stehen auf dem Schachbrett.


21.
SARAH sitzt im Wohnzimmer. Neben ihr liegt „Die Schatzinsel“. Sie telefoniert mit einer Freundin. Sie erklärt ihr, wie man im Internet emails schreibt und was man dabei alles machen kann. Es klingelt an der Wohnungstüre. SARAH: Ich muß Schlußmachen. Wir kriegen Besuch. Am besten kommst du morgen vorbei, dann zeige ich dir alles an meinem Computer. Tschüß. SARAH beendet das Gespräch und rennt zur Wohnungstür.


22.
Im Flur. Es klingelt nocheinmal. SARAH öffnet die Tür und sieht SAMANTHA (44). SAMANTHA: Hallo, mein Patenkind. SARAH umarmt SAMANTHA. SARAH ist sogar ein bißchen größer als ihre Patentante. SAMANTHA: Wie geht es dir? SARAH: Gut. SAMANTHA: Ich wollte mit deiner Mama ins Kino gehen. Hoffentlich ist sie da? Darf ich reinkommen? Oder störe ich euch? SAMANTHA betritt, ohne SARAHS Antwort abzuwarten, die Wohnung. SARAH schließt die Tür und geht hinter SAMANTHA her. SARAH: Sie ist bis Montag auf unserer Datscha. Sie will aufräumen und ein großes Feuer machen. Ohne uns, hat sie gesagt. SAMANTHA: Wo ist dein Papa? Ist der auch weg? SARAH: Der spielt mit Sebastian Schach. Sebastian gewinnt jedes Spiel gegen ihn.


23.
Auf der Terrasse. SEBSTIAN macht einen Zug mit seiner Dame und sagt: Schachmatt! SAMANTHA und SARAH kommen dazu. SAMANTHA: Hallo ihr beiden! GREGOR steht auf und umarmt SAMANTHA. SAMANTHA gibt SEBSTIAN die Hand. SAMANTHA: Steht der Sieger schon fest? GREGOR: Ich habe keine Chance gegen ihn. Er trainiert jeden Tag am Computer. SAMANTHA: Ich wollte mit Barbara ins Kino. GREGOR: Sie macht Ferien vom Ich. SAMANTHA: Dann muß ich allein ins Kino gehen. SARAH: Ich kann mitkommen. SAMANTHA lacht: Das ist kein Film für Kinder. Pardon, für junge Damen. Auf Wiedersehn alle zusammen! SARAH: Willst du nicht noch ein bißchen bleiben? SAMANTHA: Der Film fängt gleich an. Ich muß los.


24.
Es ist dunkel geworden. BARBARA sitzt noch immer am Feuer. Die Weinflasche ist leer. SAMANTHA kommt mit zwei Weinflaschen und einer Wienerwaldtüte in den Garten. SAMANTHA: Wenn ich dich störe, verschwinde ich sofort. BARBARA umarmt SAMANTHA lange. SAMANTHA: Ich hab uns Wein mitgebracht und was zu essen. Hast Du schon gegessen? SAMANTHA schaut auf die leere Weinflasche. BARBARA schüttelt den Kopf. SAMANTHA: Hast du Probleme? BARBARA: Große. Aber jetzt geht es mir schon besser. SAMANTHA: Was verbrennst du da? BARBARA: Die Vergangenheit. SAMANTHA (verzieht ihr Gesicht): Das klingt schwierig. Wenn du willst, kannst du mir alles erzählen. Ich hoffe, die Hähnchen sind noch warm. Geht es um Geld? BARBARA: Auch. Aber Geld ist nicht wichtig. SAMANTHA: Nur wenn man genug davon hat! Aber jetzt bin ich bei Dir. Ich gehe jetzt ins Haus und hole Teller und Gläser. Ich hab sogar meine Zahnbürste mitgebracht. Wir können uns hemmungslos besaufen.


25.
ILKE wacht am nächsten Morgen in ihrem Hotelbett auf. Sie steht sofort auf und zieht die Vorhänge beiseite. Sie trägt einen hellroten Schlafanzug. Sie geht zu ihren Koffern und öffnet den roten Koffer. Unter ihren Kleidern liegen zwei Alukoffer. Sie stellt beim ersten die Geheimzahl ein und öffnet ihn. Er ist voll mit funkelnagelneuen Euroscheinen. Sie schließt den Alukoffer wieder zu und verstaut ihn unter den Kleidern.


26.
BARBARA und SAMANTHA liegen in einem großen Bett. SAMANTHA wacht auf und will sich an BARBARA kuscheln. BARBARA dreht ihren Kopf weg. BARBARA: Du riechst nicht gut aus dem Mund. SAMANTHA: Glaubst du, du riechst besser! Komm wir stehen auf und putzen uns die Zähne. Dann legen wir uns wieder ins Bett.


27.
BARBARA und SAMANTHA putzen sich die Zähne. SAMANTHA: Hast du Parfum? BARBARA: Ich hab immer Parfum. Ist Opium gut genug? Sie reicht es ihr. SAMANTHA öffnet das Fläschchen. SAMANTHA: Hm! Das ist gut. Leg dich ins Bett. Ich mach uns Kaffee.


28.
BARBARA und SAMANTHA trinken Kaffee im Bett. SAMANTHA: Würden dir fünfzigtausend helfen? BARBARA: Mark oder Euro? SAMANTHA: Euro. BARBARA: Du bist wirklich meine beste Freundin. SAMANTHA: Aber wir machen einen Vertrag. Und Zinsen mußt du auch bezahlen. BARBARA: Ihr Juden seid alle Wucherer. SAMANTHA: Ist das schlimm? BARBARA: Ihr liebt einfach Geld. SAMANTHA: Du doch auch, oder? BARBARA: Nein, aber dich liebe ich trotzdem. BARBARA trinkt einen Schluck Kaffee. BARBARA: So langsam werde ich wieder lebendig. (Pause) Als ich noch ein ganz kleines Mädchen war, bin ich bei einem Klassenausflug auf einen Baum geklettert. Ein Ast war morsch und ich bin hinuntergefallen und hab geblutet. Alle aus meiner Klasse sind weggelaufen. Nur einer, er hieß Samuel, ist zu mir gekommen und hat sich um mich gekümmert. Er hatte einen rot und blau gestreiften Pullover an. Er wurde mein erster Freund. SAMANTHA: Hast du mit ihm geschlafen? BARBARA: Nein. Da war ich noch viel zu jung. Aber wir haben uns später geküßt. Wir waren unzertrennlich. SAMANTHA: Und dann? BARBARA: Er ist mit seinen Eltern in eine andere Stadt gezogen. Damals war ich vierzehn. Ich hab ihn nie vergessen. Mit Timur war es ähnlich. Er ist auch plötzlich weggegangen. Mit Ilke, unserer Tochter. Sie war vier Jahre alt. Ich hab sie nie wiedergesehen. Ich wollte sie Silke nennen. So wie meine beste Freundin in der Schule. Aber Timur bestand auf einem türkischen Namen für seine Tochter. Die Kinder türkischer Männer haben immer türkische Namen, hat er gesagt. Sonst würden seine Freunde denken, er sei kein richtiger Mann. Unser Kompromiß war Ilke. SAMANTHA zündet sich eine Zigarette an. SAMANTHA: Ich darf doch hier im Bett rauchen? Warum ist er weggegangen? BARBARA: Das hab ich noch nie jemand erzählt. Ich hatte gerade mein erstes Büro aufgemacht und hatte viele Aufträge. Da hab ich mir einen Kompagnon genommen. Er sah gut aus und gefiel mir. SAMANTHA: Hast du mit ihm geschlafen? BARBARA: Nur einmal. Aber da war ich betrunken. Hinterher nie wieder. SAMANTHA: Hast du eigentlich was mit Franz. Der sieht doch auch gut aus. BARBARA (ist ein bißchen genervt): Du denkst wohl an nichts anderes. SAMANTHA: Stimmt. Also sag schon. Hast du oder hast du nicht? BARBARA: Ich habe keine Liebesgeschichten mit meinen Mitarbeitern. SAMANTHA: Ich immer. Aber dann schmeiße ich sie raus. BARBARA zündet sich auch eine Zigarette an. SAMANTHA: Hat Gregor eine Freundin? BARBARA: Er braucht keine. Er hat seine Computer.


29.
ILKE sitzt im Frühstücksraum der Pension. ERIKA WEINMEISTER kommt zu ihr: Ein Herr möchte ist am Telefon und möchte Sie sprechen. Er heißt Eisenstein. Er sagt, es sei ganz dringend.


30.
ILKE geht in den Empfang und nimmt den Hörer. ILKE: Hier ist Ilke. – So schnell. Heute ist Sonntag. – Nein ich habe nichts vor. – Warten Sie, ich muß mir was zu schreiben besorgen. ILKE nimmt einen Kugelschreiber und einen Prospekt und notiert darauf eine Adresse.


