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Hannelore Elsner und Rudolf Thome im Gespräch mit Anke Sterneborg in Berlin,
20. Dezember 2005

Ein Mann der Regie führt, eine Frau die spielt.

Sie haben nun schon vier Filme zusammen gemacht: Ein Mann der Regie führt, eine Frau die spielt. Wie entstehen diese Geschichten? Vielleicht zuerst Rudolf Thome.

Rudolf Thome: Die Geschichten sind so entstanden, wie bei allen Filmen, die ich in den letzten achtzehn Jahren gemacht habe, seit „Das Mikroskop“. Ich setze mich hin, achtundzwanzig Tage, mache zehn Tage handschriftliche Notizen, am elften Tag fange ich an, das Drehbuch zu schreiben und am achtundzwanzigsten Tag bin ich fertig. Ich weiß nie vorher, was ich schreiben werde. Ich fange damit an, dass ich einen Titel suche, und wenn ich den habe, dann geht es schon etwas leichter. Es ist immer unterschiedlich schwierig gewesen. Manchmal habe ich gelitten wie ein Hund, manchmal ging es relativ leicht. Wenn ein Anfang da war, ein Titel der mir wirklich gefiel, dann kamen plötzlich ganz viele zusätzliche Dinge, Drehorte, Namen, Leute mit denen ich den Film machen wollte und nach achtundzwanzig Tagen ist das Drehbuch da, und dann drehe ich den Film. So sind diese vier Filme mit Hannelore Elsner auch entstanden.

Wobei bei den vier Filmen Frau Elsner auch die Muse ist. Wie groß ist Ihr Einfluss auf diese Geschichten?

Hannelore Elsner: Die Art, in der Rudolf Thome die Bücher schreibt hat in meinen Augen etwas ganz Magisches. Das holt er aus seinem Unterbewussten hervor, und er braucht diese strenge Form, um das kreative Chaos in den Griff zu bekommen, um das überhaupt niederschreiben zu können. Er braucht diesen Rahmen, um diese Lebensgeschichten, die er in sich hat oder aufsaugt wie ein Schwamm, zu ordnen und in einen Film zu verwandeln. Wenn ich tatsächlich seine Muse sein sollte, dann hat das auch mit den Geschichten zu tun, die man sich im Laufe der Zeit erzählt. Rudolf Thome weiß ja inzwischen mehr von meinem Leben als früher, als wir noch nicht zusammen gedreht haben. Das hat sicher eine Wirkung. Das fertige Drehbuch gehört dann mir, ich nehme mir meine Rolle, und auch die Umgebung der Rolle, und manchmal gibt es etwas, das ich unbedingt verändern möchte. Bei so einer Zusammenarbeit inspiriert man sich gegenseitig, man berührt sich kreativ.

Drei Phasen des Filmemachens

Rudolf Thome: Man muss einfach unterscheiden: Es gibt die Phase des Schreibens, die Phase des Drehens und die Phase des Fertigstellens, des Schneidens. Dazu gehört auch die Komposition der Musik, die für mich immer wichtiger wird. In der Phase des Schreibens bin ich ganz alleine. Ich habe mir dieses Schema aufgebaut, weil ich nicht gerne geschrieben habe. Früher habe ich ja auch Drehbücher mit anderen Autoren geschrieben oder Drehbücher von andern Autoren übernommen, von Max Zihlmann, von Jochen Brunow. Ich hatte keine Lust, alleine an der Schreibmaschine oder später am Computer zu sitzen und zu schreiben – ich mochte das nicht. Diese Situation ist einfach tödlich. Und dann war meine Lösung aus dieser für mich schwierigen Situation: Ich muss das Schreiben so gestalten wie das Drehen, also quasi statt eines Drehplans, einen Schreibplan haben. Das waren dann diese zehn Tage handschriftliche Notizen und am elften Tag muss ich dann halt schreiben. Egal was mir eingefallen ist oder nicht. Wenn ich drehe und mir nichts einfällt und nicht gut drauf bin, kann ich ja auch nicht sagen, heute machen wir nichts, morgen drehen wir wieder weiter. Es gibt vielleicht Regisseure, die das machen, aber ich kann das nicht - mit dem Geld das ich habe. Und ich habe gemerkt, das Drehbuchschreiben funktioniert bei mir auf diese Art.

Hannelore Elsner: Also ich finde, dass ich deine Schreibzeit viel schöner beschrieben habe (lacht).

Rudolf Thome: Ich bin eben etwas trockener und pragmatischer als du.

