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64 Die Versöhnung
66 Stella
67 Galaxis
67/68 Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt |
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80 Hast Du Lust mit mir einen Kaffee zu trinken? 84 Zwei Bilder |
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Köstliche Fülle, am Herzen getragen So muss man sich ein schönes altes Königreich vorstellen, klein und überschaubar, im Naturzustand sozusagen. Eine Großfamilie mit den entsprechenden Attitüden und Macken, eine Rangfolge ist nicht festgelegt und wird vielleicht nie wirklich fest und korrekt sein. Integration ist also möglich, womöglich Einheirat. Die Frauen tragen Namen, die für Königinnen passen wie auch für Freudenmädchen, Annabella und Isabella, in ihren Nachnamen klingt Edelmetall an, Silberstein und Goldberg. Sie werden gespielt von Hannelore Elsner und Adriana Altaras, beide aus Thomefilmen bestens vertraut, und manchmal, beim Kotelettschneiden in der Küche etwa, spürt man eine Verwandtschaft mit den Mädchen aus dem frühen Film „Rote Sonne“. Wir sind auf Sardinien, in einer einsam gelegenen Pension im Innern des Landes, erleben Schatten und Licht in süßmelodischem Wechsel. Das hat nichts von der Land-wo-die-Zitronen-blühen-Heimeligkeit, ist angenehm trocken, rauh und offen. Es ist die natürlichste menschliche Gemeinschaft, von der sie alle geträumt haben, von Rousseau und Marx bis Renoir und Straub/Huillet. Aber jedes Paradies ist von Menschen gemacht, und deshalb auch ein Ort der Pathologien. Und das Kino hat merklich seinen Anteil daran. Ein Fremder kommt, aus Amerika, er heißt Jonathan und wird gespielt von Karl Kranzkowski. Ein Wanderer, ein Pionier, einer, der Land urbar machen und mit Menschen Deals fabrizieren kann. In den Zeitreisen, die Thome gerade in seinen Filmen unternimmt, markiert dieser die Zukunft. Wie immer ist man diesem Filmemacher ein paar Schritte hinterher – während ein Film in die Kinos kommt, ist er gerade daran, den nächsten fertigzustellen: „Das Sichtbare und das Unsichtbare“. Das Unsichtbare – die Beziehungen der Menschen, ihre Hoffnungen und ihr Verlangen, ihre Räume – macht das Kino sichtbar, in den Bewegungen und in den Blicken. Was in den Filmen von Thome so oft wie ein Versprechen war, hier ist es eingelöst. Der Aufbruch, der das Glück der Ankunft ermöglicht, die Fremde, die erst Freiheit schafft, Freiheit auch von der großen Stadt, Berlin. Ein wenig wirken die Großstadtschikanen auch beim Eintritt ins Paradies nach, es ist nicht gerade herzlich, wie Jonathan in der Pension empfangen wird: Sie hätten das Taxi lieber nicht wegschicken sollen…Am schlimmsten führt sich Hans auf, der patzige Cineast, der sich hinter seinen Videos verbarrikadiert hat. Ein Mädchen erweist sich als Jonathans Tochter, ein anderes erklärt, eine orientalische Prinzessin zu sein, von Terroristen verfolgt. Die Strömung von Hölderlins Versen gerät in Interferenz mit dem Gekräusel der Wellen, der Mond taucht die Welt in ein Tausendundeinenacht-Licht – Annabella war schon mal dort droben, als Astronautin. Ein Film über offene Familien, an der last frontier der modernen Zivilisation. Jonathan will Annabella einen Teich anlegen, aber wenn die Planierraupe anrückt und mit dem Aushub beginnt, dauert der Schock nur ein paar Sekunden, zum Umgang mit der Natur gehört immer auch die Naturbearbeitung. „Nicht die Einheit der lebenden und tätigen Menschen mit den natürlichen, unorganischen Bedingungen ihres Stoffwechsels mit der Natur, und daher ihre Aneignung der Natur – bedarf der Erklärung…“, schreibt Marx in „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ – das wäre auch eine schöne Formel für den Western. Im Kino findet Thome den Ort der Fülle, wo alles zusammenkommen kann, das Individuelle und das Allgemeine, das Fremde und das Intime, die Philosophie und der Beton, das Ordinäre und das Hohe, das Pragmatische und das Phantastische. „Für mich ist der Tod im Moment so nah“, sagt Annabella einmal, „und die Katastrophen in den Nachrichten sind nicht mehr so unwahrscheinlich und unwirklich wie früher.