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Gespräch mit Rudolf Thome

Damals war alles möglich

Du hast ROTE SONNE vor 25 Jahren gedreht. War das eine andere Zeit damals?  Es war ja unmittelbar nach ’68 — spielte das eine Rolle?

Ich habe ’68 nur am Rande erlebt, aber immerhin reichte es ja in diesen Film hinein. Die Revolution der SDS-Frauen in Frankfurt und das Pamphlet, das sie veröffentlicht hatten, und das im “Spiegel” abgedruckt war, ist ja quasi eine der Quellen für die Geschichte, die uns eingefallen ist. Und die andere Quelle war Valerie Solanas, mit ihrem Manifest der “Society for Cutting Up Men”. Beim Drehen des Films waren wir sehr nah dran an diesen Dingen, aber ich war nicht einer der Leute, die sich zu der revolutionären Bewegung zugehörig gefühlt hatten. Ich wollte keine Revolution — das war nicht, was ich im Kopf hatte. Ich wollte Filme machen. Was das Kino- und Filmgefühl anging, das war wirklich eine andere Zeit. Zu der Zeit lebte Howard Hawks, der hat da noch Filme gemacht. Es gibt heute nichts Vergleichbares mehr. Es war alles noch irgendwie intakt. Der ganze Mythos Film ist heute zerbrochen.

War denn Hawks damals das große Idol für dich?

Ich habe ihn in München bei einer Pressekonferenz kennengelernt. Von ihm persönlich war ich eigentlich eher enttäuscht, ich fand Hitchcock viel aufregender. Aber Hitchcocks Filme mochte ich nicht so sehr wie die von Hawks. Er war einfach ein vergleichsweise normaler Mensch. Ich hatte vielleicht einen Abenteurer erwartet. Ich dachte, er sei ein bißchen wie die Helden seiner Filme. Aber das war er überhaupt nicht. Aber er lebte und machte Filme, und die letzten Filme mochte ich noch immer sehr.
Bei meinen ersten Filmen war die Erwartungshaltung der Leute, die ich in München kannte gegenüber diesen Filmen eine völlig andere als heute. Heute ist es doch im Grunde genommen so, daß es keine Erwartungshaltung gibt. Es ist keine wirkliche Spannung da. Damals war alles möglich.

War das nicht eine relativ kleine Gruppe in München, die etwas  von dir erwartet hat?

So klein war die Gruppe nicht. Wenn ich zum Beispiel abends mit Freunden in eine Kneipe ging und ein Mädchen dann sagte: “Was? Du bist der Thome?” und die Augen glänzten, wurden groß… ich meine, das ist heute nicht mehr. Da war ein Mythos um uns herum, ein Mythos,  der vor allem bei Lemke da war am Anfang und der dann auf mich überging.

Wenn der Mythos auf dich überging, war das durch ROTE SONNE?

Vielleicht… aber sicher auch durch DETEKTIVE. Der  kam ja besser an. ROTE SONNE war immer zwiespältig, von Anfang an.

Wie erklärst du dir, daß die Reaktion so zwiespältig war, es gab ja hymnische Kritiken?

Ja, aber es gab auch ganz böse Verrisse. Ich meine, ein typischer Fall war die erste Aufführung des Films am 14. November 1969 in Wiesbaden, das war mein dreißigster Geburtstag. Da hatte ich am gleichen Tag die FSK-Sitzung und zwei Stunden später die FBW-Sitzung. In der FSK-Sitzung durfte ich anwesend sein. Es war eine tolle Vorführung, das habe ich an den Reaktionen gespürt. Hinterher kam der Vorsitzende der FSK zu mir und sagte, das sei ein Meisterwerk, der Film würde ihn an eine griechische Tragödie erinnern und er sei wunderbar, gratulierte mir. Ich ging in Ruhe essen und kam, nachdem die zwei Stunden herum waren, zur FBW und fragte “Na, wie ist es denn gegangen?” Und ich hörte: “Es hat nicht geklappt.” — “Dann hab ich wohl nicht “Besonders wertvoll” gekriegt?” — “Nein, Sie haben überhaupt kein Prädikat gekriegt.” Das ist eine typische Sache. Einmal klappt es bei ROTE SONNE, die Leute gehen mit — ein anderes Mal überhaupt nicht. Das hängt zusammen mit der Art, wie der Film funktioniert. Er funktioniert nicht immer. Wenn es Zuschauer in einer Vorführung gibt, wo es funktioniert, dann kann die ganze Vorführung funktionieren — diese Zuschauer reißen die anderen mit. Dann wird es für alle ein Ereignis.

Das liegt wohl an dem Understatement, an der Kühle, die der Film hat. Er braucht etwas, was vom Zuschauer dazukommt und bietet sich dazu an — wenn man auf ihn eingeht.

Ich denke es liegt vor allem daran — das ist ja auch das Problem der Kritik immer gewesen —, daß die Leute nicht wissen: Ist es als Wirklichkeit gemeint, oder nicht? Ist das Ganze nur einfach Quatsch oder will er uns glauben machen, das alles passiert? Die Machart, die Art, wie der Film erzählt wird, was auch heute bei mir und in allen meinen späteren Filmen geblieben ist, diese Betonung der alltäglichen Dinge. Man sieht in aller Ausführlichkeit, wie die Personen frühstücken und dies und jenes tun, im nächsten Bild wird jemand erschossen. Das ist natürlich schwer auf einen Nenner zu bringen für das Publikum. Es weiß nicht, wie es sich dazu verhalten soll.