Hannelore Elsner im Kopf

Wenn du die Geschichten alleine für dich schreibst, hast du dabei doch bereits Hannelore Elsner im Kopf!

Rudolf Thome: Ja natürlich. Ich habe den ersten Film mit ihr - „Rot und Blau“ - für sie geschrieben, weil sie ein Jahr vorher in Rom gesagt hat, sie möchte mit mir einen Film machen. Und bevor ich mich hingesetzt habe, habe ich sie angerufen und gefragt: gilt das noch, dass du mit mir einen Film machen willst? Und dass du umsonst spielst?. Sie hat geantwortet: selbstverständlich gilt das noch. Während des Schreibens haben wir ab und zu telefoniert, und ich habe sie nach bestimmten Sachen gefragt. Und dann haben wir den Film zwei Monate später gedreht. Bereits in den allerersten Notizen war eine Trilogie konzipiert, und ich hatte ein bisschen die Hoffnung damit verbunden, dass Hannelore in allen drei Filmen spielen wird. Und das haben wir ja dann auch gemacht.

Es hat eine gewisse Konsequenz, wenn man es sich so anschaut: Oskar Roehler, Oliver Hirschbiegel und Rudolf Thome. Das ist eine Gruppe von männlichen Regisseuren, die sich der Wahrnehmung einer Frau annähern. Wie gut aufgehoben fühlen Sie sich da?

Hannelore Elsner: Ich fühle mich da sehr gut aufgehoben… Das sind ja ganz unterschiedliche Regisseure, zu denen auch noch Dani Levy zählt, sie arbeiten ganz unterschiedlich, und in ihren Filmen, und in der jeweiligen Rolle, fühlte ich mich absolut behütet und zu Hause. Sie sind meine Verbündeten. Und bei Rudolf Thome passiert das auf eine ganz eigene Weise. Ich denke, dass ein Mann genauso weiblich fühlen und denken kann und finde es nicht so unglaublich erstaunlich, dass ein Mann sich in eine Frau hineinversetzen kann. Dass Rudolf Thome, sich so gut in Frauen einfühlen kann, kommt daher, dass er die Frauen liebt und auch viel mit Frauen zu tun hat. Sie sind sein Leben.

Der Feminist

Rudolf Thome: Nach meinen ersten vier Kurzfilmen hat 1968 Enno Patalas geschrieben: „Thome ist ein Feminist“. Damals gab’s das Wort noch gar nicht so richtig. Weil in allen – auch in den Kurzfilmen vor fünfundreißig bis vierzig Jahren – immer Frauen im Zentrum standen. Natürlich interessieren mich Frauen mehr, aber manchmal passiert es auch, dass ich mit den Männern genauso glücklich bin: Marquard Bohm, Bruno Ganz, Hanns Zischler, Johannes Herrschmann, Guntram Brattia, Karl Kranzkowski.
Hannelore Elsner: Er verliebt sich ja auch in seine Figuren, auch in die Männer.

Rudolf Thome: Moment, in die Schauspieler – nicht in die Figuren.

Hannelore Elsner: In die Figuren natürlich auch.

Rudolf Thome: Nein, in die Schauspieler. Aber mehr interessieren mich schon die Frauen. Das ist auch das Problem, das ich mit männlichen Schauspielern manchmal habe. Sie denken oft, sie kommen etwas zu kurz. Aber im Prinzip gebe ich beiden die gleiche Aufmerksamkeit beim Drehen.

Ist es nicht so, dass du da zum Anwalt dieser unsicheren, verlorenen Männer wirst, sozusagen ihre Partei ergreifst?

Die Sprache der Liebe

Rudolf Thome: Wenn ich das Drehbuch selbst geschrieben habe, stelle ich mich quasi in diesen Männern immer auch selbst dar, ein bisschen komisch, ironisch und gebrochen. Deswegen gibt es bei mir so selten Powermänner. Weil ich mich selbst so auch nicht sehe. Aber, ich habe auch zu Hannelore schon ein paar mal gesagt, die Figur, die sie spielt – das bin ich.

Hannelore Elsner: Ja eben – das ist es! Übrigens finde ich die Männer gar nicht so schwach. Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Das ist ja das Elend: Man denkt sie sich schwach…

Im Grunde sind ja all deine Filme Erkundungen des Lebens und der Liebe, inzwischen kommt auch immer häufiger der Tod dazu. Inwieweit ist das Filmemachen für Sie beide ein Erforschen der Mysterien des Lebens?

