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Rudolf Thome im Gespräch mit Karlheinz Oplustil und Gudrun Max in Berlin,
27. Mai 2006

Sardinien

KH: Ist das Drehbuch zu „Rauchzeichen“ schon für den Schauplatz Sardinien geschrieben worden?

RT: Ich bin mit dem Grundstück, das meiner Cutterin Dörte Völz gehört, von Anfang an vertraut, seit 1985. Sie hat mir davon erzählt, als ich den ersten Film mit ihr geschnitten habe, das war „Tarot“, und ich war neugierig, wie es da ist. Aber zum ersten Mal da war ich bei der Motivsuche für die Sardinienepisode von „Frau fährt, Mann schläft“, fast zwanzig Jahre später. Es gab die Häuser von zwei Leuten, die wir kannten. Wir haben beide angeschaut und uns damals für das Haus von Irene und Jochen Brunow entschieden. Aber der Kameramann, Michael Wiesweg, sagte, nachdem er das Haus von Dörte gesehen hatte: also für diesen Platz muss man ein eigenes Drehbuch schreiben. Das geht nicht in einer kurzen Sequenz, wie wir sie ja nur für den Film damals brauchten. Ich bin damals zwei Stunden lang überall rumgelaufen, ich bin auf jedem Fels gewesen und habe alles genau angeguckt. Und das, was Michael Wiesweg damals sagte, das habe ich dann gemacht. Das Drehbuch habe ich für diesen Ort geschrieben.

KH: Es tut dem Film sehr gut, dass er auf Sardinien gedreht ist und nicht irgendwo an einem See in Brandenburg oder Mecklenburg. Das bringt in den Film einen ganz anderen Atem und eine ganz andere Stimmung. Was ist das Besondere an dieser Landschaft? Was hat dich da so interessiert?

RT: Die Wildheit, die Unberührtheit … ich habe einmal auch gesagt, der Film ist ein bisschen wie ein Western. Was vielleicht pars pro toto rauskommt, wenn Jade ihrem Vater dieses alte Häuschen zeigt, wo sie sagt, dass sie dieses früher eingerichtet haben und dass sie da von Michael ihren ersten Kuss gekriegt hat. Dieses Häuschen hat mich, als ich zum ersten Mal da war, maßlos beeindruckt. Man sieht in diesem Gebiet auch, was da schon alles passiert ist. Ich habe zu Dörte mal gesagt, das ist auch ein Film über diesen Platz. Das war mein Gefühl beim Drehen, nach 5, 6 Drehtagen. Das ist ein Film über diesen Ort, wo sich das abspielt.

KH: Es ist einmal die Landschaft, die an eine Westernlandschaft erinnert. Aber auch der Anfang des Films ist eigentlich eine klassische Westernszene: wenn da Joe als Fremder kommt, und wie er sich bekannt macht und sich da hinsetzt.

RT: Es ist ja alles extrem merkwürdig, wie die auf ihn reagieren, unfreundlicher kann man ja gar nicht sein. Der erste Satz ist: „Sie hätten das Taxi warten lassen sollen.“

Um ein Jahr verschoben

KH: Kannst du etwas über die Produktionsgeschichte von „Rauchzeichen“ erzählen?

RT: Ich hatte alles vorbereitet, wir waren im Januar 2004 mit sechs Mann auf Sardinien: Kamera, Regieassistentin, Ausstattung, Aufnahmeleitung, Bühne – wir hatten die Idee einer „fliegenden Kamera“ so wie in Rossellinis „Il Messia“ – und wir haben uns alle Drehorte angeschaut und festgelegt, mit der Firma geredet, die uns einen Bagger zur Verfügung stellen wollte und mit der Firma, die uns versprochen hat, die riesige Teichgrube dann in 24 Stunden mit dem Wasser aus dem 250 Meter entfernten Stausee vollzupumpen, mit dem Pfarrer, der die Beerdigung macht. Aber zehn Tage vor Drehbeginn lag ich plötzlich im Krankenhaus mit einem geplatzten Blinddarm und hatte diesen geplatzten Blindarm bereits 14 Tage.
Dann haben mir die Ärzte gesagt, dass ich in sechs Wochen vielleicht drehen könnte. Aber ich war so geschwächt, dass ich fast nicht mehr über die Straße laufen konnte. Ich konnte es allenfalls im Sommer machen, und im Sommer wäre das sehr schwierig geworden, weil im zweiten Hauptdrehort, dem Gästehaus, da schon alles belegt war, und der Besitzer wollte 50.000 Euro zusätzlich dafür haben.
Ich habe noch aus dem Krankenhaus heraus meine Kamerafrau und meine sardische Produktionsleiterin dahingeschickt und gesagt: sucht nach einem anderen Ort, wo wir im Sommer in Sardinien drehen können. Sie haben auch drei Plätze gefunden. Aber ich habe dann gemerkt, das geht gar nicht, ich habe die Kraft nicht. Wir haben es schließlich einfach um ein Jahr verschoben. Ich bin im November nochmal hingefahren und habe diese drei alternativen Plätze, die sie gefunden hatten, angeguckt. Einen mochte ich sehr, aber ich hatte das Drehbuch ja für diesen ursprünglichen Platz geschrieben, und sowas habe ich halt nirgendwo in ganz Sardinien gefunden. Dann habe ich mit dem Besitzer des Gästehauses nochmal ganz ernsthaft verhandelt und ihm gesagt: wir müssen alles, was war, vergessen und nochmal  ganz neu anfangen, so als würden wir jetzt  mit unserem Projekt zum erstenmal ankommen. Dann sind wir uns einig geworden, und ein Jahr später haben wir den Film dort gedreht, in dem Gästehaus, das ursprünglich vorgesehen war.

