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    Kritiken zum Kinostart am 19. Juli 2001


Süddeutsche Zeitung 19.7.2001   Hans Schifferle, Adam und die Amazonen
Schädelspalter 7/2001  Rolf Aurich, Sommertage auf dem Land
Zitty , 15/2001   Martin Schwarz, Mecklenburgische Idylle
Focus No 29, 16. 7. 2001
  Anke Sterneborg, Paradiso
Der Yorcker Juli/August 2001   Gesine Strempel, Paradiso
OXMOX, 7/01   Paradiso
IN, München 7/01   Paradiso
epd Film 8/2001   Karlheinz Oplustil, Heitere Gelassenheit durchzieht Rudolf Thomes Sommer-Fantasie
TIP-Magazin 15/01   Anke Leweke, Alle meine Frauen
Der Tagesspiegel 18.7.01  Jan Schulz-Ojala, Altes Ego
Katholischer Filmdienst 15/01  Cornelia Fleer, Paradiso
Berliner Zeitung 19.7.01 Anke Westphal, Gedanken über die Schöpfung
TAZ 19.7.01  Katja Nicodemus, Nach den Gewittern

Frankfurter Rundschau 21.7.01  Daniel Kothenschulte, Drei am Geschirrtuch

Kölner Stadtanzeiger 21.7.01  Norbert Grob, Adam im Kreis der Amazonen
Der Spiegel 23.7.01  Paradiso
Die Zeit 26.7.01 Merten Worthmann, Im Glück
Badische Neueste Nachrichten 28.7.01 Andreas Jüttner, Die sieben Frauen des neuen Adam
Nürnberger Nachrichten 28/29..7.01 I. R. , Der Mann als Hahn im Korb
Kommune, 8/2001 Marcus Welsch, Paradies und Kleinfamilie

Wetzlarer Neue Zeitung, 8.11.01 Guntram Lenz, "Alle Frauen hassen Adam..."




    Adam und die Amazonen

Hans Schifferle
Süddeutsche Zeitung
19. 7. 2001
  Sieben Tage mit einer Schlange und sieben Frauen: "Paradiso", ein beglückender Sommerfilm von Rudolf Thome

Man nehme eine beliebige Szene des Alltagslebens, eine Autofahrt etwa oder ein Spaziergang durch einen Garten. Solche Szenen sehen im deutschen Kino fast immer gleich aus, sie wirken wie Fernsehbilder. Selbst Action-Szenen erscheinen hier zu Lande meist wie die Making-of-Berichte über Filmstunts. Nur wenige Filmemacher schaffen es, diese deutsche TV-Realität zu überwinden. Einer ist zweifellos Rudolf Thome, dem es seit seinen frühen Filmen - "Detektive" (1968) oder "Supergirl" (1970) - immer wieder gelingt, magische Momente im Alltäglichen zu finden und das Mythische im jeweils aktuellen Geschehen wiederzuentdecken. Ein Grund für diesen eigenartigen Zauber, der alle Thome-Filme durchzieht, liegt vielleicht darin, dass er sich seinen unschuldigen Blick bewahrt hat auf Deutschland. Einen Blick, der geschult worden ist bei Renoir und Rohmer, aber auch bei amerikanischen Genre-Filmen.

Im Jahr der Sonnenfinsternis

In "Paradiso", Thomes neunzehntem Spielfilm, erscheint plötzlich die weite Seenplatte von Mecklenburg-Vorpommern wie ein Arkadien, ähnlich dem Südfrankreich bin Jean Renoirs "Frühstück im Grünen". Und es verbergen sich dort, wo eine große Geburtstagsparty stattfindet, sogar starke Wildwest-Motive. Wir schreiben 1999, das Jahr der Sonnenfinsternis und des Kosovo-Krieges. Der Komponist Adam Bergschmidt, locker-lakonisch gespielt von Hanns Zischler, feiert in seinem mecklenburgischen Landhaus den 60. Geburtstag. Auch die Feier gestaltet er als eine Komposition mit utopischem Anklang: als eine Sinfonie, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkommen. Er hat nämlich die sieben wichtigsten Frauen in seinem Leben, seine sieben großen Lieben für sieben Tage in sein Refugium eingeladen. Ein Experiment.

Die Anreise der Frauen schildert Thome wie die Zusammenkunft der glorreichen Sieben in John Sturges' Westernklassiker. Thome psychologisiert wenig, er gibt vielmehr kleine, spannende Hinweise auf ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen Adam und den Frauen und den Frauen untereinander, und sei es durch die klingenden literarischen und biblischen Namen der Frauen. Da ist natürlich Eva, Adams jetzige Frau, mit der er zwei kleine Kinder hat: eine geheimnisvolle Frau, verkörpert von Cora Frost, stark und verletzlich zugleich. Desweiteren finden sich Berenice und Lulu ein, mit denen er zuvor verheiratet war. Berenice ist jetzt eine Nonne, die extrovertierte Lulu arbeitet als Schauspielerin. Dazu kommen vier Geliebte: Lilith und Marion, Jacqueline und Lucia. Die Geburtstagsgesellschaft wird komplettiert von einem alten Schulfreund (der Thome-regular Marquard Bohm) und von Billy, Adams Sohn aus erster Ehe mit Berenice.

Adam und die sieben Frauen: das kann man als Wunschtraum eines gealterten Paschas sehen, der den Harem seines Lebens um sich versammelt. Man kann es aber auch als die mutige Vorstellung eines Mannes sehen, der verloren gehen kann im Reigen der Amazonen. Thome, der Regisseur des Amazonenfilms "Rote Sonne", bleibt ambivalent, zweideutig im besten Sinne. "Paradiso" ist geradezu ein Film in der Schwebe, oszillierend zwischen gestern und morgen, zwischen Natur und Kultur, low und high culture, Zufall und Schicksal. Die bunt zusammengewürfelte Familie, die natürlich noch einen Touch von Achtundsechziger-Kommune hat, aber auch recht virtuell wirkt in ihrer verspielten, wie in einem Internet der Träume entstandenen Zusammensetzung - sie nimmt sich gewissermaßen eine Auszeit, eine time out of mind kurz vor dem Millenium. Das Paradies ist halt ein Mittelding zwischen Ort und Zeit: eine Erinnerung, eine Hoffnung oder einfach 102 Minuten Kino.

Sieben Tage der Reminiszenzen und der Ausblicke verstreichen. Adam und die Geburtstagsgäste gehen viel spazieren und essen gemeinsam. Sie pflanzen Bäume und besuchen ein Konzert mit Adams anspruchsvoller Musik, aber auch einen Rummelplatz mit Wahrsagerin und Zauberkünstler. Mit seiner Frau Eva und den Kindern nur beobachtet Adam die Sonnenfinsternis: wie eine Familie in einem Science-Fiction-Film.

Es gibt vorsichtige Wiederbegegnungen, seltsame Déjà-vu-Erlebnisse und handfeste Konflikte. Vor allem zwischen Adam und seinem Sohn Billy, einem Politiker, der ein Fan und ein Freund von Joschka Fischer ist, kracht es gewaltig. Der Friedensexperte Billy, der seinem Vater nie verziehen hat, dass ersich 30 Jahre nicht um ihn gekümmert hat, entpuppt sich als Billy the Kid, der seinen Vater in jeglicher Beziehung herausfordert.

Im Paradies von Thomes Film gibt es auch eine Schlange, ein recht harmloses, schönes Tier, das Billy entdeckt und mit dem die kleinen Kinder Adams spielen. Die Schlange ist nicht unbedingt eine Verderberin, sie scheint zum Paradies zu gehören. So wie es kein Glück geben kann ohne einen Hauch von Tristesse, keine Leichtigkeit ohne Ernst und Skepsis. Paradiso, so heißt übrigens ein Teil von Dantes "Göttlicher Komödie". Und so heißt auch ein alter Schlager von Connie Francis: "Paradiso unterm Sternenzelt. Ich komm wieder in die Wunderwelt, wo ich deine Liebe fand."


Eloge auf die Liebe

"Paradiso" ist indirekt auch ein recht persönlicher Film von Thome, der 1999 ebenfalls 60 Jahre alt wurde. Er ist eine Art Zwischenstation im Ouvre mit vielen seiner bevorzugten Schauspieler. Besonders schön ist Sabine Bach als lederbekleidete Lilith. Einst hatte sie eine Liebesaffäre mit Hanns Zischler in Thomes "Berlin Chamissoplatz", 1980. Das Kino des scheinbar ewig jungen Altmeisters Thome wirkt manchmal fast organisch. Dem oft benutzten Begriff "heiter-melancholisch" gibt Thome seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Sein Film ist eine Eloge auf die Liebe: mit all ihren Möglichkeiten, aber auch ihren Grenzen.

"Eloge de l'amour", so heißt auch der neue Film von Godard. Im Gegensatz zu Godard, der bei aller Schönheit eine Art Selbstzerstörung eingebaut hat, versteht Thome das Filmemachen als poetische Kunst des Liebens. Vielleicht liegt darin ein Hauptgrund für den geheimnisvoll-wunderbaren Zug in Thomes Film: im liebenden Blick.