31.
SAMUEL EISENSTEIN und KÖNIG, der Vermieter (55) warten vor dem Haus. ILKE kommt dazu und gibt ihnen die Hand. SAMUEL: Das ist Herr König, mein bester Freund. Wir kennen uns seit 30 Jahren. Er ist Psychotherapeut. Aber meistens ist er damit beschäftigt, Häuser zu kaufen. Er renoviert sie und verkauft sie dann wieder. Ein sehr einträgliches Geschäft. SAMUEL lacht KÖNIG an. SAMUEL: Zumindest einträglicher als meins. Es ist eine schöne, helle Zweizimmerwohnung. Sie ist sogar noch möbliert. ILKE: Dann ist sie bestimmt zu teuer für mich. KÖNIG: Ich will 200 Euro, einschließlich Heizung und Nebenkosten. Die Möbel stammen vom Vormieter. Er hat ein halbes Jahr die Miete nicht bezahlt und sitzt für die nächsten 10 Jahre im Gefängnis. Er hat mit Drogen gehandelt. Schauen Sie sich die Wohnung erst mal an.


32.
ILKE geht durch die Wohnung. Sie ist komplett eingerichtet. Sie öffnet ein Fenster und schaut hinaus. SAMUEL (zu KÖNIG): Das ist ja ein richtiges Schmuckstück. Hier würde ich selbst sofort einziehen. Und alles blitzblank. KÖNIG: Ich hab meine Putzfrau hergeschickt. Sie hat für 400 Euro 4 Tage lang geputzt. Sogar die Bettwäsche ist gewaschen. ILKE: Wann könnte ich einziehen? KÖNIG: Wenn Sie wollen sofort. Sie müssen nur den Mietvertrag unterschreiben. KÖNIG holt aus einem Aktenkoffer einen Mietvertrag. Und ich brauche 3 Monatsmieten Kaution. ILKE: Soviel habe ich nicht bei mir. SAMUEL: Kein Problem. Ich lege es vor. ILKE geht zu SAMUEL und gibt ihm einen schnellen Kuß auf die Backe. ILKE: Sie sind ein toller Detektiv. SAMUEL bleibt cool, zieht seine Brieftasche und blättert 6 Einhunderteuroscheine auf den Tisch. ILKE setzt sich und überfliegt den Mietvertrag. SAMUEL: Das beste kommt zum Schluß. Kommen Sie, Ilke. Ich muß Ihnen noch etwas zeigen. Alle drei gehen in den Flur.


33.
Im Flur steht ein ziemlich großer alter Safe. KÖNIG: Das sind die Schlüssel. Sie brauchen immer 2 Schlüssel, um ihn zu öffnen. KÖNIG zeigt ILKE, wie man den Safe öffnet. KÖNIG: Ich hoffe, Sie haben dafür Verwendung.


34.
SAMANTHA schreibt einen Scheck über 50.000 Euro aus und gibt ihn BARBARA. SAMANTHA: Den Vertrag schicke ich dir im Lauf der Woche mit der Post. Sie umarmen sich lange. BARBARA: Danke. SAMANTHA: Auf mich kannst du immer zählen.


35.
BARBARA räumt die Reste des nächtlichen Gelages im Garten zusammen. Dann kommt sie mit einer Leiter und geht zu ihrem Walnußbaum. Sie umarmt ihn wieder und sagt: Danke für die Hilfe. Ich hab vor 3 Jahren alle Löcher in dir mit Beton ausgefüllt. Ich will, daß du noch lange lebst. Sie steigt auf die Leiter und schaut nach den mit Beton aufgefüllten Löchern.


36.
BARBARA kommt nachhause. SARAH kommt ihr entgegengestürmt und umarmt und küßt sie wild. SARAH: Ich hab alles gemacht. Alle Hausaufgaben. Mein Zimmer ist aufgeräumt. Der Ranzen für die Schule ist gepackt. Und der Tisch für’s Abendessen ist gedeckt. BARBARA: Toll. Du bist meine Lieblingstochter. SARAH: Hast du den Wunschzettel für deinen Geburtstag gemacht? BARBARA: Ich bin nicht dazu gekommen. Ich versprech’s dir. Ich mach ihn heute abend, wenn ihr im Bett liegt.


37.
In der Küche macht SEBSTIAN einen Salat für das Abendessen. Er arbeitet verbissen und in der kleinen Küche sieht es aus als wären zehn Köche am Werk. BARBARA: Hallo mein Sohn. SEBASTIAN: Hallo Mama. Der Salat ist gleich fertig. Es wird ein „Salade á la française avec une modification exclusive“ - mit frischen Kräutern aus dem eigenen Garten. GREGOR kommt dazu. Er umarmt BARBARA. GREGOR: Deine Datscha ist offensichtlich nicht abgebrannt. Sonst hätten wir was von dir gehört. SARAH kommt in die Küche. SARAH: Meine Patentante war hier. Sie wollte mit dir ins Kino.


38.
Eine kleine Autowerkstatt. An einer Wand hängt ein großes Plakat mit dem Text: „Bargeld lacht“. ILKE sitzt in einem roten Audi TT Cabrio. Das Verdeck ist offen. Darüber ein Titel: EIN PAAR TAGE SPÄTER. Sie schaltet die Zündung ein, betrachtet das Armaturenbrett, macht das Radio an. Eine Antenne fährt aus. Dann schaltet sie Radio und Zündung wieder aus und steigt aus dem Wagen. ILKE zu IDELSTEIN, dem Werkstattbesitzer: Ich kaufe das Auto. Können Sie ihn bitte bis morgen Mittag fertigmachen und zulassen? IDELSTEIN: Kein Problem. Herr Eisenstein hat uns schon informiert, daß er die Versicherungsangelegenheit für Sie übernimmt. Wie wollen Sie bezahlen? ILKE: Bar. Ist Ihnen das recht. IDELSTEIN: Bar ist uns immer am liebsten. IDELSTEIN lacht ILKE an und schaut, ob sie ihn versteht. IDELSTEIN: Wissen Sie, die Geschäfte gehen schlecht und so. Naja, Sie müssen nur noch den Vertrag unterschreiben. Ich habe schon alles vorbereitet. ILKE: Herr Idelstein, ganz ehrlich, woher wußten Sie, daß ich das Auto kaufe? IDELSTEIN (faßt sich an den Bauch): Ich hatte so ein Gefühl im Bauch. Der Wagen paßt zu einer so schönen jungen Frau, wie Sie es sind.


39.
BARBARA kommt fröhlich in ihr Architekturbüro. In einem großen Raum mit vielen Computern sitzen eine Handvoll Mitarbeiter vor ihren Monitoren. BARBARA: Liebe Mitarbeiter. Heute ist unser Glückstag! (Pause) Alle schauen BARBARA an. BARBARA: Wir haben den Auftrag für die Gerstenmeiersiedlung. Unser Entwurf hat die Investorengruppe überzeugt. Wir sind modern und klassisch. (Pause) Und am billigsten. Ich möchte mich bei euch allen bedanken, und bei dir, Franz. Es war ja vor allem deine Idee. FRANZ steht auf: Deine doch auch. BARBARA (geht darauf nicht ein): Ich habe noch eine gute Nachricht. Ihr dürft alle in mein Büro kommen und euch einen Scheck für die letzten beiden Monatsgehälter abholen. Danke, daß ihr so geduldig wart.


40.
ILKE spaziert mit sich und der Welt zufrieden durch die Friedrichstraße und schaut sich die Auslagen in den Schaufenstern an. Plötzlich entdeckt sie FRANK. ILKE: Hallo Frank! FRANK dreht sich um und erkennt sie sofort wieder. FRANK: Wie geht es Ihnen? ILKE (strahlt ihn an): Ich hab jetzt eine Wohnung. Wollen wir einen Kaffee zusammen trinken? FRANK: Ich hab ein Seminar. Ich bin schon zu spät. ILKE schreibt ihre Telefonnummer auf einen Zettel und gibt ihn Frank. ILKE: Rufen Sie mich mal an. FRANK sagt Tschüß und läuft Richtung Unter den Linden davon. ILKES Handy klingelt. Sie nimmt das Gespräch an. ILKE: Hier Ilke. – Soll ich in dein Büro kommen? – Einverstanden in einer Stunde.