Ein zu allem entschlossener Mörder

KH: Du hast das Buch 2003 geschrieben, dann sollte der Film 2004 gedreht werden, was wegen der Krankheit nichts geworden ist. War der Dreh dann im Sommer 2005?

RT: Wir haben im Frühling gedreht. Drehbeginn war der 24. Mai. Als wir anfingen zu drehen, war noch alles grün. Im Laufe der Drehzeit wurde das Gras, das dort überall wächst, ganz schnell braun, da konnte man fast zusehen. Es war am Anfang auch noch ein bisschen frisch, vor allem nachts. Es war noch gar nicht so heiß. Am Anfang war immer strahlend blauer Himmel, vierzehn Tage lang, und wir dachten, es ist immer strahlend blauer Himmel. Pustekuchen, danach gab es dann immer Wolken am Himmel und man muss für die Anschlüsse darauf warten, bis die Wolken wieder weg sind, wie hier auch.
Ein großes Problem gab es, als wir das Loch für den Teich ausbaggern lassen wollten. Da sagte der Baggerbesitzer plötzlich – es war an unserem 13. Drehtag, ich weiß nicht, ob ich wirklich abergläubisch bin, aber ein bisschen bin ich es schon - , das darf er nicht, das Grundstück gehöre zu einem Landschaftsschutzgebiet rund um den ganzen Stausee. Das wussten wir vorher nicht, das hatte uns vorher niemand gesagt. Und eine Genehmigung in einem Landschaftsschutzgebiet, sowas dauert etwa anderthalb Jahre, denn da müssen Fachleute für Insekten, für Pflanzen, und für sonstige Tiere Gutachten abgeben. Es wäre quasi das Aus für den Film gewesen, wenn wir den Teich nicht hätten machen können. Ich hatte ein paar Stunden später, nachdem ich den ersten Schock verdaut hatte, schon eine Möglichkeit gefunden, woanders einen Teich zu machen, aber der hätte nicht mehr zur Landschaft von Dörtes Grundstück gepasst. Irgendwie hätte ich es schon hingekriegt, denn wenn ich einen Film drehe, bin ich sowas wie ein zu allem entschlossener Mörder, weil so viele Leute mit mir und um mich herum sind, die mir diese Kraft geben. Leider ist das im normalen Leben nicht so. Ich wäre da gern genauso stark.
Im Abspann des Films bedanke ich mich ganz besonders bei dem Bürgermeister von Oschiri, der Stadt, zu der unser abgelegener Drehort gehört. Ich habe nämlich am nächsten Tag die Dreharbeiten einen halben Tag unterbrochen, was mich ein paar tausend Euro gekostet hat, und habe den Bürgermeister von Oschiri getroffen, was sehr schwierig war so schnell, und wir haben eine Stunde lang miteinander geredet, und danach hatte ich den Eindruck, es könnte wahrscheinlich doch noch klappen. So habe ich es meinem Team gesagt. Am nächsten Vormittag haben wir weitergedreht, da hat er uns besucht und hat sich den Platz angeschaut. Er hatte vorher gefragt, ob man das Ganze von der Straße aus sieht, und ich habe gesagt: nein, das sieht man nicht. Dann wollte er wissen, ob wir in den Fels rein müssen oder nur die Erde wegschaffen müssen. Ich hatte eineinhalb Jahre davor ein tiefes Loch gegraben, um das herauszufinden. Die Erde da geht bis 1,40 m, dann kommt erst der Felsuntergrund. Also er besuchte uns beim Drehen, begleitet von der Forestale, der Waldpolizei, und schaute sich das Loch, das ich vor eineinhalb Jahren gegraben hatte, an und dann hat er ja gesagt. Ich musste ihm allerdings in die Hand versprechen, dass ich den Teich wieder zumache. Es musste alles wieder weg. Es musste alles wieder sein wie vorher.

Hölderlin auf dem Mond

G: Wenn im Film der Bagger anfängt, gibt es eine schöne, aber auch irgendwie grausame Einstellung. Man hat ja diesen eigenartigen Berg im Hintergrund, diese ganze Landschaft und dann dieser knallgelbe Bagger, der die Erde aufwühlt – es ist ein sehr schönes Bild, zugleich ist es eine Verletzung, eine Verletzung der Natur. Das scheint mir auch tiefer liegende Themen des Films anzusprechen, das heißt also Menschen und Natur zum Beispiel. Bist du durch diese Natur, durch diese Landschaft auf Hölderlin gekommen?

RT: Nein, Hölderlin stand ja schon im ursprünglichen Drehbuch. Die Landschaft kannte ich natürlich, ich habe das Drehbuch ja für die Landschaft geschrieben. Aber dieses Gedicht von Hölderlin „An Diotima“, dieses Gedicht, das Annabella da spricht, dieses Gedicht habe nicht ich ausgesucht, sondern – ich hätte nicht so ein langes Gedicht genommen. Das hat Holger Siemann ausgesucht, der das Drehbuch bearbeitet hat. Früher hat Peter Lund die Drehbücher bearbeitet, die Dialoge vor allem, aber er hat auch neue Szenen geschrieben oder Szenen verändert. Der konnte nicht mehr, weil er inzwischen so viel zu tun hat, und hat mir Holger Siemann empfohlen. Von ihm stammt der Vorschlag zu diesem Hölderlingedicht, und Hannelore Elsner, die ja ohnehin gerne Gedichte mag, war begeistert von diesem Gedicht. Wir waren uns allerdings nicht im Klaren darüber, dass wir das in dieser Länge drinlassen würden, denn das ist schon frech, diese Einstellung geht dreieinhalb Minuten.

