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Süddeutsche Zeitung, 30.11.79   Frieda Grafe, Eine Fahrt ins Blaue
Der Tagesspiegel, 13.10.79   Peter Nau, In der Südsee
Der Tagesanzeiger, Zürich   Martin Schaub, Rudolf Thomes Ethnografie - Spiel
Flugblatt zum Filmstart   Rudolf Thome, Beschreibung einer Insel



EINE FAHRT INS BLAUE
Rudolf Thomes und CynthiaBeatts Film "Beschreibung einer Insel"

Frieda Grafe
Süddeutsche Zeitung
30.11.79
Ein ethnographischer Spielfilm, ein Film, in dem Ethnographie mitspielt - beiläufig werden die fiktiven Triebfedern, die Abenteuerlust, die Träume an den verwobenen Wurzeln von Wissenschaft mit bloßgelegt. Die armen Künstler bezahlen so oft mit schlechtem Gewissen, daß sie den Nachweis ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit nur schwer erbringen können. Egal, was einen Forscher in die Ferne treibt, er leistet immer etwas für die Menschheit. Ein weites Feld. Vom Film gelegentlich berührt. Der Film ist nämlich dreieinviertel Stunden lang. Ausreichend Zeit, Gedanken und Blicke wandern zu lassen.

Rudolf Thome wird zurecht unwirsch, wenn man seinen Film ethnologisch nennt. Dessen Geschichte ist die Erstellung eines Buches, Vorarbeit zum Schreiben, zur Graphie. Mit anderen Mitteln. Keineswegs interpretative Völkerkunde. Ethnographie passiert, wie heute die Sprachschöpfer von Politik und Fernsehen sagen, vor Ort.

Fünf junge Leute spielen für den Film Forschungsreisende, nicht wie Kinder, die, eher abstrakt, Indianer spielen. Sie fahren wirklich um die Welt bis in die Südsee. So einfach ist das heute. Bis auf die muschelförmige Kraterinsel Ureparapara im englisch-französischen Condominium der Neuen Hebriden. Die Expedition hat eigens eine Zeichnerin dabei. "Captain Cook und die anderen Entdeckungsreisenden in der Südsee haben immer einen Zeichner dabei gehabt.” Das ist für diesen Film zweihundert Jahre nach Captain Cook ein ernster Grund. Außerdem gibt es einen Vermesser und eine Botanisiererin und zwei kümmern sich um Sprache und Gebräuche. Zu ihnen stößt, schon auf der Insel, ein weißer Eingeborener, der Bruder der Koregisseurin.

Die Neuen Hebriden

Wem die Gelegenheit sich bietet, der sollte, vor oder nach dem Film, die Nummer der Zeitschrift Filmkritik vom Mai 77 lesen, die das Projekt Beschreibung einer Insel beschreibt. Nicht um dann hämisch den Finger legen zu können auf die zerplatzten Träume, auf alles, was daneben gegangen ist, was nicht im Film ist. Der Abstand vom Vorwurf zur Realisation beschreibt die Intention der Regisseure. Der Weg ist die Methode, sagt Jean Rouch.

Ich glaube Thome, wenn er sagt, mit Leuten, die sich besser verstanden hätten, mit weniger Krankheit, mit weniger Pannen hätte für ihn der Film nicht besser werden können. So wie er konzipiert ist, hätte er mit besser harmonisierenden Leuten auch schlechter werden können. Und sicher wäre er auf einer glücklicheren, weniger umwölkten Insel nicht so dramatisch geworden. Es war Teil des Projekts, daß alle sich ereignenden Dinge gleichermaßen Platz finden könnten in dem Film. Das alte Erzählschema mit Anfang, Mitte und Ende ist außer Kraft. Ereignisse im letzten, im sechsten Monat des Aufenthalts hätten sehr wohl alles Vorhergehende in ein neues Licht versetzen können.