41.
ILKE kauft in einem Spirituosengeschäft eine Flasche Jack Daniels.


42.
SAMUEL kommt in ILKES Wohnung. Er sieht sich um. Die beiden Zimmer sind wohnlich und geschmackvoll eingerichtet: neue Vorhänge, ein Teppich. An einer Wand hängt ein Plakat von Madonna. SAMUEL: Donnerwetter. Das hat sich ja unglaublich verändert. SAMUEL bleibt vor dem Teppich stehen. SAMUEL: Muß ich meine Schuhe ausziehen? ILKE: Nicht nötig. Der Teppich ist ein Geschenk meines Vaters. Du weißt ja, daß er einmal als kleiner türkischer Teppichhändler in Deutschland angefangen hat. SAMUEL: Ich ziehe meine Schuhe doch lieber aus. SAMUEL zieht seine Schuhe aus. ILKE: Bitte nimm Platz, Samuel. SAMUEL setzt sich und öffnet seine Aktentasche. ILKE: Was möchtest du trinken? Tee, Kaffee, Wasser, Cola (Pause) oder Whisky? ILKE wartet seine Antwort gar nicht ab und geht in die Küche. Sie kommt mit der Flasche Jack Daniels und einem Glas zurück. ILKE: Ich weiß, alle Detektive trinken Whisky. Oder ist es dafür noch zu früh?. SAMUEL lacht: Dafür ist es nie zu früh! ILKE öffnet die Flasche und schenkt ein. ILKE: Eis habe ich leider noch nicht. Der Kühlschrank ist erst heute morgen gekommen. SAMUEL nimmt eine Schluck und läßt ihn auf der Zunge zergehen. SAMUEL: Das tut gut. Er holt einen Aktenbündel aus seiner Aktentasche. SAMUEL: Da drin steht alles über deine Mutter, was Menschen wissen können. Ich habe meine besten Leute auf sie angesetzt. Nur der liebe Gott weiß mehr über sie. ILKE setzt sich an den Tisch und überfliegt die ersten Seiten. ILKE: Ich möchte sie sofort anrufen. Um die Zeit kriege ich sie am sichersten im Büro. Ich schalte den Lautsprecher ein. Dann kannst du mithören, was sie sagt. Vielleicht will sie nichts von mir wissen, und dann müssen wir gegen sie kämpfen.


43.
BARBARA sitzt in ihrem Büro. Sie stellt einen Scheck aus. FRANZ sitzt vor ihr. FRANZ: Eigentlich müßten wir heute abend zusammen feiern. Das Telefon klingelt, BARBARA hebt ab: Architekturbüro Barbara Bärenklau. Was kann ich für Sie tun? – Nein, das glaube ich Ihnen nicht. Warten Sie, bitte einen Augenblick. Ich sitze in einer Besprechung. Ich bin sofort ganz für Sie da. BARBARA unterschreibt schnell den Scheck, gibt ihn FRANZ, deckt die Sprechmuschel ab. BARBARA: Franz, bitte laß mich allein. Das ist ein sehr wichtiges privates Gespräch. Wir reden nachher weiter. FRANZ nimmt den Scheck und verläßt BARBARAS Büro.


44.
BARBARA (im off aus dem Lautsprecher des Telefons): Jetzt können wir in Ruhe miteinander sprechen. Es fällt mir schwer, Ihnen zu glauben. Nach so langer Zeit. ILKE: Ich möchte Sie kennenlernen. Ich möchte Sie morgen treffen, BARBARA (off): Wo? Weißt du, wo ich wohne? ILKE: Ja. Aber ich möchte, daß wir uns draußen treffen. Vielleicht in einem Park. Oder irgendwo am Wasser. SAMUEL: Vielleicht am Wannsee. ILKE: Am Wannsee. BARBARA (off): Der Wannssee ist groß. SAMUEL: An der Havelchaussee, erster Parkplatz auf der linken Seite. ILKE: Mein Freund schlägt vor: an der Havelchaussee, auf dem ersten Parkplatz links. BARBARA (off): Was ist, wenn ich dich nicht erkenne? ILKE: Ich fahre einen rotes Audi-Cabrio. Ist 14 Uhr okay für Sie? (Pause) Ich werde allein kommen. Sie müssen keine Angst haben. Ich tue Ihnen nichts. BARBARA (off): Okay. Dann bis morgen. Das Telefon knackt. ILKE legt auf. ILKE: Jetzt brauche ich auch einen Whisky. ILKE holt ein Glas und gießt sich etwas aus der Jack Daniels-Flasche ein. Sie nimmt einen Schluck. ILKE: Gut, daß du bei mir warst. SAMUEL: Stell dir vor, du wärst an ihrer Stelle. ILKE: Ich mag ihre Stimme.


45.
ILKE sitzt in IDELSTEINS Büro und blättert ihm 49 Fünfhundert-Euroscheine auf den Schreibtisch. ILKE trägt einen zu ihrem neuen Auto passenden roten Overall und darunter ein blaues T-Shirt. IDELSTEIN strahlt und händigt ihr die Papiere und die Fahrzeugschlüssel aus. IDELSTEIN: Wenn irgendetwas mit dem Wagen nicht in Ordnung sein sollte, rufen Sie mich sofort an.


46.
Vor der Werkstatt. ILKE steigt in ihr neues, rotes Auto und fährt davon. IDELSTEIN winkt ihr nach: Viel Glück!


47.
ILKE fährt über die Avus, Richtung Wannsee.


48.
BARBARA und SAMANTHA essen in einem Restaurant zu Mittag. BARBARA hat keinen großen Appetit. BARBARA: Ich hab einen Knoten im Magen. BARBARA hört auf zu essen und zündet sich eine Zigarette an. BARBARA: Entschuldige bitte. SAMANTHA: Ilke wird dich nicht auffressen. Sie ist deine Tochter! Vergiß das nicht. Es ist nicht allein deine Schuld, daß ihr euch zwanzig Jahre nicht gesehen habt. Ihr geht es wahrscheinlich genauso wie dir. BARBARA schaut auf ihre Uhr: Ich glaub, ich muß los. Ich möchte nicht, daß sie nach so langer Zeit auf mich warten muß. SAMANTHA: Alle Frauen sind unpünktlich. BARBARA drückt die Zigarette, die sie gerade angezündet hat, wieder aus. BARBARA: Ich fahr jetzt. BARBARA holt ihre Handtasche, um zu bezahlen. SAMANTHA: Laß das. Ich lade dich ein. Fahr in Gottes Namen. BARBARA steht auf. BARBARA: Danke, Samantha. SAMANTHA: Viel Glück!


49.
BARBARA fährt über die Havelchaussee und biegt in einen Parkplatz ein. Es gibt nur wenige Autos. Sie hält direkt neben dem roten Audi-Cabrio. BARBARA steigt aus. ILKE steigt aus und sie gehen aufeinander zu. ILKE sagt: Ich bin Ilke. BARBARA sagt: Ich bin Barbara. Sie geben sich die Hand und wissen beide nicht so recht, was sie jetzt tun sollen. BARBARA sieht ILKE in die Augen. BARBARA: Du bist groß geworden. Viel größer als ich. ILKE sagt nichts, sie schaut BARBARA nur an und hat plötzlich eine Träne in den Augen. BARBARA: Vielleicht gehen wir erst mal runter zum Wasser! Ist das OK? ILKE nickt. BARBARA geht voraus. ILKE folgt ihr.


50.
Der Weg zum Wasser ist steil und sandig. BARBARA trägt ein dunkelblaues Kostüm und elegante Schuhe mit hohen Absätzen. BARBARA bleibt mit ihren Schuhen im Sand stecken und fällt. BARBARA schreit laut: Scheiße! ILKE kniet sich neben BARBARA hin, zieht ihr die Schuhe aus und untersucht BARBARAS linken Fuß. ILKE: Tut das weh? BARBARA verzieht das Gesicht und nickt. ILKE: Beweg du ihn mal! BARBARA tut, was ILKE sagt. ILKE: Ich glaube nicht, das etwas gebrochen ist. Du hast dir nur das Fußgelenk verstaucht. BARBARA: Hoffentlich. ILKE: Kaltes Wasser wäre jetzt gut. Glaubst du, daß du aufstehen kannst. BARBARA versucht wieder auf die Beine zu kommen. ILKE hilft ihr. Gestützt auf ILKE humpelt sie zum Wasser. ILKE: Vielleicht ist das die Strafe Gottes, weil du dich nicht um mich gekümmert hast.