KH: Das Gedicht ist vom Sinn her nicht einfach zu verstehen, wie alles von Hölderlin. Es ist eigentlich eine hymnische Beschwörung der Natur, eines Naturschauspiels. „Ein erfreulicher Geist, spielt mit Regen und Sonnenschein auf der Erde der Himmel …“

RT: Weiß du denn, was er beschreibt?  - Es regnet! - Heidegger hätte darüber bestimmt ein ganzes Buch schreiben können.

KH: Interessant ist natürlich, dass dieses Gedicht in einem Film auftaucht, in dem es ohnehin sehr um die Natur geht.

RT: Das war uns schon bewusst. Wir hätten sonst auch vielleicht ein anderes nehmen können. Wir haben versucht, ob wir nicht ein kürzeres finden, das ähnlich passt, aber wir fanden dieses halt am besten. Das war eine gemeinsame Entscheidung von Hannelore Elsner und mir. Sie hat mich dann auch überzeugt, als sie es mir vorgetragen hat. Sie kann Gedichte so lesen, dass man alles versteht.

Wie Wasser und Zement

G: Es gibt eine Interpretation von Hölderlin, dass bei ihm die Naturelemente göttlich sind, aber wenn sich die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde mischen, treten sie in den Bereich der Zeit und damit in den Bereich der Vergänglichkeit. Hast du bei diesem Gedicht daran gedacht?

RT: Ich denke nicht so viel, wenn ich einen Film drehe. Ich muss es immer wieder sagen. Ich habe unendlich viele Assoziationen, die mehr oder weniger vage bleiben, weil ich sie nicht weiter verfolge. Ich muss ja nur den Film machen und nicht gleichzeitig darüber einen Essay schreiben. Ich habe das jetzt gerade wieder bei meinem nächsten Projekt, da muss ich eine Entscheidung treffen, wo drehe ich, an welchem Ort. Beide Orte gefallen mir, aber sie sind absolut konträr. Ich muss mich entscheiden, aber ich glaube ich hab mich schon entschieden. Den Zeitpunkt, wo ich mich entschieden hab, weiß ich gar nicht so genau. Ich überlege nicht, ich mache es da oder da, aus den oder den Erwägungen, sondern es ist eine Bauch-Entscheidung.

G: Du hast so schön gesagt, Leben und Tod gehören zusammen wie Wasser und Zement. Das hat mir sehr gut gefallen. Das kann man auch auf den Hölderlin beziehen.
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RT: Das hat der Bauunternehmer Herr Erdmann gesagt, nicht ich! Der sagt es ja als Reaktion auf all das, was da in der Mitte des Films passiert. Annabella bietet ihm ja an, sein Familientreffen woanders hinzuverlegen, nachdem jetzt da zwei Leichen sind. Er versucht quasi, sie damit zu trösten. Er steht mit beiden Beinen auf der Erde. Er hat ein gesundes Verhältnis zu Leben und Tod. Deshalb sagt er, was er von seinem Vater gehört hat und womit er zu tun hat.
Aber ich denke nicht darüber nach, ob dieses Hölderlingedicht und der Satz „Leben und Tod gehören zusammen wie Wasser und Zement“ den gleichen Sinn haben.

Der Flug über den See

G:. Nach dem Schuss auf Leila gibt es eine Hubschrauberaufnahme und man sieht die Landschaft sehr, sehr lange. Du hast noch nie eine so lange Einstellung von einer Landschaft gezeigt.

RT: Ich wollte den See auch mal zeigen, und den Sinn von Michaels Vorschlag, dass man mit einem Rauchzeichen – so heißt ja der Film – den Hubschrauber möglichst schnell an die richtige Stelle dirigieren kann.  Die Aufnahme, die ich habe, geht bestimmt noch fünf Minuten länger. Ich habe nur ein kleines Stück vom Ende genommen.

KH: Rein praktisch hätte es doch wahrscheinlich ausgereicht, wenn sie irgendwelche Handtücher oder Taschentücher geschwenkt hätten, um sich dem Hubschrauber bemerkbar zu machen.

RT: Nein! Der Stausee ist unendlich groß. Der ist sehr lang. Und Rauch kann man von weitem sehen. Und da es darum geht, wie schnell der Rettungshubschrauber landet, macht das schon Sinn. Der Michael ist sehr cool und tut in dieser Situation das absolut Richtige. Und er macht das dann ja auch sehr schön, wenn der Hubschrauber näher kommt, und lenkt ihn dann mit seinen Handzeichen sehr gut an die einzig mögliche Stelle, wo er landen kann.
Was ja alles sehr schwierig ist. Auf Sardinien im Sommer ein Feuer zu machen, ist ein Drama. Am Anfang hieß es, wir dürfen überhaupt kein Feuer machen. Um das genehmigt zu kriegen, habe ich den Platz, wo wir es machen, ausgesucht und fotografiert, und die konnten dann auf ihren Karten im Computer ganz genau sehen, wo wir das machen wollen, und haben uns daraufhin die Genehmigung gegeben, aber die Waldpolizei, die Forestale, musste die ganze Zeit dabei sein. Einen Hubschrauber landen zu lassen ist auch ein Drama, weil der nun sehr viel Platz braucht. Weil der Hubschrauber beim Landen einen unglaublichen Wind macht, könnten eben Funken fliegen und im Nu steht die ganze Gegend in Flammen, weil die Macchia wie Zunder brennt. Mein Sohn Nicolai, der den Michael spielt, hat sich am Anfang geweigert, überhaupt ein Feuer zu machen. Da habe ich gesagt: Du machst ein Feuer, wo ich es dir sage. Ich verstehe was von Feuermachen.