worüber der Zuschauer sich eingangs klar sein muß: Die Bilder im Film sind so realistisch wie beim abgefeimtesten Kommerzkino. Sie sind simuliert, für die Kamera wiederholt. Sie spielen ihre Unschuld. An ihnen ist genausoviel natürlich wie an den Fernsehbildern, die lebensvoll und hautnah Vertrautheit mit den großen Ereignissen dieser Welt in unseren Wohnzimmern installieren. Dieser Film rechnet mit dem, was das Fernsehen fürs Sehen an Veränderung gebracht hat. Er stellt sich um. Er versteht sich als Kinomöglichkeit im Fernsehzeitalter. Er hat sich vorgenommen zu konkurrieren mit der Unmittelbarkeit, die täglich aus der kleinen Kiste kommt. Die, wie jedermann weiß, mit Unmittelbarkeit aber auch gar nichts zu tun hat. Deshalb ist die Beschreibung einer Insel wie durchs Lorgnette geschaut.

Die Kamera ist in den Bildern allgegenwärtig, aber anders als in den Filmen, die man zu seinen Vorläufern oder Verwandten rechnen könnte. Keine partizipierende Kamera wie bei Flaherty, keine Kontaktkamera wie bei Jean Rouch. Sie ist wie eine dicke Studiokamera, die auf Distanz hält. So kommt eine unindividuelle, kollektive Sache zustande. Der nicht sichtbare Mann hinter der Kamera ist nicht der alte Autor-Gott, der alles schon immer weiß. Er ist wie Warhol die Registriermaschine, die gleichermaßen entfernt von den alten Unterscheidungen fiktiv und dokumentarisch ein Auge hat für Minimales, Ungeplantes, das früher aus dem Rahmen und damit unter den Tisch fiel.

Erfindung und Wirklichkeit

Thome will an den Kinoprozeduren nicht eigentlich die Abbildung verändern, wie Michael Snow das tut durch eine Veränderung im Gebrauch der Apparate oder auch Costard. Er möchte der Kamera anderes Futter bieten, statt Geschichten einen freien Raum für Spielbegabung. Das heißt, die Grenzen zwischen Erfindung und Wirklichkeit sind noch mehr verwischt als üblich. Und, wie man sich erinnern möchte, war genau das der springende Punkt für die ersten Zuschauer der bewegten Bilder. Auch wenn heute der Zuschauer blasiert so tut, als sei er über dieses Stadium seit langem hinaus, lebt, abgesehen vom Experimentalfilm, das Kino noch immer von dieser Grundkonstellation.

Die Leute auf der Insel, unter schwierigen, ungewohnten Lebensbedingungen, hatten Streit miteinander. Was wir davon zu sehen bekommen, ist zwar ein intensiv gefühlter, aber dennoch selektiver Teil. Es ist ein abgebildetes Stück Streit, dem eine im üblichen Spielfilm nicht vorkommende Qualität beigemischt ist. In diesem Film darf man grundsätzlich als gegeben annehmen, was man als ordentlicher Kinozuschauer sich sonst versagt; daran zu denken, wenn Lauren Bacall und Humphrey Bogart sich auf der Leinwand küssen, es nicht allein für uns. die Zuschauer ist. Als Filmperson zum Beispiel heißt Cynthia Beatt auch weiter Beatt, nur ihren Vornamen hat sie in Gin vertauscht.

Es gibt noch mehr Indizien, daß die Beschreibung einer Insel ein, wenn auch anders konstruierter, aher doch gespielter Film ist. Das, was vom Leben auf der Insel gezeigt wird, bleibt immer beispielhaft, zitiert, lebendes Bild. Ähnlich genau gestaltet ist, das Gesprochene des Films. Es alternieren Erörterungen, Unterhaltungen mit Geschichten erzählen. Der Customchief erzählt eine Legende, Brian Beatt eine Münchhausen-Aufschneiderei, die Botanisiererin steckt das ganze Unternehmen in Traummetaphern. Die Regisseure aktivieren auf diese Weise ihre Figuranten, die sprechend Fiktives und Persönlichstes verbinden. Das erinnert an Brice Parrain in Godards Vivre sa Vie, wenn er nach der Erklärung linguistischer Probleme Anna Karina die Geschichte des Porthos aus den Drei Musketieren erzählt.