“ Es ist das Kino, das in solchen Fällen immer hilft. Selbst der „Citizen Kane“, den Hans so rühmt, erzählt ja nicht nur von einem Egomanen und seinem Alleingang, er hat immer ein Team um sich, Freunde, das Glück gemeinsamer Anstrengung. Und dies ist, Orson Welles hat es gern bekundet, vom Western inspiriert. Fritz Göttler, in Süddeutsche Zeitung 21. 11. 2006
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Ehemals und jetzt In "Rauchzeichen" würdigt Rudolf Thome den Nutzen der Vergangenheit für die Zukunft und huldigt dem Mond als Lichtquelle und stillem Begleiter Noch nie war bei Thome die Vergangenheit, seine eigene wie die des Kinos, so mächtig und allgegenwärtig wie nun in dem abschließenden, der Zukunft gewidmeten Teil seiner "Zeitreisen"-Trilogie. Schon die erste Einstellung zeigt ein riesig wirkendes Flugzeug, das sich im Anflug auf den sardischen Flughafen befindet und dabei immer näher auf das Publikum zukommt: Es wirkt aus dieser Perspektive so archaisch wie hypermodern - Vergangenheit und Zukunft werden eins. Wenn man dann nur wenig später den von Karl Kranzkowski gespielten Jonathan "Joe" Fischer, diesen müden und doch so tatkräftig Suchenden, erstmals sieht, ahnt man, welcher Kino-Vergangenheit Thome mit Rauchzeichen huldigt. Geist des Westerns Schon einmal hat Rudolf Thome den Geist des Westerns beschworen und ganz nebenbei das oft so provinzielle, nur um sich kreisende deutsche Kino auf die Höhe der Zeit katapultiert. Das war 1969, der Film hieß Rote Sonne. Heute ist er Legende, und vielleicht wird Rauchzeichen das auch bald sein. Denn so hat noch kein Filmemacher von der heutigen Welt und ihren Verirrungen erzählt. Wie schon 1969 liegen Gewalt und Terror als Schatten über Thomes Figuren, und wieder gibt es für eine ganze Generation kein Entkommen. Aber diesmal haben zumindest ihre Vorgänger und Nachfolger die Chance auf eine Zukunft und ergreifen sie auch. Einmal rezitiert Annabella, die bei ihrem Gang auf dem Mond einen Hölderlin-Band zurückgelassen hat, für Joe dessen "An Diotima". Es ist ein magischer Augenblick, einer der schönsten in der jüngeren deutschen Filmgeschichte, ein wundervolles Bekenntnis zum Leben und zur Liebe, zur Natur und zur Kunst. Aber es ist nicht dieses Gedicht, sondern Hölderlins "Ehmals und jetzt", das Vergangenheit und Zukunft, Rote Sonne und Rauchzeichen, besser beschreibt, als jeder Kritiker es je könnte: "In jüngern Tagen war ich des Morgens froh,/ Des Abends weint ich; jetzt, da ich älter bin,/ Beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch/ Heilig und heiter ist mir sein Ende." Große Familie Sascha Westphal in Frankfurter Rundschau, 16.11.06
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Rauchzeichen Ein Mann kommt an. Er landet aus Amerika kommend, auf dem zentralen Flughafen von Sardinien. Eine im Grunde alltägliche Szene. Sie ist auch realistisch gestaltet in Rudolf Thomes RAUCHZEICHEN – und doch wirkt sie in typischer Thome-Manier ein wenig überhöht. Die Wirklichkeit, das macht dieser Filmanfang bereits deutlich, ist voller Geheimnisse. Und die Gegenwart seckt voller Vergangenheit und voller Zukunft. Den besonderen Thome-Touch hat Wolf-Eckart Bühler in der „Filmkritik“ einmal trefflich so beschrieben: „Thome filmt nicht nur in der Welt, in der wir uns auskennen, er filmt sie auch so, wie wir sie kennen, wenn wir sie nicht mehr zu kennen wissen.