KH: Diese Luftaufnahme kommt auch an einer besonderen Stelle im Film, es ist der dramatische Höhepunkt.

RT: Man sieht da ja auch die ganzen Zusammenhänge, wo wer ist, man sieht die Personen und was sie machen. Im Kino siehst du jede Kleinigkeit, wo wer rumläuft, und jeder macht genau das, was für seine Rolle im Moment richtig ist. Das haben auch die Schauspieler weitgehend improvisiert, denn ich war weit weg, ich saß im Hubschrauber und guckte auf einen Monitor. Also Michael fand ich bewundernswert und Annabella, wie sie da neben Leila auf dem Boden kniet und sich aufrichtet, als der Hubschrauber über ihr ist, das hat mich irgendwie an Anna Magnani oder eine griechische Tragödie erinnert. Genauso liebe ich die Szene, wenn der Hubschrauber wegfliegt und die vier wie erstarrt dastehen und ihm nachschauen.

Gräber im Teich

G: Wie kamst du auf diese Idee, zwei Gräber in den Teich einzulassen und dann das Wasser drauf zu machen? Das ist eine sehr ungewöhnliche Idee.

RT: Dazwischen ist aber noch die Folie.

G: Ja eben, aber die Folie war für mich wie ein Trauerflor. Die war ja auch noch schwarz…

RT: Teichfolie ist immer schwarz. Das ist sehr schön, wenn solche Bedeutungen dazukommen. Aber ich habe halt das genommen, was es gibt. Es ist natürlich provozierend. Das ist ja nicht der normale Umgang mit dem Tod. Wenn die Leute auf den Friedhof gehen, dann falten sie doch die Hände, knien nieder, beten und haben eine entsprechende Stimmung. Und hier, mein Gott, da kommt ein Bagger und baggert zwei Löcher aus. Es ist eine Provokation. Und wie Isabella da redet – die schlägt es ja vor - in der Küche, beim Kochen: dann müssen wir nicht lange Gräber pflegen und so, und da ein Bagger eh schon da ist und dann geht das alles, Teichbau und Beerdigung, in einem Aufwasch. So redet man normalerweise nicht über den Tod und über Menschen, die gestorben sind.

Das Zimmer des Sohnes

KH: Eigentlich reagieren ja alle Personen so ähnlich. Diese Bemerkung von Isabella ist zwar ein bisschen zwiespältig, man sieht auch, dass alle bestürzt und traurig sind über diese beiden Toten, aber eigentlich geht alles so seinen Gang, jeder verfolgt sein Vorhaben weiter.

RT: Das Leben geht weiter. Der Teich wird gebaut, dann wird auch noch geheiratet auf dem Teich. Wo unten die Leichen sind, wo die Leichen im Keller sind sozusagen. Wenn Jade zu ihrem heißverehrten jungen Mann, zu Michael, sagt,: „Eigentlich darf man sowas nicht sagen, aber irgendwie bin ich froh, dass die jetzt weg ist.“ Und ihn dann ganz verliebt anschaut. Das ist auch krass!

KH: Das knüpft an „Frau fährt, Mann schläft“ an, an die Szenen nach dem Tod des Sohnes.

RT: Da sagt die älteste Tochter: dann kann doch mein Freund in dem Zimmer schlafen, das ist jetzt frei. Ich mache es so, weil es tatsächlich so ist, weil es die Wirklichkeit ist. Wenn so etwas passiert, ist doch die Reaktion der meisten anderen Betroffenen oft geheuchelt. Und die Leute in meinen Filmen heucheln halt nicht. Diese Tochter in „Frau fährt, Mann schläft“ denkt einfach praktisch, die will nicht da irgendetwas mimen, sie will halt mit ihrem Freund zusammensein und denkt nur daran: da ist ein Raum und den könnte sie haben, weil der ist jetzt leer.
Und Isabella und Annabella, wie sie mit den Toten umgehen, sie da in diesem Teich zu tun, ist eben nicht geheuchelt, sondern praktisch. Natürlich sind sie betroffen von dem Tod. Sie sehen aber auch gleichzeitig, wie sie das Ganze am besten „handlen“ können. Sie bleiben noch immer klar im Kopf. Wie kann man damit umgehen. Und das ist auch Realität!
Ich erinnere mich… ich habe das sehr früh erlebt. Als meine Mutter gestorben ist und beerdigt wurde, hab ich nicht geheult. Ich dachte, mein Gott, was denken die Andern, wenn du nicht heulst – liebt der seine Mutter nicht und so – ich konnte nicht heulen. Natürlich hätte ich heulen können, aber dann hätte ich denen was vorgespielt. Das wollte ich nicht. Das ist eine Haltung, die ich sehr früh hatte.
Mein Vater hat in einem kleinen Dorf Buchhandel gemacht und mit Schreibwaren gehandelt. Dabei ist er mit dem Fahrrad zu Fabriken in der Umgebung gefahren und kam manchmal ganz spät zurück im Dunkeln. Und ich dachte immer, mein Gott, ihm ist was passiert, und hatte Angst um ihn, und dachte aber manchmal gleichzeitig, na also wenn er gestorben ist und überfahren worden ist, ist das Problem auch gelöst, dann muss ich nicht mehr Angst haben um ihn. Es gibt in einer Sache, wo man tief betroffen ist und die für einen ganz furchtbar ist, manchmal auch einen vorteilhaften Aspekt. Nichts anderes ist es, wenn Jade sagt, ich bin eigentlich ganz froh, dass Leila tot ist. Sie sagt nicht tot, sondern dass sie jetzt weg ist. So denken Menschen!
Ich hasse bürgerliche Scheinheiligkeit. Und ich weiß, dass ich Leute, die so leben, damit provoziere. Also ich greife sie richtig an!
Die Beerdigung im Teich könnte pietätlos empfunden werden, aber so wie der Film es zeigt, so wie es erzählt wird in den Bildern, ist es das überhaupt nicht. Wenn der Bagger am Ende die Gräber in der Teichgrube zuschüttet, ist das extrem brutal, aber die eigentliche Beerdigung, die ja relativ ausführlich und lang gezeigt wird, mit diesem Pfarrer und seinem Messdiener, das ist mit allem Respekt erzählt. Ganz feierlich und pathetisch. Von den Bildern, vom Optischen her ist es total pathetisch.