In diesem Film spiegeln sich nicht nur zwei Welten ineinander und stellen aneinander sich dar, im Grunde sind es drei. Das Trüppchen der Deutschsprachigen, deren Akzente allein sich so voneinander unterscheiden, daß man zuweilen den Eindruck hat, allein das könnte Anlaß genug zu Dramen sein; dann die dunklen Bewohner der Insel und schließlich die beiden, zwischen den Kulturen verlorenen "Kolonisatoren". Ein so perfekt konserviertes Englisch mit entsprechenden Gesten, ein solches "over" wie bei Brian, der sich über Funk mit seiner Schwester im Krankenhaus verbinden läßt, bekommt man allenfalls von Hollywoodchargen englischer Herkunft zu hören, von George Sanders oder C. Aubrey Smith. '

I am walking in the light of God, singen zwei Halbwüchsige, wenn sie in den tiefgrünen Wald marschieren, um eine Falle aufzustellen. Es klingt wie Hulahula. Auch die anderen Lieder, die man hört, haben anglisierten Text zur fremden Musik. Der Rhythmus scheint aus einer anderen Zeit zu kommen. Als sie zuvor glücklich auf einer anderen Insel wohnten, von der die Hurricane sie vertrieben. Man sieht sie als langen glitzernden Strich am Horizont, ein Traumbild von einer Insel in der Sonne. Ein wehmütiger Schwenk, in den entfernte Musik einfällt. Aus dem Ureparapara-Projekt ließ sich auf jeden Fall nur ein Spielfilm machen, weil das, wovon er handelt, so weit weg ist. Definitiv vorbei.


IN DER SÜDSEE
Rudolf Thomes und Cynthia Beatts Film
"Beschreibung einer Insel"

Peter Nau
Der Tagesspiegel
13.10.79
1977 publizierte die Filmkritik" als Mai-Nummer das Projektbuch zu diesem ethnographischen Spielfilm" mit Texten sowie Fotos und Karten von Ureparapara, einer kleinen Vulkaninsel im Norden der Neuen Hebriden. "Ich habe mir die, Insel nicht so vorgestellt", spricht mir eine der Expeditionsteilnehmerinnen aus dem Mund, während sich das Boot durch das Tiefblau des Meeres auf ein riesenhaftes, schwarzgrünes Massiv zubewegt.

Begrüßung und Abschied stehen am Anfang und Ende des Films. Für ihre Arbeit wollen die Inselbewohner kein Geld, sondern schlagen ein Boot vor als Gegengabe. Sie erzeugen Kopra aus Kokosnüssen und kaufen sich für den Erlös Tabak, Zucker, Zündhölzer, Seife, Reis, Biskuit, Bier, Thunfisch und Batterien. Ein kleiner Junge findet Gefallen am Kassettenrecorder von einem der Deutschen und bezahlt am Ende mit Muscheln. Diese Kinder, die nachher, in Europa, so sehr vermißt werden wie "das Pflanzliche” der Umgebung, das Hinuntergehen zum Meeresstrand nach dem Aufstehen, das Geborgensein - bei aller Fremdheit - im festgefügten, langsamen Lebensrhythmus der Inselbewohner ...