    Sommertage auf dem Land

Rolf Aurich
Schädelspalter
7/2001
  Rudolf Thomes "Paradiso" ist ein unerhörter Film, gewagt und "kühn", wie es der Regisseur dann gern nennt, wenn er meint Konventionen in seinen Filmen verletzt zu haben.

"Paradiso" hat so gut wie keine Handlung, erzählt aber von nichts geringerem als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Stichwort heißt Zeitgeschichte, sie umfasst Kindheit, Jugend, Freundschaft, Ehe, Verlust, Hass und Liebe. Und: eine Sonnenfinsternis, einen Krieg, einen neuen Menschen.
Zur Feier seines 60. Geburtstages lädt der erfolgreiche Komponist Adam (Hanns Zischler) die sechs wichtigsten Frauen seines Lebens plus die gegenwärtige Ehefrau Eva (Cora Frost) zu sich auf sein malerisches Anwesen im sozial gebeutelten Mecklenburg-Vorpommern ein. Auch Adams erster Sohn Billy (Guntram Brattia) ist zu Gast - erstmals seit 30 Jahren sehen sich die beiden, und das Pflaster an Adams Kopf ist über fast die gesamte Filmdauer das sichtbare Zeichen dieser gewalttätig erzeugten und nun allmählich verringerten Distanz. "Paradiso" ist wohl im Grundsatz ironisch, wie so mancher Film dieses Regisseurs. Viel mehr aber noch rührt er an grundsätzlichen Dingen, die er anspricht - philosophische Fragen, locker verwoben ins Geburtstagsthema und gestellt von Kindern oder Frauen.
Die schöne Dramatik dieses unaufgeregten Multipersonenfilms steckt in Blicken und in Gesten und vor allem in schonungslosen Worten, die berührender im Kino wohl selten gewesen sind: melodramatische Qualitäten in einem realistischen Film. Rudolf Thomes Drehbuch hat etwas sehr Schwieriges bewältigt: Es reflektiert, wovon es erzählt und was der Film zeigt. Etwa alle 15 Jahre dreht Rudolf Thome ein Meisterwerk. Drei kann er bis heute vorweisen: "Rote Sonne", 1969, "Tarot", 1985, und "Paradiso", enstanden im 60. Lebensjahr des Regisseurs. Herzlichen Glückwunsch!




    Mecklenburgische Idylle

Martin Schwarz
Zitty Nr. 15/2001
  Billys Vorwurf der "Egozentrik" ist nicht von der Hand zu weisen. Denn sein Vater Adam, den er 30 Jahre nicht gesehen hat, hat zu seinem 6o. Geburtstag nicht nur ihn, sondern alle wichtigen Frauen seines Lebens in sein Paradies, einem Haus in Mecklenburg, eingeladen. Und sie kommen alle: Eva, seine jetzige dritte Ehefrau, die früheren Gattinnen Berenice und Lulu und die Geliebten Lilith, Marion, Jacqueline und Lucia. Der Pascha inmitten seines Harems? Mord und Totschlag zwischen Furien? Nicht bei Rudolf Thome.

Denn im neuen Film des Berliner Regisseurs, das erstmals deutliche Züge eines Alterswerks trägt, herrscht eine Harmonie, die wahrlich schon märchenhafte Züge hat: Die früheren Konkurrentinnen feiern miteinander, Vater und Sohn kommen sich nach anfänglichen Streitereien näher. Nach diesen sieben Tagen wünschen sich alle Beteiligten, es könne ewig so weitergehen. Diese perfekte Idylle könnte für den Zuschauer ganz schön langweilig werden. Wäre da nicht Thomes Gespür für genau und sehr liebevoll charakterisierte Figuren sowie der angenehm ruhige Erzählfluss. Und das hervorragende Darstellerensemble, angeführt von Hanns Zischler und Cora Frost, das den Figuren jene Glaubwürdigkeit gibt, die der Geschichte mitunter abgeht.

In seiner Harmonie mit schöner Musik, Landschaft, den liebenswerten Menschen und der sanften Erzählerstimme Zischlers wirkt das unspektakuläre Werk wie aus einem Zucker-Guss. Und ganz anders wie in Vinterbergs Das Fest oder Fosters Familienfest und andere Schwierigkeiten dürfen wir feststellen, das Familienfeiern nicht per se schrecklich sind. Im Vorprogramm läuft der 15-minütige Dokumentarfilm Go To Shanghai von Daniela Abke und Dorothee Brüwer.




    Paradiso

Anke Sterneborg
Focus No 29,
16.7.2001
  Ein Familienfest auf dem Lande: Der Patriarch wird 60 und versammelt für sieben Tage die sieben wichtigsten Frauen seiner besten Männerjahre um sich. Ganz langsam setzt sich aus Blicken, Gesten und Gesprächen seine Biografie zusammen. Hinter dem locker-leichten Spiel mit den Erinnerungen blitzt immer wieder auch der Ernst des Lebens auf. Dabei ist es natürlich kein Zufall, dass auch der Junge-Deutsche-Film-Veteran Rudolf Thome, als er dieses sein "Paradiso" realisierte, 60 wurde. Und so wie die Frauen im Film für die Lebensabschnitte des Musikers in ihrer Mitte stehen, so setzt sich aus den Dastellerinnen dieser Charaktere auch die Filmografie Thomes zusammen.




    Paradiso

Gesine Strempel
der YORCKER
Juli/August 2001
  Rudolf Thome erzählt beharrlich, was sich sonst im deutschen Kino niemand traut. Er ist einer, der die Liebes-Utopien der 68er Jahre noch nicht vergessen hat, im Gegenteil, er hat sie weiter entwickelt.

30 Jahre sind ja auch eine lange Zeit, die dritte Generation wächst gerade nach. Und so heißt das Paar in Thomes preisgekröntem Film Paradiso (Silbemer Bär im Jahr 2000) Adam und Eva, wie das Paar der allerersten Generation überhaupt - in der Genesis, versteht sich. Und es gibt auch eine Schlange, die schließlich vom Enkel in die Stadt mitgenommen wird.

Rudolf Thome entwickelt (s)ein Familienidyll 2000. Adam (Hanns Zischler) feiert seinen 60. Geburtstag. Er hat Enkelkinder und zwei kleine Kinder, rnit einer neuen Eva (Cora Frost), die etwa so alt ist wie sein ältester Sohn.

Er ist sehr ansehnlich gealtert und hat es neben seiner Wohnung in der Stadt auch zu einem Haus auf dem Land gebracht. Er ist Komponist, ihm fällt immer noch viel ein, er nutzt virtuos die neuen Techniken, kurzum, er ist ein glücklicher Mann. Zu seinem 60. lädt Eva alle ihre Vorgängerinnen aufs Land ein. Und so treffen sich sechs schöne Frauen unterschiedlichsten Alters. Eva heißt alle willkommen, noch ist sie die Jüngste und die Schönste.

Die Landschaft in Mecklenburg Vorpommern an einem frühen Spätsommermorgen ist herzzerreißend schön. Das Paradies, gleich um die Ecke. Vom Wasser steigt Nebel auf, denn die Luft ist kühler als der See, ein zartgrauer Schleier liegt über dem Grün des Gartens, den Blättern der Bäume und spiegelt sich in den Scheiben des Hauses. Die Linie zwischen See und Himmel ist nicht zu erkennen.

Mit nackten Füßen und im japanischen Morgenmantel, der in dieser Landschaft auf seltsame Weise fehl am Platz ist in seiner strengen Geometrie, geht der Hausherr zum See. Man spürt förmlich den Tau des nassen Grases unter seinen Füßen, den scharfen Geruch der Tomatenstauden, das Wasser und die fette Erde. Adam genießt das Paradies.

An seinem Ehrentag gibt es einen Vater-Sohn-Konflikt, der handfest ausgetragen wird, und die Begegnung der sechs Evas untereinander und mit Adam ist auch nicht so ganz einfach. Aber der heiße Sommertag und der gute Wille machen es möglich. Das gemeinsame Picknick mit Frauen und Enkeln und Kindern wird zum hinreißend üppigen Familienidyll, und da ist sie, die Utopie. Wie schön, wenn alle zusammen feiern können, keine sich grämen muß.

Fehlt noch ein wesentlicher Punkt in Thomes sehnsüchtigem Paradies: jeder seiner Lieben, denen er so viel verdankt, wie er sagt, müßte von ihm eine ordentliche Rente beziehen, Dann wäre Adam keine schmerzende Altlast, sondern in der Tat unverzichtbar.




    Paradiso

Oxmox
Hamburg 7/01
  Der erfolgreiche Komponist Adam feiert seinen sechzigsten Geburtstag. Dazu hat er die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens ins Paradies gebeten, in seinen schöpferischen Zufluchtsort, ein Landhaus an einem See in Mecklenburg-Vorpommern. Sieben Frauen, mehr oder weniger einst verbunden mit Adam und seinem Leben. Sieben Tage Gemeinsamkeit, Spaziergänge und Erzählungen. Die Phasen und Schichten seines Lebens schieben sich übereinander, und ganz neue Erfahrungen scheinen möglich...Ein Film so vielschichtig wie das Leben. Leicht-komisch, traurig-schmerzvoll und vor allem eins: ironisch. Sehr authentisch!