In ROTE SONNE gibt es sehr viele mythologische und literarische Anspielungen: Penthesilea, Blaubart, Romeo und Julia, Tristan und Isolde. Was war die Absicht dabei?

Wir haben weder beim Schreiben noch beim Drehen an Literatur gedacht. Ich denke alle Erzähler von Geschichten arbeiten so sehr aus ihrem Unterbewußtsein heraus, daß jede einigermaßend tief reichende Geschichte mit anderen, bereits erzählten Geschichten in Zusammenhang steht.

Wim Wenders hat ROTE SONNE mit einem Comic Strip verglichen. Habt ihr das auch so gesehen? Ist das der Grund, warum die Zuschauer so verunsichert waren?

Ich habe mich nie für Comics interessiert. Bei Max Zihlmann ist das anders. Das wird ganz deutlich in SUPERGIRL. Dort sagt Iris Berben zu Marquard Bohm: “Snoopy ist wie du. Er glaubt an seine Träume.” Aber was uns verband, Zihlmann und mich, das war eine Liebe für das Einfache, für das Populäre. Wir haben lieber die Rolling Stones als Bach gehört. Wir haben uns geweigert, die Unterscheidung zwischen Kunst und Unterhaltung, die unsere Kultur gemacht hat und noch immer macht, zu akzeptieren. Mit unserer von den jungen Franzosen übernommenen Liebe für Hitchcock und Hawks und Ford waren wir die enfants terribles der deutschen Filmkritik.


Ein Bus nach Peking

Wie  ist es eigentlich zur Entstehung von ROTE SONNE gekommen?

Wir hatten DETEKTIVE im Juli 1968 gedreht. Als DETEKTIVE fertig war, setzten Zihlmann und ich uns zusammen, wollten eine Liebesgeschichte schreiben, — auch damals wollte ich schon Liebesgeschichten machen! —, zwischen den beiden Schauspielern, die uns in dem Film am besten gefielen. Das waren Marquard Bohm und Uschi Obermeier.

Der Film war für Marquard Bohm und Uschi Obermeier geschrieben?

Der Film war für die beiden gedacht. Wir waren sehr von Godard beeinflußt. Ich weiß noch, die erste Version eines Exposés, das wir verfaßten, fing so an, daß die beiden an einer Bushaltestelle stehen, und dieser Bus fuhr nach China, nach Peking. Es sollte etwas ganz Merkwürdiges werden. Eine alltägliche Liebesgeschichte, eine banale Liebesgeschichte zwischen diesen beiden Schauspielern, das schien uns nicht möglich. Es mußte etwas Extremes, Verrücktes sein. Dann weiß ich noch, daß wir über das Buch von Valerie Solanas geredet haben und daß ich im “Spiegel” das Pamphlet der SDS-Frauen gelesen habe.

Wie habt ihr das aufgenommen? War das beängstigend?

Ich habe das sehr beängstigend gefunden. Ich war schockiert. Allein von der Sprache. Das war nicht meine Sprache, das war für mich völlig ungewöhnlich und wirkte auf mich wie Straßenjargon… ruppig. Ich habe das ernst genommen und habe meine Einstellung zu Frauen mit den Argumenten, die diese Frauen gebracht hatten, verglichen und kam zu dem Resultat: die haben recht. Männer sind wirklich Schweine in einer gewissen Weise. Das könnte ich heute nicht mehr so sagen, aber damals war das so.

Wie ist der Bezug  zu King Vidors “Duell in der Sonne”?

Ich kannte den gar nicht zu diesem Zeitpunkt. Nur Zihlmann hatte ihn gesehen. Das Exposé haben wir zusammen geschrieben, und die Geschichte haben wir zusammen entwickelt. Und während wir da saßen und schrieben, ging Uschi
zu den Amon Düül. Man hörte so aus der Ferne, was da alles lief, hörte von den Amon Düül, hörte, daß da was mit Jimi Hendrix war und mit Mick Jagger, und von alledem ging sie dann zur K1 und zu Langhans — und über die K1 und über Langhans konnte man fast jeden Tag was in der Zeitung lesen, über Uschis Taten innerhalb der K1 dann ja auch in sämtlichen Illustrierten.

Der Glanz war auf Uschi

Wie hast du Uschi Obermeier eigentlich kennengelernt?

Mein Regieassistent bei DETEKTIVE — das war Martin Müller —, der hatte einen Kurzfilm gedreht. Uschi hatte eine kleinere Rolle darin gespielt, und Martin Müller hatte zu mir gesagt “Guck dir die doch mal an!” Uschi wohnte auch noch im gleichen Haus wie ich in München, in der Klopstockstraße 1, einem Neubauappartmenhaus. Mit Uschi war das nie ein großes Problem, zumal wir auch die Rolle nicht als für so wichtig angesehen hatten. Unser Problem war mehr die Rolle von Annabella, was dann später von Iris Berben gespielt worden ist. Der Titel sollte ursprünglich ANNABELLA heißen, die Rolle war dann quasi die Titelrolle. Das war sehr viel aufregender und aufwendiger, diese Frau zu kriegen. Uschi machte das dann mit den anderen Frauen — das war unkompliziert und wunderbar. Und es war so, daß jeder sofort sah: der Star von DETEKTIVE ist Uschi Obermeier. Sie hat die Ausstrahlung und die Art, sich zu bewegen, die faszinierte — zusammen mit Marquard Bohm. Nichts gegen Iris Berben, aber der Glanz war auf Uschi, und es war für uns ganz normal, an Uschi Obermeier zu denken beim nächsten Film. Heinz Angermeyer sah Marquard Bohm und Uschi Obermeier in dem Film und hat gesagt: “Also wenn du die beiden hast, produziere ich dir den Film!”
Dann war es wirklich ein sehr großes Problem, Uschi Obermeier wieder zu kriegen. Ich mußte einige Male nach Berlin fahren, um sie dort dazu zu bewegen, mitzumachen, und… ich mußte die ganze Kommune 1 zum Essen einladen beim Chinesen! Mit der Kommune war es dann weiter kein großes Problem. Die waren alle sehr dafür und wollten von dem Geld sofort eine Waschmaschine und einen Kühlschrank kaufen. Das einzige Problem war Langhans — bei der Summe von zwanzigtausend Mark war das Problem nicht mehr da. Es gab dann einen sehr komplizierten Vertrag, daß nämlich Langhans bei den Dreharbeiten dabeisein durfte, und daß Uschi nach vier Drehtagen zurück nach Berlin mußte, damit sie sich nicht allzu sehr vom Kommuneleben entfremdet. Das haben wir auch gemacht… Das hätte sehr kompliziert werden können. Wir waren auf einige Schwierigkeiten gefaßt, aber Uschi war absolut professionell und Langhans sehr kooperativ. Der hat auch mitgeholfen, Lampen zu schleppen… auch daß sie viele Joints geraucht haben, war überhaupt kein Problem.