“ Ein Mann kommt an. Und eine Ankunft ist immer etwas Besonderes. Er lässt sich mit dem Taxi vom Flughafen hinausfahren aufs Land. Als er an einem einsam gelegenen Gästehaus ankommt, murmelt er etwas vom Ende der Welt, das „sie“ hier gefunden habe. Wir erwarten also die Wiederbegegnung des Mannes, eines Deutschen, so Mitte 50, der lange Zeit in den USA gelebt hat, mit einer Frau. Vor dem Gästehaus findet der Mann in der brütenden Sonne dösend die junge exotische Leila und einen sich unwirsch gebenden Gast namens Hans. Als der von den Reisestrapazen erschöpft wirkende Ankömmling um ein Zimmer bittet, wird er vertröstet. Er muss auf Annabella Silberstein warten, eine der beiden Betreiberinnen dieser besonderen Herberge. Sie ist auf dem Gelände mit Pflanzarbeiten beschäftigt. So verharrt der Mann auf der Terrasse, nicht wissend, dass er auf die Frau seiner Träume, die Frau seiner Zukunft wartet. Da weder Leila noch Hans mit ihm reden wollen, lehnt er sich in einem Stuhl an der Hauswand zurück und wirkt dabei plötzlich wie ein Westerner. Für Momente wird Sardinien in RAUCHZEICHEN immer wieder zur Westernlandschaft mutieren, so wie damals der Starnberger See in Thomes ROTE SONNE, als es bei Sonnenaufgang zum blutigen Showdown eines Liebesstreites kam. Das schafft eigentlich sonst keiner im deutschen Kino: die deutsche oder europäische Alltagsrealität mit den Mythen des Genrekinos so organisch zu verknüpfen. RAUCHZEICHEN, das ist ein Film über ein von Deutschen geführtes Ferienhaus auf Sardinien, in dem es zu Liebeswirren und mysteriösen Todesfällen kommt. RAUCHZEICHEN ist aber auch ein Western, ein Ethnofilm (man beachte die „indianische“ Anspielung im Titel) wie BESCHREIBUNG EINER INSEL (1979), ein Thriller wie DETEKTIVE (1969), ein Sandalenfilm wie DIE SONNENGÖTTIN (1992) und – wenn etwa Hannelore Elsner behauptet, als Astronautin auf dem Mond gewesen zu sein – ein utopischer Film wie SUPERGIRL von 1970. Es ist schon erstaunlich, wie die einzelnen Filme in Thomes umfangreichem und verzweigten Werk zusammenhängen. Es ist erstaunlich, wie Thome, einer der wirklichen Auteurs des deutschen Kinos, seinem Stil, deiner Haltung, dem Leben, der Liebe und dem Kino gegenüber treu bleibt – und doch immer etwas ganz Neues schafft. Wie alle Thome-Filme ist auch RAUCHZEICHEN ein Instant Movie am Puls der Zeit, in dem sich gewissermaßen Schlagzeilen mit märchenhaften Zügen vermischen. Es geht hier scheinbar nur oberflächlich um das Verhältnis zwischen Amerika und Europa, um Globalisierung und islamistischen Terror und den Tod des Kinos. Die Weltpolitik streift die innere Politik der Figuren und die Mythen der Geschichte. Leila etwa, der schöne, exotische Gast, entpuppt sich als arabische Prinzessin, die ins sardische Paradies geflohen ist, bedroht von einer Terroristengruppe, der sie einmal angehört hat. Der unwirsche Hans ist ein stets halbtrunkener Cinephiler, gegen alle Chancen verliebt in Leila. Inseinem Zimmer schaut er sich jeden Abend einen Film aus seiner umfangreichen Videosammlung an und bezeichnet sich selbst trotzig als Gott des Kinos. Kleine Götter, mythische Figuren in der sardischen Landschaft sind sie alle in RAUCHZEICHEN. Allen voran freilich Hannelore Elsner als Annabella Silberstein, im fünften Film nun Thomes Star. Sie ist hier eine Art Diva der Elemente, pflanzend, grabend, das Wetter und die Gestirne beobachtend. Natürlich verliebt sie sich in den Mann, der angekommen ist und übrigend Jonathan Fischer heißt und von Karl Kranzkowski gespielt wird, der auch schon öfters für Thome gearbeitet hat. Das Amerikanische in der Figur des