    Paradiso

IN MUENCHEN
12.7.01
  Utopia in Meck-Pomm. Komponist Adam (Hanns Zischler) lädt zum 60. auf's Land, in ein idyllisches Haus am See. Geladen sind die sieben Frauen seines Lebens, sein Sohn kommt auch dazu. Man plaudert, man trinkt, man vergnügt sich im Garten, im Bett und beim Konzert. Nach dem Abschied der Gäste zeugt Adam mit Eva, seiner dritten Frau, ein Kind. Paradiso - Siben Tage mit sieben Frauen ist ein klassisch schöner Rudolf Thome-Film. Zum Zuschauen, Zuhören, Entspannen und Nachdenken - wie es im Idealfall sein könnte, das erträumte soregnfreie, harmonieerfüllte, selbstbestimmte Leben - und das mitten in D.




    PARADISO - SIEBEN TAGE MIT SIEBEN FRAUEN

Karlheinz Oplustil
epd-Film
8/2001

  Heitere Gelassenheit durchzieht Rudolf Thomes Sommer-Fantasie

Die Hauptfigur heißt Adam, seine Frau heißt Eva. Sie lebt in Berlin, er in einem schönen Landhaus an einem See in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn das keine Idylle ist. "Adam, du lebst wie im Paradies, womit hast du das verdient?", fragt später jemand. Und Adams frühere Ehefrau, die Nonne geworden ist, gibt eine einleuchtende Antwort: "Der liebe Gott hat ihm geholfen."

Eine abgeklärte Ironie durchzieht den ganzen Film. Es ist der beste Film von Rudolf Thome seit langer Zeit, ein poetischer, betörend leichter, heiterer und gelassener Film, der Geist und Gemüt erfrischt wie eine sommerliche Landpartie nach vielen Wochen mit bleigrauem Himmel.

Adam Bergschmidt (Hanns Zischler), ein berühmter Komponist, hat zu seinem 60. Geburtstag die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens eingeladen, vier frühere Geliebte und drei Ehefrauen. Mit ihnen, so hat er sich das ausgedacht wie einer, der im Märchen einen Wunsch frei hat, verbringt er sieben Tage. Eva, seine jetzige Frau (Cora Frost) hat nichts dagegen, und was immer das Zusammentreffen an emotionaler Sprengkraft enthalten könnte, verflüchtigt sich im sommerlich entspannten Zusammensein. Wundersamerweise ist kaum Platz für Eifersucht und Verbitterung, was davon übrig ist, wird in bukolischer Landschaft besänftigt: "Alle Frauen hassen Adam für eine Weile, und dann, irgendwann, lieben sie ihn wieder."

Der Film beginnt früh am Morgen von Adams Geburtstag. Das ruhige Bild, wenn er barfuß im Morgenmantel am Seeufer steht und aufs Wasser schaut, ist eine Thome-Einstellung par excellence und enthält fast schon den ganzen Film, unaufgeregt und interessiert wendet er sich der Welt und den Menschen zu.Letztlich passiert nicht viel. Man sieht, wie sich die Eingeladenen aus ihrer Umgebung aufmachen und an ihrem ländlichen Ziel ankommen. Wie sie Adam Geschenke übergeben und auf seine Reaktion gespannt sind. Wie sie zusammen Wein trinken, spazieren gehen, auf der Wiese oder am See sitzen. Ständchen werden gebracht, Reden werden gehalten. Ein Ausflug bringt sie nach Berlin zur Aufführung seiner Fest-Komposition, eines Stücks für Tenor, Trompete und Streichquartett. Ein anderes Mal besuchen sie einen Jahrmarkt, lassen sich von einem Zauberer unterhalten, und Adam befragt eine Wahrsagerin (sehr geheimnisvoll: Angelika Margull). Aber was er den wartenden Anderen davon erzählt, ist nicht das, was sie gesagt hat.

Dramatischer verläuft Adams Begegnung mit Billy, seinem Sohn aus der Ehe mit Berenice, der nach dem Heftchen-Helden "Billy Jenkins" benannt ist und den er 30 Jahre nicht gesehen hat. Die Vernachlässigung nimmt er dem Vater übel. Es kommt zu einem Handgemenge im Wald, bei dem Adam einen Schlag an den Kopf erhält. Danach wird er ein Pflaster tragen, das unübersehbar daran erinnert, dass nicht alles in Harmonie aufgehen kann.

Als Rudolf Thome das Drehbuch dieses Films schrieb, konnte man das - unter www.moana.de - im Internet verfolgen. Der Titel PARADISO, so war dort zu erfahren, kommt von einem Schulheft mit Palmen und einer stilisierten Südseelandschaft, in das er seine ersten Notizen schrieb. Das Heft hat ihn ziemlich weit gebracht, bis hin zu einer Schlange, die im Paradiesgarten des Films auftaucht und von Billy gefangen wird. Aber die ist völlig harmlos und löst keinen Sündenfall aus.

Manchmal hört man, von Hanns Zischler eindringlich gesprochen, Adams Gedanken in einem inneren Monolog, ein für Thome neues Stilmittel, inspiriert durch den inneren Monolog in Robert Bressons PICKPOCKET. Einfach und genau spricht er schon am Anfang vom zentralen Thema des Films, dem Vergehen der Zeit: "Ich war14, als ich die erste Sonnenfinsternis gesehen habe, durch verrußte Gläser. Irgendjemand in meinem Dorf sagte zu mir: wenn du 60 bist, wird die nächste Sonnenfinsternis kommen... Ich konnte mir das damals nicht vorstellen, und vor allem nicht, wie die Zeit dazwischen aussehen wird."

Die Sonnenfinsternis datiert den Film auf das Jahr 1999, in dem er - im letzten Jahr vor der Jahrtausendwende - entstand. Es ist auch das Jahr des Kosovo-Krieges, auf den es mehrere Hinweise gibt. Wer erinnert sich jetzt noch, im Jahr 2001, an diesen Krieg? Im Film ist dieses Ereignis immerhin festgehalten als etwas, das die Menschen bewegt. Ende 1999 ist auch Rudolf Thome, wie seine Hauptfigur, 60 Jahre alt geworden. Laut Presseheft hat er seinen Geburtstag nicht so begangen wie Adam im Film. Aber eigentlich hat er das doch getan: indem er PARADISO geschrieben und gedreht hat.




    Alle meine Frauen

Anke Leweke
TIP-Magazin
Nr. 15/01
  Ein Sommerhaus in Mecklenburg, eine ungewöhnliche Geburtstagsfeier und andere Vereinigungsgeschichten - die luftige Landpartie Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen von Rudolf Thome

Ein voller Konzertsaal, Menschen, die gebannte zuhören, manche sogar mit offenen Mündern - versinnbildlicht hier ein Regisseur seine Wunschvorstellung, sein Ideal der Kunst? Eine Musik, die alles in sich vereint, davon träumt jedenfalls der Komponist in Rudolf Thomes neuem Film. Schon der Titel "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" gibt das Leitmotiv vor: die Vereinigung. Mal donnert sie mythisch aufgeladen daher, dann schlägt sie wieder ganz profane Töne an.

Zunächst einmal präsentiert sie sich ganz ursprünglich in den Namen der Figuren. Eva heißt die dritte Ehefrau des Komponisten Adam, der gerade 60 Jahre alt geworden ist und nun zum Geburtstag die wichtigsten Frauen seines Lebens in sein Sommerhaus an der mecklenburgischen Seenplatte geladen hat. Bei Rudolf Thome bekommt man es mit einem Geburtstagstisch zu tun, um den sich ein gesamtes Leben quasi allegorisch vereinigt. Geschichten, Ehen und Affären werden durch die Anwesenden schlichtweg vergegenwärtigt. Auch der verbannte Sohn aus ganz jungen Jahren pocht aufs Recht der Präsenz.

Das klingt schwer und konfliktreich, ist es auch. Aber die weitgehend heitere Haltung zum Stoff, das gelassene Spiel des Ensembles bewahrt die exzentrische Fusionierung rund um Adam vor allzu großer Gefühlsduselei und peinlichem Pathos. So muß Hanns Zischler als Hahn im Korb weitgehend mit Kopfverband durch den Film wandeln, was ihn irgendwie auch zur tragikomischen Figur macht. Sein Sohn hat ihm aus Rache für die verlorenen Jahre mal eben einen heftigen Schlag auf den Kopf verpasst

Wie eine Satire klingt das Ende von Adams erster Ehe. Er wollte noch etwas erleben, sie ist ins Kloster gegangen. Jetzt steht Berenice in Nonnentracht vor der Tür, und es ist Irm Hermann, die diese überzogene Figur doch glaubwürdig erscheinen lässt. Auf die Ahs und Ohs der anderen Frauen angesichts ihrer schwarzen Kluft reagiert sie mit wissendem Lächeln, und höchstwahrscheinlich ist Berenice die einzige, deren Gefühl für Adam sich im Laufe der Jahre gewandelt hat. So hat es durchaus seine spirituelle Richtigkeit, wenn sie ihn auf ihre Weise beim ersten Wiedersehen unverhohlen aus den Augenwinkeln anhimmelt.