Rudolf Thome: Na ja, je älter man wird, desto mehr denkt man natürlich an den Tod. Aber ich habe bereits bei „Der Philosoph“ und „Sieben Frauen“ in einem Interview gesagt, die Filme dieser ersten Trilogie, die ich in den 80er Jahren gemacht habe, seien eigentlich Filme über den Tod. Der Tod sei das letzte hintergründige Thema dieser Filme. Es geht in jedem meiner Filme immer um die Beziehung zwischen Männern und Frauen, und da ist das Wichtigste immer noch die Liebe.

Die Mysterien des Lebens

Das Erkunden der Mysterien des Lebens im Spielen, würden Sie das gelten lassen?

Hannelore Elsner: Ja natürlich, und je älter man ist, umso mehr kann man erkunden. Weil, man alles zur Verfügung hat, was man erlebt hat zumindest wenn man sich nicht in diesem ganzen Tohuwabohu verloren hat, der Ehe, der Liebe, des Kinderkriegens und so weiter. Wenn man mich fragt, wie ich ein Drehbuch lerne, dann antworte ich: ich lerne überhaupt nie, sondern ich lese das Drehbuch jeden Tag. Ich lese es mir so richtig ein. Das ist dann wie ein ganz großer Raum, da kann ich mich nach vorne bewegen, nach hinten und es ist mir völlig egal, ob dann der Schluss zuerst gedreht wird. Das ist dann so wie mein eigenes Leben so ein Drehbuch – auch die Figur, weil ich die Rolle in mir habe. Ich kann meine Lebenserfahrung abrufen. Ich habe einmal ein Fernsehspiel gedreht, da hatten wir‘s ganz eilig und wir brauchten ganz schnell ein Foto von einer Hochzeit von vor fünfundzwanzig Jahren. Und wir hatten überhaupt keine Zeit, mich zu schminken. Und da habe ich gesagt: ich guck einfach ein bisschen jünger (lacht) und ich schwöre, es hat funktioniert! Ich habe mich einfach in die Situation versetzt. Was den Tod betrifft, denke ich, dass man zu jedem Zeitpunkt über ihn sprechen kann, soll und muss, und dass er immer da ist, nicht erst wenn man älter geworden ist. Man sollte über diese Gefühle Bescheid wissen.

Rudolf Thome: Zu dieser Altersgeschichte: Als wir „Rot und Blau“ also den ersten Film miteinander gedreht haben, standen der Kameramann Michael Wiesweg und ich fassungslos vor der Tatsache, dass wir Hannelore Elsner die ganze Zeit beim Drehen, besonders bei den Szenen, die wir richtig gut fanden, immer in verschiedenen Altersstufen gesehen haben, das war ganz merkwürdig. Plötzlich sahen wir in ihrem Gesicht eine Zwanzigjährige, eine Dreißigjährige, eine Vierzigjährige – es war unfassbar. Wir waren total fasziniert davon, und ich habe damals gedacht, dass es das wohl ist, was einen Star ausmacht. Ich bin da ganz naiv. Ich meine nicht, dass sie ihre Ausdrucksweise verändert hat, wie ein Chamäleon, das die Farbe ändert, sondern die verschiedenen Altersstufen haben durchgeschimmert…

Der Tod

Der Tod kommt ja in diesen Filmen nicht als das große Dunkle, Elende daher, sondern wird mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit angegangen. War diese Leichtigkeit schon vorher da oder ist sie durch Hannelore Elsner entstanden? Noch mal also die Frage: Welchen Einfluss nimmt sie auf die Geschichten?


Hannelore Elsner: Das sind doch alles Schlagwörter: Die Angst vor dem Tod, die Sehnsucht nach dem Tod. Wir wissen alle, dass wir sterben. Meine einzige Angst in Verbindung mit dem Tod ist die, siech zu sein, jemandem zur Last zu fallen, Schmerzen zu haben – davor hätte ich Angst.

Rudolf Thome: Als ich anfing, Filme zu machen, habe ich von den Filmen geträumt, die ich mal als Sechzig-, Siebzigjähriger machen werde. Ich habe damals immer von meinen Alterswerken gesprochen, und ich habe auch immer gedacht, dass ich keine Angst habe vor dem Tod. Je älter ich aber werde, desto mehr frage ich mich: hast du wirklich keine Angst? Ich weiß es nicht, ich bin mir nicht sicher. Eins weiß ich auf jeden Fall: Wenn ich mich nicht mehr bewegen kann und so krank bin, dass ich keine Filme mehr drehen kann, dann werde ich versuchen, das mit eigenen Mitteln zu beenden. Dann habe ich mir das auch mal überlegt - jetzt die letzten Tage: Hättest du wirklich den Mut dazu? Und wie würdest du es machen? Vom Balkon springen oder von einem Hochhaus oder ins Wasser – sich ersäufen, oder aufhängen? Oh Gott! Also diese Gedanken gibt es.