Jonathan Fischer wird besonders hervorgehoben. Es sind Entschlossenheit und Tatkraft, die an ihm faszinieren, aber manchmal auch gefährlich erscheinen. Als er pragmatisch-zupackend in kürzester Zeit für Annabella Geldangelegnheiten regelt und einen riesigen Teich ausheben lässt, den sie sich immer gewünscht hat, scheint er die Idylle zu zerstören. Doch andererseits: auch arkadische Gefilde brauchen bisweilen eine Renovierung. Fischers Tatendrang, auch gegenüber Frauen so ganz allgemein, hat wohl seine erste Ehe ruinieret, aus der ein Kind hervorging. Seine geschiedene Frau Isabella Goldberg, gespielt von Adriana Altaras, betreibt jetzt zusammen mit Annabella das Gästehaus. Isabella wollte Fischer also wiedersehen auf Sardinien, und dabei hat er Annabella getroffen. Vielleicht sind die beiden Frauen sogar Schattierungen einer Figur, so wie Vergangenheit und Zukunft zusammengehören. Man hat die meisten Thome-Filme als urbane Filme in Erinnerung. Doch Thomes bevorzugte Schauplätze sind fast immer die verwitterten Oasen am Rande der Stadt, Biotope der Emotionen und Visionen. In RAUCHZEICHEN ist ganz Sardinien so ein seltsames Paradies, auf das freilich auch Schatten fallen. Ein Ort, mit dem Thome mit unglaublicher Lust am Erzählen und Fabulieren seine Utopie entwickeln kann: von einem wunderbaren Neustart und einer außergewöhnlichen Patchwork-Familie, zu der die Alten, die Jungen, die Ehemaligen und sogar die Toten gehören. Ein beglückender, ein großer deutscher Film. Paradise revisited. Mit zärtlich-genauem Blick und wagemutiger Fabulierkunst entwickelt Rudolf Thome auf Sardinien die realistische Utopie einer Love Story der zweiten Chance. Hans Schifferle, in epd Film 11/2006
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Rauchzeichen Eigentlich wollte Regisseur Rudolf Thome, einer der letzten noch aktiven Autorenfilmer aus der Blütezeit des Neuen Deutschen Films, seinen 24. Spielfilm bereits ein Jahr zuvor drehen. Doch wegen einer Erkrankung musste Thome die bereits geplanten Dreharbeiten kurzfristig abblasen, was ihn nach eigenen Angaben 80.000 Euro kostete. Zur endgültigen Realisierung von „Rauchzeichen“ musste Thome, der seine Filme stets auch selbst produziert, schweren Herzens die Rechte an einigen seiner „Klassiker“ wie „Berlin Chamissoplatz“ (1980) und „System ohne Schatten“ (1982) veräußern. Eine lohnende Morgengabe, denn mit „Rauchzeichen“ ist Thome (Jahrgang 1939) einer seiner phantasie- und stimmungsvollsten Filme gelungen, der zusätzlich durch die Auswahl des mediterranen Schauplatzes – eine entlegene Ferienpension auf Sardinien – geeignet ist, ein breiteres Publikum anzusprechen. Nach „Frau fährt, Mann schläft“ (2003) spielen Hannelore Elsner und Karl Kranzkowski wieder ein Paar, diesmal allerdings eines, das sich gerade erst unter südlicher Sonne kennen- und alsbald lieben lernt. Willig ergeben sich beide Individualisten ihrer Leidenschaft, die als willkommene Verjüngungskur genossen wird. Wie schon in „Paradiso“ (1999) versammelt Thome inmitten eines idyllischen Umfelds ein Figurenensemble, das seine kulturellen, Generations- und Geschlechterunterschiede durch die gemeinsame Freude an irdischen Genüssen überwindet. Man liebt und streitet sich, flirtet, angelt, kocht, pflanzt Olivenbäume, lässt große Teiche anlegen und zitiert mit Hingabe Hölderlin-Gedichte. Doch diesmal täuscht die Weltabgeschiedenheit: Auf die aktuellen Terrorismusdebatten reagiert Thome mit für seine Verhältnisse tragischen und actionreichen Handlungselementen. Doch letztlich kann die Gewalt die ländliche Idylle nur vorübergehend trüben, denn bei Thome siegen die Lust aufs Leben, die Liebe und die Ästhetik über die Profanität des Todes.