Und Eva? Cora Frost ist Eva ist Cora Frost. Wie schon in Thomes "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" schwebt die Sängerin in einem ganz eigenen Tempo durch den Film, abgeklärt abgehoben als Frau und pragmatisch irdisch in der Rolle der Gastgeberin. Ganz verhalten durchs Fenster gefilmt, gilt ihr die erste Einstellung, womit in diesem Paradies prompt eine andere Rangordnung eingeführt wird. Da mag Adam im Zentrum stehen, diese Frauenwelt dreht sich dennoch nicht um ihn. Namen wie Lulu oder Lilith sind zwar männlichen Projektionen entsprungen, aber dieser Film läßt keinen Zweifel, wer hier durch welche Blicke erst existiert.

So gelingt Thome ein seltsames Unterfangen: Er stellt eine Person in den Mittelpunkt, doch entsteht das Geschehen nicht durch konzentrische Kreise, die von dieser Figur ausgehen. Vielmehr wird das Leben wie ein Fächer aufgeschlagen - mit einer eleganten Bewegung aus dem Handgelenk. Gerade diese Leichtigkeit rückt manche Szenen ins mythische Licht. Wenn Adam im Morgengrauen barfüßig, nur mit einem leichten Bademantel bekleidet, Wasser für seine Bäume aus dem nahe gelegenen See holt, dann ist wenigstens für die kurze Dauer der blauen Stunde die Welt mit sich eins. Dann ist die unbestimmte Sehnsucht einem Gefühl des Einklangs gewichen. Mit sich und der Natur eins sein, das kann in diesem Film auch ein Eisprung sein, der nach dem dritten Kind ruft. Und auch Berenice wird eine Lösung finden, sich wieder mit der Welt zu vereinen. Glückselig verkündet sie beim Abschied, dass sie sich im Kloster auch eine E-Mail anschaffen werde.




    Altes Ego

Jan Schulz-Ojala
Tagesspiegel
18. 7. 2001

  Rudolf Thomes "Paradiso" kommt - endlich - ins Kino

Billy bringt, was man so denken könnte, auf den Punkt. "So was von eitel und menschenverachtend" findet er die Idee seines Vaters, sich zum 60. Geburtstag die sieben Frauen seines Lebens einzuladen und. sieben Tage mit ihnen zu verbringen, in Meckpomm im eigenen Künstleranwesen am See. Der Vater hält dagegen: "Eine Art Familienfest" habe er sich vorgestellt, er, Adam; und Eva natürlich, seine noch ziemlich junge Frau, die zwei hübsche Kinder im Grundschulalter mit ihm hat. Komische Art Familie, dürfte Billy da spotten - denn was für ein Familienleben führt Adam denn schon mit seiner dritten Frau, die mit den Kindem in Berlin lebt und nur in den Ferien mit ihnen rauskommt aufs Land? Und was für einen Phantom-Vater hat er eigentlich selbst - 30 Jahre sind sich die beiden nicht begegnet, und ist nicht seine Mutter, Berenice, an der Scheidung von Adam damals kaputt und ins Kloster gegangen?

Stimmt alles. Dieser Papa ist vielleicht kein Patriarch, aber ein alter Egozentriker, unordentlich in der Liebe, im Leben offenbar verantwortungslos. Und doch, so kommt man ihm nicht bei. Man denke nur an den Besuch von Berenice und Billy: Adam selbst, sieht ihm mit der meisten Unruhe entgegen (wenn denn das Wort Unruhe passt zu diesem sehr in sich wohnenden Charakter); aber am Ende dieser Woche sind vielleicht gerade diese beiden Wiedersehen die leisesten und zugleich tiefsten gewesen.

Nichts ist gewiss im Universum des Berliner Filmregisseurs und Drehbuchautors Rudolf Thome - am wenigsten das, was man gemeinhin von den zwischenmenschlichen Mechanismen zu wissen glaubt. Wie Eric Rohmer, sein gesprächigerer französischer Bruder im Geiste, legt er lieber vorsichtig Sonden der Erkenntnis aus. Vom Leben zum Beispiel: Am besten, man hält es und sich selbst, je länger es dauert, sachte in der Schwebe. Gerade so hoch über dem Boden der sogenannten Tatsachen, dass das Denken sich, sanft und freundlich, über das Fühlen erheben kann.

Adams sieben Frauen - alt gewordene, nicht mehr ganz junge und ziemlich jüngere; Ehefrauen, Geliebte und Affären; Frauen, die er verließ und Frauen, die ihn verlassen haben - fügen sich dieser Lebenswahrnehmung. Und sie gehen das Wagnis ein, diese Wahmehmung auch aneinander auszuprobieren. Sie machen dem Komponisten namens Adam, der von einer Musik träumt, die "alles in sich vereint", Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, das Geschenk, sich alle in einem friedlichen Tableau zu vereinen. Füreinander und, fast beiläufig am Ende, auch für ihn: die Nonne Berenice und die Opemsängerin Lucia, das Verhältnis Marion, die vereinsamte Alkoholikerin Jacqueline Bitter, eine Lilith und eine Lulu - und, Eva natürlich, die jüngste und, so wie sie sich anfühlt, die endliche Liebe.

Und was passiert? Nicht viel. Das Sensationellste: eine Nonne, die im langen Schwarzen, ausgeliehen von der Hausherrin, Rock'n' Roll mit dem Gastgeber tanzt. Oder: ein handfester Denkzettel für Adam, den der fortan in Form eines Pflasters am ziemlich kahlen Schädel trägt. Sonst: ein Konzert, ein Picknick, ein Jahrmarktsbesuch. Das gemeinsame Einpflanzen von 60 Pappeln. Ein paar Reden bei ein paar Essen: Immer mal klopft jemand an sein Glas, und die Be-kenntnisse kommen dann wunderbar unrund. Immer sitzen oder stehen welche zusammen und die Wahrheit unterläuft ihnen wie nebenbei. Jemand hört fast wider-spruchslos an, dass seine Liebe immer noch gilt. Jemand sagt "Papa" zu einem Menschen, den er kaum kennt. Jemand weint wie getröstet vor vielen Leuten. Jemand will ein drittes Kind.

Man sollte diesen Film - auf der Berlinale 2000 bekam sein Darsteller-Ensemble einen Spezialpreis - an einern langsamen Tag sehen. Sollte sich so langsam machen wie die Kamera (Reinhold Vorschneider), die oft nur klug rumsteht und sich unmerklich in Bewegung setzt, wenn auch die Filmfamilie in Bewegung gerät. Sollte der Musik (Wolfgang Böhmer) lauschen, die die zeitweilige Stille zwischen den Menschen behutsam und spannungsreich kommentiert. Sollte sich an den vertrauten Thome-Gesichtern freuen - an Irm Herrmann, der zartesten Nonne der Welt, an Adriana Altaras, die hübsch den Kobold gibt, an Cora Frost, die als Eva den wohl aufregendsten Job dieser Woche hat und doch mit kleinen Gesten, Bemerkungen und Blicken eine wunderbare Ruhe verkörpert. Und an Hanns Zischler als Adam: Er ist Mittelpunkt, weil er sich nicht in den Mittelpunkt drängt. So einen mögen verlorene Söhne feiem, so einem mögen gewesene Frauen verzeihen.

Diese so gelebten sieben Tage: Sie sind das Paradies, keine Frage. Solche Paradiese, sagt Thome zwischen den Bildem, wären überall. Wenn nur der Mensch sich nicht selbst daraus vertrieben hätte.





    Wo liegt das Paradies? In Mecklenburg-Vorpommern!

Cornelia Fleer
Filmdienst 15/01
  Jedenfalls in Rudolf Thomes Männerfantasie.
Mit biblischer Metaphorik spart "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" nicht: Adam und Eva, die sieben Todsünden, ein Schöpfer, eine Schöpfungsgeschichte und die Vertreibung einer Schlange aus dem Garten Eden. In sieben Tagen schuf Gott die Welt, und an sieben Tagen feiert Adam Bergschmidt, ein erfolgreicher Komponist, seinen 60. Geburtstag. Dabei sind sieben Frauen, seine dritte Ehefrau Eva, mit der er zwei Kinder hat, und all die anderen, mit denen er durch Liebe, Freundschaft oder Sex verbunden war. Mit Berenice und Lulu war er verheiratet, mit Jacqueline und Marion während seiner Ehen und mit Lucia und Lilith zwischen seinen Ehen liiert. Mal hat er die Frau, mal haben sie ihn verlassen.