Wie lange war die Vorbereitungzeit?

Die Vorbereitungszeit war zwei Monate… das war normal. Das Drehbuch war noch nicht geschrieben. Zihlmann fing an zu schreiben, und ich bereitete die Produktion vor, engagierte Leute und suchte die Schauspieler.

Wie war der Film finanziert?

Den Anfang habe ich gemacht, und in dem Moment, als Uschi den Vertrag unterschrieben hatte — das war während der Berlinale 69, da waren Heinz Angermeyer, Sylvia Kekulé und ich in Berlin bei der Berlinale auf dem Filmball — dafür habe ich mir extra einen Smoking gekauft — und ich sagte zu Angermeyer: “Hier ist der Vertrag. Jetzt müssen Sie ROTE SONNE produzieren!” Und da hat er ein ganz unglückliches Gesicht gemacht, weil er dachte, er käme vielleicht nochmal davon… aber er hat es dann gemacht.

Wie teuer war denn der Film?

Ungefähr 350.000 DM.

Wurde  die Münchner Altbauwohnung extra eingerichtet oder war alles schon vorhanden?

Wir haben uns mehrere leere Wohnungen angeschaut, und ich habe diese Wohnung vom Chef der Israelischen Kultusgemeinde in München bekommen. Ich habe sie gemietet, um dort zu drehen.

Waren die Wände so gestrichen?

Ja. Die Wohnung war frisch renoviert. Die Einrichtung haben wir reingetan.
Das war dein erster Farbfilm ROTE SONNE? Gab es eine Art Farbdramaturgie?
Natürlich haben wir uns überlegt, in welchem Zimmer wir was machen, das ist klar, aber bei mir wird ja nie etwas, was ich ausdrücken will, umgesetzt. Ich habe nie eine Botschaft, die es umzusetzen gilt im Film. Also kann ich eigentlich eine Farbdramaturgie in dem Sinne gar nicht machen, denn sonst müßte ich ja was haben, wofür ich diese Farbdramaturgie einsetze. Ich setze gefühlsmäßig bestimmte Farbakzente und habe vage Vorstellungen, warum ich das mache, aber ich zerbreche mir nicht den Kopf. Es ist nie das Denken vorher und dann das Machen, sondern Machen und Denken ist eine Sache, es passiert beides gleichzeitig. Aber ich weiß, was ich tue, und es gibt Zusammenhänge.

ROTE SONNE enthält über die Farben unheimlich viel von dieser Zeit… diese Bonbonfarben…

Das liegt daran, daß wir keinerlei Filter benutzten, daß wir die Farben einfach so aufgenommen haben, wie sie da waren. Wir haben das Negativ so belichtet, wie das Kodak-Negativ damals eben war, wie die Farben gekommen sind, wenn man nichts getan hat. Der Film ist so bunt wie die Wirklichkeit. Die Farbigkeit des Films wirkt natürlich besonders deswegen so, weil diese Wohnung so bunt ist. Jedes Zimmer hat eine Farbe. Das ist ja ungewöhnlich, das gibts ja heute eigentlich nicht mehr. So bunte Wohnungen habe ich seitdem nie wieder gesehen.

Das lag vielleicht auch an der Zeit…

Die Röcke waren so kurz damals, da haben wir auch nichts gemacht… ich habe kein einziges Teil, das die Frauen tragen, für den Film gekauft. Dafür war gar kein Geld da. Ich bin deren Garderobe durchgegangen. Der einzige, der etwas gekauft gekriegt hat, war Marquard Bohm. Der hat diesen grünen Anzug gekauft bekommen…

Den er auch den ganzen Film trägt?

Na, das war wiederum eine Sache, die ich mochte und die mir wichtig ist, daß eine Person nicht eine Kostümparade machen sollte, sondern möglichst nur ein Kleidungsstück die ganze Zeit trägt, ein Teil, das einfach die Person charakterisiert. Das war bei Bohm in DETEKTIVE die Lederjacke, bei Uli Lommel die Samtjacke, und bei diesem Film der grüne Anzug, der natürlich ganz fabelhaft aussah, manchmal aufgerissen war und alles mögliche.

Wieso war der aufgerissen?