Ich bin zwei

Frau Elsner, Sie haben mal gesagt, dass man nur Ihre Rollen anschauen muss und man sieht, wer Sie sind. In diesen vier Filmen kommt Ihnen Rudolf Thome ja immer näher. Gibt es da eine Notbremse, die Sie ziehen, irgendeine Schutzzone, in die Sie sich zurückziehen, um dann doch einfach zu sagen bis hierher und nicht weiter!?

Hannelore Elsner: Es gibt keine Notbremse. Das sind ja keine dokumentarischen Filme. Wenn ich weine, wie Johanna Perl weint, dann bin das auch ich – aber in der Schutzhülle der Johanna Perl. Das heißt, es ist MEIN Ausdruck, es ist MEINE Kreativität, es ist MEINE Phantasie, es sind MEINE Gefühle, es ist MEINE Wärme, MEINE Kälte. Da ist schon alles, was ich zur Verfügung habe, vorhanden. Aber es ist nicht mein Leben!

Rudolf Thome: Aber die Figur der Johanna Perl in „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ ist schon verdammt nah dran an deinem Leben, finde ich.

Hannelore Elsner: Es ist aber keine Bloßlegung meiner Person. Es befriedigt mich, dass ich den Menschen durch meine Darstellung etwas schenken kann. Nur Schauspielerin zu sein und irgendwelche Rollen zu spielen, würde mir nicht mehr genügen. Ich finde es wunderbar, wenn die Menschen sich in so einem Film in mir erkennen, und dabei Gefühle haben, berührt werden und für sich Schlüsse ziehen, wenn sie aus dem Film rausgehen und sagen: Das habe ich auch erlebt, so ging es mir auch! Oder: Das könnte ich mal versuchen. Ich bin quasi ein Medium für sie, auch für das was Rudolf Thome da schreibt. Er will ja nicht nur einen Film machen, sondern auch mit den Menschen reden. Und das möchte ich zunehmend auch.

Rudolf Thome: Ich will, dass die Leute den Film lieben, natürlich, klar. Ich will, dass der Film die Leute berührt. Aber ich will vor allem, dass sie ihn lieben. Und ein bisschen dadurch auch mich lieben. Aber ich habe keine Botschaft. Ich will nichts ausdrücken.

Geschichten erzählen

Aber du willst doch selber etwas herausfinden?

Rudolf Thome: Ich erzähle eine Geschichte. ohne darüber nachzudenken, warum. Ich erzähle eine Geschichte, die mich interessiert, die mir gefällt, und die ich jetzt in dem Moment drehen möchte. Die Art wie ich die Geschichte erzähle, das fasziniert mich am meisten, weil ich mit jedem neuen Film mit dem Erzählen experimentiere. Und ich weiß natürlich, dass ich mit einem Film wie „Du hast gesagt, dass du mich liebst“, ein gewaltiges Risiko als Erzähler eingehe. Wenn in einem Film plötzlich die Bäume anfangen zu sprechen, dann will ich herausfinden, wie weit ich gehen kann. Geht das Publikum da noch mit?

Woher kam die Idee zu dieser Version des deutschen Märchenwaldes?

Rudolf Thome: Das ist mir eben eingefallen. Ich könnte jetzt sagen: ich war als kleiner Junge zwischen sieben und vierzehn jeden Tag im Wald, aber daher kam das nicht, glaube ich zumindest. Ich habe mich beim Schreiben sehr wohl damit gefühlt – und es einfach laufen lassen. Ich hatte auch das Gefühl, ich habe nichts mehr zu verlieren. Je älter ich werde, desto mutiger werde ich.

Hannelore Elsner: Ich finde diese Szenen mit dem sprechenden Wald gar nicht so eigenartig, wie du immer sagst. Für mich ist das völlig normal, Bäume zu umarmen und mit ihnen zu reden, das mache ich schon mein ganzes Leben lang, das ist ja auch eine Gedankenstimme, ein innerer Monolog.