"Ich komme!" Lulu, Adams zweite Ex-Frau, kündigt sich per E-Mail an. Die temperamentvolle sieht in der klugen und liebvollen Eva eine würdige Nachfolgerin. Eva ist die gelassene Gastgeberin, die souverän ihren Part an der Feier gestaltet. Sie will wissen, ob Adam seine Frauen an ihren Geschenken erkennen kann, und Adam muß raten. Wenige Bilder skizzieren die Gäste. Da ist die ausgelassene Lulu mit ihrem Freund beim Frühstück. Berenice, die erste Ex-Frau, die nach der Scheidung ins Kloster ging, sieht man beim Gebet. Jacqueline, damals Berenices Widersacherin, ist eine leicht ergraute damenhafte Erscheinung, und auch die dynamische Lilith, die attraktive Sängerin Lucia und die Literaturstudentin Marion sind als selbstbewußte Perönlichkeiten gezeichnet. Neid, Eifersucht und Zorn spielen kaum eine Rolle. Wer bei dieser Konstellation explosive Situationen erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen kommt man sich näher. Die sieben Tage vergehen unspektakulär mit gemeinsamen Mahlzeiten, Lagerfeuerromantik, Ausflügen und einem Konzertbesuch. Alle zusammen pflanzen 60 Pappeln, eine für jedes Lebensjahr. Die Kinder gehen gemeinsam Angeln, ertränken gemeinsam Mäuse und fangen eine Schlange, die sie - gegen Adams Protest - prompt ins ferne Berlin entführen. Billy, Adams Sohn aus der ersten Ehe, ist mit seiner Frau und seinen zwei Kindern gekommen. Er hat Adam seit 30 Jahren nicht gesehen. "Frieden für Europa" heißt das Buch, das er geschrieben hat und das er Adam zur Begrüßung überreicht. Die Ironie besteht allerdings darin, dass ausgerechnet Billy, ein Intimus Joschka Fischers, sich nich beherrschen kann und seinen Vater bei einem Waldspaziergang niederschlägt. Danach und nach einer gemeinsamen Zigarette sind dann auch Vater und verlohrener Sohn wieder versöhnt.

"Du lebst wie im Paradies", sagt Lulu einmal. "Womit hast du das verdient?" Auf diese zentzrale Frage gibt der Film allerdings keine befriedigende Antwort. Auf jeden Fall schafft es Adam, ohne Problem glücklich zu sein. "Früher wollte ich in der Musik rücksichtslose Wahrheit, das Alte zerstören. Jetzt träume ich von einer Musik, die alles vereint, die Vergangengheit, die Gegenwart und die Zukunft", sagt Adam mit seiner ruhigen, warmen Stimme, die gelegentlich im Voice-Over über den Bildern liegt. Dass man die Zukunft vorhersehen kann, daran glaubt Adam nicht, auch wenn Berenice überzeugt ist, dass seine Musik mit ein wenig mehr Glauben noch reicher werden könnte. Nur für einen Moment, wenn sie mit ihm tanzt, vergißt Berenice, die Adam noch immer liebt, dass Gott alles sieht, und ganz diesseitig ruft sie Sadam bei der Abreise zu: "Ich werde mir auch eine E-Mail-Adresse anschaffen." Irm Hermann als Berenice spielt hier eine ihrer Paraderollen. So viel Verzicht war nie. Nicht einmal als Marlene in Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (fd 18187). Auch die anderen Parts sind ideal besetzt. Sehr zu Recht erhielt der Film für sein Schauspielerensemble bei der "Berlinale" 2000 einen "Silbernen Bären". Rudolf Thome, Jahrgang 1939, ist bekannt für seinen filmischen Minimalismus, der die Vorbilder der Nouvelle Vague erkennen lässt. Schon einmal hat er sich mit sieben Frauen und einem verlorenen Sohn beschäftigt. ("Sieben Frauen", fd 27902), aber schon das moderne Märchen aus dem Jahr 1989 bot nur wenig Erklärungen. Ähnlich verhält es sich mit "Paradiso", dessen einfaches Fazit sich so formulieren lässt: Geliebt wird, wer sich selbst liebt. "Ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen" - Adam hat alles erreicht. Am Ende unterscheidet er sich, vielleicht abgesehen von seinem großen Ruhebedürfnis, nur wenig von Billy, dem seine Familie heilig ist.


Ein erfolgreicher Komponist feiert in einem idyllisch gelegenen Haus in Mecklenburg-Vorpommern seinen 60. Geburtstag. Sieben Tage will er feiern mit seiner dritten Ehefrau und jenen sechs Frauen, mit denen er verheiratet oder durch Liebe, Freundschaft oder Sex verbunden war. Mit dem Sohn aus erster Ehe, den er 30 Jahre nicht gesehen hat, söhnt er sich aus. Am Ende der wohl kalkulierten, ironisch gebrochenen Versuchsanordnung über Vergangenheit und Gegenwart stehen neue Hoffnungen für die Zukunft. Getragen wird der Film von der sommerlichen Atmosphäre der flachen Landschaft, die sich im unkomplizierten Beziehungsgeflecht der Protagonisten widerspiegelt. Die behutsame Lebens- und Liebesphilosophie überzeugt durch subtilen Humor und das authentische Spiel der Schauspieler.




  Gedanken über die Schöpfung

Anke Westphal
Berliner Zeitung
19.7.01
  "Paradiso", ein neuer Film von Rudolf Thome

Der Regisseur hatte wohl ein Bewusstsein von der möglichen Wirkung seiner Schöpfung. "Paradiso", der neue Film von Rudolf Thome, erlebte 1999 im Wettbewerb der Berlinale seine Uraufführung. Damals wurde die Geschichte um den Komponisten Adam, der die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens zu seinem 60. Geburtstag einlädt, als Omnipotenzfantasie eines alternden Liebhabers abgetan, auch als narzisstischer Wunschtraum. Thome mag versucht haben, diesem ebenso erwartbaren wie ideologischen Urteil den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er seinen alten Adam mit Billy, einem nunmehr erwachsenen Sohn aus einer früheren Ehe, zusammentreffen lässt. Adam hat Billy 30 Jahre lang nicht gesehen, sich wohl auch nicht ausreichend um ihn bemüht. Das nimmt der Sohn ihm zu Recht übel; er macht den Vater auch für die Entscheidung der Mutter verantwortlich, die weltliche gegen die heilige Familie eingetauscht zu haben und ins Kloster gegangen zu sein. "So was von eitel und menschenverachtend", findet Billy die "Veranstaltung" des Vaters, doch Billys Mutter tanzt am selben Abend mit ihrem einstigen Ehemann.

"Paradiso" handelt tatsächlich von einem Wunschtraum, jedoch nicht in erotischem Sinn. Es ist ein Film über das Modell Familie, der einfache Fragen stellt: Wie lange dauert es, bis man eine Familie wird? Wer gehört zu ihr? Als Antwort schlägt Rudolf Thome ein bukolisches Tableau der Wahl- und Blutsverwandtschaften vor, in dem Adam, der Paterfamiliae, eine Schöpfung besichtigt, die er - wiewohl ein freundlicher Egozentriker - nicht ausschließlich für die eigene hält. "Ich habe Glück gehabt", gesteht er. Mit etlichen Kindern und sieben Frauen verbringt er sieben Tage im Paradies: alte und junge Frauen, siegreiche, verbitterte, introvertierte und mutwillige. Gewesene und amtierende Ehefrauen, zwischenzeitliche Geliebte, Töchter und Affären. Sie alle lernen es, miteinander auszukommen, weswegen das Paradies nicht nur Adams schönes schlichtes Haus an einem See in Mecklenburg-Vorpommern umfasst, sondern auch Menschen, die sich einen neuen Zustand der Unschuld erarbeiten - als Folge gegenseitigen Erkennens. Es gibt sogar eine Schlange in diesem "Paradiso", aber sie ist nicht gefährlich. Billy fängt sie ein - da hat er seinem Vater längst eine auf die Glatze geboxt und dann Frieden geschlossen.

Liebevoll ruht die Kamera, fast in Spitzweg-Manier, auf dem Zug der Geburtstagsgäste durch die Wiesen, hin zu einem Lagerplatz mit Aussicht auf die Gegenwart. "Paradiso" ist ein Film, der wie ein gut gearbeitetes Boot auf ruhigen Wassern schwimmt. Es geschieht nicht viel: die Gäste kommen an, sie reden und essen miteinander. Geschenke werden ausgepackt, es geht auf den Rummel und in ein Konzert, 60 Pappeln werden gepflanzt, und am Ende zeugt Adam mit seiner Eva ein weiteres Kind. Ein Haus bauen, Bäume pflanzen, ein Kind zeugen - das war bei Thome noch nie Anlass für große Worte. Das Leben geschieht auch in diesem Film wie nebenbei; es scheint weniger ausgedacht als fein und zart behandelt - wie etwas, das Kraft gekostet hat und Respekt verdient. Der Zuschauer sieht mit Adams Augen auf das Paradies, doch sein Blick ruht zugleich auf der Hauptfigur - wie dieser so kontemplative Film überhaupt neben sich steht: Identifikation klagt er nicht ein. Das gerät zur Seh-Erfahrung; die Kamera weiß Abstand zu halten. Rudolf Thome (u.a. "Rote Sonne") zählte zu den Erneuerern des deutschen Films und bezeugt mit diesem Film, dass er noch immer wichtig ist. Sein Paradies beherbergt die Versöhnung von Vergangenheit und Gegenwart. Um solche Träume zu haben, muss man älter werden.