Die Expedition besteht aus vier Frauen und einem Mann. Sie hat zum Ziel die Publikation eines Buches über die Insel. Geographie, Sprache, Überlieferungen, Lebensverhältnisse werden arbeitsteilig von den jungen Leuten untersucht. Wie sie die Dinge erfragen, daran hat der Zuschauer teil. Ihm sind dieselben Rätsel aufgegeben, vor denen sie, die Fragenden, stehen: Das zähe Begreifenwollen eines Brauches, der zu tun hat mit Teufeln und mit einem bemalten Hut. Dann das Ausquetschen aus Wurzelrinden und Anrühren der Farben, das Bemalen des Hutes, und im Surren der Mücken die reine Gegenwart, der Augenblick des Filmens. Auf den Tonbandprotokollen, die sie mit nach Hause bringen, wird im festgehaltenen Krähen der Hähne den Zurückgekehrten noch einmal die schwere Luft entgegenströmen, die sie krank machte.

Auf Reef-Island, bevor sie nach Ureparapara kamen, waren die Eingeborenen glücklich. Warum werden sie hier nicht glücklich? Der Zustand, in dem sie leben, ist "low". Was heißt das? Sie arbeiten hier für Geld, und das nur, um am nächsten Tag wieder von vorn anzufangen. Sie leben unter einer drückenden Wolke. Der Himmel schließt sich über den Menschen wie der Deckel eines Koffers. Die Bucht ist ein Loch, in das der Wind hereinweht und verfault.

Die "customs", kultische Bräuche, wurden von christlichen Missionaren verboten. Die Missionare starben einen frühen Tod in diesem höllischen Klima. Jetzt gibt es eine Partei, die dafür eintritt, daß die alten Bräuche wieder aufleben. Sie ist verbreitet über die Inselgruppen der Neuen Hebriden und vertritt die Rechte der Eingeborenen. Ein Brautkauf und dann eine Hochzeit nach christlichem und nach "Custom"-Ritus, überschattet von Trauer wie ein Begräbnis. Ein Stammestanz.

Zuerst wird für die Fremden ein Gemeinschaftshaus aufgebaut. Ein kleines Kind hat vor sich ein großes Palmenblatt liegen, aus dem es die Blattadern zieht. Ein anderes Kind trägt eine Falle in den Wald. Die Kinder dort kennen kein Spielzeug in unserem Sinn. Sie stellen sich selbst etwas her, und dieses Herstellen macht ihnen Spaß. Wenn das Spielzeug dann fertig ist, besitzt es für sie oft keinen Wert mehr.

Ein Wort für "Dach", scheinen die Eingeborenen nicht zu kennen. Sie sprechen von einer "Seite", so wie von den anderen Seiten des Hauses. Einige sprechen englisch. Die Neuen Hebriden sind britisch-französische Kolonie. Diejenigen der Expeditionsteilnehmer, deren Muttersprache Englisch ist, zeigen sich im Umgang mit den Inselbewohnern spontaner, inniger und freier als die deutschsprachigen. Von dieser Innigkeit ist der liebevollste Ausdruck die Stelle, an der sich ein kleiner Polynesierjunge in der Hängematte an den Bruder von Cynthia Beatt schmiegt, der später noch zu den andern auf die Insel gestoßen ist.

Joris Ivens hat in seinen China-Filmen etwas getan, was auch auf "Beschreibung einer Insel" zutrifft. Er hat dem europäischen Zuschauer eine Welt entdeckt, die der unseren fern ist, aber in diesem anderen hat er gleichzeitig das Ähnliche gesehen, das, was uns unmittelbar mit den Leuten in China verbindet. Dies ist die entgegengesetzte Haltung zum Exotismus, der das Fremdartige, seinen pittoresken Aspekt, isolierend, ausbeutet. Gleichzeitig nehmen Beatt und Thome, so wie sie die Menschen von Ureparapara ernst nehmen, auch diejenigen ernst, die zu ihnen kommen, um sie und die Insel zu studieren. Darin, wie sie ihre Vorgehensweise, Schwierigkeiten und Konflikte aussprechen, reflektiert der Film sich selbst im Prozeß seines Entstehens.