Der Innere Monolog

Rudolf Thome: Die inneren Monologe sind natürlich auf Hannelore Elsner zugeschrieben. Und es war ein Abenteuer, sie mit ihr aufzunehmen, sie arbeitet ja sehr viel mit Sprache - mehr als jede andere Schauspielerin, die ich kenne. Das hätte ich filmen müssen. Sie sitzt da in einer Kabine vor einem großen Spezialmikrofon, das die Stimme besonders gut wiedergibt, hat die Augen geschlossen und macht merkwürdige Bewegungen mit ihren Händen - als würde sie mit Dingen da oben im Himmel in Kontakt stehen. Es ist total faszinierend, total faszinierend. Meine erste Idee war, ich muss unbedingt einen Film über sie machen, in dem sie einfach nur spricht, filmen, wie sie spricht.


Hannelore Elsner: Das ist eine ganz hohe Konzentration, es ist so, als würde ich tatsächlich spazieren gehen in meinem Kopf, als würde ich da herumschauen. Wenn ich da etwas spreche, dann sehe ich den Weg, ich sehe die Mutter, ich sehe das Grab, ich sehe das alles, und es ist so, als würde ich mit meinen Händen diese Wege nachgehen, weil ich mich ja in der Kabine vor dem Mikro nicht bewegen kann. Es ist ja nicht so, dass ich etwas vorlese, etwas verkünde oder eine Rede halte. Ich will doch, dass die Leute sich diesen Raum vorstellen können, genau wie ich, wenn ich die Augen zumache, Ich will, dass sie es sehen.

In wieweit hat dieser innere Monolog mit den Hörbüchern zu tun, die Hannelore Elsner macht, mit der Art, in der sie da Bücher und Gedichte liest.

Rudolf Thome: Gar nichts. Den inneren Monolog habe ich nach meinen Vorstellungen geschrieben, aber Hannelore hat ihn sehr stark bearbeitet. Ich habe noch nie einen Schauspieler oder eine Schauspielerin vor dem Drehen an einem Drehbuch etwas verändern lassen. Das wollte ich nie. Sie dürfen sich das beim Drehen mundgerecht machen, das ist klar. Aber bei “Du hast gesagt, dass du mich liebst” hat Hannelore das Drehbuch in einem sehr frühen Stadium bekommen, und wir haben es zusammen durchgesprochen. Ich war verblüfft, wie genau ihre Veränderungen waren. Diese Art von Genauigkeit, was Texte angeht, habe ich vorher noch nicht erlebt.

Du sagst ja auch, dass der Film für dich nicht beim Schreiben entsteht, sondern erst beim Drehen. Was wiederum die Frage aufwirft, wie Sie als Schauspielerin damit umgehen, Frau Elsner?

Hannelore Elsner: Ich bin die Verteidigerin des Drehbuchs. Aber ich meine, jeder hat seine Art, etwas hervorzubringen. Rudolfs Art ist wahrscheinlich, sich immer wieder ein bisschen bewußtlos zu machen und sich dann überraschen zu lassen. Im Grunde genommen ist es ein Trick. Verzeih mir, wenn ich das sage! Er steht am Drehort und sagt: ich weiß überhaupt nicht, was ich geschrieben habe – jetzt spielt mir mal die Szene vor! Er läßt sich von seinen eigenen Szenen überraschen. Wenn aber jetzt ein Schauspieler es wagen würde, ganz für sich alleine einen Satz zu verändern, da ist er dann schon irritiert und sagt: irgendwas stimmt nicht, lass mich doch mal ins Drehbuch gucken. Das merkt er dann schon, ist doch ganz klar. Aber ich finde es auch sehr gut, so neu etwas anzuschauen.

Rudolf Thome: Es ist für mich übrigens schwieriger, eigene Drehbücher zu verfilmen als fremde Drehbücher. Fremde Bücher sind mir beim Drehen näher. Weil ich sie besser verstehe, komischerweise. Das Schreiben ist so eine radikal andere Sache als das Drehen, dass ich, wenn ich fertig bin mit dem Schreiben, damit überhaupt nichts mehr zu tun haben will. Ich lese es nie nochmal, ich lese es NIE wieder. Und als wir zum Beispiel bei „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ im letzten Dezember und letzten Januar Motivbesichtigungen gemacht haben, hat meine Regieassistentin mir dann aus dem Drehbuch die jeweiligen Szenen vorgelesen, und ich habe oft die Hände vorm Kopf zusammengeschlagen und gesagt: oh Gott, wie soll das jemand spielen können? Ich habe mich manchmal geschämt für meine eigenen Texte. Zum Beispiel diese Szene im Winter, wo Hannelore mit Johannes Herrschmann um diesen Baum mit dem doppelten Stamm herumgehen. Ich dachte, das geht nicht. Das kann man nicht spielen und nicht sprechen. Und dann sind wir beim Drehen da hingekommen und ich war platt, ich konnte es nicht glauben, ich war einfach fassungslos über die Leichtigkeit, mit der die beiden Schauspieler diese für mich fast unspielbare Szene gespielt haben.