51.
ILKE führt die humpelnde BARBARA auf einen Bootssteg. ILKE: Hier kannst du deinen Fuß ins Wasser hängen lassen. BARBARA zieht mit ILKES Hilfe ihre Strümpfe aus und sie setzen sich. Hinter ihnen bewegen sich hohe Schilfgräser sanft im Wind. Sie sagen eine Weile nichts. BARBARA: Hast du eine Zigarette? ILKE holt aus ihrem Overall eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug, steckt sich zwei Zigaretten in den Mund und zündet beide an. Sie gibt BARBARA eine davon. BARBARA: Danke. Beide rauchen und schauen auf das Wasser. ILKE (nach einer langen Pause): Weißt du, wie das ist, wenn man eine Mutter hat und sie nicht kennt? BARBARA: Nein. (Pause) Vielleicht können wir nochmal ganz von vorn anfangen. ILKE: Als ich so fünfzehn, sechszehn war. gab es eine Zeit, da hab ich den ganzen Tag mit dir geredet. Ich hab dich geliebt, ohne dich zu kennen. Ich habe ein Tagebuch geführt und dir darin endlose Briefe geschrieben. BARBARA schaut ILKE an: Kannst du mir verzeihen? ILKE guckt sie nicht an, sondern auf das Wasser. ILKE: Dann kam eine Zeit, da habe ich dich gehaßt. Ich habe daran gedacht, dich zu töten. Manchmal will ich das immer noch. ILKE wirft die zu Ende gerauchte Zigarette ins Wasser. ILKE sieht BARBARA an. ILKE: Weißt du, daß mein Vater nicht mehr lebt? BARBARA: Nein. (Pause) Hat er einen Unfall gehabt? ILKE: Nein. Er war schon lange todkrank. Er ist in meinen Armen gestorben. Er hat dich bis zu seinem letzten Atemzug geliebt. Deshalb bin ich hier. BARBARA: Aber er ist doch von mir weggegangen!


52.
ILKE bringt die noch immer humpelnde BARBARA zurück zu ihrem Auto. ILKE: Bist du sicher, daß du fahren kannst? BARBARA lächelt ILKE an: Ganz sicher! BARBARA umarmt ILKE lange. ILKE legt ihren Kopf auf BARBARAS Schulter. BARBARA steigt in ihr Auto. Sie ist noch immer barfuß. Sie wirft ihre Schuhe auf den Beifahrersitz, läßt das Seitenfenster herunter und startet den Wagen. BARBARA: Ich ruf dich morgen an. BARBARA fährt weg. ILKE winkt ihr nach.


53.
ILKE geht zurück zum See.

54.
Ilke setzt sich auf den Bootssteg und zündet sich eine Zigarette an.

55.
Die Sonne geht unter. ILKE sitzt noch immer auf dem Bootssteg und raucht ihre letzte Zigarette. ILKE spricht laut zu sich selbst: Ich brauche neue Zigaretten.


56.
ILKE steigt in ihr Auto, startet den Motor, schaltet das Licht ein und fährt weg.


57.
ILKE fährt zurück über die Avus nach Berlin. Sie schaltet das Radio ein. Eine unbekannte Sängerin singt: No More Drama. Tränen rinnen über ihr Gesicht. Sie weint lautlos.


58.
In einem modernen Konferenzsaal hoch über dem Potsdamer Platz sitzen ILKE und SAMUEL und hören, was ihr Bankdirektor MÜLLER sagt. MÜLLER: Wir sind immer offen für Kunden, die über Beträge in dieser Größenordnung verfügen. Vorausgesetzt es handelt sich um ehrlich verdientes Geld. Sie können natürlich nicht irgendwo eine Bank ausrauben und dann mit dem Geld zu uns kommen. Aber darüber müssen wir ja nicht reden, da Herr Eisenstein und ich uns seit vielen Jahren kennen. MÜLLER steht auf und sieht aus dem Fenster, dann dreht er sich wieder um zu ILKE und SAMUEL. MÜLLER: Sie können alles von hier aus machen. Sie können beliebige Beträge nach Luxemburg, in die Schweiz, nach Liechtenstein, nach Panama, nach den Bahamas oder auch in den Pazifik transferieren. Wir können für Sie zu tausend Banken Verbindungen herstellen. Nach ein paar Monaten, wenn wir es geschickt machen, wird es so gut wie unmöglich festzustellen, wo welcher Geldbetrag ist. Aber wenn jemand kommt und sich genug Zeit nimmt – vielleicht braucht er ein paar Jahre – läßt sich alles rekonstruieren. Kein Mensch auf dieser Welt kann Geld einfach verschwinden lassen. Das beste für Sie wäre. Sie kaufen ein schönes Haus irgendwo im Grünen, graben ein tiefes Loch und lassen Ihr Bargeld darin verschwinden. MÜLLER setzt sich wieder, zündet sich eine Zigarre an und raucht. MÜLLER: Wenn Sie sich für diese radikale Lösung entscheiden, würde ich anfangen zu weinen. SAMUEL gibt dem BANKDIREKTOR ein sauberes Taschentuch: Bitte. Fangen Sie an zu Weinen! MÜLLER lächelt und redet weiter: Geld ist Leben. Geld ist das Blut in den Adern der Wirtschaft. (Pause) Gibt es etwa andere Interessenten? SAMUEL: Wir können das natürlich nicht völlig ausschließen. Timur Tercan, Ilkes Vater, hatte sehr weitreichende , geschäftliche Verbindungen.


59.
SAMUEL und ILKE gehen zu ihren Autos in einem unterirdischen Parkhaus. ILKE: Ich will kein Haus kaufen. Mir gefällt meine Wohnung. SAMUEL: Ein Jahr später würde das Finanzamt fragen, mit welchem Geld du das Haus gekauft hast. Wenn du die Wahrheit sagst und etwas anderes bleibt dir nicht übrig, ist die Hälfte weg. Wir leben leider in einer komplizierten Zeit. Ohne mich hättest du keine Chance. ILKE: Ich weiß. SAMUEL umarmt ILKE: Ich muß ins Büro. Paß gut auf dich auf! Und drück uns die Daumen, daß ich nicht plötzlich tot umfalle. Einem guten Freund von mir ist das letztes Jahr passiert. ILKE steigt in ihr Auto und fährt aus der Tiefgarage.


60.
BARBARA ist in einem Krankenhaus. Der OBERARZT zeigt ihr die Röntgenaufnahme des linken Fußes. OBERARZT: Sehen Sie, hier ist der Knochen gebrochen. Gut, daß Sie rechtzeitig zu uns gekommen sind. Wir müssen das Bein in Gips legen, damit die Knochen in Ruhe wieder zusammenwachsen können. BARBARA: Kann ich Auto fahren? OBERARZT: Das würde ich Ihnen nicht raten. BARBARA: Dann muß ich meinen Mann anrufen, damit er mich abholt und meinen Wagen wegbringt? Das Handy darf ich hier ja wohl nicht benutzen. OBERARZT: Bitte. Bedienen Sie sich. Der OBERARZT gibt ihr das Telefon. OBERARZT: Sie müssen eine Null vorwählen. BARBARA: Danke. Sie wählt eine Nummer. BARBARA: Barbara Bärenklau. Kann ich bitte meinen Mann sprechen. – Es ist doch ein Knochen gebrochen. Ich krieg einen Gips. – Sechs Wochen. Nimm ein Taxi und komm ins Urban-Krankenhaus. Wir fahren dann mit meinem Wagen nachhause.


61.
GREGOR und BARBARA kommen aus dem Krankenhaus. BARBARA stützt sich dabei auf zwei Krücken. BARBARA: Das paßt mir gar nicht. Ich wollte Ilke zum Abendessen einladen und etwas kochen. Wenn ich das nicht mache, redet Sarah eine Woche kein Wort mehr mit mir. GREGOR: Ich kann kochen. Ich bin auch neugierig auf sie.


62.
GREGOR und BARBARA fahren im Volvo nachhause. BARBARA wählt auf ihrem Handy die Nummer von ILKE. BARBARA: Hallo Ilke, Barbara. Unser Abenteuer gestern ist doch nicht gut ausgegangen. – Der Fuß ist gebrochen. Ich trage einen Gips. – Ich möchte dich zum Abendessen einladen und dir meine Familie vorstellen. Um 6 Uhr. Sarah stirbt vor Neugierde. Wirst du kommen? – Ich freue mich. – Bis heute abend. GREGOR: Grüß sie von mir!


63.
GREGOR kocht in der Küche auf vier Platten gleichzeitig, als ginge es darum einen Kochwettbewerb zu gewinnen. BARBARA humpelt mit ihren Krücken herein. BARBARA: Kann ich dir irgendwas helfen. Meine Hände sind sind nicht gebrochen. GREGOR: Liebling, bitte geh raus! Du störst hier den ganzen Ablauf. Alles ist genau geplant. Bist du sicher, daß sie pünktlich ist? BARBARA: Woher soll ich das wissen. Ich kenn sie nicht. Vielleicht gibt es in der Türkei andere Regeln. Ihr Vater war immer pünktlich. GREGOR: Wenn sie zu viel von deinen Genen abgekriegt hat, kommt sie frühestens viertel nach sechs.


64.
Der Tisch ist gedeckt. SEBASTIAN, der seinem Vater geholfen hat, stellt eine Salatschüssel auf den Tisch und zündet zwei Kerzen an. Er sieht auf seine Armbanduhr. Es ist 17.59 auf seiner Uhr. Es klingelt an der Haustür.