Und dann sind da wieder die wirklichen Bilder dieser "Beschreibung". Ein Baumstamm, der durch das silbrig-grüne Wasser an Land gebracht, ausgehöhlt und als Trommel verwandt wird. Die Südseemusik und das T-Shirt eines der Trommler mit der Aufschrift "Air Polynésie". In der Locke eines anderen Trommlers zwei tiefrote Blüten, leuchtende, brennende Punkte vor dem modrigen Grün der Berge. Ein dunkles Gesicht in der Schwärze der Nacht. Geschichten von bösen Geistern und faulen Haien. Das Tauchen im grünen Blau des Meeres wie in einer Spiegelung bewaldeter Berge.

"Das Schiff kommt an", sprechen am Ende die Zurückbleibenden, wenn ihr weggeht, werden wir bleiben. Das ist alles." (Klick)!


Rudolf Thomes Ethnographie - Spiel

Martin Schaub
Tagesanzeiger, Zürich
Mit einem ganz eigenartigen und doch im Grunde sehr normalen Film geht am Dienstag die Retrospektive des «Filmpodiums» auf das Werk des deutschen Filmemachers Rudolf Thome zu Ende: mit der etwas über drei Stunden dauernden «Beschreibung einer Insel», die Thome einen «ethnographischen Spielfilm» nennt. In manchem sieht «Beschreibung einer Insel» den Beziehungsfilmen «Made in Germany und USA» und «Tagebuch» ähnlich, in Wesentlichem geht sie darüber hinaus.

«Beschreibung einer Insel» gibt ein filmisches Bild des Atolls Ureparapara und seiner Einwohner, einer der «hintersten Ecken» der Welt (das Atoll gehört zu den Banks-Inseln, Neue Hebriden; man findet es nur in sehr guten Atlanten). Der Film gibt aber auch ein Bild einer irgendwie fiktiven «Forschergruppe», die mit dem Vorsatz dahin gekommen ist, alles zu sammeln, um ein Buch über diesen abgelegensten Flecken Erde zu machen, der 1789 erstmals von abendländischen Menschen erblickt wurde. Es gibt also einen Forschungsgegenstand und eine fiktive Situation, die ihrerseits natürlich real ist; im Idealfall konnte Rudolf Thome, dieser ziemlich unerreichte Spezialist eines «neutralen Blicks», beides gleich behandeln, und das, obwohl er und Cynthia Beatt selber - wie schon im «Tagebuch» - ebenso Personen des Dramas (des fiktiven und realen) waren wie Berichterstatter.

Prinzipielle Offenheit

Rudolf Thome schrieb ungefähr ein Jahr vor dem Aufbruch ins total Ungewisse: «Die Tatsache, dass es während der gesamten Drehzeit, bis zum letzten Drehtag offenbleibt, ob nicht an diesem Tag eine Szene entstehen wird, die die Bedeutung alles Vorangegangenen über den Haufen werfen wird und die alles bisher Geschehene, Erarbeitete und Erlebte in einem neuen Licht erscheinen lassen wird, ist eine Herausforderung an die Phantasie jedes an diesem Prozess Beteiligten.»
Die prinzipielle Offenheit dieser Europäer, die die Insulaner kennenlernen und sich selber durch die Insulaner stellt eine bestimmte ethnographische Literatur in Frage. Der englische Kapitän, der das Atoll als erster Abendländer gesehen hat, hat sein Schiff nicht einmal verlassen, aus Angst, wie er schrieb. Knapp 200 Jahre später sind Rudolf Thome und seine Equipe an Land gestiegen mit dem Vorsatz, sich mit dem Land und mit sich selber einzulassen. Wenn man «Beschreibung einer Insel» sieht, fragt man sich oft nach der Brauchbarkeit und der Stichhaltigkeit ethnographischer Klassiker (Malinowski und Mead zum Beispiel). Warum haben sich diese Autoren hinausdividiert, und wie war das überhaupt möglich? Warum liest man nichts von den Erkrankungen der Forscher, nichts von der Dynamik eines «neuen Lichts», das auf die Methode und die ersten Ergebnisse dieser Methode in einem bestimmten Feld geworfen wurde? Warum waren sie unfähig oder zu stolz, Ergebnisse als einen Prozess darzustellen?