Bockig und kratzig

Hannelore Elsner: Richtig schwierig ist es für mich, wenn irgendetwas nicht stimmt. Wenn alles stimmt, dann ist das ein Flow, dann geht alles. Bei „Du hast gesagt, dass Du mich liebst“ habe ich gesagt, das wird schwer, weil einiges ein bisschen bockig und kratzig war. Ich konnte mir am Anfang beim Lesen nicht vorstellen, wie du diese Bilder aneinander montierst. Ich habe mich gefragt, was wird denn das, wie wird denn das sein? Oder wie schnell soll ich denn so einen Gang durch den Friedhof machen, wo ich sofort gespürt habe, dass das etwas ganz Lebensnotwendiges ist für die Johanna Perl.

Rudolf Thome: Hannelore, in der Szene am Friedhof, da hatte ich am Anfang nur einen kleineren Teil von diesem 90sten Psalm. Und dann wolltest du ihn ganz haben. Dann habe ich den gesamten 90sten Psalm ins Drehbuch geschrieben. Und das ist für mich eine der schönsten Szenen im Film geworden.

War das beim ersten gemeinsamen Film auch schon so, dass Sie sich sozusagen die Regieprobleme mit aufgehalst haben?

Hannelore Elsner: Ich halse mir nicht Regieprobleme auf. Die Zeit als Johanna Perl war mir irgendwie zu lang. Auch die Zeit zwischen den Jahreszeiten. Nun bin ich ja in diesem Film, außer in den Szenen mit Johannes oder mit der Tochter, sehr alleine. Da geht man natürlich ganz anders ran an so einen Stoff. Da war ich sehr mit mir beschäftigt, da habe ich schon gesagt, das ist schwierig. Es ist natürlich schwieriger mit einem Wald zu sprechen oder einen inneren Monolog zu haben als mit einem Partner zu reden.

Richtig ficken würde mir gut tun

Rudolf Thome zeigt Sie auf eine sehr erdige, wahrhaftige Weise, im wahrsten Sinne des Wortes mit den Händen in der Erde, beim Blumenpflanzen. Und er legt Ihnen ziemlich grobe Worte in den Mund, lässt Sie knallhart vom „Ficken“ sprechen . Inwieweit ist das auch eine Art, Sie vom Starhimmel runter auf die Erde, in sein Reich der Wirklichkeit zu holen?

Hannelore Elsner: Ich denke dieses Reich ist einfach sehr wahrhaftig. Und ich fände es eher problematisch so was zu sagen wie „wollen wir miteinander Sex haben“, das fände ich ja geradezu unanständig. Da würde ich tausendmal lieber sagen „Können wir nicht ficken?“ Also wirklich! Wie klingt denn das: wollen wir miteinander Sex haben? Das ist so verlogen…

Wenn Johanna in „Du hast gesagt, dass du mich liebst”, nachdem sie die Kontaktanzeige gelesen hat, zu sich selber sagt: Richtig ficken würde mir bestimmt gut tun“ dann haut das schon ganz schön rein, auch weil Sie es sagen, und nicht irgend eine unbekannte Darstellerin. Ist das nicht doch ein Trick, um sie in die Wirklichkeit zu holen?

Rudolf Thome: Dass ich so etwas schreibe?

Hannelore Elsner: Also jetzt muss ich mal sagen, wenn es um das Wort „ficken“ geht, dann finde ich das viel einfacher, viel weniger unanständig als jede komische Umschreibung. In „Eyes Wide Shut“ sagt ja auch Nicole Kidman zum Schluss, es ist der letzte Satz, „jetzt will ich mit dir ficken“ und nicht „jetzt will ich mit dir ins Bett gehen“ oder „jetzt will ich mit dir schlafen“ oder „jetzt will ich mit dir Sex haben“.

