Blog |
Kurzfilme |
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64 Die Versöhnung
66 Stella
67 Galaxis
67/68 Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt |
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80 Hast Du Lust mit mir einen Kaffee zu trinken? 84 Zwei Bilder |
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Spielfilme | ||
Info |
Filmkritik 1/70 Wim Wenders, Rote Sonne Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.12.69 K. Korn, Penthilesia 69 Filmkritik 1/70 Klaus Bädekerl, Weibliche Utopie und utopische Männlichkeit Filmkritik 1/70 Enno Patalas,Scheherazade muß sterben Süddeutsche Zeitung, 27.2.71 Frieda Graefe, Mitleid mit den Männern rororo, Filmlexikon (1977) Rote Sonne Die Tageszeitung, 17.5.85 Ch. Terhechte, Rote Sonne Der Standart Wien, 12.4.1990 Reinhard Jud, Das Kino als mögliche Utopie Die Presse, Wien, 14.4.90 Stefan Grissemann, Mit chirurgischem Blick |
ROTE
SONNE Baby, you can drive my car, and maybe I'll love you |
Wim
Wenders Filmkritik 1/70 |
In
vielen Tageszeitungen gibt es auf einer der hinteren Seiten Comics, die
immer nur aus drei oder vier Bildern bestehen, so daß eine zusammenhängende
Geschichte sich über Wochen und Monate hinstreckt. Kauft man sich
die Zeitung nicht regelmäßig, oder versäumt man zwischendurch
manchmal, die jeweiligen Geschichten zu verfolgen, erscheinen einem die
einzelnen Folgen völlig unverständlich, so daß einen gerade
die Selbstverständlichkeit, die die Bilder ausstrahlen, erschreckt.
Vor langer Zeit habe ich mir die Geschichten aus den Zeitungen ausgeschnitten
und zu Heften zusammengeklebt. So wie diese selbstgemachten Phantom- und
Blondiehefte ist mir die Rote Sonne vorgekommen: etwas sehr Einfaches
und sehr Billiges und Kunstloses ernstgenommen und mit Sorgfalt behandelt
zu sehen. Die Rote Sonne ist einer der ganz seltenen europäischen
Filme, die das amerikanische Kino nicht bloß nachmachen wollen und
damit zeigen, daß sie eigentlich in New York und mit Humphrey Bogart
hätten gedreht werden müssen, sondern die vielmehr von den amerikanischen
Filmen eine Haltung übernommen haben, ohne Aufdringlichkeit 90 Minuten
lang nichts als ihre Oberfläche auszubreiten. Diese EINSTELLUNG wird
in jedem Bild dieses Films sichtbar; sie zeigt sich in der ständigen
Flachheit der Einstellungen, in der Monotonie der Optik, die sich nur
an eine Handvoll Bildgrößen hält, in der Banalität
der Kamerabewegungen, die nie aufwendiger sind, als es gerade nottut,
in der merkwürdigen Farblosigkeit der Farben, die genau dieselbe
ist wie in Micky-Maus-Heften: es würde niemanden wundern, wenn die
eben noch gelblichen Wände plötzlich blau wären, das kommt
vor. Die Geschichte geht genauso vor. Obwohl sie von niemandem forciert
wird und nur immer irgendwie weitergeht, kommt sie trotzdem zu einem Ende
und zu einem SCHLUSSBILD, das ganz zwangsläufig wirkt. Die Sonne
geht unter. Oder auf. Fernsehserien und Western hören so auf: mit
einem Bild, das offensichtlich ein Ende macht. Die Ökonomie des Films,
in 90 Minuten fertig zu werden, ist auch ganz die Ökonomie seiner
Geschichte. In der Roten Sonne reden die Leute dauernd so, als ginge sie der Fortlauf des Films nichts an. Sie reden unverfroren in ihrer jeweiligen Situation. Sie sind immer nur gerade da präsent, wo sie sind. Sie wissen noch nicht, wie es weitergeht: der Film läßt sich auf ihre Geschichte ein, er drängt sich ihnen nicht auf. Der Film spielt in München. Er schämt sich nicht darüber. I like the way you walk I like the way you talk Oh, Suzie Q. Filmkritik Januar 1970 Wim Wenders |
PENTHILESIA 69 |
K.
Korn Filmkritik 1/70 |
"Rote
Sonne", ein Film von Rudolf Thome Fünf junge Damen, erlesene
Körper, hochgeschürzt, mit dem modischen Raffinement Schwabinger
Boutiquen ausstaffiert, so smart wie seelenlos in Geste und Rede, wenn
sie lächelnd killen, haben sich in einer Jugendstilwohnung als Amazonenkommune
zusammengetan, von wo sie gelegentlich ihren Metiers als Bardame, Telefonistin,
Journalistin oder Boutiquenverkäuferin ohne Glückserfüllung
beiläufig nachgehen. Ein leichter Hauch von Lesbiertum hindert nicht,
daß die fünf Mädchen, so keusch wie antikisch kühl,
Männer, mit denen sie verkehrten, spätestens am fünften
Tag umbringen. Einen dicken, auf einen Stuhl mit roten Fesseln gebundenen
Amerikaner legt Sylvia lautlos mit der Pistole um, nachdem sie zuvor den
Schalldämpfer lässig vor den Pistolenlauf gesetzt hat. Den Marokkaner,
der im Mustang (welch bezüglicher Autoname !) durch München
gleitet, haschte es, als er am Ufer der Isar ausrutschte und die smarte
Begleiterin ein wenig nachhalf. Es geht um Thomas, den Streuner. Uschi
Obermeier ist Penthesilea, eine zartschenkelige, wie Homer oder Archilochus
sagen würden. Fünf Tage vergehen rasch. Der Gammler, im Typus
ein Belmondo ohne dessen Temperament, aber von der gewissen Ausstrahlung,
ahnt und erfährt, weil eine, die etwas mollige Isolde nicht dichthalten
kann, was ihm blüht. Das geht eine Weile zwischen den Zimmern der
Mädchen auf schönen Liegen, am Kühlschrank, am Volant,
in leicht erkennbaren Stadtmünchner Dekors bei enormem Zigarettenkonsum
hin und her, und oft geht lautlos eine Pistole los, indes die Bild-Zeitung
von mysteriösen Morden berichtet. Die Mädchen wissen ihre masochistische
Lust erweckenden Taten lässig und gescheit zu tarnen. Sie basteln
eine Zeitbombe - aber Thomas entschärft das Ding, das als allgemeines
Terrorsignal in einem schicken Hause hochgehen sollte. Uschi-Penthesilea,
zuvor die Chefin der couragierten Emanzipation, wird schwach. Wird sie
Thomas dem Fünftagerhythmus opfern? Sie wird - aber, wie es
die Schlußromanze will, gemeinsam mit dem Geliebten wird sie dem
alten Märchen von unstillbarer Liebeslust und - traurigkeit eine
süße, neue Schlußpointe aufsetzen. Rot und gelb steht
eine wäßrige Sonne überm Starnberger See, indes zwei Menschen
ihren jungen Lebenstraum lieber auslöschen, als ihn einer Trivialverwirklichung
auszuliefern. Die Story hat nur indirekt mit Emanzipation als modernem
Phänomen zu tun. Einmal klagt eine, wie sie von einen untreuen Freund
enttäuscht sich der charmanten Mörderinnenkommune angeschlossen
habe. Doch das ist kein ernst zu nehmender sozialer, moralischer oder
sentimentaler Bezug, allenfalls ein Hinweis auf kleinbürgerliche
Wünsche. Der Film, dem weder mit Psychologie noch mit Sozialkritik
beizukommen ist. dürfte eher als die filmische Übersetzung eines
Trivialmärchens anzusprechen sein, masochistischer Lustverfeinerung
der Konsumentengesellschaft dargeboten. Im Sinne solchen Konzepts hält
der Film konsequent einen Stil, der wie Puppentheater oder Ballett wirkt,
jenseits von moralischen oder realen Bezügen. Die Mädchen sind
schön, kühl, auf mechanische Weise graziös wie Tänzerinnen.