Bohm hat tagsüber oder wann auch immer gedreht, aber dann ist er ja nicht ins Bett gegangen und hat sich schlafen gelegt, sondern dann zog er durch die Kneipen… mit dem Anzug… es war ja keine Kostümfrau da, die ihm den Anzug nach dem Drehen weggenommen hat.

Du hast die aufgerissene Naht drin gelassen…

Ich habe andere Probleme gehabt, als mich um diese aufgerissene Naht zu kümmern. Zum Beispiel zu wissen, wo Bohm war, wenn wir am Morgen drehen wollten, und ich erinnere mich, daß ich öfters Anrufe bekam — da war er allerdings auch wieder professionell — er rief dann jedenfalls um 4 oder 5 Uhr früh bei mir an und sagte ‘Du, ich bin hier, schreib dir mal die und die Adresse auf, ich bin bei der und der Frau, kannste mich so in einer halben Stunde abholen, ich komme hier nicht raus…’ und lag dann bei irgendeiner Frau, die ihn in der Nacht kennengelernt hatte, und ich mußte ihn da rausholen und abholen. Das war ja auch der Grund, warum ich vor allem Bohm in dieser Wohnung, die wir als Drehort benutzten, habe wohnen lassen, um ihn etwas besser griffbereit zu haben. Denn wenn er woanders gewohnt hätte, dann hätte ich noch weniger gewußt, was passiert — so wußte ich ein bißchen mehr…

Der Drehort war auch Marquard Bohms Wohnung?

Fast alle wohnten in dieser Wohnung… der Kameramann, seine Assistentin, Marquard Bohm und ich. Uschi wohnte, wenn sie nicht in Berlin in der K1 war, in einer befreundeten Münchner Frauenkommune in der Türkenstraße.

Uschi Obermeier hat nur diese beiden Filme mit dir gemacht und sonst keine. Wie kommt das eigentlich?

Antonioni hat sie mal nach Italien kommen lassen, da machte sie Probeaufnahmen für BERUF: REPORTER, aber die Rolle hat dann Maria Schneider gekriegt und nicht Uschi. Was mich am meisten irritiert, was ich nie nachvollziehen kann, ist, daß kein einziger Regisseur versucht hat, mit Uschi Obermeier einen Film zu drehen. Bei Marquard Bohm war das ja immerhin noch Roland Klick, der einen Film mit ihm in der Hauptrolle gedreht hat. Klick war der einzige. Diese beiden wirklich extrem aufregenden Schauspieler…für die hat sich kein Mensch interessiert!

Hattest du damals nicht vor, nochmals mit Uschi Obermeier zu drehen?


Das hätte ich sicherlich gerne gemacht, aber es hat sich nicht ergeben. Uschi wurde der Star, nachdem ROTE SONNE rausgekommen war. ROTE SONNE ist ja im Grunde genommen rausgekommen, ein bißchen aufgeflammt und erloschen… weg war er. Der Film hatte in Deutschland circa 15.000 Zuschauer.

Ein Film maudit

Wie erklärst du dir das?

Einmal war es so, daß der Verleih, der ihn genommen hatte, wirklich einen Tag vor dem Start pleite ging. Das war der Nachfolger von Atlas, der hieß Alpha-Film. Auf allen Plakaten und Fotos steht Alphafilm drauf. Aber diese Alpha-Pleite ist sicherlich nicht der Grund, daß das mit ROTE SONNE nicht geklappt hat. Das wäre dann wirklich total zufällig. Der Film wurde vorher anderen Verleihern angeboten. Das war vor allem die Constantin… und da weiß ich noch sehr genau: Angermeyer hat alle seine Filme, die er produziert hat — und das waren circa 30 und er hat Filme wie “Wir Wunderkinder”!, also wirkliche Erfolgsfilme, die Millionen Zuschauer hatten — von der Constantin verliehen bekommen, aber die Constantin hat sich mit Händen und Füßen gewehrt, diesen Film zu verleihen. Letzten Endes habe ich ihn selbst verliehen. In der Phase, bevor der Film überhaupt rauskam, gab es einen Tiefschlag nach dem anderen. Der letzte Tiefschlag war, als der Film zum Bundesfilmpreis — was damals noch nicht “Bundesfilmpreis” hieß, sondern “Bundesfilmprämie” — eingereicht wurde; Angermeyer war ganz felsenfest davon überzeugt, daß der Film eine Bundesfilmprämie bekommt, und er wenigstens 200000 DM wieder von seinem Geld zurückkriegt. Da war er ganz sicher. Er sagte, es sei ein ordentlich gemachter Film und er habe was Spezielles, was ganz Ungewöhnliches, und muß die Bundesfilmprämie kriegen. Das passierte nicht. Als wir das hörten, war er so verbittert, daß er zwei oder drei Jahre lang keinen Film mehr produziert hat. Er hat dann später rausgekriegt, daß der Film nicht mal angeschaut worden ist. Ich habe dann noch versucht, den Film nach Cannes zu bringen. Er wurde im Frühjahr 1970 Deleau im Leopoldkino gezeigt. Ich weiß noch, ich hatte einen erbitterten Kampf mit Volker Schlöndorff, um welche Uhrzeit der Film Herrn Deleau vorgeführt werden sollte. Das war für mich natürlich klar, daß, wenn der Film morgens früh als erster oder als zweiter vorgeführt wird, daß das was anderes ist, als wenn Deleau ihn als letzten sieht. Ich habe verloren und er wurde spät vorgeführt.
Das war dann Pech auf der ganzen Linie.
Es war ein Fehlschlag… und noch ein Ding war: in der Phase der Fertigstellung, nach dem Rohschnitt, habe ich den Film — damals hat man ja die Muster noch nicht ganz in Farbe, sondern größtenteils in Schwarz-Weiß gemacht — Siegfried Schober gezeigt — der damals Kritiker der “Süddeutschen Zeitung” war. Weil er DETEKTIVE so geliebt hatte, habe ich gedacht, zeige ich es ihm, und Schober fand den Film so schlecht, daß er ihm in der “Filmkritik” zwei Nullen gegeben hat. Es war von vornherein alles dagegen. Es war, als würde der Film irgendwie stinken, als hätte er eine Krankheit. Fast niemand wollte was damit zu tun haben. Es war irgendwas Anrüchiges mit dem Film. Ich war mir beim Drehen natürlich sehr im klaren darüber, daß das, was ich machte mit dem Begriff “Film maudit” zu tun hatte. Dieses Nebeneinanderstellen war mir ganz wichtig, zum Beispiel der Szenen, wenn Uschi den gefesselten Amerikaner einfach mit einer schallgedämpften Pistole erschießt und dann zurückgeht ins Zimmer, wo Bohm liegt, sich zu ihm ins Bett legt und mit ihm Liebe macht, daß das hart ist, diese Aufeinanderfolge von Mord und Liebe, das war mir schon klar,… daß das ja alles ganz liebe Mädchen sind, gar keine wilden Mordweiber. Wenn das wirklich emanzipierte Frauen aus der Frauenbewegung gewesen wären, die schon so auftreten, das hätte mich nicht gereizt. Mich hat gereizt, das von ganz normalen Mädchen tun zu lassen. Und diese Spannung zwischen den beiden Extremen, die war da. Ich denke auch, daß das die Schwierigkeit bei der Rezeption war. Zu der Rezeption zähle ich auch die Ablehnungen durch die renommierten Verleiher und die FBW. Wenn das Frauen gewesen wären, zu denen gepaßt hätte, was die machen, wäre der Film viel leichter hinzunehmen gewesen.