KH: Das war wie üblich bei dir ein echter Pfarrer.

RT: Das war ein echter Pfarrer, den ich unbedingt haben wollte, wegen seiner abstehenden Ohren. Ich habe ihn geliebt. Ich mochte ihn total. Ich hatte ihn bei der allerersten Motivsuche kennengelernt und er wollte damals seinen jüngeren Pfarrer dafür zur Verfügung stellen und das nicht selber machen. Aber ich habe gesagt, ich will ihn, ich will um jeden Preis ihn. Ich war gerührt von seiner Person, ich mochte ihn einfach. Er hat was ungeheuer Liebevolles gehabt.
Als wir im Januar 2004 da waren, meinte er, ich müsse unbedingt an Ostern eine Prozession filmen, wo eine Marienstatue von einer entfernten Kirche nach Oschiri getragen wird. Und ich war Feuer und Flamme, denn das hätte mich natürlich sehr nahe an Rossellinis „Viaggio in Italia“ gebracht. Ich hätte dann in die Geschichte eingebaut, wie Annabella und Jonathan dieser Prozession zugucken, aber das ging ein Jahr später 2005 nicht mehr, weil Ostern schon lange vorbei war.

Vollmondnächte

G: Wieso spielt der Vollmond bei der Heirat eine so große Rolle?

RT: Das wird doch gesagt im Film, bei Vollmond ändert sich das Wetter, alles beginnt neu … Das geschieht ganz oft. Diese Rhythmen, die vom Mond abhängen … mein Gott, ich war in der Südsee und da habe ich das sehr stark erlebt, weil man da noch mehr in der Natur drin ist als auf Sardinien oder bei mir auf dem Bauernhof. Da verändert sich das Meer, Ebbe und Flut verändern sich, die werden ja von der Anziehungskraft des Monds gesteuert.
Den Mond haben wir am Tag vor dem ersten Drehtag aufgenommen. Wir waren vorbereitet, aber wir hätten es um ein Haar verpasst, weil wir ihn aufgehen sehen wollten, wie er hochkommt über den Bergen. Aber wir haben jetzt bestimmt 300 Meter Vollmondaufnahmen. Die Aufnahme, die wir ausgewählt haben, gefiel mir, weil sich da eine Wolke vor den Mond schiebt. Also eine Art natürlicher Abblende.

Auf dem Felsen

 G: Der Felsen, auf dem Annabella und Jonathan bei dem Hölderlingedicht sitzen, ist sehr ungewöhnlich. Sind das eigentlich bekannte Orte auf der Insel?

RT: Nein, die sind halt auf dem Grundstück. Da kann gar nicht jeder rein. Mit dem Hölderlinfelsen, den ich übrigens erst während des Drehens entdeckt habe, gehe ich ja soweit, dass ich ihn als Plakatmotiv für den Film ausgewählt habe.

G: Wie ist die Aufnahme mit dem Felsen technisch gemacht?

RT: Mit einem Kran. Es gibt solche Kräne, wo die Kamera vorne an einem langen Arm aufgehängt ist und über einen Monitor mit einem Joystick gesteuert wird. Die Kamera hängt an einem ca. 30 Meter langen Galgen und die kann sich hoch und runter und vor allem auch horizontal bewegen und dabei den Personen näher kommen, so dass der Eindruck einer Schienenfahrt entstehen kann.
Wir hatten ein Problem dadurch, dass die Kamerafrau noch nie in ihrem Leben ein Computerspiel gespielt hat und daher Schwierigkeiten hatte, mit dem Joystick die Bewegung der Kamera zu kontrollieren. Ich hab´s einmal gemacht und hatte kein Problem, denn ich habe früher lange genug Pacman gespielt. Aber ich wollte mich nicht einmischen, weil die ganze Szene ohnehin schon mehr als schwierig war. Es sollte in der Dämmerung spielen und da hat man eben nur etwa eine Viertelstunde Zeit. Dann gab es Tonprobleme. Als wir ankamen gab es keinen Windhauch, als wir soweit waren und alles aufgebaut war, kam ein Wind auf und man konnte den Ton nicht mehr angeln. Also wohin mit dem Mikro? Wir haben die ganze Szene viermal aufgenommen.

KH: Wurde dieser Kran extra für diese Einstellung mitgenommen?

RT: Wir haben noch andere Einstellungen damit gemacht, die aber nicht in den Film genommen. Das Teil hat 5.000 Euro gekostet. Das war ein bisschen viel. Aber wir haben zum Beispiel die Aufnahme von der Beerdigung damit gemacht. Da ist die Kamera auch ganz oben auf dem Kran. Da der Kranarm so lang ist, kannst du natürlich von einer ganz hohen Position aus damit filmen. Es gab am Anfang des Films eine Einstellung, die wunderschön geworden ist, wo Leila vom Gästehaus zu Annabella geht. Sie geht durch hohes Gras und die Kamera schwebt vor ihr her. Es ist eine tolle Einstellung, aber da ich beim Schneiden um jede Sekunde gekämpft habe, haben wir sie weggelassen. Eine Erfahrung für Ute Freund, die Martin Schäfer früher mit mir auch oft hat machen müssen.