Nach den Variationen zum Thema Männermord mit Lustgewinn kommt am
Schluß die monumentale Kitschdekoration in erlesenen Farben: Sonne,
süffig überm See, zwei schöne Leichen am Ufer, schmelzende
Musik. Das filmische Genre wendet sich zu Oper oder Ballett und leistet,
was diese den Großvätern und -müttern gewährt hatte:
schmelzende Lust zwischen Liebesversagung und Tod. Da es im neuen Medium
mit Perfektion produziert ist, wird es bereits als der letzte Schrei des
filmischen Fortschritts gefeiert. |
WEIBLICHE UTOPIE UND UTOPISCHE MÄNNLICHKEIT |
Klaus
Bädekerl Filmkritik 1/70 |
In
Zeitschriften wie Schöner Wohnen findet man Bilder von Wohnungen,
die unbewohnbar sind. Diese Wohnungen gleichen selbständigen Organismen.
Bücherrücken und Blumenvasen, Polstermöbel und Stehlampen
haben ein Gleichgewicht gefunden, das ein hinzukommender Gast nur stören
würde. Gebrauchsgegenstände verflachen so zur Dekoration, ihr
einziger Konsumwert ist ein ästhetischer. Es sind Bilder, die sich
dem Betrachter versperren. Auch in seiner Phantasie darf er sich nicht
auf einen dieser schönen Sessel setzen, geschweige ein Buch aus dem
Regal nehmen. In Zeitschriften wie Brigitte sieht man Bilder von hübschen
Mädchen, die unberührbar sind. Sie sind untrennbar mit Herbstmantel,
mittelalterlichem Brunnen und dem Blau des Himmels verbunden. Sie sind
nicht ansprechbar und nicht begehrbar wie etwa die Starlets auf Reportagefotos,
in denen immer noch ein Moment des Zufalls abzulesen ist, oder die Mädchen
der so schön schlampig gemachten, scheinbar ganz dem Zufall überlassenen
Pornofotos. Denn Kommunikation würde eine Beweglichkeit voraussetzen,
die der harmonische Bildaufbau den Fotomodellen nicht gestattet. In Zeitschriften
wie Merian finden wir Bilder von Landschaften, die nicht zu betreten sind.
Ihr Bildaufbau, blühende Zweige, die den oberen Bildrand begrenzen,
und das ausgewogene Verhältnis zwischen Kirchturm und Wolkenbildung,
macht aus einer Abbildung einer unbegrenzten und dauerhaften Landschaft
einen einzigartigen Schnappschuß aus Gottes freier Natur. Was all
diesen Bildern gemeinsam ist, ist der Fleiß, der zu ihrer Entstehung
führte, und den sie demonstrativ zur Schau stellen. Das erste, was
an ihnen auffällt, ist der geübte Blick des Fotografen. An solche
Bilder mußte ich denken, als ich Thomes Film sah. Nur daß
seine Bilder nicht im Dienste einer Ideologie stehen, was die oben angeführten
Beispiele oft so penetrant macht. Was bleibt ist ihre Unfreundlichkeit
dem Betrachter gegenüber. Sie verweigern ihm jeglichen Zutritt. In
ihrem Stolz, in ihrer uneingeschränkten Eitelkeit lassen sie ihn
ehrfurchtsvoll vor der so geschaffenen Schönheit verharren wie ein
Kind, das nicht wagt, seinen Schokoladenikolaus aufzuessen. So entsteht
mit vertrauten Schauspielern (Marquard Bohm und Uschi Obermeier) und vertrauten
Schauplätzen (München und Starnberger See) ein fremdartiger
Film, in dem viel zu erkennen, aber nichts wiederzuerkennen ist. Nicht
verschwiegen werden dürfen in diesem Zusammenhang die Dialoge von
Max Zihlmann. Seine Stilisierungen führen von der Realität zur
Utopie, ohne sich als Bumerang zu erweisen wie etwa die denunziantenhaften
Formulierungen von Katzelmacher, die nur über Umwege an eingefleischte
Attitüden appellieren und so nur eine perfide Art der Reproduktion
sind. Der Zuschauer von Rote Sonne, von Kommunikation und Identifikation
ausgesperrt, sieht sich einer neuen Welt gegenüber. Wenn Thomas zu
Beginn des Films im Fond eines Wagens sitzend zur Musik von Tommaso Albinoni
in das Stadtinnere von München fährt, ist dies mehr als nur
eine Fahrt in eine Stadt, eher eine Fahrt durch Raum und Zeit wie wir
sie in Science-Fiction-Filmen erwarten. Doch diese begnügen sich
damit, vertraute Verhaltensweisen und Umgangsformen brutal ein paar tausend
Jahre weiter zu verpflanzen, eine heimische Welt mit ein paar neuartigen
technischen Accessoires anzureichern, und müssen so zur Langweile
führen. Rote Sonne hingegen ist aufregend, fremdartig, utopisch,
einer der wenigen Science-Fiction-Filme. Ein Gespräch zwischen Thomas
und Peggy. P.: Wohin hast du telefoniert? Nach Hamburg nehme ich an. Du
hättest wenigstens fragen können. Wer ist das Mädchen?
Natürlich läßt du sie einfach mit ihrem Kind sitzen. Das
paßt zu dir. Thomas, es ist das beste, wenn du jetzt deine Sachen
packst und gehst. Und bitte gleich. T.: Wo soll ich hin? Ich habe kein
Geld. - Du kannst mich doch nicht in den Regen schicken. P.: Ich
sehe keinen Regen. T.: Der Wettermann hat ein Tief aus der Biskaya angekündigt.
P.: Morgen suchst du dir ein Zimmer. T.: Kann ich nicht da hinten einziehen?