Rudolf Thome: Du musst eins bedenken: bevor ich den ersten Film mit Hannelore gedreht habe, habe ich die „Vagina-Monologe“ mit ihr in der Rolle des Gast-Stars gesehen. Und ich war beim Schreiben sicherlich von dieser Theateraufführung beeinflusst. Es gibt, glaube ich, keinen Film, den ich vorher gemacht habe, in dem das Wort vorkam.

Hannelore Elsner: Da habe ich doch auch dieses Gedicht vorgetragen, wie man das Wort „Fotze“ buchstabiert: „F“ wie Fliegen, wie Feuer, „O“ wie Oase oder Oleander - wunderschöne Wörter - dann kommt „T“ wie Theater, „Z“ wie Zucker, wie Zeppelin, dann das „E“ – und dann F o t z e. Und als ich dann aus dem Theater ging an diesem Abend, habe ich „zzz“ gemacht. Und dann habe ich hinter mir ein Pärchen gehört, er sagte immer zu ihr „zzz Fotze“. Das war so süß. Das ist nämlich was Tolles, so ein Wort nochmal zu benutzen. ohne dass es schmutzig, ordinär oder blöd ist.

Erde und Wasser

In „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ und in „Rauchzeichen“  wühlt sie mit beiden Armen in der Erde, was ja auch eine Art ist…

Hannelore Elsner: Ich habe sehr viel mit der Erde zu tun – und auch mit dem Wasser! Weil ich ja eigentlich eine Bäuerin bin! Ich komme vom Land: Meine Oma war eine Bäuerin! Und ich liebe es auch in der Erde herumzuwühlen und im Wasser zu sein.

Rudolf Thome: Mit der Erde habe ich‘s nicht so – ich hab‘s mehr mit dem Wasser. Johanna Perl ist ja jeden Tag im Wasser. Ich wußte, dass Hannelore Elsner jeden Morgen schwimmt, und deswegen habe ich natürlich aus ihr eine ehemalige deutsche Schwimmmeisterin gemacht.

Rondo?

Das Schwimmen wirkt in diesem Film wie eine Zwischenblende, die den Film rhythmisch gliedert.

Rudolf Thome: Es ist ja nicht nur das Schwimmen. Das Rhythmus-Reinbringen passiert ja mit vielen Dingen. Es gibt viele Wiederholungen in „Du hast gesagt, dass du mich liebst“: Sie ist immer wieder in der Küche, macht immer wieder dieses Frühstück, zerschnippelt immer wieder diese Tomaten und diesen Rucola. Sie ist mehrmals in der Kirche und immer wieder auf dem Friedhof. Und auch in den Wald geht sie immer wieder - zu diesem magischen Baum. Im Frühling und im Winter. Diese Wiederholungen sind ein Stilprinzip, das für mich beim Schreiben entstanden ist. Während des Schreibens habe ich in meinem Internettagebuch notiert, dass der Film die Form eines Rondos hat.

Man hat bei deinen Filmen immer das Gefühl, als würde dem Leben seinen Lauf gelassen. Wie viel Spielraum gibt es da zwischen den Zeilen des Drehbuchs?

Rudolf Thome: Die Dialoge sind genau beschrieben, und auch was jeder zu tun hat, steht im Drehbuch. Aber ich schreibe keine Regieanweisungen wie „Johanna Perl zittert bei dem Gedanken“, „ihre Augenlider bewegen sich“ oder „ihre Nasenflügel flattern“. Das zu interpretieren, überlasse ich Hannelore Elsner und den anderen Schauspielern.

Hannelore Elsner: Im Drehbuch waren das oft nur ganz kurze Szenen, da heißt es dann nur „sie sitzt im roten Sessel“ und es ist aufregend für mich, diese Momente dann entstehen zu lassen. Das kommt ganz langsam auf mich zu, wie ein Nebel: Das ist etwas ganz Schönes. Und auf einmal ist es eine ganz wichtige und reiche Szene, obwohl vielleicht gar nichts gesagt wird…

Wahres Leben und Märchen

Diese Filme  verbinden die Wahrhaftigkeit des Lebens und das geradezu schamlose Märchen, manchmal  wundert man sich, dass es so gut zusammengeht.

Rudolf Thome: Das Märchenhafte in einer realistischen Alltagsgeschichte ist provozierend für das Publikum, ich liebe es, das Publikum zu provozieren, und ich liebe es, diese beiden Pole einander gegenüberzustellen.

Hannelore Elsner: Aber was ist denn so märchenhaft an „Du hast gesagt, dass Du mich liebst“? Dass plötzlich mal eine Liebe doch gut ausgeht?