Ein silbernes Flugzeug

G: Die Titeleinstellung fand ich ganz wunderbar. Ein Riesenflugzeug landet und kommt auf die Zuschauer zu. Das hat auch was von einem Western,  das war für mich wie eine Riesenherde von Pferden, die mit einem Höllenlärm angaloppiert kommt.

RT: Um es genau zu sagen, ich hatte es im Drehbuch so beschrieben: ein silbernes Flugzeug kommt aus dem Himmel heraus. Ich hab eine ähnliche Einstellung gedreht bei „Beschreibung einer Insel“ in der Südsee, wo aus einem schwarzen Himmel ein Flugzeug landet – das war kurz vor einem Gewitter – das sieht wirklich so fremdartig aus wie eine fliegende Untertasse. Und weil ich diese Einstellung rausgeschnitten habe – „Beschreibung einer Insel“ fängt ja jetzt damit an, dass die Schauspieler mit einem Schiff in die Bucht von Ureparapara hineinfahren, hab ich versucht, das hier zu wiederholen, und diese Einstellung so ähnlich hinzukriegen.
Das war eine schwere Geburt. Hinter uns fuhren unendlich viele Autos, das war direkt an einer extrem schmalen Straße, aber nur von da aus konnte man ein landendes Flugzeug frontal sehen. Und wir kriegten dann gerade ein landendes Flugzeug, weil in Olbia so viele Flugzeuge nun auch nicht landen, und wir wollten kein buntes Flugzeug, wie die da meistens landen, sondern ein relativ neutral aussehendes Flugzeug. Die Kamerafrau wollte das mit einem 200er-Objektiv machen, weil sie Angst vor Vibrationen hatte, und dann habe ich sie gefragt, wie groß siehst du das Flugzeug? Ist es winzig klein? Sie hat gesagt, es ist nicht besonders groß. Da hab ich zu ihr gesagt: nimm beim nächsten, das in 20 Minuten kommt, das 600er-Objektiv, mit dem wir ganz am Anfang den Vollmond gefilmt haben. Außerdem hatten wir gar kein richtiges 600er-Objektiv, sondern nur ein 300er mit einer Tubusverlängerung – wie bei der Sonnenfinsternis in „Paradiso“. Damals waren nämlich alle 600er-Objektive verliehen, weil alle Filmleute in Deutschland die Sonnenfinsternis filmen wollten.
Ich hatte so das Bild im Kopf: eine fliegende Untertasse kommt runter. Es ist ein Flugzeug, das sieht man schon, aber es wirkt fremdartig. Und dieser Science-Fiction-Eindruck, der da entsteht, war mir schon lieb.

Science Fiction

KH: „Rauchzeichen“ ist der letzte Teil der Trilogie „Zeitreisen“. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, diese Geschichte auf eine Zeitreise zu beziehen. Gibt’s da einen Bezug? Wo ist die Zeitreise?

RT: Oh Gott, das ist die schwierigste Frage. - Das sind viele kleine Sachen, es ist gar nicht so sehr eine einzelne Sache. Mir haben Leute gesagt, wieso wird da jemand umgebracht? Wieso spielt Terrorismus da rein? Terrorismus ist für mich ein Aspekt der Zukunft. Das passiert jetzt, ununterbrochen. Es ist für mich ein Aspekt, mit dem die Welt, die Erdbevölkerung, vielleicht die nächsten Jahrzehnte leben muss. Es ist für mich ein zukünftiger Aspekt.
Und diese arabische Prinzessin, das ist ja doch sehr ungewöhnlich an so einem Ort, wie passt diese Figur an so einen Platz? Der Drehort hat ja etwas ganz Archaisches, durch diese extreme Wildnis-Felslandschaft, aber dieses Archaische ist gleichzeitig auch etwas Science-Fictionartiges. Das könnte auch eine Mondlandschaft sein oder eine Landschaft auf einem anderen Planeten. Ich glaube man muss „Rauchzeichen“ als Science-Fiction-Film sehen! Vielleicht wird es bei diesem Film so sein wie bei „Rote Sonne“, der auch 25 Jahre später als etwas ganz Ungewöhnliches gesehen wurde.
Dazu passt eben diese erste Einstellung auch, diese doch ungewöhnliche Flugzeugaufnahme. Deshalb war mir die auch unendlich wichtig. Aber wir haben sie erst ganz am Schluss gedreht, weil wir einfach keine Zeit dafür hatten. Wir haben sie bestimmt vier-, fünfmal verschoben.

KH: In den Zusammenhang von Science Fiction gehört sicher auch, dass sich Annabella als Astronautin herausstellt.

RT: Das hat auch mit der Zukunft zu tun, das ist klar. Was mir sicherlich auch böse Kritiken einbringen wird. Auf dem Mond waren ja nicht viele Astronauten, und insofern ist die Behauptung, dass Annabella da war, einfach kühn.

KH: Der erste Mensch auf dem Mond war wohl Neil Armstrong. Das war 1969, glaube ich.

RT: Das war 1969, als wir „Rote Sonne“ gedreht haben. Ich habe mir von meinem Produzenten, von Heinz Angermayer, einen Fernseher schenken lassen, um im Film die ersten Bilder von der Mondlandung drin zu haben.

KH: Die sind aber nicht drin. Und Armstrong hat keinen Hölderlin auf dem Mond hinterlassen.