Da schläft doch niemand. P.: Nein. T.: Ich bezahle jede Woche im
voraus. P.: Wie? T.: Morgen suche ich einen Job. P.: Warum in aller Welt
bist du nicht in Hamburg geblieben? T.: Eine Himalaja-Expedition wird
hier zusammengestellt. Sie suchen noch Leute. Sie wollen ein paar Erstbesteigungen
machen. P.: Die müssen dich ja hinauftragen. T.: Ich bleibe im Basislager
II. P.: Alles nur halb wie immer. T.: Ich koche für die Leute. P.:
Kochen kannst du. T.: Natürlich. Ich kann viel. Eigentlich kann ich
alles, was man braucht, um in der Wildnis zu überleben. Ich kann
Bäume fällen, Kaninchen ausnehmen, Knöpfe annähen.
Mit nassem Holz Feuer machen. Aber damit kann ich hier nichts anfangen.
Damit kommt man hier nicht weiter. In der Zivilisation bin ich aufgeschmissen.
Ich bin für die Wildnis geschaffen. P.: Warum gehst du nicht in die
Wildnis? T.: Ich kann nicht allein sein. Deshalb bin ich hergekommen.
Ich wollte dich mitnehmen. P.: Das soll ich dir glauben? T.: Von Hamburg
wäre ich auf alle Fälle weg. Aber ich wäre nicht nach München
gekommen. P.: Warum hast du nichts mehr von dir hören lassen? T.:
Ich habe allen Mädchen, die ich kennenlernte, von dir erzählt.
Da habe ich schließlich gemerkt, daß ich dich liebe. In dieser
fremden Welt passiert eine fremde Geschichte. Ein paar junge Mädchen
bringen Männer um. Der utopische Aspekt des Films und nicht der Geschichte
entzieht die Handlung der augenblicklichen Emanzipationsdiskussion, die
in ihrem gegenwärtigen Vokabular nur eine der Männerwelt sein
kann. Der Emanzipationsgedanke ist verbal im Film nicht enthalten, er
findet in ihm statt. Er findet sich beispielsweise in der Unterdrückung
des Publikums, speziell des männlichen. Dies sieht sich einer Reihe
von hübschen Mädchen gegenübergestellt, ohne daß
es je die vertraute Atmosphäre von Erotik zu spüren bekommt.
Kein Held bietet sich ihm zur Identifikation an, der seine Interessen
wahrnehmen könnte. Es wird ignoriert, und es ist gleichzeitig glücklich
darüber, da es vom Gang der Geschichte her weiß, daß
jede Aufmerksamkeit, die ihm gezollt wird, nur in den Tod führen
kann. Die Emanzipation dieser Mädchen liegt weniger in ihren Taten
als darin, daß sie zu ihrer Rechtfertigung keine Dogmen und Theorien
bereithalten, daß sie, wie auch Valerie Solanas in ihrem SCUM Manifest
(März Verlag), sich männlicher Logik und männlichen Begriffssystemen
verschließen. Doch während Valerie Solanas diesen Rahmen benützt,
um ihn dann von innen her zu torpedieren (man kann auch sagen sich "weiblich"
in ihm verhält), lösen sich diese Mädchen nie von ihrer
Erfahrung, abstrahieren sie nie zur Theorie, klingen ihre Motivationen
subjektiv unverbindlich wie Tagebucheintragungen. So ist es auch kein
Zufall, daß alle männlichen Aspekte der Geschichte, wie kriminalistische
Nachforschungen, Verfolgungen und Verhöre, Taktik und Strategie,
aus diesem Film ausgeklammert sind. Ungehindert gelingt es einem Mädchen,
von der Stachusbrücke zu schießen. Unberührt bleiben Taxifahrer
nach einem anderen Schuß in ihren Wagen sitzen. Diffamierend ließe
sich sagen, dieser Film spiegele weibliches Wunschdenken und Unlogik.
Doch wir haben gelernt, die Diffamierung als Waffe zu benützen. So
läßt sich mit gleichem Recht sagen, dieser Film ist Bestandteil
einer sich entwickelnden weiblichen Gegenkultur. Ein Gespräch zwischen
Thomas und Isolde. T.: Wie beurteilst du meine Oberlebenschance? -
Ein Tag? Zwei Tage? Oder soll es schon heute nacht geschehen? I.: Frag
doch Peggy. T.: Am besten fangen wir mit deinem Lebenslauf an. Elternhaus,
Schule, erste sexuelle Erfahrungen, allein, zu zweit, zu dritt und so
weiter. - Was ist mit euch los, verdammt nochmal. .I.: Wir bringen
Männer um. T.: Das ist mir klar. I.: Es ist klar. Es gibt nicht viel
zu erzählen. Vor einem halben Jahr hat Sylvie ihren Verlobten umgebracht.
Sie war eifersüchtig. Er hat mit anderen geschlafen. Einmal hat sie
die Wut gepackt. Da hat sie ihn vom Balkon gestoßen. Wir fanden
das alle eigentlich richtig. Wir erzählten der Polizei eine wunderschöne
Selbstmord-Story. Sie haben sie uns sogar abgenommen. Da fanden wir, man
sollte eigentlich so weitermachen. Vor allem Peggy. Sie hat uns aktiviert.
So hat es angefangen. Zuerst war alles ziemlich planlos. T.: Du hast Männer
umgebracht? I.: Ja. schließlich haben sie es verdient. - Später
haben wir Regeln aufgestellt. Keine von uns darf länger als fünf
Tage mit dem gleichen Mann gehen. Nach fünf Tagen muß er tot
sein. Sonst wird es zu gefährlich. Man verliebt sich oder noch schlimmer.
Du verstehst, es darf kein Gefühl dabei sein. Wir machen das nicht
aus Spaß. T.: Ich bin eine Woche hier. I.: Ja eben. Peggy kann sich
mehr erlauben als ich. Ich finde das ungerecht. Aber so geht es mir immer.
Als Howard nach fünf Tagen noch am Leben war, haben sie ein großes
Theater aufgeführt. T.: Du hast dich in Howard verliebt? I.: Nein.
Ich hatte Mitleid mit ihm. Er war so lustig. Ich halte es nicht mehr durch.
Wahrscheinlich bin ich zu sentimental. T.: Wie viele sind es? I.: Zwanzig
oder dreißig. T.: Ihr habt euch viel vorgenommen. I.: Vielleicht
kommt irgendwann eine Zeit, in der wir's wieder mal versuchen können
miteinander. Aber dazu müssen sich die Männer ändern. Oder
wir müssen uns ändern. Vielleicht bringen wir etwas in Gang.
Einmal wird zum Rondo der Nice getanzt, es wird getrunken, gelacht, im
Hintergrund wird ein joint geraucht. Thomas liegt auf dem Bett und soll
von den Mädchen ausgezogen werden. Er glaubt zu wissen, was ihm bevorsteht
und versucht doch nicht zu fliehen. Er ziert sich ein wenig. Er schwankt
zwischen Angst und Faszination. Der Kampf um die Kleidungsstücke
gleicht weniger einem Todeskampf als einer unschuldigen Rangelei unter
Kindern. Zum ersten Mal ist so etwas wie Vergnügen und Erotik zu
spüren. Das ist dann der Fall, als Thomas an der Reihe ist, als er
umgebracht werden soll. Rote Sonne ist nicht zuletzt ein Film über
den Todestrieb, ein Film von einem Mann über Wunschvorstellungen
des Mannes. Liebe ist nur im Zusammenhang mit Tod vorstellbar, sie erfüllt
sich erst durch ihn. Das erklärt auch die Bereitwilligkeit, mit der
all die Männer ohne sich zu wehren in den Tod wandern, weniger über
ihn selbst überrascht als über den etwas unvermuteten Augenblick.