65.
SARAH steht im Badezimmer vor dem Spiegel und schminkt sich die Lippen. Als sie das Klingeln hört, wirft sie den Lippenstift weg und rast hinaus.


66.
SARAH öffnet die Wohnungstür. Vor ihr steht Ilke. SARAH: Hallo Ilke, ich bin Sarah. Komm rein. ILKE: Ich hab Blumen für deine Mutter mitgebracht. SARAH: Sie ist im Wohnzimmer. Ihr Bein ist gebrochen. SARAH geht voraus. ILKE folgt ihr.


67.
SARAH macht die Küchentür auf. SARAH: Das ist Papa. Sie flüstert ILKE zu. SARAH: Wenn er kocht, darf ihn niemand stören. GREGOR dreht sich kurz um. GREGOR: Hallo! Das Essen ist in fünf Minuten fertig. GREGOR dreht das Feuer auf einem Brenner kleiner und wendet sich wieder ILKE zu. GREGOR: Wir kennen uns doch. Wir waren zusammen im Zug. Das ist eine gelungene Überraschung. SEBASTIAN kommt in die Küche. SARAH: Das ist Sebastian. Mein Bruder. SEBASTIAN (sehr beiläufig): Hallo Ilke.


68.
Im Wohnzimmer. ILKE gibt BARBARA den Blumenstrauß, eine Zusammenstellung von roten und blauen Blumen. BARBARA: Das ist lieb von dir. Der ist wunderschön. Sarah, bitte stell den Strauß in eine Vase. BARBARA gibt den Strauß SARAH. BARBARA: Nimm die große blaue Vase. SARAH nimmt den Blumenstrauß und verläßt das Wohnzimmer. ILKE sieht sich um. ILKE: Du hast eine schöne Wohnung. BARBARA: Woher weißt du, daß ich diese beiden Farben liebe? BARBARA steht mit Hilfe der Krücken auf und geht mit ihr zur Terrasse. ILKE: mein Vater hat mir nicht viel von dir erzählt. Aber die Geschichte von deinen Lieblingsfarben hat er mir erzählt.


69.
Auf der Terrasse. BARBARA: Das war also Absicht. Das was du gestern getragen hast? ILKE: Ich wollte dir gefallen. BARBARA lächelt ILKE an. BARBARA: Ich hab’s mir fast gedacht. Es gibt keine Zufälle im Leben. ILKE (leise): Ich hab das nicht so gemeint gestern, als ich gesagt habe, das ist die Strafe Gottes. BARBARA: Ich weiß. BARBARA umarmt ILKE. BARBARA: Ich bin froh, daß du da bist. Auch ich habe immer an dich gedacht. BARBARA sieht ILKE in die Augen. BARBARA: Glaub mir, ich hab dich nie vergessen. Keine Mutter, die ein Kind geboren hat, kann es vergessen. Das ist unmöglich. Wenn du einmal selbst Kinder hast, kannst du das verstehen. ILKE löst sich aus der Umarmung und betrachtet die Umgebung. ILKE: Hier wäre ich also aufgewachsen. BARBARA: Vielleicht. Aber ich glaube eher in einer tollen Villa am Wannsee. Dein Vater war der geschäftstüchtigste Mann, den ich je kennengelernt habe. BARBARA geht zu ILKE. BARBARA: Wenn mich Geld jemals interessiert hätte, wäre ich ihm nachgelaufen, hätte mich vor ihm auf die Knie geworfen und ihn um Verzeihung gebeten. Aber ich war auch verletzt. Unglaublich verletzt!


70.
Im Wohnzimmer. Alle sitzen am Tisch und essen. ILKE: Ich habe am Strand einen jungen Rockmusiker kennengelernt und mich auf der Stelle in ihn verliebt. Dann sind wir zusammen ein halbes Jahr lang durch die Türkei getrampt. Ich hatte keine Ahnung, wie schön mein Heimatland ist und wollte alles sehen. In einer kleinen Stadt haben wir dann geheiratet. Seine Eltern wußten nichts und meinem Vater habe ich auch nichts gesagt. Ich war verliebt und habe geheiratet. Ich habe damals nicht gewußt, daß sowas nicht lange dauert. Mir hat niemand was gesagt. Ich habe gedacht, wenn ich das fühle, dann bleibt es so bis an meinen Lebensende. ILKE wendet sich SARAH und SEBASTIAN zu: Habt ihr eine Idee, wie das ist? Das ist so wie Eis essen, Schokolade essen, Cola trinken und das alles gleichzeitig. Und es hört einfach nicht auf. Es ist das beste, was es gibt. Und es bleibt so. Ganz lange. Das ist Liebe! Später hab ich gemerkt, daß wir über nichts miteinander reden können. Wir haben uns immer seltener gesehen. BARBARA: Habt ihr nicht zusammen gewohnt? ILKE: Nie. Dann habe ich mich scheiden lassen. Keiner am Tisch sagt etwas. SEBASTIAN: Mama kriegen wir als Nachtisch Eis? BARBARA: Okay. Heute einmal. Ausnahmweise. SEBASTIAN (zu ILKE): Willst du auch eins? ILKE: Gerne. SEBASTIAN: Cool.


71.
Draußen ist es dunkel geworden. Im Kaminofen brennt Feuer. Der Tisch ist abgedeckt. GREGOR schenkt ILKE, BARBARA und sich selbst Rotwein nach. ILKE: Nur noch einen ganz kleinen Schluck. Ich muß noch mit dem Auto nachhause fahren. BARBARA: Wirst du jetzt hier bleiben? ILKE: Vielleicht. BARBARA: Was willst du machen? Hast du irgendetwas gelernt? ILKE: Ich habe damals mit meinem Freund manchmal gesungen. In seiner Rockband. Ich wollte so sein wie Madonna. SARAH: Bitte, kannst du etwas für uns singen. ILKE: Ohne Begleitung ist das schwer. Kann von euch jemand ein Instrument spielen? SARAH: Ich spiele Geige. Aber das ist wahrscheinlich für dich nicht so leicht. Papa kann Gitarre spielen. Bitte Papa, hol deine Gitarre. GREGOR kann der Bitte seiner Tochter nicht widerstehen und steht auf. GREGOR: Ich bin ein bißchen aus der Übung. Wir können es mal versuchen. SARAH: Danke Papa. GREGOR geht in sein Zimmer. SARAH läuft ihm nach.


72.
In GREGORS Zimmer ist alles voller Computer und Monitore. Er öffnet den Kasten, in dem seine Gitarre ist. SARAH: Ich finde Ilke total cool. GREGOR: Mir gefällt sie auch. GREGOR spielt ein paar Akkorde. SARAH: Wird sie ab jetzt bei uns wohnen? GREGOR: Das mußt du sie schon selbst fragen.


73.
GREGOR und SARAH kommen zurück ins Wohnzimmer. GREGOR (zu ILKE): Wir setzen uns am besten dort auf das Sofa. Alle stehen auf und gruppieren sich um das Sofa. GREGOR spielt wieder ein paar Akkorde. GREGOR: Fangen Sie an. Ich will’s versuchen. Aber so gut wie Ihr Freund bin ich bestimmt nicht. ILKE singt ein langsames, trauriges türkisches Lied.

74.
BARBARA bringt SEBASTIAN und SARAH ins Bett. SARAH: Gute Nacht. Kannst du Ilke sagen, daß sie nochmal kommen soll.


75.
BARBARA kommt zurück ins Wohnzimmer. ILKE steht auf. ILKE: Ich glaube, ich muß jetzt gehen. Ihr müßt sicher morgen früh raus. BARBARA: Sarah möchte, daß du nochmal zu ihr kommst. ILKE: Okay.


76.
ILKE geht zu SARAHS Bett. SARAH: Wirst du jetzt bei uns wohnen? ILKE: Ich glaube nicht. Ich bin schon ein großes Mädchen. Große Mädchen haben lieber ihre eigenen Wohnungen. Weil sie da machen können, was sie wollen. Das verstehst du doch bestimmt. SARAH: Ich möchte auch schon ein großes Mädchen sein. ILKE: Aber wir können uns immer sehen. SARAH: Schlaf gut, große Schwester. Ich hab dich lieb!


77.
BARBARA liegt schon im Bett. GREGOR kommt im Schlafanzug ins Schlafzimmer. BARBARA: Bitte umarm mich ganz fest. GREGOR: Ich bin hundemüde! Wenn ich mich hinlege, schlafe ich auf der Stelle ein. BARBARA: Umarm mich trotzdem. Sonst fühl ich mich so allein. GREGOR legt sich auf seine Seite ins Bett, dreht sich BARBARA zu und legt seinen Arm unter ihren Kopf. GREGOR: Ist es so okay?. GREGOR streichelt mit der anderen Hand unbeholfen BARBARA. BARBARA nickt und kuschelt sich an ihn. GREGOR sagt: Die ist nett. Dann schläft er ein. Eine Träne läuft über BARBARAS Gesicht.