Wir haben keine Kaufhäuser angesteckt, wir haben Filme gemacht.


Es gibt eine Szene, wo die  Mädchen die Bombe ausprobieren, die Zündschnur legen… die wirkt rückschauend ziemlich frivol…

Ja, man weiß, daß das hinterher wirklich gemacht wurde, die RAF gab es aber noch nicht.

Es war eine Vorwegnahme sozusagen. Es gab aber in Frankfurt einen Bombenanschlag auf ein Kaufhaus.


Das muß man ja auch mal sehen: einer der vier Kaufhausbrandstifter war einer unserer Schauspieler, mit dem wir einen Kurzfilm gemacht haben…

Wer war das?

Horst Söhnlein. Bei Lemke in KLEINE FRONT spielt er eine Hauptrolle. Lemke hat auch den Film BRANDSTIFTER gemacht, und hat mit denen sehr intensiven Kontakt gehabt, weil die von ihm Kohle wollten, als er darüber einen Film gemacht hat. Lemke spürte diese Nähe auch. Im Grunde genommen kamen die ja aus unserem Umfeld. Wir haben keine Kaufhäuser angesteckt, wir haben Filme gemacht. ROTE SONNE ist in zweifacher Hinsicht revolutionär: weil er die Position der Frauenbewegung aufnimmt und spielerisch vertritt, und er ist revolutionär, wie er als Film gemacht ist, wie er als Film erzählt wird. Es gibt nichts, was vergleichbar ist. Der Sprengstoff, der zu sehen ist, ist eben nicht nur das Schwarzpulver, das die Mädchen basteln, sondern ist ästhetischer Natur.

Wie siehst du ROTE SONNE und DETEKTIVE im Verhältnis zum Jungen deutschen Film?

Zur Oberhausener Bewegung? Die Filme waren dagegen gemacht. Die waren wirklich bewußt gegen diese Filme gemacht. Was die machen wollten, der etablierte Junge Deutsche Film, der Unterzeichner von Oberhausen, die wollten gesellschaftskritische, politische Filme machen. Wir wolten Kino. Straub natürlich zählten wir zum Kino. Straub hatte ja den Traum, daß seine Filme besser laufen würden in München im Schillertheater am Bahnhof, wo Western liefen, als im Theatiner Filmkunst. Er konnte sich das sehr gut vorstellen: zuerst einen Film von John Ford und dann von Straub, das paßte problemlos für ihn zusammen… Straub hat JANE ERSCHIESST JOHN, WEIL ER SIE MIT ANN BETRÜGT bei der ersten Aufführung von CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH als Vorfilm gezeigt, und er hat eine Einführungsrede gehalten, warum er das tut. Ich sagte “Ihr Film ist doch was völlig anderes als mein Film! Schon die Musik, das ist alles Bach und ich habe da Rockmusik, das paßt doch nicht zusammen…” Er sah das nicht. Wir standen in Opposition zu den Oberhausener Filmemachern. Auch Straub hat Filme gegen Kluge gemacht. Ich glaube, er hat das so gesehen.

Im “Kleinen Bungalow”

Damals war Schwabing ein Synonym für Bohème, für junge Schickeria… aber vieles in ROTE SONNE ist direkt dagegen gemacht: dieser sehr langsame Rhythmus… es geht ja los mit Musik von Albinoni, was absolut konträr ist zu Pop-Musik. War das eine bewußte Entscheidung, gegen den Mythos Schwabing zu arbeiten?