"Ich mußte nur ein wenig nachhelfen", sagt Sylvie über
ihren Mustangfahrer, der, als er ihr folgen wollte, in die Isar fiel.
Das erklärt auch, warum der einzige, der den Kampf gegen die Mädchen
aufnimmt, einem ausgewachsenen Muttersöhnchen gleicht, von dem Thomas
sagt, er habe eine negative Ausstrahlung. Auch die Liebesbeziehung zwischen
Peggy und Thomas, die hinter dem spröden Wortwechsel nur zu ahnen
war, wird erst offensichtlich, als sie sich am Ufer des Starnberger Sees
mit Pistolen gegenüberstehen. Während des Schußwechsels
zeigt sich bei ihnen zum ersten Mal Solidarität und Zärtlichkeit.
In diesen letzten Bildern verschmelzen Gewalt und Friede, Liebe und Tod,
das Rot des Blutes und das Rot der Sonne. Der Friede, der den Tod überlagert,
ist nicht der von melodramatischen Filmen, in denen sich die Hände
der Sterbenden in einer abschließenden Großaufnahme noch einmal
berühren. Im Gegenteil, die beiden legen sich getrennt nebeneinander,
als hätten sie sich nicht soeben getötet, sondern miteinander
geschlafen. Liebe siegt nicht über den Tod, sie ist der Tod. Eine
idyllische, morgendliche Seelandschaft mit einem verlassenen VW. Schließlich
kriecht Thomas aus dem Buschwerk und bleibt an dessen Rande liegen. Er
blutet aus mehreren Wunden. Aber er läßt sich nicht unterkriegen.
Er sieht sich um. Er lauscht. Stille. Thomas (ruft): Peggy! Keine Antwort.
Thomas steht mühsam auf und geht mit unsicheren Schritten zum VW.
In unmittelbarer Nähe des VW liegt Peggy auf dem Rücken. Ihr
Kleid ist rot von Blut. Sie hat die Augen geöffnet und sieht Thomas
entgegen, als hätte sie ihn erwartet. Ihre Pistole ist nicht zu sehen.
Thomas geht langsam zu ihr hin, ohne die Pistole schußbereit zu
halten. Er kniet bei ihr nieder. Thomas (sanft): Alles okay? Peggy lächelt
und nickt matt. Thomas gibt ihr einen kleinen kameradschaftlichen Schlag
auf die Schulter. Peggy schließt die Augen, atmet aber noch. Sie
sieht zufrieden aus. Thomas steht wieder auf, was ihm schwer fällt.
Er kann jetzt kaum noch gehen. Er geht etwa zehn Schritte aufs Wasser
zu, dann setzt er sich. Er ist jetzt mit sich selbst beschäftigt.
Rot geht am Horizont die Sonne auf. Thomas sieht noch einmal zu Peggy,
die sich nicht mehr rührt. Dann streckt er sich auf den Steinen aus,
als wollte er sich zum Schlafen legen.
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SCHEHERAZADE MUSS STERBEN |
Enno
Patalas Filmkritik 1/70 |
In
allen langen Filmen, die Max Zihlmann geschrieben hat, gibt es Szenen
am Wasser. Unvermischt und rein tritt das Flüssige in Erscheinung,
nicht im Übergang in andere Aggregatszustände, nicht als Sumpf,
Nebel, Regen oder Schnee, nicht versöhnt mit dem Festen oder der
Luft. Wasser reimt sich bei Zihlmann auf Sehnsucht und auf Tod. In 48
Stunden bis Acapulco stirbt Frank Murnau am Strand des Karibischen Meeres,
wohin seine Jagd nach Geld und Liebe ihn geführt hat. (Murnau: Die
Einstellungen, in denen die Kamera die Oberfläche des Wassers streift.
Übers Wasser kommt Nosferatu, der Vampir. Der Sturm auf dem See in
Sunrise. Die Südsee in Tabu.) In Rote Sonne sterben Thomas und Peggy
am Starnberger See. Sie hat man in einer frühen Szene des Films an
derselben Stelle einen Spaziergang machen sehen. Es ist eine sehr lange
Einstellung früh am Morgen, und die glitzrig bewegte Oberfläche
des Sees ist hinter ihnen aufgezogen wie in einer der unwahrscheinlichen
Rückprojektionen bei Hitchcock. In den Filmen von Klaus Lemke sieht
man das Karibische und das Mittelmeer. In den Filmen von Rudolf Thome
sieht man nur den Schliersee und den Starnberger See. Aber auch in Detektive
und Rote Sonne steckt die Sehnsucht nach dem Horizont - Augensehnsucht
- , nur geronnen. In ihnen ist die Ferne Synonym für Tod von
vornherein. Wenn davon die Rede ist, einer sei nach Kanada abgeflogen
oder nach Tokio, oder jemand habe eine Karte aus Casablanca geschrieben,
oder jemand macht Pläne für eine Reise nach Marokko (was immer
wie ,"Morocco" ausgesprochen wird), dann heißt das immer:
er ist tot oder wird bald sterben. Die Filme von Zihlmann und seinen Freunden
sind keine Filme über den Tod (sie sind überhaupt keine Filme
über), aber in ihnen steckt die Erkenntnis Cocteaus, daß Filmen
heißt, den Tod bei der Arbeit zu zeigen. Es wird nicht gestorben
in diesen Filmen, sondern getötet. Der Tod: das ist die Regel, das
Gesetz, das Wort, die Erzählung. Es ist aber auch der Verstoß,
die Wortlosigkeit, die erkannte Unmöglichkeit zu erzählen. Thomas:
"Wer Märchen erzählt, lebt länger." Aber die
Geschichte, die er wußte, ist ihm entfallen. In Detektive gibt es
die Gestalt des alten Krüger, den Wolf Rilla spielt, ein würdiger
alter Herr mit weißem Haar, dessen schwarze Wurzeln herausschauen
wie der Pferdefuß. Krügers erster Auftritt in seiner Villa
läßt gleich an Gottvater denken. Und dann spricht er auch noch
davon, daß er seinen Sohn vor einem Jahr durch einen tödlichen
Unfall verloren habe, weshalb ihn nun die Macht nicht mehr reize! Aber
diese Abwendung von allem Irdischen ist nur gespielt. Dieser Gott ist
ein eifersüchtiger Gott. Er wird verzehrt von dem Verlangen nach
einem neuen Sohn, in dem er weiterleben kann. Deshalb will Krüger
das uneheliche Kind, dem er keine Beachtung schenkte, solange das eheliche
noch lebte, in seinen Besitz bringen. Als das Mädchen Annabella den
Alten zum ersten Mal halbverdeckt hinter einem Fenster im oberen Stock
seiner Villa stehen sieht, erschrickt sie: "Das hab ich letzte Nacht
geträumt." Als Krüger später meint, sie würde
ihn an ein anderes Mädchen erinnern, mutmaßt sie sofort: "Ihre
Tochter?" Dasselbe Mädchen ist es dann auch, das Krügers
väterlich gemeintes Lächeln mit dem eines Vampirs vergleicht.