  Nach den Gewittern

Katja Nicodemus
TAZ
19.7.01
  Das Zen, der See und die heiteren Wahlverwandtschaften: In Rudolf Thomes Film "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" feiert ein Komponist seinen sechzigsten Geburtstag mit allen Ehemaligen

Es gibt in diesem Film einen Augenblick, in dem alles stimmt, weil alles eins ist: Ein Mann geht frühmorgens den Weg von seinem Haus hinunter zum See. Er hat zwei Gießkannen dabei, die er am Ufer absetzt. Dort blickt er aufs Wasser, wo der Dunst der blauen Stunde mit dem Himmel verschwimmt. So verharrt er eine Weile reglos. Mit diesem Bild könnte Rudolf Thomes Film beginnen oder auch schon zu Ende sein, und wahrscheinlich ist auch Adam (Hanns Zischler) in diesem Moment alles egal. So erschütternd egal, wie die Welt nur in den Sekunden eines unglaublich friedlichen Gleichgewichts sein kann, das sich manchmal nach Gewittern und anderen entladenden Ereignissen einstellt.

Nach diesem Zen-artigen Zustand wird Thomes Film immer wieder streben. Zum Beispiel wenn Adam, der Komponist ist, davon träumt, eine Musik zu schreiben, "die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint". Zu seinem sechzigsten Geburtstag hat dieser Mann alle Frauen eingeladen, die ihm in seinem Leben wichtig waren, so als wolle er seinen Frieden machen mit einer Biografie und ihrer wellenförmigen Grundbewegung des Liebens, Betrügens und Verlassens.

Sieben Frauen und ein Mann an einem malerischen See in Mecklenburg-Vorpommern, das hört sich an wie eine abgeschmackte Schäferszene irgendwo zwischen Blaubart und Monetschen Picknicks, Bildungsbürgernippes und Potentatenfantasien. Tatsächlich aber hat die rudelhafte Versuchsanordnung außer ihrem Titel ("Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen") und den bis zum Anschlag mythologisch aufgeladenen Namen (Adam, Eva, Lulu, Lilith, Berenice) nichts Aufgesetztes. Vielleicht weil Thomes Film ansonsten gar nicht nach der Bedeutung der sieben Tage sucht, von denen er erzählt. Natürlich entsteht mit der Begegnung der Frauen und Geliebten eine plötzliche Gleichzeitigkeit verschiedener Lebensabschnitte, die ganz beiläufig auch von der Flüchtigkeit der ganzen Leidenschaftelei erzählt. Genauso wie alte Eifersüchte zwischen ehemaligen Rivalinnen, die beide längst einen anderen haben, etwas angenehm Albernes bekommen. So tritt der Anlass des Treffens - die Tatsache, dass man zufällig mal den gleichen Mann geliebt hat - zunehmend in den Hintergrund.

Thomes Film stellt sich dieser Kontingenz nicht nur, er zelebriert sie geradezu, bis daraus eine neue Verbindlichkeit entsteht: die absolute Gegenwart einer Begegnung und ein geradezu utopisches Auskosten des einzelnen Moments. Getragen von einer heiteren Wahlverwandtschaft gleitet sein Film mit der Sommergesellschaft einfach so dahin, von Frühstück zu Picknick zu Abendessen zu Spaziergang. Natürlich gibt es auch alte Aggressionen, und einmal wird Adam sogar von einem Asthieb niedergestreckt. Aber dann scheint sich auch alles wieder in der Landschaft zu verlieren, durch die man die Geburtstagsgesellschaft manchmal nur pünktchengroß in der Ferne wandeln sieht.

Dass Thomes Film dabei die Nonchalance bewahrt, liegt vor allem an zwei Frauen, die gewissermaßen Alpha und Omega von Adams Weiberheldenkarriere darstellen. Berenice, die Erste, ist inzwischen Nonne geworden. Sie wird gespielt von Irm Hermann, die ja ohnehin immer auf so kunstvolle Weise neben sich steht, dass man ihr sogar das anfängliche Gebet für den Weltfrieden abnimmt. Einmal tauscht sie die Schwesterntracht gegen ein Abendkleid aus, um mit Hanns Zischler einen kleinen Swing aufs Parkett zu legen. Thome filmt diese kurze, ausgelassene Szene aus der Distanz, als wolle er der alten Vertrautheit der beiden die Diskretion lassen. Neben dieser keuschen Schwesternhaftigkeit steht die erotische Souveränität von Adams gegenwärtiger Gefährtin. Cora Frost spielt Eva mit der tranceartigen Schwebe einer Frau, die sich ihres Begehrtseins sicher ist. So sicher, dass sie alle Ehemaligen zu sich bitten kann, mit dem liebevoll-nachsichtigen Gestus einer Mutter, die diesen ganzen Kindergeburtstag organisiert hat.

Frost ist schon da, bevor die anderen kommen, und sie wird noch da sein, wenn alle wieder weg sind. Zwischen diesen beiden Frauen, die das Prinzip des "Alles oder nichts" jeweils auf ihre Weise gelöst haben, wirkt Hanns Zischler manchmal wie ein verträumter kleiner Junge, der auf seinem eigenen Geburtstag zu Gast ist.

Am Ende dieser Sommerutopie bleibt man auch als Zuschauer mit einer merkwürdigen Melancholie zurück. Dass kurz vor dem Abspann und quasi im Off schnell noch ein Kind entsteht, wirkt da nur mehr wie eine kleine kreatürliche Barriere gegen die Vergänglichkeit.





    Die Drei am Geschirrtuch

Daniel Kothenschulte
Frankfurter Rundschau
21. 7. 2001
  Fast schon ein Alterswerk: Rudolf Thomes Film "Paradiso - sieben Tage mit sieben Frauen"

Rubinstein konnte Chopins Walzer mit der Leichtigkeit eines Gedankens spielen. Ennio Morricone sagt über das Komponieren, es bereite ihm nicht mehr Mühe als das Briefeschreiben. Und Picasso, der jeden Tag das Datum unter Dutzende künstlerischer Lebensäußerungen setzte, glaubte gar an die völlige Verschmelzung von Leben und Kunstproduktion. Dem Fotografen Brassaii erzählte er, dass er überzeugt sei, es werde eines Tages eine "Wissenschaft vom Menschen" geben. Diese würde dann aus der Chronologie der hinterlassenen Werke nach dem Geheimnis des Schöpferischen stöbern.

Nichtkünstler können manchmal neidisch werden bei der Vorstellung, dass die Leichtigkeit, mit der uns die Kunst mitunter gegenübertritt, keine Attitüde sei, hinter der sich Schweiß und Mühsal verbergen. Sondern dass sie manchmal genauso mir nichts dir nichts aus dem Leben fließt, wie sie daher kommt. Wieviel eifersüchtiger noch müssen jene anders gelagerten Künstlertemperamente reagieren, die sich jede Idee mühsam abringen müssen. Und es ansonsten mit Karl Valentins Bonmot halten müssen, Kunst sei schön, mache aber auch viel Arbeit.

Rudolf Thome gehört zu den Glückspilzen der ersten Sorte. Seine Drehbücher schreibt er live im Internet, auf dass man ihm bei seiner Inspiration über die Schulter schaue. Und in den glücklichsten seiner Filme, jenen bei denen alles geklappt hat und die Inspiration die Mühen der Ausführung überdauern konnte, glänzen dann die Gedanken eben rubinsteinartig auf der Leinwand. Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen ist so ein Film.

Man sollte bei der Künstlerfigur im Zentrum nicht gleich an Picasso denken. Bestimmt hätte dieser auch gern seinen 60. Geburtstag im Kreise der großen Lieben seines Lebens gefeiert, doch dazu hätte er die meisten von ihnen zuvor etwas besser behandeln müssen.

Mit diesem Adam (Hanns Zischler), der drei Frauen und vier Geliebte in sein ländliches Heim in der idyllischen Seenplatte Mecklenburg-Vorpommerns eingeladen hat, hadert keine der Anwesenden ernstlich, auch wenn bei zweien von ihnen der Trennungsschmerz bleibende Spuren hinterlassen hat: Berenice (Irm Hermann) ist nach der Trennung gar ins Kloster gegangen. Nun ist es ihr vorbehalten, vorsichtig die fehlende Spiritualität im Wesen des ausgeglichenen Protagonisten anzumahnen, die gewiss auch seiner Kunst, der Musik, gut täte. Mehr wird über das Thema nicht gesagt; das Gemälde, das sie dem Komponisten zur Kontemplation schenkt, bekommen wir diskreterweise gar nicht erst zu sehen. Und doch reicht ihre liebevoll-bedächtige Präsenz - neben dem Auftritt einer harmlosen Schlange - dem Glück des Paradiso einen kleinen Stich in Richtung Vanitas zu versetzen. Jacqueline (Amelie Zur Mühlen), die zweite Leidtragende, kriegt zwischen den Geselligkeiten des siebentägigen Geburtstagstreffens einmal kurz das heulende Elend, wie man es von Familienfesten ebenso kennt. Im Kino werden solch alltägliche Gefühlsausbrüche meist zu Dramen ausgebaut. Rudolf Thome hingegen belässt es bei jener umso lebensnäheren Beiläufigkeit, die ihn in seinen Filmen schon mit konstruierteren und utopischeren Sujets als einem Familientreffen von Ex-Geliebten hat durchkommen lassen.