RT: Nein, natürlich nicht.

Ein Gott des Kinos

KH: Eine sehr sonderbare Figur in dem Film ist der Hans, der sich als Gott des Kinos bezeichnet.

RT: Er sagt das! Diese Rolle hätte, wenn ich eineinhalb Jahre vorher gedreht hätte, Marquard Bohm gespielt. Dass das natürlich ein heikler Satz ist, ist mir klar, und ich bin auch deswegen angegriffen worden, dass es so einen Satz gibt. Da hat mir einer geschrieben: Du glaubst wohl, du bist der Gott des Kinos. Hahaha!
Mir haben mehrere Leute gesagt: diese Rolle muss Marquard Bohm spielen. Hannelore Elsner war die erste, dann kam Ute Freund. Ich habe beim Schreiben natürlich an Marquard Bohm gedacht, aber ich habe nicht gedacht, dass ich es mit ihm drehen würde, weil mir klar war, dass das sehr schwierig werden würde. Ich wusste ein bisschen, wie seine gesundheitliche Situation ist. Und habe ihn dann auch besucht und habe mit den Ärzten geredet, und die haben gesagt okay. Wenn ich nicht krank geworden wäre, hätte ich „Rauchzeichen“ mit Marquard Bohm in der Rolle des Hans gedreht. Ich wollte halt auch jede Attacke auf mich, dass ich eine Filmfigur einen solchen Satz sagen lasse, quasi wegwischen. Denn in dem Moment, wo Marquard Bohm das spielt, kann man alles machen. Marquard Bohm sagt ja auch in einem anderen Film, in „Das Geheimnis“: „Ich bin Jesus Christus“. Das muss man ja auch erst mal sagen können, und es ist nicht lächerlich.
Aber beim Schreiben habe ich auch schon an den Schauspieler, Cornelius Schwalm, gedacht, der die Rolle dann schließlich gespielt hat. Der hat in „Frau fährt, Mann schläft“ diesen Betrunkenen gespielt, der diesen Jungen in dem Park findet und ihn für tot hält und die Polizei anruft. Ich war beeindruckt von der Art, wie er das gespielt hat, diese kleine Szene. Betrunken spielen, geht bei den meisten Schauspielern in die Hose, weil sie zuviel machen. Aber er hatte genau die Mischung, wie er gegangen ist – was mich auch damals schon an Marquard Bohm erinnert hat. Wie Marquard geht, in „Rote Sonne“ am Schluss, wenn die sich gegenseitig totschießen und er sich dann über Uschi Obermaier beugt und fragt: bist du okay? Und dann geht er runter zum Wasser, ein paar Schritte, und er geht so ein bisschen schwankend. Daran hat mich der Gang von Cornelius erinnert.

KH: Hattest du Marquard Bohm schon gesagt, dass du mit ihm drehen wolltest?

RT: Ich hatte mit Marquard Bohm alles abgesprochen und einen Betreuer für ihn engagiert, und alles Mögliche. Das war sehr aufwendig. Flüge gebucht, alles. Und Marquard hat sich total gefreut natürlich. Ich hätte ihn während der ganzen Drehzeit dagelassen, und die Ärzte waren der Meinung, dass ihm das gut tun würde: sechs Wochen Sardinien in der Sonne.

KH: Dieser Hans ist offenbar ein Kinonarr…

RT: … und sein Zimmer ist vollgestopft mit Videokassetten. Die Figur des Hans ist aus vielen realen Personen zusammengesetzt, die ich kenne, die Videokassetten sammeln. Es gibt halt diese Filmnarren. Aber dass Hans sagt, er sieht Kino, und sieht halt nur Video auf einem relativ kleinen Fernseher, das ist schon ein bisschen daneben, aber solche Widersprüche mag ich halt gerne.

Wie ein Roman

KH: Für deine Verhältnisse haben in „Rauchzeichen“ viele Personen relativ große Rollen. Er ist nicht so wie sonst auf nur zwei Leute konzentriert, sondern es gibt hier relativ gleichmäßig verteilt diese verschiedenen Handlungen und Personenkonstellationen, und ich denke, das ist sehr gut gelungen in den Proportionen. Du wolltest offenbar etwas anderes machen, also nicht diese Liebesgeschichte, wo es nur um das Paar geht wie in „Du hast gesagt, dass du mich liebst“.

RT: „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ ist ja von vornherein ein extrem reduzierter Film. Ich habe den zunächst mal nur gedreht, um vielleicht das Geld wieder reinzuholen, das ich bei „Rauchzeichen“ durch meine Krankheit verloren hatte.

KH: Eine rein praktische Überlegung, dass man wenige Schauspieler braucht?

RT: Auch ein Drehort, der mir gehört und wofür ich nichts bezahlen muss, und alle anderen Drehorte möglichst im Umkreis von 1000 Metern von hier, damit man nicht soviel fahren muss. Das habe ich schon mal gemacht, bei „Das Mikroskop“.
Aber du hast schon recht, in „Rauchzeichen“ ist die Handlung insgesamt romanmäßiger. Die Drehbücher, die ich selber schreibe, tendieren eigentlich dazu, so etwas Ähnliches wie eine Novelle zu sein, oder sogar eine Kurzgeschichte. Aber das hier ist mehr wie ein Roman. Der Ausgangspunkt war der Drehort. Und diese Kombination von wilder Landschaft und diesem Gästehaus, das von zwei Frauen geleitet wird. Der Jonathan kommt ja nicht zu Annabella, der will ja zu Isabella, seiner früheren Ehefrau, und zu seiner Tochter, und hat zunächst gar keine Ahnung, ob sie das ist. Und dabei entsteht zufällig diese Liebesgeschichte. Es ist ein bisschen komplexer angelegt, von Anfang an.