78.
ILKE frühstückt in ihrer Küche. Sie trinkt Kaffee und ißt ein Joghurt. Dann geht sie in den Flur.


79.
ILKE öffnet den Safe. Darin sind die Fünfhundert Euroscheine fein säuberlich gestapelt. Sie nimmt vier Scheine und schließt den Safe wieder ab.


80.
ILKE zahlt bei ihrer Bank zweitausend Euro auf ihr Konto ein. BANKANGESTELLTE: Die Geschäfte gehen gut? Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich. ILKE: Ich bin zufrieden. Auf Wiedersehen, bis morgen.


81.
BARBARA fährt mit einem Taxi zu ILKES Wohnung in Kreuzberg (darüber ein Titel: EIN PAAR TAGE SPÄTER).


82.
Das Taxi hält vor dem Haus, in dem ILKE wohnt. BARBARA bezahlt und steigt mit ihren Krücken aus. Sie geht – mittlerweile ziemlich gewandt – zum Hauseingang. Ein MANN (40) steht in der Nähe des Hauseingangs und beobachtet ihn. BARBARA klingelt. ILKE (aus dem Lautsprecher): Ja bitte. BARBARA: Ich bin’s Barbara. BARBARA geht ins Haus.


83.
ILKE steht am Herd und kocht. BARBARA sitzt am Küchentisch. ILKE: Möchtest du einen Schluck Wein? BARBARA: Ja. ILKE holt eine Flasche, zeigt BARBARA das Etikett. ILKE: Du trinkst doch gerne Rotwein? ILKE stellt zwei Gläser auf den Tisch und holt den Korkenzieher. BARBARA: Ich mach ihn auf. Weinflaschen aufmachen ist meine Spezialität. Leider. ILKE schaut BARBARA fragend an. BARBARA: Ich trinke jeden Tag mindestens eine halbe Flasche. Damit ich keinen Herzinfarkt kriege. BARBARA lacht. BARBARA: Ich bin Alkoholikerin. BARBARA schaut ILKE an. ILKE reagiert nicht. BARBARA: Das stimmt sogar mit dem Herzinfarkt. Ich hab’s im „Spiegel“ gelesen. BARBARA schenkt sich und ILKE ein. BARBARA: Auf dein Wohl! Sie stoßen an. ILKE: Auf dein Wohl! Sie trinken einen Schluck. BARBARA: Der ist ganz wunderbar! ILKE: Bist du da sicher? BARBARA: Ich laufe natürlich nachts nicht gröhlend durch die Straßen und falle dem nächstbesten Mann um den Hals. Ich hab’s unter Kontrolle. Aber mein Bauch tut weh, wenn ich gar nichts trinke. ILKE: Ich bin gleich fertig mit dem Essen. BARBARA: Ich bin gern bei dir. Du bist der erste Mensch, dem ich das gesagt hab. Auch Gregor weiß nichts davon. ILKE: Liebst du deinen Mann? BARBARA: Das weiß ich nicht mehr.


84.
BARBARA und ILKE sitzen im Wohnzimmer. Sie essen und trinken. ILKE: Ich war in Schulen in England, in Frankreich und natürlich in Deutschland. Mein Papa wollte immer, daß ich perfekt – ohne Akzent! – Deutsch spreche. Mein Abitur hab ich in der Schweiz gemacht. Ich weiß eigentlich nicht, wo ich hingehöre. Nur in den Ferien war ich bei ihm. Als ich das Abitur bestanden habe, sind wir zusammen zwei Wochen nach New York gefahren. Das war die schönste Zeit meines Lebens. Danach ist er krank geworden. Gehirntumor. Er hat bis zum Schluß gearbeitet und ich bin bei ihm geblieben. BARBARA: Das tut mir leid. Es klingelt an der Tür. ILKE steht auf und geht in den Flur.


85.
ILKE: Hallo, wer ist da. SAMUEL (off): Samuel. ILKE drückt auf den Türöffner.


86.
SAMUEL stürmt die Treppe hoch. ILKES Tür steht offen.


87.
Im Flur. ILKE begrüßt SAMUEL: Wie geht’s? Meine Mutter ist da. Was ist passiert? SAMUEL (flüstert): Meine Leute haben festgestellt, daß du beobachtet wirst. Und ich hab den Typen vor deinem Haus auch gesehen. Ich fürchte, du mußt umziehen. ILKE: Komm erst mal rein. Ich stell dich meiner Mutter vor. SAMUEL: Weiß sie etwas? ILKE: Sie ist meine Mutter!


88.
ILKE kommt mit SAMUEL ins Wohnzimmer. ILKE: Barbara, das ist Samuel Eisenstein. Er hat ein Detektivbüro, ist aber mein Berater in allen Lebensfragen. – Und das ist meine Mutter, Barbara Bärenklau! SAMUEL verbeugt sich tief vor BARBARA und gibt ihr die Hand. SAMUEL: Guten Abend. BARBARA: Guten Abend, Samuel. Darf ich Sie so nennen. Eisenstein klingt so förmlich. SAMUEL: Haben wir einmal geschäftlich miteinander zu tun gehabt? BARBARA: Ich hab noch nie im Leben einen Detektiv gebraucht. ILKE: Setz dich doch. Hast du schon was gegessen? SAMUEL schüttelt den Kopf und starrt BARBARA an. ILKE: Ich hol einen Teller. Whisky ist auch noch da. BARBARA wird SAMUELS Blick etwas unangenehm. BARBARA: Ist irgendwas an mir nicht in Ordnung? SAMUEL schreit plötzlich laut auf: Ich hab’s. Ich weiß, woher ich dich kenne. Bist du die Barbara, die damals vom Baum gefallen ist? BARBARA: Und du bist der Samuel, der mich gerettet hat! ILKE kommt mit einem Teller und Besteck zurück. ILKE: Ihr kennt euch?

89.
ILKE und SAMUEL zeigen BARBARA die Geldbündel im Safe. SAMUEL: Das Geld kann keinen Tag länger hier bleiben. (zu BARBARA) Kannst du es nicht mitnehmen? Bei mir ist es auch nicht sicher. SAMUEL trinkt einen Schluck aus dem Whiskyglas. Er geht in die Küche. BARBARA: Ist das Geld von deinem Vater? ILKE: Ja. SAMUEL kommt mit zwei großen Plastiktüten zurück. SAMUEL: Wir packen erstmal alles hier hinein. Bis auf ein Bündel. Wenn unsere Freunde es schaffen, den Safe zu knacken, müssen sie wenigstens ein Trinkgeld bekommen. (zu BARBARA) Man muß immer ein Opfer bringen, um zu gewinnen. BARBARA sieht SAMUEL lächelnd und erstaunt an als wäre er ein exotisches Lebewesen von einem anderen Stern. ILKE packt die Geldbündel in die Plastiktüten. SAMUEL (zu ILKE): Kannst du heute Nacht wo anders schlafen. Kennst du jemand außer mir und deiner Mutter?


90.
ILKE telefoniert mit FRANK. ILKE: Hallo Frank. Ich bin Ilke. – Kann ich heute Nacht bei dir schlafen? – (sehr entschieden und direkt) Ich will nicht mit dir schlafen, sondern nur bei dir! Hast du eine Matratze? – Versprichst du mir, daß du mich nicht anrührst? Ich habe keinen Bock auf irgendwelche Diskussionen, wenn ich bei dir bin. – Schwöre es! – Ich komme in einer halben Stunde. – Ich hab hier ein paar Probleme. Ich kann dir das nicht am Telefon erklären.


91.
ILKE packt ein paar Kleider in den roten Koffer. SAMUEL steht daneben. SAMUEL: Es wäre besser, wenn du den anderen Koffer auch mitnimmst. Du bist doch mit beiden Koffern gekommen. ILKE: Die passen nicht in den Kofferraum. SAMUEL: Dann verstaue einen im Kofferraum und den andern auf dem Rücksitz.


92.
BARBARA umarmt ILKE. BARBARA: Es war ein schöner und denkwürdiger Abend bei dir. Trotz allem. ILKE: Tschüß Barbara. Tschüß Samuel. SAMUEL steht am Fenster und beobachtet die Straße. ILKE nimmt die beiden Koffer und verläßt ihre Wohnung. SAMUEL macht das Licht aus. SAMUEL geht zu BARBARA. Er gießt sich Whisky ein. BARBARA: Bist du sicher, daß diese Leute nicht auf uns warten? SAMUEL: Ziemlich. Wir warten noch eine Stunde. BARBARA: Hast du keine Angst, daß Ilke etwas passiert? SAMUEL: Das sind keine Mörder. Die wollen nur das Geld.