Möglichkeiten, Grenzen der Kommunikation

«Beschreibung einer Insel» ist ein Film über Möglichkeiten uhd Grenzen der Kommunikation. Verschiedene Szenen machen die spezifische und darüber hinaus die allgemeine Problematik jeder Mitteilung erlebbar. Wenn zum Beispiel die Ethnologin Gaby Baur sich eine Geschichte erzählen lässt in einer Sprache, die sie nicht versteht, und den Erzähler mit diversen «Mhm, mhm» ermuntert, wenn sie später ein Originaltranskript erstellt und sich die Geschichte von der Entstehung der Insel in ein fast so fremdes Pidgin English übersetzen lässt (und wir das in unser Deutsch übertragen), Jann geht uns gleichzeitig auf, dass im Grunde nie zwei Personen das gleiche denken können.

Rudolf Thome lässt in «Beschreibung iner Insel» immer offen, ob die Konflike seiner Inselbeschreiber echt oder «nur» gespielt sind; sie könnten immer beides sein. Echt bleiben die Inselbewoher, echt bleibt der Urwald, echt sind die Krankheiten, die sich die Mitglieder der Filmequipe geholt haben. So ergibt sich ein äusserst vieldeutiges und eng geknotetes Gewebe aus Reflexion und Beschrieb, aus nah und fern, in einem eigentümlichen Licht von milder und beiläufiger Rationalität. Man kann in «Beschreibung einer Insel» viel lernen und viel begreifen, indem man sich sowohl der Realität wie dem Spiel aussetzt, indem man teilnimmt an dem Anverwandlungsprozess, den Thome inszeniert/erlebt. «Beschreibung einer Insel» läuft im Movie 1 heute Dienstag, 26. Februar, um 14.00, 17.30 und 21.00 Uhr.)


BESCHREIBUNG EINER INSEL

Rudolf Thome
Flugblatt zum Filmstart
"Beschreibung einer Insel" ist ein Film Über Leute, die etwas zu machen versuchen, was von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Fünf Europäer (eine Engländerin, ein Österreicher, eine Österreicherin, eine Schweizerin und eine Norddeutsche - alle mit deutlich hörbarem lokalem Akzent) und ein zufällig zur Gruppe stoßender Amerikaner reisen zu der abgelegenen Südseeinsel Ureparapara, die zur Gruppe der Neuen Hebriden gehört. Der erste weiße Mann, der diese Insel gesehen hat, war Captain Bligh, der nach der Meuterei auf seinem Schiff "Bounty" dort vorbeitrieb und es nicht wagte an Land zu gehen: Aus Angst aufgefressen zu werden. Die Fünf wollen in einem Buch beschreiben, was es alles auf dieser Insel gibt: die Menschen, ihre Sprache, ihre Bräuche, ihre Institutionen, ihr Verwandtschaftssystem, ihre Lieder, ihre Geschichten. Aber nicht nur das, sondern auch die Pflanzen, die Namen der Pflanzen und das, was die Bewohner der Insel damit machen. Und auch die Tiere, die Muscheln am Strand, die Fische im Meer und die Steine. Es ist der naive Versuch, eine Totalität zu erfassen. Sie haben sich eine kleine, begrenzte Welt, eine Insel, ausgesucht - in der Hoffnung, alles dort Vorfindbare sei zu überschauen. Die chaotischen Zustände in der nicht mehr verstehbaren, nicht mehr überschaubaren zivilisierten westlichen Welt haben diese Sehnsucht nach Einfachheit und Klarheit in ihnen ausgelöst.