Ein handfester Vater-Sohn-Konflikt zum Beispiel, den auszutragen dänischen Dogmafilmern allein ein ganzes Familienfest wert gewesen wäre, wird in zwei Minuten abgehandelt. Dann hat Billy, vernachlässigter Sohn aus der Ehe mit Berenice, seinem einem Western entlehnten Namen Ehre gemacht und seinem Vater einen Ast auf den Kopf geschlagen. Und wieder ist die Angelegenheit damit erledigt.

Schon öfter hat Thome in seinen Filmen John Ford und Howard Hawks Tribut gezollt. Cora Frost hätte als amtierende Ehefrau des Helden beiden gefallen; ihre starke, erwachsene Weiblichkeit hält diese denkwürdige Geburtstagsgesellschaft erst zusammen. Aber Thome wäre nicht Thome, wenn er bei sieben Frauen nicht noch Platz für eine achte gefunden hätte, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt: Valeska Hanel, einer der besten deutschen Nachwuchsdarstellerinnen, gelingt es in wenigen Szenen als Billys Ehefrau, ein traditionelleres Ideal emotionaler Geborgenheit glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Thome hat gesagt, er habe das Drehbuch zu Paradiso aus Zorn über einen anderes filmisches Künstlerporträt geschrieben: Angelopoulos' Eine Ewigkeit und ein Tag weckte in ihm die Sehnsucht nach einer weniger pathetischen und bedeutungsschweren Annäherung an das Älterwerden eines Künstlers. Man muss diesen Film nicht einmal als Selbstporträt des gleichaltrigen Regisseurs lesen, um grundsätzliche Positionen eines filmischen Kunstbegriffs darin zu erkennen. Keine Einstellung in Paradiso ist ohne Funktion, aber die ist nicht immer die im deutschen Kino erwartete: Es sind Bilder, die weniger die Geschichte weiter führen, als das Erleben von Zeit sichtbar werden lassen. Mal weisen sie ins Erhabene, wie die eingearbeitete Sonnenfinsternis von 1999. Mal erinnern sie an die unnötigen Liebesmühen des Lebens, wie jene Szene, in der sich drei Frauen zugleich am Geschirrabtrocknen versuchen. Mal wirken sie wie verschmitzte Annäherungen an die tradierte Poetik des Kunstkinos wie jene Szene, in der Adam an seinem idyllischen See eine grellrote Plastikgießkanne füllt - und dabei den Weltflüchtigen in Tarkowskijs Opfer Konkurrenz zu machen scheint. "Wenn es mir gelänge, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in einer Musik zusammenzufassen", lässt er seinen Komponisten Adam einmal sagen, "das wäre es. Dann könnte ich aufhören." Thome ist es gelungen, und doch wollen wir letzteres nicht hoffen.





    Adam im Kreis der Amazonen

Norbert Grob
Kölner Stadtanzeiger
21. 7. 2001
  Rudolf Thome und die Kunst, Ungewöhnliches alltäglich zu erzählen

Ein Mann, ein berühmter Komponist, schütteres Haar, nicht mehr ganz schlank, aber noch aufrecht in der Haltung, durchwandert früh am Morgen seinen großen Garten. Er begutachtet ein paar Sträucher, schaut lange auf den See, gießt das Gemüse, blickt in den Himmel und erinnert sich der Sonnenfinsternis seiner Jugendzeit, redet mit den Bäumen. Einem wirft er vor, nicht so recht zu gedeihen und keine Früchte zu tragen, und droht deswegen, ihn "den Eichhörnchen" zu überlassen.

Elegische Bilder und bedächtige Rhythmen, das kennzeichnet "Paradiso" von Rudolf Thome, der, im Spätsommer 1999 in zwanzig Tagen für DM 700.000 gedreht, nun endlich auch in die deutschen Kinos kommt. Der lange Blick des Helden aufs Wasser zu Beginn, dieses schweifende Schauen, ist voller Neugierde und Lust zugleich. Klar, dass Thome genau so sich seine Zuschauer wünscht - neugierig und lustvoll schauend.

Im Mittelpunkt: ein Musiker, der sechzig wird. Und zur Feier für sieben Tage die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens einlädt - und seinen ältesten Sohn, den er bislang kaum kannte. So abenteuerlich der Ausgangspunkt, so behutsam und beiläufig die Ausführung. Für Thome selbst, den deutschen "Nouvelle Vague-Regisseur par excellence" (Peter Nau), geht es in seinem Film um "das Porträt eines Mannes", um dessen Lebensgeschichte, "einschließlich der Vergangenheit". Und da er "keine historischen Filme drehe und keine Rückblenden mache", bleibe ihm "nur die Möglichkeit, die Vergangenheit reinzuholen in die Gegenwart, indem er "Personen aus der Vergangenheit zeige."

Seit 35 Jahren arbeitet Thome hierzulande regelmäßig fürs Kino. Und immer wieder erwies er sich als sensibler Autor. In "Rote Sonne" töten die Frauen ihre Männer, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt; in "Der Philosoph" lässt er den Denker Hermes auf drei Göttinnen treffen; in "Berlin Chamissoplatz" und "Liebe auf den ersten Blick" feiert er den Zauber einer zufälligen Begegnung; in "Das Geheimnis" teilt seine Heidin mit Jesus Christus Tisch und Bett. Für Thome lag die Lösung aller Schwierigkeiten um den deutschen Film von Anfang an darin, listig zu sein und kleinere, billigere Filme zu machen, die dann eventuell zu sleepers werden können, zu longsellern, die erst nach und nach Erfolge bringen. "Das Problem für uns ist nicht, dass die Macht der Amerikaner noch größer wird. Viel größer kann sie gar nicht werden. Das Problem ist eher, dass wir als Rezept quasi dagegen setzen, was Ähnliches zu machen. Die Kommerzialisierung des deutschen Film hat mittlerweile ein schlimmes Stadium erreicht: Er ist weitgehend ähnlich wie der in den fünfziger und sechziger Jahren."

"Alle Frauen hassen Adam", heißt es in "Paradiso" einmal. "Aber dann, nach einer Weile, lieben sie ihn wieder." Die sieben eingeladenen Frauen machen schon durch ihre Geschenke deutlich, wie sehr sie das Stadium ihrer Abneigung.überwunden haben: Die eine, die Älteste, inzwischen Nonne in einem Kloster, schenkt ihm ein Heiligengemälde. Die zweite, eine Opernsängerin, widmet ihm eine Liebesarie. Die dritte, die Koketteste von allen, überreicht ihm einen Tangaslip und lässt ihm später 60 Pappeln liefern. Die vierte. die Anmutigste, die in Leder auf dem Motorrad ihres Sohnes ankommt, will mit ihm ihre erregendste Lektüre teilen, einen Text des Philosophen Georg Picht. Sie ist es auch, die ihm später, als ihn Schmerzen plagen, mit einer energischen, geradezu gymnastisch anmutenden Massage Heilung bringt.

"Der Mann heißt Adam, die Frau heißt Eva, es gibt auch eine Schlange. Warum nicht sieben Frauen? Es mussten sieben sein. Einfach wegen der Schlange. Es ist eine Zahl, die hat zu tun mit den Schneewittchen und den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Es ist halt einfach ein Märchen." Ein Märchen? Selbstverständlich ist das ganze eine Phantasie über das Unmögliche, das plötzlich wirklich und wahr wird. Ein Männertraum. Deshalb porträtiert Rudolf Thome seinen Künstler mit viel Sympathie, isoliert ihn nur selten von seinen Frauen und Freunden aus Gegenwart und Vergangenheit, und wenn doch, bindet die Kamera ihn rasch wieder an die Figuren, um ihn so näher zu charakterisieren und immer neue Facetten von ihm zu enthüllen: das Eitle und Selbstgefällige im Streit mit dem ihm unbekannten Sohn, der ihn voller Zorn provoziert, beschimpft und sogar schlägt, das Offene bei der Versöhnung danach beim teuren, alten Chateau Mouton, das Schüchterne beim Verführungsversuch der Koketten, die ihn heftiger umarmt, als ihm lieb ist, und seine Rührung beim Gerede der Ehemaligen über ihn: "Wir alle sind deine Dienerinnen." - "Ich fühle mich wie von Amazonen umgeben."