Rudolf Thome: So was soll es ja geben. Ich meine was anderes. Ich schreibe zum Beispiel: Johanna Perl, siebenfache deutsche Meisterin, zweifach hätte ja auch gereicht. Ich spiele von der kleinsten Winzigkeit an mit solchen Details. Oder ihr Name Johanna Perl – und was trägt sie? Perlenohrringe!

... und lernt einen Mann kennen, der Johannes heißt!

Rudolf Thome: Genau. Ich spiele andauernd auch meine Spiele mit dem Zuschauer, und hoffe, dass es ihm, wenn er es bemerkt, Spaß macht.

Johannes ist Schriftsteller, Johanna ist Fotografin oder wird zur Fotografin. Im Grunde ist das ja die Verbindung des Regisseurs, das Bildermachen und das Geschichtenerzählen. Zufall?

Rudolf Thome: Zufall ist nichts – bei meiner Art des Schreibens. Aber ich habe das nicht bewußt konstruiert. Johanna und Johannes, das war bewußt. Aber das was du jetzt sagst, die Verbindung Bildermachen und Erzählen, nein, daran habe ich nicht gedacht.

Johannes lebt in seinen Romanen, in seinen Geschichten. Inwieweit gilt das auch für dich als Regisseur?

Rudolf Thome: Ich habe zu dem Zeitpunkt von Paul Auster „Die Nacht des Orakels“ gelesen. Ich bin damals aus dem Krankenhaus gekommen und lese diesen Roman, in dem ein Mann ebenfalls aus dem Krankenhaus kommt und die gleichen Erlebnisse hat wie ich: dass man nicht über die Straße laufen kann, weil man nach einer schweren Krankheit mit der Realität nicht mehr klarkommt.

Hannelore Elsner: Deshalb habe ich dir den Roman geschenkt!

Rudolf Thome: Da wusste ich aber noch nicht, dass ich „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ schreiben würde. Ich habe aber schon erlebt, dass ich eine Geschichte geschrieben habe, und – kaum war sie fertig – ist sie bei mir, in meinem Leben, Wirklichkeit geworden. und das war ein Schock für mich. Genau darum geht es auch für Johannes und Johanna: dass man manchmal im Schreiben das Leben vorwegnimmt. Das Schreiben ist ein magischer Zustand, bei dem man Verbindungen zu allen möglichen Dingen herstellt: zu seinem Leben, zu den Leben, die andere Leute gelebt haben, zu allem was man gelesen und gesehen hat.

Die Filmmusik

Du hast jetzt schon das dritte Mal mit der Komponistin Katia Tchemberdji zusammen gearbeitet. Wie arbeitet Ihr zusammen, wie verständigt Ihr euch? Nur über den Film, den du ihr schickst?

Rudolf Thome: Nein, merkwürdigerweise haben wir oft ähnliche Ideen. Und bei “Du hast gesagt, dass du mich liebst” war klar, dass wir die Musik live im Studio aufnehmen. Sie spielt Klavier und der Film läuft dabei.

Hannelore Elsner: Sie ist wunderbar. Beim Abschlußfest von „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ fragte sie mich: was stellst du dir für eine Musik vor? Und ich habe geantwortet: ich stelle mir Cello vor. Und sie sagte: toll, ich kann Cello auf dem Klavier! Ist das nicht wunderbar?

Das klingt ja fast wie eine Seelenverwandtschaft?

Rudolf Thome: Denke ich auch, dass es ein bisschen so etwas ist. Wir waren uns bei jedem Film, in dem sie die Musik gemacht hat, sofort - ohne lange darüber zu reden - einig, wie die Musik klingen sollte, welche Instrumente sie benutzen sollte.

Die (Film-) Tochter

Es gibt eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen der Filmtochter (Anna de Carlo) und Ihnen, Frau Elsner, wenn man Sie nebeneinander sieht. Wie ist das denn gecastet worden?

Rudolf Thome: Ich hatte ursprünglich eine andere Schauspielerin gefragt. Aber die Kamerafrau Ute Freund kam zu mir und erzählte, dass sie abends im Theater nach der Vorstellung Anna de Carlo getroffen habe und dass diese gesagt habe, wann sie endlich einmal die Tochter von Hannelore Elsner spielen könne. Daraufhin habe ich ihre Agentur angerufen und sie dann kennengelernt und ihr die Rolle gegeben. Ich liebe solche Zufälle.