2.
Ureparapara ist ein gewaltiger Vulkan, dessen Ostwand eingebrochen ist. An derStelle des früheren Kraters ist eine riesige Bucht. Der Film beginnt damit, wie die Fünf mit einem Schiff langsam in diese Bucht hineinfahren. Sie fahren wirklich dahin, wovon sie vorher geträumt haben. Sie gehen wirklich in diese fremde Welt. Sie erklären den Bewohnern der Insel, warum sie gekommen sind und arrangieren sich mit ihnen: für die Leistungen der Inselbewohner müssen die Europäer mit einem Motorboot bezahlen. Doch bald merken sie, daß das, was sie machen, nicht das ist, wovon sie geträumt haben. Der Übergang in das Inselleben ist mißglückt. Sie sind gleichzeitig da und nicht da. Sie haben ihre eigene Welt, ihre Lebensgewohnheiten, ihre Art zu essen, zu reden in diese Welt mitgebracht. Sie haben Angst vor dem Fremden (obwohl sich die Inselbewohner sehr herzlich zu ihnen verhalten), sie ziehen sich zurück und beklagen ihre Situation. Gegensätze brechen zwischen ihnen auf. Es bilden sich feindliche Lager. Die Gruppe zerfällt in einen englisch- und einen deutschsprachigen Teil. Jeder zieht sich in sich selbst zurück. Sie haben Moskitonetze, um sich vor den Moskitos, die es auf Ureparapara sowohl am Tage, wie auch in der Nacht gibt, zu schützen. Aber die Moskitonetze schützen sie auch vor der fremden Welt. Anna, die Malerin, sagt am Schluß des Films: "Ich weiß gar nicht mehr, wie ich jemals wieder ohne Moskitonetz leben kann”

3.
"Beschreibung einer Insel" ist ein Film. Es muß eine Kamera, ein Tonbandgerät und Leute, die sie bedienen, gegeben haben. Und es muß Jemanden gegeben haben, der entschieden hat, was gefilmt wird und was nicht (Regie). Im Film, der ein Spielfilm sein will, aber die Grenzen, die Regeln des Spielfilms nicht beachtet, sieht der Zuschauer diese Leute (das Filmteam) nicht. Der Film geht, frustiert von den Frustrationen seiner Protagonisten, einen eigenen Weg. Er beginnt, zunächst zögernd, das zu tun, was diese nicht können. Er übernimmt die Aufgabe der Personen im Film und versucht - domonstrativ - das zu tun, was diese ursprünglich tun wollten. Er zeigt, wie die Inselbewohner ein Haus bauen. Er zeigt, wie Laplap, ein im Erdofen zubereitetes Gericht aus zerriebenen Yams- und Taro-Knollen, gemacht wird. Er zeigt wie Kava, das nationale Rauschgetränk der Inselgruppe, zubereitet wird. Er nimmt die Rolle der Besucher ein. Er erklärt nichts, sondern zeigt alles so, wie es sich abspielt. So genau wie möglich. Für den Zuscheuer ist diese Kommentarlosigkeit, das unvermittelte Konfrontiertsein mit einer total fremden Welt, ein Schock. Es ist so, als wäre er plötzlich selbst (für einige Augenblicke) auf dieser Insel.

4.
"Beschreibung einer Insel" ist wie ein Traum. Das, was man als Zuschauer sieht (und hört) verselbstständigt sich, entwickelte eine vertrackte Eigengesetzlichkeit. Das alles klingt kompliziert, aber der Film ist klar und einfach: eigentlich muß man nur Zeit haben und hinschauen. Und auch Geduld, um den verschlungenen Wegen, die er geht, zu folgen. Es ist etwa so, als ob man einen wunderschönen Traum hat, den man gerne weiterträumen möchte, aber irgendwelche Ereignisse aus der Umwelt versuchen einen aufzuwecken. Der Film klammert sich verzweifelt an seinen Traum. An sein Traumziel. Er versucht zu tun, was getan werden muß. Und er vernachlässigt - was wiederum konsequent ist - das, was eigentlich mit diesen sechs Menschen auf der Insel geschieht. Er zeigt die Ereignisse auf der Insel nicht mehr in ihrer zeitlichen Abfolge. Vieles passiert. Krankheiten, Streitigkeiten. Der Film zeigt davon, wie die Spitze eines Eisbergs, nur noch einen Teil: Gespräche der Beteiligten, Reflexe. Reflektionen, so wie es im normalen Leben westlicher Menschen üblich ist. Das alles sieht schrecklich aus, die Gespräche der Europaer hören - in dieser Umgebung - sich schrecklich an. Das, was man im Film sieht, ist ein erschreckendes Porträt von uns selbst: "In der Fremde ist niemand exotisch als der Fremde selbst." (Ernst Bloch).