Krüger, der archetypische Vater, der Gott, der Vampir, ist auch der
Autor der Geschichte, die Detektive - nein, nicht erzählt, das
eben nicht, sondern deren Aufdeckung und Zerstörung der Film zeigt.
Was den Figuren des Films und dem Zuschauer lange Zeit als ein Drama erscheint,
in dem es auf autonome Handlungen und Reaktionen ankommt, ist von ihm
vorgeplant und kalkuliert. Worauf es ankommt, ist das Erkennen der Prozesse,
in die man selbst eingespannt ist, ohne daß man es merkt. Daß
man an sich selbst und seiner Umgebung die Zeichen der fremden Gesetze
wahrnimmt, denen man gehorcht. Keines der Paare, die sich im Verlauf eines
dieser Filme zusammenfindet, hält bis zum Schluß. Das Merkwürdige
ist: man registriert es ohne Bedauern. Oder vielmehr: man registriert
es kaum mehr. In Detektive wechseln die Gruppierungen so oft und so rapid,
und man hat an dem Wechsel seinen Spaß, daß man am Ende keine
Sehnsucht mehr hat nach festgefügten Verhältnissen. Und in Rote
Sonne sieht man - vice versa - die Schwierigkeiten, die der
Auflösung des Paares als Form, als Gesetz entgegenstehen. Zuerst
haben die Mädchen spontan reagiert auf männliche Überheblichkeit.
Ihr erster Toter ergab sich, als Sylvie ihren treulosen Verlobten vom
Balkon stieß. Dann fanden die Mädchen: er hatte es verdient.
Dann begannen sie, die systematische Zerstörung jeder Bindung an
einen Mann, die sie eingehen würden, zu planen. Länger als fünf
Tage sollte keine Beziehung zu einem Mann dauern. "Nach fünf
Tagen muß er tot sein", sagt Isolde. Sie erzählt Thomas
die Geschichte ihres Komplotts. Auch diesmal ist es nicht der Film, der
die Geschichte erzählt, um die es geht - er zeigt wiederum nur
ihre Aufdeckung (keine detektivische: das wäre ja wiederum Erzählung)
und Zerstörung. Rote Sonne läuft, wie Detektive, gegenläufig
zur Erzählung ab, die zugrundeliegt. Zihlmanns Filme sind gegen das
Gesetz gemacht. Sie fingieren sich selbst nicht als autonome Werke. Was
in vielen modernen Filmen koketter Schlenker ist, die Offenbarung des
"Gemachten", das ist in ihnen ganz in die Gestalt eingegangen
- sie sind die Darstellung ihres eigenen Funktionierens. Wie der Film
gemacht ist und wie er gesehen werden will, das zeigt er selbst. Die Teams
- das der Detektive samt ihren Mädchen und das der mörderischen
Freundinnen - entsprechen dem Aufnahmeteam eines "kleinen"
Films. Zeit der Handlung ist die Drehzeit. Die Bewegungen im Film sind
Kamerabewegungen: Fahrten, Schwenks. Wovon auch immer die Rede ist -
von Geldproblemen, von handwerklichen Fähigkeiten, von Publicity
oder Mode -, immer ist damit auch schon vom Film die Rede. Viele
Szenen sind so gebaut, daß das "Team im Film" gegenüber
einem Objekt eine Haltung einnimmt, die der eines Aufnahmeteams entspricht
(in Rote Sonne beispielsweise die Szene mit der Versuchsexplosion). Beobachten,
das Lesen von Zeichen: immer wieder sind die Personen des Films dabei
zu sehen, wird der Zuschauer dazu angehalten. Die Perspektive der Kamera
ist immer die eines aufmerksamen Beobachters der Szene. Die Einstellungsart
bestimmt sich nach dem Grad der Aufmerksamkeit, die der Gegenstand erfordert.
Jedem Vorgang wird seine natürliche Dauer belassen. Auch das bedeutet
nichts anderes, als daß der Film dem Zuschauer nichts erzählt.
Die "Sprache" Zihlmanns und Thomes funktioniert nicht syntaktisch.
Eine Großaufnahme von Gaby Go oder Sylvia Kékulé in
Rote Sonne ist kein Ausrufezeichen, sondern ein Blick durch ein Vergrößerungsglas;
keine Überblendung sagt "Stunden später" oder "vor
ein paar Monaten"; es gibt kein "und dann" oder "daraufhin".
Nicht Schlüsse, sondern Analogien führen diese Filme vor -
wie diejenigen Bunuels, Hitchcocks und die neueren Bergmans. Jene Traditionen
des Denkens und des Erzählens, mit denen Godard sich so verbissen
herumschlägt (und denen unsere "engagierten" Filmer kritiklos
anhängen)-Zihlmann und Thome haben ihnen wirklich und radikal
den Rücken zugekehrt. Auch darin leisten ihre Filme dem Gesetz Widerstand,
daß sie keine Autorenfilme sind. Nicht Ausdruck der souveränen
bürgerlichen Persönlichkeit ist ihr Ziel, sondern größtmögliche
Anonymität und "Parteinahme für die Objekte". Nicht
"Kino der Autoren", sondern Kino tout court. Zihlmann schreibt
Drehbücher und Dialoge. Thome führt Regie, ohne am Text mehr
zu ändern als der Atem eines Schauspielers verlangt. Wie sich im
vorgegebenen Rahmen die Freiheit der Schauspieler realisiert, das sieht
und hört, wer in Rote Sonne Marquard Bohm, Gaby Go, Sylvia Kékulé
und Uschi Obermeier sieht und hört: wie sie sprechen, sich bewegen,
tanzen. "Um Kino zu machen genügt es, freie Menschen zu filmen."
Zihlmanns Filme streben nicht zurück hinter die kollektiven Formen
kapitalistischer Produktion zu den handwerklichen der autonomen künstlerischen
Werke. Vielmehr treiben die Entwicklung überkommener Formen ein Stückchen
weiter ihrer selbsttätigen Zerstörung entgegen.
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MITLEID MIT DEN MÄNNERN |
Frieda
Graefe Süddeutsche Zeitung 27.2.71 |
Thomes
Film "Rote Sonne" im Münchner ABC Panische Angst angesichts
junger Mädchen, Proust-Leser werden sich erinnern: dem Erzähler
der "Suche nach der verlorenen Zeit" macht sie zu schaffen.