93.
FRANK öffnet die Tür zu seiner Wohnung. Vor der Tür steht ILKE mit ihren beiden Koffern. FRANK: Hat man dich rausgeschmissen, weil du die Miete nicht bezahlt hast? ILKE: Das ist eine komplizierte und lange Geschichte. FRANK: Komm rein.


94.
SAMUEL und BARBARA fahren durch die Nacht. BARBARA: Darf ich dich fragen, wo wir überhaupt hinfahren? SAMUEL: Zu deiner Datscha. BARBARA: Woher weißt du, daß ich eine Datscha habe? SAMUEL grinst BARBARA herausfordernd an. SAMUEL: Ich bin Detektiv.


95.
FRANK zeigt ILKE die Matratze, die er für sie hergerichtet hat. FRANK: Das ist dein Bett. Ich schlafe in der anderen Ecke. Ganz weit weg von dir. ILKE: Das ist gut. FRANK: Was mache ich, wenn du im Schlaf schreist, weil du Angstträume hast. ILKE: Nichts. FRANK: Okay, ich laß dich also schreien.


96.
SAMUEL biegt, ohne zu blinken in eine kleine Nebenstraße ab und beschleunigt den Wagen. Dann hält er an und sieht nach hinten. BARBARA: Du könntest mit mir jetzt nach Italien oder sonstwohin fahren. Ich hätte nichts dagegen. Es macht mir Spaß, mit dir herumzufahren.


97.
Im Garten von BARBARAS Datscha. SAMUEL geht durch den Garten. BARBARA folgt ihm mit ihren Krücken. SAMUEL hat in einer Hand die Plastiktüten mit dem Geld und einen Spaten und in der anderen eine starke Taschenlampe. Über ihnen leuchtet der Mond und taucht den Garten in ein geheimnisvolles Licht. Der Schein von SAMUELS Taschenlampe fällt auf die riesige Feuerstelle im Gras, wo BARBARA ihre Vergangenheit verbrannt hat. SAMUEL: Das ist der beste Platz für das Geld!

98.
ILKE sitzt auf einem alten Sofa und raucht eine Zigarette. FRANK liegt ihr zu Füßen auf einem Teppich. FRANK: Ist das ganze Geld in diesen Koffern? ILKE: Nein. FRANK: Erzähl schon, bitte! Oder muß ich dir erst die Füsse küssen. FRANK robbt sich an ILKE heran. ILKE: Bleib ja weg von mir! Du hast es geschworen. Es ist bei meiner Mutter. FRANK setzt sich auf. FRANK: Wenn du willst, heirate ich dich auf der Stelle. Dann kannst du auch nicht mehr als unerwünschte Ausländerin ausgewiesen werden. ILKE: Ich bin keine Ausländerin. FRANK: Du siehst aber so aus. ILKE: Du siehst auch nicht besonders deutsch aus. Ich bin müde.


99.
SAMUEL gräbt da, wo vorher die Feuerstelle war, ein tiefe Grube in die Erde. Der Schweiß rinnt ihm über das Gesicht. BARBARA sitzt auf einer Bank und leuchtet ihm mit der Taschenlampe. BARBARA: Du hast damals einen rotblau gestreiften Pullover angehabt. In ein paar Tagen werde ich fünfzig. SAMUEL: Ich bin’s schon. BARBARA: Kommst du zu meinem Geburtstag? SAMUEL unterbricht seine Arbeit. SAMUEL: Wenn du mich einlädst, komme ich. Ich glaube, die Grube ist jetzt tief genug. BARBARA: Wenn wir zusammengeblieben wären, hätte ich bestimmt dich geheiratet. SAMUEL: Vielleicht hättest du dann nicht die Kinder? SAMUEL steigt aus der Grube. BARBARA: Ich wollte immer Kinder. Vielleicht sähen sie dann ein bißchen anders aus. SAMUEL: Wir brauchen Steine und ein großes Stück Metall. Wenn Gras drüber gewachsen ist, finden wir die Stelle notfalls mit einem Metalldetektor.


100.
FRANK hat für sich und ILKE ein ziemlich festliches Frühstück in der kleinen Küche vorbereitet. ILKE kommt in die Küche. ILKE: Ich habe geschlafen wie ein Bär. FRANK: Guten Morgen. Das liegt an der Ausstrahlung meiner Wohnung. Kennst du Feng-Shui? Wenn du willst, kannst du immer hier schlafen. ILKE: Das ist nett von dir. Du bist überhaupt ziemlich nett. FRANK strahlt. ILKE setzt sich an den Tisch. FRANK schenkt ihr Kaffee ein. FRANK: Ich hab’ eine Tante, die ist Gesangslehrerin. Die ist schon fast 80. Vielleicht macht sie aus dir eine neue Madonna.


101.
ILKE setzt FRANK an der Universität ab. ILKE: Meine Mutter feiert am nächsten Samstag ihren fünfzigsten Geburtstag. Willst du mitkommen? FRANK: Klar. ILKE: Da kannst du dann auch meine kleine Schwester kennenlernen. FRANK (erfreut): Toll. ILKE: Sie ist 14. Zu jung für dich.


102.
ILKE kommt in ihre Wohnung. Der Safe ist offen. Das Geldbündel ist weg. Im Safe liegt nur ein Zettel und eine kurze Nachricht auf Türkisch. VIELEN DANK ILKE, DASS DU AUCH AN UNS GEDACHT HAST. WIR WERDEN DICH NICHT VERGESSEN!


103.
Es ist früh am Morgen. Die Straßen sind leer. Die Sonne ist gerade aufgegangen. GREGOR packt die auf der Straße aufgestapelten Kartons, Tascdhen, Plastiktüten und Getränke in seinen Kombi. SEBASTIAN hilft ihm. SARAH schaut noch ziemlich verschlafen zu. Darüber der Titel: EIN PAAR TAGE SPÄTER. BARBARA kommt, immer noch mit ihren Krücken, aus dem Haus und betrachtet die Szene. Als alles verstaut ist, fragt sie: Hast du deine Gitarre mitgenommen? GREGOR: Nein. Wieso? Du hast mir nicht gesagt, daß ich sie mitnehmen soll. Erwartest du etwa, daß ich etwas zu deinem Geburtstag singe? BARBARA: Früher hast du das getan. GREGOR: Sie paßt nicht mehr rein. Guck doch! BARBARA: Bitte hol sie! GREGOR murmelt leise vor sich hin: Frauen! BARBARA gibt GREGOR einen Kuß. BARBARA: Danke. GREGOR geht zurück ins Haus.


104.
ILKE fährt mit FRANK durch die märkische Landschaft. Das Verdeck ist offen. Die Sonne scheint. FRANK: Läßt du mich mal fahren? ILKE: Wenn du schwörst, daß du nicht gegen einen Baum fährst. FRANK: Ich schwöre. ILKE hält an, krabbelt gewandt auf den Beifahrersitz und schnallt sich an. FRANK steigt aus und auf der Fahrerseite wieder ein. ILKE: Bitte schnall dich an! FRANK schnallt sich an und fährt los. FRANK: Hast du Angst um mich? ILKE: Nein.


105.
SAMANTHA, festlich angezogen, kommt mit einem etwa eineinhalb Meter hohen Pfirsichbäumchen aus ihrem Haus und verstaut den Baum in ihrem Auto.


106.
FRANK und ILKE halten vor BARBARAS Datscha. Etwa zehn Autos stehen vor dem Haus. FRANK: Ich hab kein Geschenk für deine Mutter. ILKE: Das macht nichts. Du bist das Geschenk. Du mußt mir beim Tragen helfen. FRANK macht ein zweifelndes Gesicht. FRANK: Was schenkst du ihr? ILKE: Warte ab, du wirst es gleich sehen. ILKE öffnet den Kofferraum und holt mit FRANKS Hilfe einen großen Karton heraus. FRANK schließt das Auto ab und gibt ILKE die Wagenschlüssel. ILKE: Behalt sie. FRANK und ILKE nehmen den Karton wieder auf. FRANK: Den kann ich alleine tragen. Das ist einfacher. Geh du voraus.