Schwabing, das zählte für uns nicht. Das ist etwas, was nachher entstand. Wir haben den Mythos nicht als Mythos wahrgenommen. Das war die Realität. Der Alltag war, daß wir sehr wenig Geld hatten, praktisch ständig im Kino waren, und ich war Filmkritiker bei der “Süddeutschen Zeitung”. Ich hatte einen Ausweis, mit dem ich in jedes Kino in ganz München reinkommen konnte, umsonst, und ich war immer im Kino. In manche Filme ging ich zusammen mit Lemke und Zihlmann. Danach saßen wir auf der Leopoldstraße, das heißt, wir saßen eigentlich gar nicht so sehr auf der Leopoldstraße, wir saßen im “Kleinen Bungalow” in der Türkenstraße. Der “Kleine Bungalow” ist ein Mythos gewesen für die, die draußen waren. Es gab eine kleine Gruppe von jungen Leuten, die zum Film wollten und dahin gingen, um uns zu sehen, um mal mit uns zu reden. Die Schygulla und Fassbinder waren auch im “Bungalow”. Das Gemeinsame, was wir gemacht haben, war, Filme anzusehen und Kritiken zu schreiben. Kritiken haben wir geschrieben, weil die Regisseure der nouvelle vague das auch getan hatten, und das offensichtlich ein Weg war, Filme zu machen letzten Endes.

“Der beste deutsche Film aller Zeiten”

Du machst jetzt nach 25 Jahren eine Wiederaufführung von ROTE SONNE, mit neuem Plakat und neuem Presseheft, was weniger ein Presseheft als mehr eine Dokumentation ist. Warum der Aufwand? Siehst du den Film selbst als Klassiker oder warum machst du dir jetzt eine solche Mühe damit, den Film herauszubringen?

Fünfzehn Jahre nach dem Start von ROTE SONNE sagt mir plötzlich jemand: in Buchers Lexikon des Films steht “der beste deutsche Film seit Beginn der Tonfilmzeit”. Das war ja nun ein Satz der Superlative… dann wollte ich wissen, wer das geschrieben hat, denn das spielt ja auch eine Rolle, und dieser Kritiker war mir bekannt, ein Frankfurter Kritiker, Winfried Günther. Ab 1980 verklärten sich dann ROTE SONNE und DETEKTIVE. Es war, als sei da so ein Heiligenschein drumherum. Es kamen dann mehr Kritiker, die ähnliches sagten — manche sagten auch, DETEKTIVE sei der beste Film. 1984/85 wurde der Film wiederaufgeführt durch den Traumfabrikfilmverleih. Der hatte den Film in Essen gezeigt und sah, wie er bei den jungen Leuten ankam. Er hatte gesehen, daß ROTE SONNE besser ankommt als der damals neuste Film, den ich gemacht hatte, BERLIN CHAMISSOPLATZ. Dann wurde er in Österreich herausgebracht und das war eine große Überraschung. Da kamen dann wirklich 4, 5 Zeitungen, die alle nahezu gleichlautend schrieben “der beste deutsche Film aller Zeiten”, “der beste deutsche Film nach dem Krieg” und “einer der besten Filme des Jungen Deutschen Films”…solche Sätze waren dann plötzlich normal. Eine andere Erfahrung habe ich in einem Seminar an der FU gemacht, wo ROTE SONNE mit fünf anderen Filmen zusammen gezeigt wurde. Es war der einzige Film, der bei den Studenten wirklich ankam. All das macht mich neugierig, was passieren wird, wenn dieser Film jetzt noch einmal rausgebracht wird.

 

Interview mit ARTE

Interview mit dem Regisseur von “Rote Sonne”

ARTE: Herr Thome, Sie haben 1968 Ihren ersten langen Film gedreht „Detektive“ und 1969 dann „Rote Sonne“, beide mit der damaligen Hippie-Ikone Uschi Obermaier. „Rote Sonne“ wird auch im Rahmen des ARTE-Schwerpunkts „Summer of Love“ gezeigt. Was verbinden Sie mit dem damaligen Lebensgefühl? Waren Sie von den aus Kalifornien herüber kommenden Hippie-Ideen in irgendeiner Form beeinflusst?

Rudolf Thome: Überhaupt nicht. Was mich beeinflusst hat, also in dieser Zeit ’67 – ’68, das waren die Rolling Stones und Jimi Hendrix. Wenn von den Rolling Stones eine neue Langspielplatte rauskam, dann waren wir am ersten Tag da und haben sie unmittelbar danach in absoluter Andacht zwei, drei mal gehört, und Jimi Hendrix war natürlich auch eine Offenbarung. Ich war von diesen Musikern ähnlich fasziniert wie die Uschi Obermaier, die mit denen ja auch privat befreundet war, als wir den ersten Film „Detektive“ anfingen. Diese Musik war für mich schon sehr wichtig, die Hippie-Ideen und das ganze „California Dreaming“ haben mich aber nicht interessiert.

Und die neuen Ideen von Freiheit und gesellschaftlicher Veränderung, haben die für sie eine Rolle gespielt?

Nicht direkt. Ich habe vielleicht mal einen Joint geraucht, den ersten, soweit ich mich erinnere, im Winter 1967. In der Zeit drehte ich gerade den Kurzfilm „Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt“, und das Jointrauchen kommt dann auch im Film vor.

Ihren Film „Rote Sonne“ kann man aber zumindest doch auch so verstehen, dass da neue Beziehungsformen und emanzipatorische Freiheiten im Geschlechterkampf thematisiert wurden, wenn auch in übersteigerter, zugespitzter Form. Das kommt ja auch in vielen Ihrer späteren Filme vor, die Suche und die Sehnsucht nach neuen Umgangsformen von Mann und Frau miteinander. Hat die Protestbewegung Ende der 60er Jahre in dieser Hinsicht überhaupt etwas gebracht? Gab es da Veränderungen oder waren es eigentlich alles nur naive Träume?