5.
Wir leben in einer Welt, in der es wichtig ist, ununterbrochen auf die Uhr zu schauen. Ureparapara ist eine Welt, in der es zwar bereits ein paar Uhren gibt, in der es bereits einige Transistorradios gibt, die am Abend, wenn die Sonnne untergegangen ist, vor den Nachrichtensendungen, die Zeit ansagen. Aber das, was für uns die Uhrzeit bedeutet, existiert dort nicht. Wichtig sind dort die Rhythmen der Natur. Der Mond. Die Sonne, am Allerwichtigsten ist das Meer, ist Ebbe und Flut. Die Gezeiten bestimmen die Zeit. Das was getan werden muß, weil es jetzt getan werden kann, Der Film versucht, so gut er es eben kann, das westliche Zeitgefühl abzuwerfen und in diese Zeit, die sich noch nicht verselbständigt hat, die nur von den Ereignissen der Natur bestimmt ist, einzutauchen.

6.
Auch das ist eine Utopie. Sie spiegelt sich wider ein bißchen, in der Zeit, die es dauert, um diesen Film zu sehen: drei Stunden und zwölf Minuten. Das ist sehr lange für Menschen, die (anders als die Menschen auf Ureparapara) täglich mindestens zehmal auf die Uhr schauen, die müde sind, weil sie den ganzen Tag haben arbeiten müssen und die vielleicht am nächsten Tag wieder arbeiten müssen. Aber der Film vermittelt das Gefühl für eine Welt, die neben oder besser mit unserer Welt existiert. Sich auf diesen Film einzulassen ist ein Abenteuer, das das, was wir jeden Tag tun (tun müssen, um zu Überleben in unserer Welt) in Frage stellt.

7.
"Beschreibung einer Insel" stellt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Wissenschaftlich sein heißt, erkennen, was ist und dabei methodisch vorgehen. Der Film zeigt Menschen, die naiv und direkt, als Amateure, zu verstehen versuchen, warum die Menschen auf Ureparapara, dieses oder jenes tun. Gin versucht in einer zehn Minuten dauernden Szene das Tamate-System (eine Art Geheimbund der Männer) zu verstehen. Je genauer Donald, ein Bewohner der Insel, ihr zu erklären versucht, was jede Einzelheit bedeutet und je mehr sie die sich darin verbergende Philosophie der Ureparaparaner zu verstehen scheint, um so mehr verstehen wir Zuschnuer, daß wir es nicht verstehen können. Ganz unmittelbar werden wir hier mit einer anderen Art des Lebens und Denkens konfrontiert. Wir werden in dieser Szene gezwungen zu verstehen, daß wir nicht verstehen können. Das ist ein Schock. Weil es uns auf die Relativität unserer Denkmöglichkeiten verweist. Der Film, der diesen Übergang, diese Grenzüberschreitung zeigt, wagt in diesem Augenblick das Unmögliche: er zeigt, was man nicht zeigen kann und erfüllt in der Negation sozusagen, seinen wissenschaftlichen Anspruch. Gins Szene über das Tamate-System, eine Art philosophisches Ballett, versucht, das, was Plato in seinen Dialogen mit Sokrates zu zeigen versucht, die Grenzen unserer Denkmöglichkeiten darzustellen.