107.
Im Garten ist das Fest voll im Gange. Auf einem Tisch steht das Essen, auf einem anderen unter einem großen Sonnenschirm die Getränke. Die Wiese ist gemäht. SEBASTIAN schleppt Holz herbei und legt es auf das Lagerfeuer. SARAH sitzt ganz oben in BARBARAS Walnußbaum. SARAH: Sergei, du mußt dich einfach trauen. SERGEI (14) versucht ihr nachzuklettern. SERGEI: Was mache ich, wenn ein Ast bricht? Ich bin viel schwerer als du. SARAH: Dann fällst du runter. BARBARA begrüßt ILKE und FRANK. ILKE: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Barbara, das ist Frank. FRANK stellt den Karton ins Gras und gibt BARBARA die Hand. FRANK: Ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag. Ich hoffe, ich störe hier nicht. Ilke meinte… BARBARA (unterbricht ihn): Ein Freund von Ilke stört nie. (zu ILKE): Soll ich’s gleich aufmachen? ILKE: Klar. BARBARA entfernt das rote und blaue Geschenkpapier, mit dem der Karton umwickelt ist und öffnet den Karton. Im Karton ist ein zusammengerollter Teppich. BARBARA: Ich hab’s mir fast gedacht. ILKE holt den Teppich heraus und rollt ihn auf dem Rasen auseinander. ILKE: Ein Zauber-Teppich von der Tochter eines Teppichhändlers. (und ganz leise) Damit du meinen Vater nie vergißt. BARBARA: Der ist sehr, sehr schön! Danke. ILKE: Wenn du dich auf ihn setzt, gehen deine Wünsche in Erfüllung. BARBARA: Genau so was brauche ich.


108.
SAMANTHA schleppt ihren Baum in den Garten und geht zu BARBARA. SAMANTHA: Ich hab mein Geschenk leider nicht verpacken können. BARBARA: Was für ein Baum ist das? SAMANTHA: Ein Pfirsichbaum. Ich schenke immer Bäume zu runden Geburtstagen. Aber der ist was besonderes. Er ist aus meinem Garten in Italien.


109.
SAMUEL fährt mit einem roten Ferrari von der Bundesstraße ab in eine schmale, asphaltierte von Bäumen umsäumte Straße.


110.
SAMUEL kommt in den Garten und steuert sofort auf BARBARA zu. BARBARA und SAMANTHA stehen in einer Ecke des Gartens und schauen zu, wie FRANK ein tiefes Loch gräbt. SAMUEL: Herzlichen Glückwunsch. BARBARA: Danke. (zu SAMANTHA) Das ist Samuel. SAMANTHA dreht sich mit BARBARA um und flüstert: Ist das der, von dem du mir erzählt hast? Der mit dem gestreiften Pullover? Rot und blau. BARBARA: Ja. SAMANTHA: Wo hast du den denn ausgegraben? BARBARA: Ilke kennt ihn. SAMUEL beobachtet, ein bißchen irritiert, die beiden Frauen bei ihrem sehr privaten Gespräch und schaut sich um. Er entdeckt ILKE, die in ein intensives Gespräch mit GREGOR verwickelt ist. SAMUEL (zu BARBARA): Mein Geschenk steht auf der Straße vor dem Haus. Man kann es nicht verpacken! BARBARA und SAMANTHA gucken neugierig. BARBARA: Wir kommen. SAMANTHA: Da bin ich aber wirklich neugierig. BARBARA und SAMANTHA gehen hinter SAMUEL her.


111.
BARBARA, SAMANTHA und SAMUEL stehen ehrfürchtig vor dem Ferrari. SAMUEL (fast entschuldigend): Du hast mir damals gesagt, daß du von sowas träumst. Du wolltest Rennfahrerin werden. Ich hab’s halt nicht vergessen. BARBARA: Hast du den gemietet oder gekauft. SAMUEL öffnet die Wagentür und macht eine Geste, daß sie einsteigen soll. SAMUEL (leise): Er gehört dir! SAMANTHA wandert sprachlos um den Wagen herum. BARBARA: Du bist noch immer ein bißchen verrückt. SAMUEL (leise): Ich hab ihn sehr preisgünstig gekriegt.


112.
Im Garten. BARBARA geht zu GREGOR, der jetzt auf einer Bank sitzt und noch immer auf ILKE einredet. BARBARA: Kannst du bitte die Gitarre holen. Ich will ein Lied singen. GREGOR steht mechanisch auf, schwankt etwas. GREGOR (zu ILKE): Ich komme wieder. Ich muß nur meine Pflichten als Ehemann und Gastgeber erfüllen. ILKE lächelt ihn an. ILKE: Das ist okay. GREGOR (leise zu BARBARA): Ich hasse diesen Typ. Am liebsten würde ich einen Benzinkanister nehmen, ihn in den Wagen schütten und anzünden! GREGOR geht ins Haus.


113.
BARBARA steht, auf ihre Krücken gestützt, vor ihren Gästen. BARBARA: Ich möchte mich bei euch allen bedanken und will deshalb für euch ein Lied singen. Ihr wißt, ich bin keine Sängerin, aber ich tu mein bestes. Auf jeden Fall kommt es vom Herzen. BARBARA faßt sich dabei auf ihr Herz. GREGOR, der neben ihr auf einer Bank sitzt, verzieht sein Gesicht und spielt einleitend ein paar Akkorde auf seiner Gitarre. BARBARA singt ein schönes, trauriges Lied. Als sie fertig ist, klatschen alle. SAMANTHA steht auf. SAMANTHA: Da wir schon beim Singen sind, will ich auch eins singen. Es ist für Barbara. Weil sie meine beste Freundin ist. SAMANTHA singt ein noch traurigeres, jüdisches Lied.


114.
Die Sonne ist am Untergehen. ILKE schaukelt SARAH in einer Hängematte, die zwischen zwei Bäumen aufgespannt ist. SARAH: Wann hast du einem Jungen den ersten Kuß gegeben? ILKE: Ich glaube, da war ich 14. SARAH: Dann muß ich mich beeilen.


115.
SERGEI und SEBASTIAN rauchen im Gebüsch ihre erste Zigarette. SEBASTIAN zeigt SERGEI, wie er die Zigarette halten muß. SEBASTIAN: Du darfst auf keinen Fall den Rauch einatmen! Dann mußt du husten und es wird dir schlecht. Ein richtiger Lungenzug will geübt sein. Das dauert mindestens ein Jahr.

116.
BARBARA geht zu ILKE und sagt zu SARAH: Ich muß Ilke etwas fragen. Sie ist gleich wieder da. BARBARA und ILKE gehen ein paar Schritte. BARBARA: Ich hab nur noch einen Wunsch. ILKE schaut BARBARA fragend an. BARBARA: Könntest du zu mir einmal „Mutter“ sagen. Nur einmal! ILKE schaut BARBARA lange an. Dann schüttelt sie den Kopf. ILKE: Es geht nicht!


117.
Es ist Nacht. Aus einer Stereoanlage kommt langsame Musik. ILKE tanzt mit FRANK. ILKE: Kannst du mich ein bißchen fester anfassen? FRANK (lächelt sie an): Klar, kann ich das!
BARBARA tanzt mit SAMUEL, mit einer Krücke. Sie bewegen sich kaum von der Stelle. BARBARA flüstert ihm ins Ohr: Ich hoffe, du hast ihn nicht geklaut! SAMUEL: Du nennst dich Bärenklau. Ich nicht. BARBARA: Der Name hat mir halt gefallen. BARBARA legt ihren Kopf zärtlich auf SAMUELS Schulter.


118.
GREGOR sitzt in einem Schaukelstuhl, trinkt Wein und schaukelt.


119.
GREGOR kommt zu BARBARA und SAMUEL. GREGOR (zu BARBARA): Entschuldige bitte, ich muß mal mit Samuel reden.


120.
GREGOR und SAMUEL gehen in eine andere Ecke des Gartens. GREGOR bleibt stehen und sieht SAMUEL in die Augen. GREGOR: Würdest du die Freundlichkeit haben und sofort aufzuhören, mit meiner Frau zu pussieren! SAMUEL: Ich hab keine Angst vor Ihnen! GREGOR nähert sich SAMUEL einen Schritt. GREGOR: Ich sag das nur einmal. Du verläßt jetzt mein Anwesen, steigst in deinen Ferrari und läßt dich nie mehr blicken. SAMUEL: Das Haus gehört nicht Ihnen, sondern Ihrer Frau. GREGOR kann sich nicht mehr beherrschen und schlägt SAMUEL mit der Faust mitten ins Gesicht. SAMUEL versucht in Deckung zu gehen. GREGOR landet weitere Treffer. SAMANTHA entdeckt die beiden kämpfenden Männer. SAMANTHA: Barbara!


121.
BARBARA und SAMANTHA verarzten im Haus den blutenden SAMUEL. SARAH kommt mit einem Pflaster. BARBARA wischt ihm das Blut aus dem Gesicht. SAMANTHA nimmt das Pflaster von SARAH und klebt es auf die Wunde. SAMUEL stöhnt. SAMANTHA: In einer Woche ist nichts mehr davon zu sehen. BARBARA schaut SAMANTHA an. SAMANTHA: Wer weiß, wofür’s gut ist.

 

 

 


THE END

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