Nein, nein, das hat schon zu Veränderungen geführt. Wir waren damals sehr stark beeinflusst von Jean-Luc Godard. Godard war unser absoluter Held, mit Filmen wie „Pierrot le fou“ und „Le Mépris“. Es gab auch andere Filme davor, aber diese beiden Filme waren wirklich das Beste überhaupt von Godard. 1967 hat er auch noch „La Chinoise“ gedreht, den wir alle noch toll fanden und dann kam gleich „Week-End“, das war für uns schon fast der Untergang von Godard. Aber wir hatten die anderen Godard-Filme noch gut im Kopf, als ich mit Max Zihlmann zusammen saß, um das Drehbuch für „Rote Sonne“ zu schreiben. Und dann, genau in dieser Zeit, erschien im „Spiegel“ der Abdruck eines Pamphlets von Helke Sander, die bei dem SDS-Meeting in Frankfurt gegen die Männer eine Revolte angezettelt hatte, weil dort die Frauen nicht mit rein gelassen wurden in das Meeting.

Nach dem damaligen Emanzen-Motto: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen“ – ging das in diese Richtung?

Ja, genau. Ich war ziemlich schockiert von dem Text, weil ich eigentlich sehr bürgerlich war damals. Ein Paar Monate zuvor hatte ja die Radikal-Feministin Valerie Solanas auf Andy Warhol geschossen und ihn schwer verletzt. Kurz darauf - es muss während der Drehzeit von „Detektive“ gewesen sein - erschien ihr SCUM-Manifest (Society for cutting up men), in dem sie erklärt, dass alle Männer getötet werden sollen.

Oder zumindest entmannt...

Gut ok. Das brachte uns jedenfalls auf die Idee für die Geschichte in „Rote Sonne“. Eine normale Liebesgeschichte, die wir zunächst schreiben wollten für die Schauspieler Marquard Bohm und Uschi Obermeier, wäre langweilig gewesen. Also haben wir die Geschichte erfunden, dass die Frauen ihre Männer umbringen, wenn die eben Beziehung zu lange dauert.

In Ihrem späteren Film werden die Männer von den Frauen zwar nicht mehr erschossen, aber die Figuren hadern doch oft mit den konventionellen Beziehungsformen und der Kluft zwischen dem Anspruch an die Liebe und der Liebeswirklichkeit. Sind wir seit dem damaligen Aufbruch zu neuen Lebens- und Liebes-Freiheiten eigentlich ein Stück weiter gekommen? Die bürgerliche Eifersucht sollte doch abgeschafft werden, aber das ist ja offensichtlich nicht gelungen.

Das lässt sich kaum allgemein beantworten. Ich denke, dass ich selbst zumindest relativ wenig eifersüchtig bin.

Die Figuren in Ihren Filmen sind es meistens auch nicht, sondern reagieren betont gelassen.

Ja, eben. Ich versuche ja, einigermaßen realistische Geschichten zu erzählen und orientiere ich mich dabei auch an mir selbst, schließlich kennt man sich selbst doch besser als andere Menschen.

Wenn Sie damals mit Uschi Obermaier gedreht haben, die das Kommune-Leben ja schon praktizierte, in dem freiere Umgangsformen möglichst ohne Eifersucht propagiert wurden, ist das in irgendeiner Form in die Dreharbeiten eingeflossen?

Also, zunächst mal kam Uschi Obermaier bei den Dreharbeiten zu „Detektive“ noch nicht aus einer Kommune, sondern sie wohnte zwei Stockwerke über mir im gleichen Haus. So fing das an. Und bei „Rote Sonne“ war sie bei „Amon Düül“ untergekommen, der deutschen Rockgruppe, die auch in einer Art Kommune lebten. Erst danach ging sie dann in die K1 in Berlin und war dort mit Rainer Langhans liiert. Es war zunächst sehr schwierig, sie überhaupt für „Rote Sonne“ zu bekommen. Mein damaliger Produzent wollte aber unbedingt die beiden Schauspieler Marquard Bohm und Uschi Obermaier haben. Bohm war kein Problem, sie wollte zunächst jedoch nicht. Aber als die Gage bei jedem Besuch von mir in Berlin in die Höhe ging, war sie schon sehr interessiert, nur Rainer Langhans versuchte noch zu stoppen. Rainer Langhans hatte Angst, sie zu verlieren. Er war sehr eifersüchtig und der ganze Film kam nur dadurch zu Stande, weil sie für die damaligen Verhältnisse sehr viel Geld bekam, und weil Rainer Langhans beim Drehen immer dabei sein durfte. Das war seine Bedingung, im Grunde haben wir auch einen Vertrag mit ihm gemacht. So viel zur Überwindung der Eifersucht in der Kommune.

Das hat also nicht so funktioniert, wie es in der Öffentlichkeit propagiert wurde. In „Rote Sonne“ sagt der von Marquard Bohm gespielte Thomas zu der von Uschi Obermaier verkörperten Peggy: „Komm, wir fahren nach Marokko in die Sonne. Die macht uns schön und glücklich und zu besseren Menschen“. Das klingt von heute aus gesehen fast schon wie ein sehr früher ironischer Kommentar zu den Flucht- und Ausstiegsideen der Hippiekultur. Kann man das so verstehen?

Nein, eigentlich nicht. Ich sehe es mehr als einen persönlichen, sehr romantischen Satz von Thomas.

Also noch ganz ernst gemeint?