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Mit „Rauchzeichen“ vollendet Rudolf Thome seine „Zeitreisen“-Trilogie mit dem verbliebenen Film über die „Zukunft“. Wie bei den beiden vorausgegangenen Teilen „Rot und Blau“ (fd 36 628) und „Frau fährt, Mann schläft“ (fd 36 775) entwirft Thome auch diesmal nicht etwa eine Zukunftsvision, sondern vielmehr ein Spannungsgeflecht mit den Variablen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: In der Gegenwart sind Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen verborgen. „Rauchzeichen“ beginnt mit einer retro-futuristischen Variante der klassischen Western-Exposition, die an eine Zeit erinnert, als das „junge deutsche Kino“ seine Weltläufigkeit beweisen wollte. Jonathan Fischer aus Florida, ein agiler 60-Jähriger, „reitet“ per Flugzeug nach Sardinien hinein. Er ist auf der Suche nach seiner Ex-Frau Isabella, die mit einer Freundin ein Gästehaus am Ende der Welt führt. Dort angekommen, trifft er auf eine merkwürdige Gesellschaft. Zwar ist Isabella nicht anwesend, dafür aber deren Freundin Annabella Silberstein, in die sich Jonathan sogleich verliebt. Ferner leben gerade Annabellas Sohn Michael, Hans, der ständig betrunkene „Gott des Kinos“, und die „arabische Prinzessin“ Leila auf dem großzügigen Anwesen. Früh fühlt sich Joe in der scheinbaren ländlichen Idylle wie im Paradies, verstrickt in ganz gegenwärtige Liebeshändel mit Annabella. Doch seine Vergangenheit holt ihn ein, als er zunächst seiner Tochter Jade und später auch seiner Ex Isabella begegnet, die nach all den Jahren noch immer wütend auf den „Schweinehund“ ist. Mittlerweile hat sogar Hans bemerkt, dass Joe „so eine Unruhe hier rein bringt“. Doch da hat sich der Film bereits entschieden, die Liebe auf den ersten Blick zwischen Joe und Annabella zu feiern. Mit selbstbewusster Unbekümmertheit beginnt Joe, der übrigens einmal ein Rock-Star gewesen sein soll, das Leben auf Sardinien umzukrempeln: „Wer Bäume pflanzt, muss an die Zukunft denken“, weiß der frisch Verliebte und frisch gebackene Vater. Annabella, die einmal als Astronautin auf dem Mond war und von dort aus „das Leben und die Welt hier auf der Erde“ verstanden hat, gesteht Joe, dass sie davon träume, am Wasser zu leben. Der bietet sogleich sein Haus in Florida oder ersatzweise einen neuangelegten Teich auf dem Grundstück des Gästehauses an. Während sich Joe auf die Realisierung seiner Pläne stürzt, wird Leila Opfer eines Mordanschlags. Wenig später wird sich Hans, der in Leila verliebt war und im Film als passives, männliches Gegenmodell zu Joe fungiert, aus Selbstmitleid und Verzweiflung umbringen. Vor den Alten sterben die Jungen, doch das Leben geht weiter. „Uns kann das alles nichts anhaben, versprochen?“, bittet Annabella. Provokant schneidet Thome jetzt die Leere um die Toten gegen den Baulärm. Man wird Leila und Hans im Grund des Teichs bestatten; so spare man sich noch die Grabpflege, bringt es Isabella auf den Punkt. Glaubt man dem Presseheft, ist dies als Attacke des Realismus gegen die „bürgerliche Scheinheiligkeit“ gemeint. Bestattung und Hochzeit finden auf demselben Terrain statt. „Rauchzeichen“ bewahrt explizit den Tunnelblick der von Pathosformeln gesättigten Liebesmetaphysik, doch wenn man sieht, wie Joes Aktivitäten die sardische Landschaft verschandeln, wie Annabellas Angst vor den näher einschlagenden Katastrophen nur als Bedrohung des privaten Glücks empfunden wird, dann wähnt man sich – wider die Absicht des Films – als Zeuge eines durch und durch egozentrischen Methusalem-Komplotts, in dessen Verlauf sich distanzlose Alt-Rocker der Sardinien-Fraktion mit großer, fast schon imperialer Geste („Auf ein paar Tausend Euro kommt es mir nicht an!“) die Erde untertan machen und ihr Tun mit etwas pseudo-philosophischem Zierrat aufbrezeln. Insofern ist „Rauchzeichen“, dieser offensive Liebesfilm aus lauter Western-Einstellungen, diese filmische Liebeserklärung an Sardinien, für jüngere Zuschauer wohl in erster Linie ein veritabler Gruselfilm.