Wer amerikanische Filme kennt, vergißt die Gesichter der verhängnisvoll
bösen Weiber nicht - Stanwyck, Crawford, Hayworth -, denen
man nie weiter als bis vor die Stirn schauen kann. Thomes Mädchen
haben von beiden etwas, das macht sie reizvoll und auch ein wenig neu:
Wir bringen Männer um. Schließlich haben sie es verdient. Keine
von uns darf länger als fünf Tage mit einem Mann gehen, dann
muß er tot sein. Wir machen das nicht aus Spaß. Und das alles
spielt in München und Umgebung. Man kennt jede Straße, jedes
Haus, jedes Café. Außen kennt man alles. Drinnen, in der
Wohnung der Sirenen, der Spinnen, herrschen andere Gesetze. Uni eingefärbte
Wände, assortierte Bettwäsche, der Tag wird zur Nacht, Vorhänge
halten das Licht draußen, am Abend frühstückt man und
sagt Guten Morgen. Man erwarte keinen Emanzipationsfilm. Die Mädchen
haben keine Theorien für ein besseres Leben der Frauen. Sie handeln
so gut sie können. Sie spüren, es sollte sich was ändern.
Sie versuchen, einen Anfang zu machen. Sie haben keine Botschaft zu vermitteln,
nichts Neues zu bieten, sie verschieben nur Bekanntes. Sie übernehmen
Männerrollen: sie fesseln, sie schießen, sie machen sich stur
Prinzipien. Das führt dann zu bekannten Krimiszenen: die Gangster,
die endlich ihre aussichtslose Lage begriffen haben, lassen alle Vorsicht
fahren und ballern wild um sich herum. Schließlich muß das
Gros der Personen zum Schluß tot sein, damit der Film im Sinn der
Geschichte, daß das Verbrechen sich nicht auszahlt, enden kann.
Hier sind es nun drei deutsche Taxis und drei Mädchen. Umgelegt wird
die, die das Unternehmen gefährdete. Sie hatte Mitleid mit den Männern.
Das klingt hart und malt die Zukunft der Männer in düsteren
Farben. So scheint es nur. Genau besehen ist dieser Film ein reiner Männertraum.
Die Spielregeln der Mädchen sind keine Gesetze. Die Mädchen
schlafen wahllos mit Männern, aber sie glauben an die große
Liebe. Und die beschreibt der Film. Die Mädchen Männer spielen
zu lassen, ist ein rührender Trick wie Kinder, die im Dunkeln singen.
Das Unbekannte wird domestiziert, indem es zum Gleichen gemacht wird.
Dabei wäre es anders herum viel einfacher: man müßte sich
nur entschließen mit der Verschiedenheit zu leben. Aber das ist
ein trivialer Vorschlag, weil er genau das tut, was der Film nicht will,
Lebensregeln geben. Er spielt an der Stelle, wo Realität und Fiktion
sich vermischen; er zeigt, wie sie zusammenhängen und voneinander
leben. Gerade deshalb auch die entschiedene Markierung von Innen und Außen.
Und nochmal: der Film ist ein Traum, und Träume "denken nicht,
rechnen nicht, urteilen überhaupt nicht, sie beschränken sich
darauf umzuformen". Ein Teil der Geschichte des Films, das Komplott
der Mädchen, demonstriert überdreht, die Willkürlichkeit
klassisch realistischer Geschichten, die nur eins im Kopf haben, so zu
erscheinen wie die Realität. Der Film macht immer wieder Anläufe,
so Geschichten zu erzählen ("Am besten fangen wir mal mit deinem
Lebenslauf an"). Aber es bleiben Anläufe, denen gleich die Feststellung
folgt, alles sei klar, folglich gäbe es nichts zu erzählen.
Denen, die dem Film vorwerfen, daß er ein Nichts sei, ist entgangen,
daß er ein inszenierter Fehlschlag ist, der sich zusammensetzt aus
vielen kleinen Unternehmen, die alle zu nichts führen. Es bleibt
kein Mehrwert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß bei
der Generalprobe, einmal, ein von den Mädchen fabrizierter Sprengkörper
tatsächlich explodiert. Eben, es knallt zur Unzeit. Als Warnung?
Diese Gangstermädchen sind zu gleichen Teilen Prousts gackernde,
kichernde Mädchen, steif und absolut in ihren Forderungen, noch nicht
weich und nachsichtig gemacht durch Erfahrung, nicht bereit, Dinge zu
verbrämen. Mit schönen Geschichten: "Ich weiß eine
schöne Geschichte, aber sie fällt mir im Augenblick nicht ein."
Filme, die Geschichten erzählen, leben leichter, weil sie vertuschen,
durch Kontinuität, daß sie anders sind als das Leben. In diesem
Film sterben alle daran, daß sie die Geschichten satthaben und das
Leben wollen. Dennoch: der Film erzählt seine Geschichte, um den
unausweichlichen Moment hinauszuzögern, in dem man sich mit einer
Realität abgeben muß, die man nicht will, so wie sie ist. Wenn
Frauen über Filme schreiben, die Männer über Frauen machen,
sollte man dem Geschriebenen so wenig trauen wie dem Gefilmten -
je nachdem, ob man Mann oder Frau ist.
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ROTE SONNE |
rororo Filmlexikon (1977) |
Die
vier langen Spielfilme, die Thome ab 1968 drehte, sind die perfektionierte
Fortsetzung seiner Kurzfilme und der Höhepunkt in seinem Werk. Sie
sind Kino in einem emphatischen Sinn wie sonst fast nichts in Deutschland
nach dem Krieg. Zu allen schrieb Max Zihlmann das Drehbuch, der schon
bei dreien der Kurzfilme mitarbeitete. Detektive (1968) und Fremde Stadt
(1972) sind Kriminalfilme in Schwarzweiß, Supergirl (1971) ist ein
Science-fiction-Film in Farbe. Dazwischen kam noch Rote Sonne (1969),
ebenfalls in Farbe, einer der besten deutschen Filme seit Beginn der Tonfilmzeit.
Die Geschichten, die in diesen vier Filmen erzählt werden, sind richtige
Kinogeschichten und von einer großen, gleichmäßigen Genauigkeit
in ihrem Ablauf; deswegen gibt es auch keine "Höhepunkte":
Versatzstücke und Kulminationspunkte erhalten die gleiche wie beiläufige
Aufmerksamkeit, die Filme sind extrem unterkühlt. Zihlmanns Dialoge
sind pointiert knapp und voll von trockenem Witz. Die Bewegungen der Darsteller
und der Kamera sind möglichst einfach; die Kameraführung ist
von einer absoluten Funktionalität. Die Darsteller gehen eher als
sie selbst durch die Filme, als daß sie "spielen". Alle
Vorgänge behalten ihre natürliche Dauer. Die Figuren sind richtige
Kinofiguren, die nur auf der Leinwand existieren; sie bieten jedoch ob
ihrer sparsamen Motivation kaum Identifikationsmöglichkeiten. Das
alles macht das eigenartige Understatement der Thome-Filme aus. Es gibt
in ihnen keine "tieferen Bedeutungen", und doch bieten diese
Filme an praktischer Erfahrung für den Zuschauer mehr als viele bemühte,
sich politisch gerierende.