KH: Im Film kommt es für den Zuschauer einigermaßen als Schock, wenn man erfährt, dass Jonathan der Vater ist.

RT: Ich habe es ja auch so erzählt. Der Moment, wo das ausgesprochen wird, wird ja weggelassen. Es ist eine extreme Ellipse.

G: Woher weiß die Tochter, dass sie die Tochter ist?

RT: Das habe ich weggelassen Ich zeige nicht, wie er sagt: Ich glaube, du bist meine Tochter, sondern die Szene im Auto fängt damit an, dass sie sagt: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass ich deine Tochter bin.

KH: War das schon mit dieser Ellipse geschrieben?

RT: So ist es geschrieben. Ich hab’s nicht weggeschnitten.

Rossellini und Ingrid Bergman

KH: Das ist jetzt schon dein vierter Film mit Hannelore Elsner gewesen?

RT: Ja. Ein bisschen seid ihr daran schuld. Bei dem Interview zu „Frau fährt, Mann schläft“ kamt ihr mit diesen Parallelen zu Rossellini und dann habe ich gesagt, vielleicht mache ich es wie Rossellini mit Ingrid Bergman – und drehe mit Hannelore Elsner sechs Filme.

KH: Ein Schnitt, der mir jetzt in „Rauchzeichen“ auffiel, kommt, wenn Jonathan diesen Fragebogen ausfüllen soll und eine Frage ist: „sexuelle Vorlieben“. Da regt er sich mit Recht drüber auf, und dann kommt der Schnitt auf Annabella. Klar denkt man da, da bahnt sich was an. Es ist kein ganz zufälliger Schnitt.

RT: Sie setzt sich ja dann ihm gegenüber und es entsteht dann plötzlich ein Gespräch, das eigentlich viel weiter geht, als man in dieser Situation normalerweise reden würde. Erstmal fragt er: wieso dieser Fragebogen, haben Sie sich das ausgedacht? Sie: Nein meine Partnerin. Er: Das klingt ja wie das Aufnahmeformular für eine Heiratsanbahnung. Sie: Sie heiratet sehr gerne. Er: Und Sie, tun Sie das auch? Und dann sagt Annabella, nein, sie muss einen Mann lieben. Und dann fragt er sofort mit ganz sanfter Stimme: Glauben Sie an die Liebe? Da entsteht ja fast schon eine Art Intimität zwischen den beiden.
Das waren natürlich immer bei mir Schlüsselszenen. Wenn sie sich zum erstenmal treffen und sie sagt: Fassen Sie mich bloß nicht an, sonst wird ihr schöner Anzug schmutzig. Das ist die erste Szene. Und dann beim Gehen wie sie ihn so anguckt. Da spürt man schon was. Das wird auch immer von der Musik betont, diese Liebesanfangsmomente. Und dann die Szene beim Bäumepflanzen, wo die so voreinander stehen und er mit den Händen so redet und sie nicht ihn, sondern seine Hände anguckt. Er sieht wohl bei ihr irgendwas in den Haaren und versucht das wegzuzupfen. Wie beide sich dabei bewegen, da war ich begeistert.

Bäume pflanzen, Teiche bauen

KH: Bäume pflanzen: es ist nicht das erstemal, dass Bäume gepflanzt werden.
Es gibt reichlich Motive in dem Film, die du schon öfter gemacht hast. Auch Teiche bauen.

RT: Nein, in „Das Mikroskop“ wird auch ein Teich gebaut. In „Paradiso“ werden sechzig Pappeln gepflanzt.

KH: Oder diese Essensszenen. Da gibt’s ja auch drei, vier davon. Aber Teiche bauen: Rudolf, warum bauen die Leute Teiche?

RT: Dann hat man Wasser. Ich liebe Wasser.

G: Du hast auch einen schönen Satz gesagt. „Das Schönste an einem Teich ist die Spiegelung der Natur“.

RT: Der Jonathan sagt das: Beim Teich kommt es darauf an, was sich in ihm spiegelt.

Rauchzeichen

KH: Feuer machen, das spielt auch oft eine Rolle bei dir.

RT: Mit dem Filmtitel „Rauchzeichen“ lag das ja nun nahe.

KH: Das ist der Titel des Films, und es werden auch tatsächlich Rauchzeichen gemacht, aber ich habe den Verdacht, es soll mehr damit angedeutet sein, es ist so ein unbestimmtes Wort…

RT: Das hat auch mit der Zukunft zu tun. Beim Schreiben habe ich gedacht, dass der Film als Ganzes wie eine message an die Welt ist – das ist jetzt sehr hoch gegriffen -, dass das, was hier passiert, in der Zukunft passieren wird, diese Mord- und Terroristengeschichte.

KH: Das ist vielleicht noch höher gegriffen: Die Rauchzeichen, die jeder kennt, sind ja die vom 11. September.

RT: Ja klar. Aber bewusst war mir das beim Schreiben nicht. Ich habe ja zuerst gesagt, der Terrorismus, das ist der Zukunftsaspekt in diesem Film. „Rauchzeichen“ ist ein vieldeutiges Wort, ein Wort, das viele Assoziationen auslöst. Ich hab darüber diskutiert bei der englischen Übersetzung des Titels. Es gab Leute, die haben gesagt, das muss „Smoke Signals“ heißen, da ist das dann die Übermittlung einer konkreten Botschaft. Aber ich wollte als englischen Titel „Smoke Signs“, das ist dann ein viel komplexeres Zeichen,  es ist von vornherein viel abstrakter, vieldeutiger.