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Ein Platz an der sardischen Sonne Abseits vom täglichen Filmgeschäft dreht Rudolf Thome mit schöner Regelmäßigkeit seine Filme über die Liebe und das Leben. Auch „Rauchzeichen“ erzählt von Beziehungsgeschichten als großer Lebenskunst Im Gästehaus von Annabella und Isabella auf Sardinien bekommt nur ein Zimmer, wer zuvor eine Menge von sich verrät. Sogar die sexuellen Vorlieben werden in dem Formular abgefragt, das Jonathan Fischer (Karl Kranzkowski) ausfüllen muss. Der ältere Herr, der da an einem wunderschönen Morgen einfach auftaucht, hatte nicht reserviert. Er glaubt besondere Rechte auf einen Platz an der Sonne und in dieser Gemeinschaft zu haben. Durch eine lange Geschichte ist er, wie sich bald erweist, mit Isabella verbunden – die gemeinsame Tochter Jade kommt nur einen Tag später auf Sardinien an. Jonathan ist zu diesem Zeitpunkt schon hoffnungslos verknallt – in Annabella (Hannelore Elsner), die schöne Hausherrin. Vergangenheit und Gegenwart sind in Rudolf Thomes neuem Film „Rauchzeichen“ auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Dabei bleibt die Erzählung aber konsequent in der Gegenwart, das Vergangene erschließt sich indirekt. Mit souveräner Ruhe reiht Thome eine Einstellung an die nächste – allmählich setzt sich daraus das Bild einer Gruppe deutscher Ausgewannderter zusammen, die an dem schönen Ort auf der Mittelmeerinsel unter einem Dach leben. Da ist natürlich in erster Linie Annabella, die temperamentvolle Genießerin, die Olivenbäume pflanz und jeden Morgen ihre Wetteraufzeichnungen macht. Sie erwiedert die Liebe des tatkräftigen Gentlemans Jonathan, schon bald sind sie unzertrennlich. Der Konflikt mit Isabella, die zu Beginn noch nicht da ist, ist unausweichlich – er dauert aber nur ein heftiges Gespräch lang, dann treten andere Geschehnisse in den Vordergrund. Da ist Leila (Serpil Turhan), eine orientalische Prinzessin, die ein Geheimnis mit sich herumträgt und anscheinend in großer Gefahr schwebt. Da ist Hans (Cornelius Schwalm), ein schwieriger junger Mann, der in Leila verliebt ist und die schöne Umgebung weitgehend ignoriert – er sitzt den ganzen Tag in der Kammer und sieht sich Filme an. „Ich bin der Gott des Kinos“ ruft er pathetisch aus, umgeben von Videokassetten. Rudolf Thome ist sicher nicht der Gott des deutschen Kinos (das ja auch viele falsche Götter kennt), aber er ist schon so lange da, dass er eine gewisse olympische Distanz zum täglichen Betrieb wahren kann. Mit großer Regelmäßigkeit produziert er seine Spielfilme – seit „Detektive“ und „Rote Sonne“, mit denen er Ende der 60er Jahre berühmt wurde, sind es bald zwei Dutzend, und in den vier jüngsten hat jeweils Hannelore Elsner die Hauptrolle gespielt. Seit „Berlin Chamissoplatz“ (1980) ist Rudolf Thome so etwas wie der Chronist eines Westberliner bürgerlichen Milieus geworden, das in den Beziehungsgeschichten seine eigentliche Lebenskunst sieht. In „Rauchzeichen“ gibt es einen außergewöhnlichen Drehort (an den Rudolf Thome durch private Umstände geführt wurde), die Sonne über Sardinien rückt aber keineswegs in ein anderes Licht, was sich gut auch in der Uckermark abspielen könnte. Der dramatische Höhepunkt der Geschichte ändert an deren Duktus und deren Stimmung letztendlich nichts. Ein klassisches Maß herrscht hier – der Tod wird durch die Kulturtätigkeit (ein Teich wird angelegt) nicht überwunden, aber überlagert. „Die Katastrophen in den Nachrichten sind nicht mehr so unwahrscheinlich und unwirklich wie früher“, sagt Annabella zwar an einer Stelle. Die Filme von Rudolf Thome sind aber immer noch eine feste Burg, in die Fundamentalisten und Ironiker keinen Zutritt haben, weil edle Ritter wie Jonathan Fischer darin herrschen. Bert Rebhandl in „TIP“