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ROTE SONNE |
Ch.
Terhechte Die Tageszeitung 17.5.85 |
Die
Thome-Biographie liest sich aufregend. Anfang der 60er Jahre als Filmkritiker
angefangen, unterstützte er und ein paar andere, die sich später
als "Neue Münchner Gruppe" einen Namen machten, eine Art
Kino, wie es in der Bundesrepublik keiner haben wollte. Die Überreste
deutscher Nazikultur hatten aus der Nazizeit nicht viel mehr herübergerettet,
als die Fähigkeit, Komödien mit Heiz Rühmann zu inszenieren,
und der "Neue deutsche Film" ließ schon erahnen, was einmal
daraus werden sollte: eine steife Kinokultur mit überzogenem künstlerischen
Anspruch, der filmisch nie eingelöst wurde. Von den - sicher zahlreichen
- Ausnahmen einmal abgesehen. Dem deutschen Kino gab "Oberhausen"
jedoch keine wirksamen Impulse. Leute wie Carl Schenkel ("Abwärts")
oder Peter Keglevic ("Der Bulle und das Mädchen"), der
ja eigentlich Österreicher ist, stehen heute, über zwanzig Jahre
später, immer noch am Anfang. Oder sie orientieren sich wie Roland
Emmerich, der zur Zeit an einer Art "Begegnung der Dritten Art"
mit dem Titel "Joey" arbeitet, an Hollywood. Thome, Klaus Lemke,
später Roland Klick und noch einige andere, wollten Aufbauarbeit
leisten. Der französische Film erlebte, ausgehend von der "nouvelle
vague" damals einen ungeheuren Aufschwung, und die Münchner
träumten wohl auch davon, Godardsches Kino zu machen. Die Deutschen
zogen nicht mit, und so sind von ihren Anstrengungen lediglich ein paar
irrwitzige Versuche übriggeblieben, die unter oft abenteuerlichen
Bedingungen zustande kamen. "Rote Sonne" ist einer davon, vielleicht
der aufregendste. Es ist ein irrer Alptraum. Schon der Anfang balanciert
auf der schwindelnden Kante zwischen Realität und Verrücktheit.
Marquard Bohm als lotterhafter Thomas steigt aus einem dicken Wagen, der
ihn nach München mitgenommen hat, macht ein paar unverschämte
Bemerkungen und benimmt sich, als müsse er jetzt schon die Angst
vor dem verbergen, was da kommen wird. So geht es eigentlich dem ganzen
Film. Seine Geschichte ist so überzogen, so vorlaut, daß man
denkt, da schreit einer laut, um seine Angst nicht zeigen zu müssen.
Für Rudolf Thome wars wohl die Angst vor der Frauenbewegung, die
den Männern an den Schwanz wollte.(Da muß der Arme irgendetwas
falsch verstanden haben...d.S-in) Und er hat sie durch die Angst vor der
femme fatale kaschiert. Das ist in diesem Fall Uschi Obermeier, eine von
vier Frauen, die sich gegen die Männergesellschaft wehren, ganz ohne
Ideologie, aber schwer bewaffnet. Nicht, daß sie die Männer
auf Distanz hielten, aber wenn sie einmal dran sind, geht es ihnen schlecht.
Fünf Tage Zeit hat jede der kurzen Beziehungen, dann wird das männliche
Wesen liquidiert. "Schließlich haben sie es verdient...wir
machen das nicht aus Spaß". Die Männer begreifen das nicht.
"Was soll der Unsinn?", murmelt eines der Opfer kurz vor dem
Ableben. Thomas ist allerdings ein etwas cleverer Typ, um nicht zu merken,
was gespielt wird. Peggy (Uschi Obermeier) tut alles, um ihm das Schicksal
der anderen zu ersparen und ihn vor der Fünftagesfrist loszuwerden.
Er jedoch stellt sie auf die Probe. Das Finale ist der bloße Wahnsinn.,
King Vidor kann da mit seinem technicolorbunten Geschmacklosigkeiten nicht
mithalten. Thome läßt die Kanonen sprechen, dran glauben müssen
beide. Und die rote Sonne sinkt in den Starnberger See.
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DAS
KINO ALS MÖGLICHE UTOPIE Das erste Meisterwerk des jungen deutschen Films |
Reinhard
Jud Der Standart Wien 12.4.1990 |
Die
Verkrampftheit des deutschen Autorenfilms überwand Rudolf Thome bereits
Anfang der 60er Jahre. Anstatt nach bewährtem sozio-politischen Muster
die Verhältnisse zu kritisieren, schuf er utopische Gegenentwürfe,
zeigt er die Welt von jungen Menschen, die sorglos in den Tag hinein leben.
Unbelastet vom Gestern und Morgen schienen die Helden von Thomes Kurzfilmen,
vor allem von Jane erschießt John, weil er sie mit Anne betrügt,
wie aus dem Nichts entstiegen, bewußt flach und trivial, ausschließlich
für den Augenblick ihrer Präsenz auf der Leinwand beseelt. Sie
agierten als Personal einer von Sex und Konsum bewegten Gegenkultur, als
Projektion eines Regisseurs, der mitten in der filmischen Provinz -
Deutschland, Bayern, München - eine anmaßende Synthese
aus Howard Hawks und Jean-Luc Godard, plakativem Hollywoodkino und authentischer
Nouvelle Vague vollführte. Namhafte Mitverfechter dieses ästhetischen
Konzepts, des sogenannten "Sensibilismus" waren der Regisseur
Klaus Lemke, der Kameramann Nikolaus Schilling und der Drehbuchautor Max
Zihlmann. Zihlmann sollte mit Thome 1969, am Höhepunkt der APO- und
Kommunenkultur, das erste Meisterwerk des "Jungen deutschen Films"
gestalten: Rote Sonne. Rote Sonne läßt sich als Endprodukt
einer ganzen Serie von glücklichen Konstellationen bezeichnen. Der
Autor griff heißdiskutierte Thesen aus dem SCUM-(Society for Cutting
Up Men)-Manifest der radikalen Feministin und Warhol-Attentäterin
Valerie Solanas aus. Als Darsteller brilierten zwei Superstars des bundesdeutschen
Underground - Uschi Obermeier, berüchtigt für ihre Mitgliedschaft
in der Revoluzzer-Vereinigung K1 und K2, berühmt als freizügiges
Model für Poster-Motive, und Marquard Bohm, als gutaussehender Lebemann
und Aushängeschild des damaligen Jungfilms. Mit der für Thome
so typischen Pose der Figur, die aus dem Nichts kam, landet Bohm in einer
Münchner Frauenkommune, verliebt sich in Uschi Obermeier, und sieht
sich bald mit der grausamen Regel im Haushalt der vier Frauen konfrontiert:
Keine von ihnen darf länger als fünf Tage mit einem Mann zusammenbleiben,
Liebhaber, die dauerhaftere Beziehungen beabsichtigen, werden nach Ablauf
der Frist getötet. Ausnahmen gelten für keinerlei Kategorien,
nicht für verständige Hippies, Dollar-Millionäre und brave
Angestellte, auch nicht für den Abenteurer und Romantiker, den Bohm
spielt. Am Ende wird die von Thome und Zihlmann sehr locker und lakonisch
beobachtete sozialen Gegenwelt in einem Akt der absoluten Übersteigerung
von einer filmischen Utopie überholt: In einer unwirklichen Kulisse
- vor der glitzernden Oberfläche des Starnberger Sees, unter
roter Sonne - treten Obermeier und Bohm zum tödlichen Duell
an. Männer, Frauen, Pistolen, Liebe und Tod, alles, was den trivialen
Film in seiner Essenz definiert, wird hier noch einmal von einem begabten
Team in neuem, zeitgenössischen Kontext zitiert. Thome und Zihlmann
entwickelten Rote Sonne auch als Beispiel für ein mögliches
Massenkino. Damit aber scheiterten sie aber.