Ja, von ihm erst gemeint. Heute klingt es natürlich ironisch, weil wir wissen, dass es uns nicht zu besseren Menschen macht, nach Marokko in die Sonne zu fahren.
Vielleicht, aber man darf die Sätze einer Figur oder einer Person im Film eben nicht als Aussage des Autors nehmen, das funktioniert nicht. Er ist hier eine naive Figur, er träumt davon, ein Art Humphrey Bogart in Casablanca zu sein.

Herr Thome, Sie machen seit über 40 Jahren, etwa alle ein bis zwei Jahre, konsequent einen neuen Film. Sie schreiben auch die Bücher selbst. Wenn ich richtig gezählt habe dann, ist der nächste Film ihr 26. Was motiviert Sie noch zu einem neuen Filmprojekt? Ist es ganz selbstverständlich, dass Sie nach dem letzten Film einen neuen anfangen?

Das Leben ist langweilig, wenn ich keinen Film mache. Ich glaube, ich würde sterben, wenn ich keinen mehr machen könnte. Ich war vor ein Paar Jahren in Portugal bei einem Festival, und dann habe ich mich sehr intensiv nach Manuel de Oliveira erkundigt, wie der lebt. Oliveira ist mittlerweile 98, der dreht auch noch jedes Jahr einen Film.

Er hat jetzt auch gerade einen Beitrag zu dem Cannes-Geburtstagsfilm „Chacun son cinéma“ gemacht.

Der Mann ist also 98 Jahre alt und macht noch Filme, ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass ich das auch schaffen werde, aber es hat mich interessiert, wie er lebt. Wenn er keinen Film machen würde, das hat mir Gilles Jacob, der Präsident des Filmfestivals von Cannes erzählt, dann würde er sterben. Er muss das machen, damit er leben kann. Das braucht man dann eben so, wie man essen muss. Leute, die Filme machen mit Leib und Seele und allem, die müssen Filme machen, es geht nicht anders. Das ist der Grund.

Gut, das ist auch eine mehr als ausreichende Begründung. Wir haben die Musik schon kurz angesprochen. Rock und Pop haben in der ganzen Protestbewegung, in der Sub- und Gegenkultur, um die es in unserem ARTE-Schwerpunkt „Summer of Love“ geht, eine ganz zentrale Rolle gespielt, auch bei vielen Regisseuren. Wie ist Ihr Verhältnis damals und heute noch zur populären Musik, zu Rock und Pop Musik?

Ich liebe sie immer noch mehr als die Klassische Musik. Ich kann immer noch mehr damit anfangen, als mit Klassischer Musik.

Setzen Sie diese Musik gezielt in Ihren Filmen ein?

Man kann es im Grunde genommen nicht bezahlen, bei den Filmen und den Budgets, mit denen ich arbeite. Aber selbst mit einem größeren Budget ist es unendlich aufwändig, wirklich tolle Popmusik in Filmen zu verwenden. Es geht vielleicht, wenn man fürs Fernsehen dreht, aber ich habe immer nur Kinofilme gedreht, und da ist es praktisch nicht bezahlbar. Es ist auch sehr kompliziert, wenn man mit den Produzenten der Musik verhandeln muss, mit den Verlagen und mit den Ausführenden. Das geht dann immer nur für bestimmte Länder usw., es ist sehr schwierig. Die Leute, mit denen man reden muss, sind noch dazu meistens in New York, nicht in Deutschland. In „Rote Sonne“ gibt es ja nun Popmusik, von „The Nice“ und „Small Faces“. Das konnte nur klappen, weil ein Rechteinhaber dieser Musik damals in München war, und wir ihn kannten.

Sie haben angedeutet, dass Sie gerade wieder ein Drehbuch geschrieben haben.

Ja, ich bin gerade mit dem allerneuesten Drehbuch fertig geworden. „Pink“ heißt es.

Schöne Farbe und schöner Titel. Können Sie noch etwas zu dem Projekt sagen, oder machen Sie das in diesem Stadium grundsätzlich nicht?

Das mache ich lieber nicht, weil ich noch nicht weiß, ob ich den Film auch drehen kann. Dazu muss ich zuerst sehen, ob ich das Geld zusammen bekomme.

Sie haben in den letzten Jahren immer wieder mit den gleichen Schauspielern, z.B. mit Hannelore Elsner und Hans Zischler gearbeitet, um nur zwei Namen zu nennen. Ist das ein vertrauter Kreis, so eine Art Film-Familie geworden im Laufe der Jahre?

Ja, das war aber bei mir schon immer so. Marquard Bohm war ja ganz von Anfang an dabei. Wenn ein Schauspieler toll ist und es Spaß macht, mit ihm zu arbeiten, dann setze ich das gerne fort. Obwohl ich bei manchen nach einem Film auch schon oft gesagt habe, ich drehe nie wieder einen Film mit ihm.

Das dürfte kein ganz seltenes Phänomen sein, wenn man so lange so intensiv zusammen arbeitet

Ja, aber ich habe dann doch meistens immer wieder mit den gleichen Leuten gearbeitet. Einfach auch aus dem Grund, weil ich bei dem Risiko, das ich mit jedem neuen Film eingehe, wenigstens schon mal eine sichere Position bei der Besetzung habe, wenn ich weiß, was ich von denen bekomme. Ich muss dann nicht auch noch Angst haben, ob die Schauspieler gut sind. Schließlich ist ja immer ein großes Risiko, und mit dem neuesten Projekt „Pink“ gehe ich wahrscheinlich das größte Risiko der letzten Jahre ein.

Interview: Thomas Neuhauser / ARTE (Juni 2007)

 

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