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Italienische Reise mit deutscher Astronautin Betörend: Mit "Rauchzeichen" beendet Rudolf Thome seine Filmtrilogie "Zeitreisen" Rudolf Thome ist vielleicht der deutscheste Filmemacher. Deutscher noch als Syberberg, der Deutschtum-Protzer. Oft spielt er Märchen, diesmal führt "Rauchzeichen" in eine wahrhaft klassische Szenerie: Deutsche in einer bukolischen Idylle unter südlichem Himmel, in der Italiener nur am Rande auftauchen. In ihrer Mitte eine rätselhafte Prinzessin und ein gefallener Gott. Sie wollen die Landschaft noch schöner machen, als sie ist - können aber alte Verletzungen und Politik nicht aus ihrer Idylle drängen. Oberstudienrat Goethe wäre geschmeichelt: "Note eins. Setzen! All meine Motive in einem einzigen Film." Und Vertretungslehrer Hölderlin wäre sowieso begeistert, weil sein Gedicht "An Diotima" von Hannelore Elsner rezitiert wird. Ein größeres Wagnis kann man in einem deutschen Film gewiss nicht eingehen. Aber dieser Poesieausbruch ist zum Glück das einzige, was an eine Deutschstunde erinnert. Die Geschichte ist ganz aus dem Hier und Jetzt: Ein Mann kommt aus Amerika nach Sardinien, um seine Ex-Frau zu treffen. Er erfährt, dass er eine Tochter hat, und verliebt sich. Die ganzen Bildungsbezüge werden eher unterspielt. Vor allem ist "Rauchzeichen" einer dieser typischen Thome-Filme, in denen sich alle kreuz und quer lieben - mal erotisch, mal eher familiär - und in dem der Zuschauer nicht anders kann, als die Schauspieler zu lieben, die der Regisseur um sich gesammelt hat: Karl Kranzkowski spielt wieder mal den Mann in den besten Jahren, Hannelore Elsner ist sein weibliches Pendant, Adriana Altaras die beste Freundin und Serpil Turhan eine rätselhafte Tochtergestalt. So war die Konstellation schon bei "Rot und Blau" (2002) und bei "Mann fährt, Frau schläft" (2005), den ersten beiden Teilen der Trilogie "Zeitreisen". Weil die Elsner hier eine Ex-Astronautin ist, steht "Rauchzeichen" für die Zukunft - so wie die früheren Filme für Vergangenheit und Gegenwart standen. Man muss diesen mythologisch-philosophischen Überbau aber gar nicht zur Kenntnis nehmen, um den Film zu mögen. Man kann sich einfach betören lassen von der tiefen Heiterkeit, mit der er aus weitem Himmel auf seine Figuren herabblickt. Matthias Heine in Berliner Morgenpost, 16.11.06
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Rauchzeichen Der Autorenfilmer Rudolf Thomé erzählt eine vieldeutige Liebesgeschichte – es ist zugleich eine Geschichte über Terrorismus und Tod. Drama mit Hannelore Elsner. Dieser Film hat etwas von einer Utopie, weil es hier um eine Lebenswelt geht, die im Grunde alltäglich ist. Ein Amerikaner um die 60 kommt nach Sardinien, um seine Ex-Frau Isabella wieder zu sehen, die im kargen, wilden Nirgendwo der Insel eine Pension betreibt. Er trifft sie zunächst nicht an, begegnet stattdessen Annabella - gespielt von einer wunderbar präsenten, stimmigen Hannelore Elsner. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Das gibt es, unabhängig von Zeit und Raum, auch im Alter. In der Pension herrscht von Anfang an eine seltsame Stimmung, es ist eine eigene, entrückte Welt. Da ist das mysteriöse Mädchen Leila und Hans, der sie verzweifelt liebt, eine einseitige Liebe. Joe ist nicht willkommen, daraus macht zumindest Hans keinen Hehl: "Scheiß Amis, glaubt, euch gehört die Welt!" Tatsächlich begegnet Joe dieser fremden Gesellschaft mit jener Unbekümmertheit und Selbstverständlichkeit, die ihn nach den gängigen Klischees sofort als Amerikaner kenntlich machen. Regisseur Thomé inszeniert diesen Auftritt optisch nach Westernmanier. Dann taucht Jade auf. Joe fährt los, um sie abzuholen - immerhin ist sie seine Tochter. Eine komische Begegnung ist das, weil Vater und Tochter Fremde sind, und doch hat ihre Begegnung und die Art ihres Umgangs eine ganz eigene Natürlichkeit. Es kommen noch mehr Leute an, neue Gäste, darunter auch die seltsame Figur eines sardonischen Italieners namens Giorgio. Und dann wird Leila mitten am Tag beim Fischen umgebracht. Leila, die mysteriöse arabische Prinzessin, die an der Seite ihres Freundes in einer islamistischen Terrorgruppe gekämpft haben will, floh vor der Vergangenheit. Das sind Momente, in denen das sardische Paradies seine Unschuld verliert, brüchig wird und die Bewegungen, die Ereignisse der Welt hereinbrechen. Die einzige Hoffnung die bleibt, ist die Liebe: "Liebe ist stärker als alles Andere auf der Welt", sagt Annabella. Eine schöne Utopie, die Hoffnung macht. In diesem Film gibt es ein Happy End. Thomé beschreibt eine italienische Idylle, ein Biotop menschlichen Zusammenseins, das durchaus realistisch gezeichnet ist, auch in der Art, wie die Figuren charakterisiert sind: Es geht um Verletzungen und Enttäuschungen, um gescheiterte Beziehungen und solche, die gar nicht erst möglich sind. Es geht um den globalen Terrorismus und die Unmöglichkeit, dem zu entkommen. Annabella etwa flüchtet sich gern in die Welt des schwäbischen Dichters Hölderlin, den sie mit Vorliebe zitiert. Hannelore Elsner, die schon oft mit Thomé drehte, ist die zentrale Figur dieses Films. Ihrem Charisma und Energie, die sie im Zusammenspiel mit Karl Kranzkowski als Joe entwickelt, ist es zu verdanken, dass man dran bleibt an diesem Film. Auch wenn er manchmal ein bisschen zu philosophisch, zu manieriert daherkommt. Heidi Reutter, in Kino Kino BR-Online
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Rauchzeichen Kino wagen. Das neueste Werk von Deutschlands Autorenfilmer Nr. 1 heißt RAUCHZEICHEN. Ein Mann (Karl Kranzkowski) kommt an auf Sardinien, in einem Gästehaus, das von zwei Deutschen betrieben wird: Annabella (Hannelore Elsner), die sich in diesen Jonathan verlieben wird, und Isabella (Adriana Altaras), seine geschiedene Frau. Zwei weitere Gäste gibt's, Leila, eine junge Frau aus dem Süden und den unwirschen Hans, einen Cinephilen, der abends auf seinem Zimmer großes Kino besichtigt. Annabella pflanzt, gräbt, übt sich in Naturverbundenheit, Jonathan, durch langen Amerikaaufenthalt geschult, ist zupackend, pragmatisch, kümmert sich bald um Annabellas Geldangelegenheiten und läßt einen Teich ausheben. Ein Unikat – und wie immer bei Thome: Realia, leiche Überhöhung und spielerische Zeichensetzereien. IN München Nr. 23, 9. 11. 06 |