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MIT
CHIRURGISCHEM BLICK Thomes Rote Sonne im Filmcasino |
Stefan
Grissemann Die Presse, Wien 14.4.90 |
Die
extreme Ökonomie der Darstellungsmittel sichert die Klarheit des
Films. Schauplätze werden in knappen Kamerabewegungen vermessen,
die Wände der Räume sind monochrome Flächen, vor deren
Sterilität die Handlungen ablaufen: kühl stilisierter Dialogabtausch,
Alltäglichkeiten, lakonischer Witz. Rudolf Thomes "Rote Sonne"
(1969), eine der wesentlichsten und schönsten Arbeiten des gesamten
deutschen Kinos, wagt sich in Grenzgebiete des Naturalismus, der blanken
Abbildung von - fiktiven - Menschen, Räumen und Handgriffen. Eine
Wohngemeinschaft des Jahres 1969 in München, vier Mädchen bewohnen
sie. Es gibt nur eine einzige narrative Künstlichkeit: Die Frauen
sind Killer, sie töten ihre Liebhaber, sobald sie länger als
fünf Tage bei ihnen sind, um potentiellen Abhängigkeiten entgegenzuwirken.
Dieser einfache Kunstgriff erlaubt es, dem Film all das einzuschreiben,
was er dekonstruieren, analysieren will: Kino-Verbrechen, Melodram, Liebe
und Tod, Paradoxien, die die Geschichte vorantreiben und ihre Eigenheiten
festsetzen. Regisseur Rudolf Thome vergewaltigt sein Material nicht, er
gesteht ihm präzise jenes Quantum an Raum und Zeit zu, das es zum
Funktionieren benötigt. In nicht geringem Maß ist "Rote
Sonne" ein spannender Film, auf grundlegend andere Weise allerdings
als übliche Kinoware. Bei Thome resultiert Spannung aus der klinischen
Reinheit seiner Konstruktionsmuster, aus dem abwartenden Betrachten der
Dinge und Figuren. Auf diese Weise verfährt er mit allen kinematographischen
Einzelteilen. Indem er sich fragt, was ein Melodram ausmacht, stellt er
eines her; versucht er, einen Showdown zu arrangieren, so tut er es möglichst
durchschaubar, die Mechanismen der Kino-Konvention durchleuchtend. Die
Elemente des abschließenden Duells werden - wie von Kinderhand -
naiv, fast ungeschickt aneinandergeklebt: Zwei Personen, wilde Natur um
sie herum, Waffen, ein Konflikt, der nur durch den Tod zu lösen ist.
Das Resultat ist geistig bearbeiteter Hollywood-Rohstoff unter radikalem
Abzug jeglicher visueller Überwältigungsstrategie; keine undurchsichtigen
Montagetricks, keine große Dynamik, keine Voyeursbefriedigung. Was
übrig bleibt, ist das dürre Klicken der Pistolen und das nüchterne
Hinnehmen des Zusammenbruchs, des Sterbens. Daß die Gegner nebenbei
Liebende sind, addiert den Geschmack des Melodramatischen hinzu. "Rote
Sonne" summiert das Kino, seine Gewohnheiten und seine Genres durch
dezidierte Reduktion aller verwendeten Bausteine. Die mutige Simplizität
der Arbeit zeigt sich letztlich auch in der Zeichnung der Helden - Uschi
Obermeier und Marquard Bohm sind - wie alles andere auch - perfekte Abstraktionen:
keine Filmstars, vielmehr Verkörperungen des Begriffs "Filmstar".
Ihre Kinopräsenz verweist auf Mythologie und Wirkung des Hollywood-Starsystems,
auf die optischen und inszenatorischen Konzepte zur Herstellung der Kunstfiguren
"unterkühlter, aber tiefgründiger Abenteurer" und
"Femme fatale".
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Rote Sonne von Rudolf Thome (Deutschland 1970) |
Text vom 14.8.2007 zur Ausstrahlung auf Arte |
Die neuzeitlichen Töchter der Sirenen leben in Schwabing: Vier Frauen in einer Münchner Altbauwohnung teilen ein Geheimnis – hat eine von ihnen einen Liebhaber, so muss dieser nach fünf Tagen getötet werden. Viel mehr als diese reißerische Prämisse brauchte Regisseur Rudolf Thome nicht, um mit "Rote Sonne" eine faszinierende Spätsechziger-Fantasie zu entwerfen, die schwerelos zwischen Novelle Vague- Reminiszenz und Popart-Theaterlaienspiel oszilliert. Für das Minimum an Plot in dem hochstilisierten Reigen sorgen derweil Sixties-Ikone Uschi Obermaier als verführerische Kommunardin Peggy und der unverwechselbare Marquard Bohm in der Rolle des designierten Liebesopfers Thomas. Und nicht nur weil der im vergangenen Jahr verstorbene Schauspieler mit dem markanten Gesicht den spröden Sex-Appeal eines hanseatischen Jean-Paul Belmondo verströmt, gemahnt die amour fou im bayerischen Szenemilieu in manchen Momenten an Godards "Außer Atem". Wie dort ist auch hier der Tod ständiger Begleiter eines unmöglichen Liebespaars, dessen Beziehung nicht anders als tragisch enden darf. Wenn bei Thome schließlich die titelgebende Sonne über den Starnberger See scheint, verwischen endgültig die ohnehin fließenden Grenzen zwischen schwelgendem Kitsch und ironischer Künstlichkeit. Mit seinen hochstilisierten Vignetten, gebrochenen Genrezitaten und dem ungebremsten Stilwillen bleibt Thomes Film aus dem Jahr 1969 bis heute eine aufregende Episode in der deutschen Filmgeschichte. Zudem zeichnet er bei aller artifiziellen Entrücktheit ein beunruhigend treffendes Phantombild des "Sommers der Liebe": Symbolisch wird noch einmal vorgeführt, wie strukturelle und physische Gewalt das schockierende Ende aller Hippieträumen bedeutete und sich das vormals sonnengelbe Glück blutrot färbte. |