Wie so oft bei RudolfThome gibt es ein entlegenes Haus am See. Musik und Gesang. Lange Szenen am Wasser. Blicke in die Sonne. Alltagsbilder mit Pasta und Rotwein. Liebes- und Kriegsspiele im Bett. Thomes Kino lebt von der "Dichte seiner subjektiven Konstruktion", die nie aufgeht in bloße Illusion. So bleibt er offen dafür, ständig die Richtung zu wechseln. Offen für poetische Bilder von Menschen in verwunschenen Landschaften. Und erstmals auch offen für einen inneren Monolog, der die Gedanken und Gefühle des Komponisten in intime Nähe rückt. Ein Mann zwischen sieben zugeneigten Frauen. Dazu ein paar Kinder. Und ein renitenter Sohn. Das Idyll als Paradies und Hölle zugleich. Diese aufgeladene Situation inszeniert Thome mit einem zärtlichen Blick auf seine Figuren und ihre Umgebung. Was dem Film einen ganz eigenen Charme verleiht. Eine Poesie des Alltäglichen - wie bei Jacques Rivette. Eine gelassene Heiterkeit - wie bei Jean Renoir. Und eine ironische Lakonie - wie bei Roberto Rossellini.

Paradiso" für mich, als er auf der Berlinale 2000 seine Premiere hatte, das erste Meisterwerk des neuen Jahrtausends, ist ein kleines Wunder: Es ist, als öffneten sich unentwegt neue Fenster auf die Welt und zeigten alles verändert - magisch, mythisch, märchenhaft. "Ich denke nicht, dass ich alltägliche Filme mache, überhaupt nicht. Ich liebe extreme Geschichten, extrem fiktive, ungewöhnliche Geschichten, die aber alltäglich erzählt." Am Ende gibt es eine heftige Umarmung. Ein Kind wird gezeugt. Die Zeit vergeht. Die Spannungen bleiben. Das Leben geht weiter. "Wir haben ein Mädchen bekommen und es Sarah genannt. Eva will, dass Lulu Patin wird. Ich kann mich nicht entscheiden."




    Paradiso

Der Spiegel
23. 07. 2001
  Adam ist der Mann, den die Evas Lieben - kein Wunder, haben sie doch keine große Auswahl. In sein idyllisches Reetdachhaus am Kummerower See lädt der ansehnlich gereifte Komponist Adam (Hanns Zischler) zu seinem 60. Geburtstag die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens ein, Geliebte und (Ex)-Gattinnen aller Altersklassen. Und die, oh Wunder, raufen sich im Laufe einer verwunschenen Ferienwoche mit Picknicks und Ausflügen zusammen zu einer großen Haremsfamilie. Ein Männertraum vom Paradies? Natürlich, aber Filmemacher Rudolf Thome, 61, hat ihn entwaffnend charmant, sehnsüchtig und mit lauter wunderbar bewährten Thome-Darstellerinnen in Szene gesetzt. Ein Film wie ein lauer Sommerabend. Und schließlich: Warum sollen Männer nicht träumen dürfen?





    Im Glück

Merten Worthmann
Die Zeit
26. 7. 01
  Bei der Darstellung vieler außerordentlicher Dinge helfen im Kino Spezialeffekte. Manches allerdings lässt sich partout von keinem Computerprogramm errechnen und dann ins Bild hineinsimulieren. Dazu gehört das Glück. Es ist wohl überhaupt am allerschwersten darzustellen, wenn es einmal ganz es selbst sein soll - und nicht nur Liebes- oder Gewinner-Glück. Denn das Kino will ja Drama, also Konflikt, während das Glück, wo es ausnahmsweise dauern darf, das Geschehen eher stillstellt. Es gibt nicht viele Regisseure, die sich ums Glück bemühen, und noch weniger, die es tatsächlich eine Weile festhalten können. Rudolf Thome ist einer von ihnen. In den neunziger Jahren hat er immer mutiger kleine Fluchten in persönliche Paradiese inszeniert. Sein jüngster Film heißt gleich danach. Paradiso , im Untertitel Sieben Tage mit sieben Frauen genannt, erzählt vom 60. Geburtstag des Komponisten Adam Bergschmidt. Eine Woche lang wird der begangen, und Bergschmidt (gespielt von Hanns Zischler) hat dazu die wichtigsten Frauen seines Lebens ins eigene Haus an einen Mecklenburger See eingeladen. Außerdem kommt Billy, der Sohn, den er 30 Jahre vernachlässigt hat. Natürlich gibt das Streit, und es gibt auch Eifersucht; aber das alles nur andeutungsweise. Wichtiger ist die Stimmung, die zwischen all den Kleinigkeiten entsteht, aus denen Thome seinen Film luftig zusammengebastelt hat. Es ist das Glück. Es flirrt auf beim gemeinsamen Picknick, bei der Ausfahrt zum Konzert, beim Bepflanzen eines Felds, beim Abendessen am See, auch in der Küche zwischen Handtuch und Herd, wenn die Sonne durchs Fenster auf Menschen fällt, die sich entwaffnend wohl miteinander fühlen. Das Glück ist flüchtig, es huscht von Szene zu Szene, zieht sich auch mal zurück und muss ja ohnehin ständig dem Kitschverdacht entkommen. Das gelingt ganz zauberhaft. Etwas schwerer hat es der Film mit dem Eitelkeitsverdacht. Thome ist während der Arbeit an Paradiso selbst 60 geworden, und das liebliche, friedliche Schwärmen all der Frauen um ihren Adam herum lappt eben doch mitunter heftig ins Männerfantastische. Wir sehen's dem Film nach - und sinken zurück in sein Glück.




    Die sieben Frauen des neuen Adam

Andreas Jüttner
Badische Neueste Nachrichten
28.7.01
  Der besondere Film: Beziehungsreicher Beziehungsreigen in "Paradiso"

"Alle Frauen hassen Adam eine Weile. Und dann lieben sie ihn wieder." Das sagt die junge hübsche Schauspielerin Lulu der Literaturstudentin Marion. Getroffen haben die beiden sich bei der Feier zu Adams 60. Geburtstag: Der lebens- und liebesfrohe Komponist hat die wichtigsten sieben Frauen seines Lebens für sieben Tage eingeladen.

Vordergründig wirkt "Paradiso", der jüngste Film des deutschen Nouvelle-Vague-Vertreters Rudolf Thome wie eine Altherrenphantasie, an der Oberfläche so flach wie die Gewässer der Seenplatte bin Mecklenburg-Vorpommern, wo der in herrlicher Landschaft spielende Sommerfilm entstanden ist: Dem ach so charismatischen Künstler, von dessen Inspiration sie selbst zehren, sehen die Frauen eben alles nach, und selbst sein längst selbst Vater gewordener Sohn verzeiht dem alten Egozentriker, dass der durch seine Scheidung als Kind allein gelassen und die Mutter ins Kloster getrieben hat. Bis am Ende alle eine große Familie sind.

Aber so einfach macht es sich der Ironiker Thome, der mit der grandiosen Darstellerriege um den tatsächlich höchst charismatischen Hanns Zischler wirklich seine "Filmfamilie" versammelt hat, natürlich nicht: "Paradiso" ist eine mehrschichtige, von Anspielungen durchsetzte Reflexion über Zeit, Vergänglichkeit, Älterwerden und eben die Liebe. Märchenhaftes und Biblisches fließen hier ineinander, schon in der Betonung der Zahl Sieben und mehr noch in der Personenkonstellation: Adam ist derzeit mit Eva verheiratet, die nur kurz eifersüchtig wird, als Adam mit seiner ersten Frau Berenice tanzt (die wiederum eine Anlehnung an Dantes Beatrice ist). Außerdem gibt es in diesem Paradies auch Schlangen und sogar ein "Betreten verboten"-Schild, mit dem Eva anfangs das Geschenkzimmer versperrt.

Aufs Archetypische verweist das eingangs erwähnte Zitat: Schließlich spricht da ausgerechnet eine Lulu, seit Wedekind der Inbegriff der vom Mann zur Projektionsfläche gemachten Frau, über einen Adam, also den typischen Mann. Und auch die jüngste deutsche Geschichte wird verhandelt: Der Sohn ist ein Friedenskämpfer, der sich mit dem Hedonismus des arrivierten Vaters schwertut.

Ein derart aufgeladener Film (es gibt noch weitaus mehr zu entdecken) schreit geradezu nach dem Robert-Gernhardt-Zitat: "Mein Gott, ist das beziehungsreich / Ich glaub', ich übergeb' mich gleich". Doch Thome setzt alles so beiläufig, lakonisch und andeutend in Szene, dass anstelle der drohenden Langeweile tatsächlich ein Paradies-Effekt entsteht: Die Zeit wird aufgehoben, und am Schluss waren 100 Minuten doch zu kurz.




    Der Mann als Hahn im Korb

L.R.
Nürnberger Nachrichten
28.7.01
  Heitere Sommergäste: Rolf Thomes einfühlsamer Film "Paradiso - sieben Tage mit sieben Frauen"

Es ist ein Männertraum schlechthin: In Harmonie einmal im Leben alle Lieblingsfrauen vereinen, sich verwöhnen lassen, beim Picknick alte Erinnerungen austauschen und Hahn im Korb sein. Die Damen unterschiedlicher Generationen parlieren verständnisvoll, kein Giftpfeil durchbohrt die offenen herzen, und selbst die gegenwärtige Gattin des Hausherrn macht souverän mit.

Ob man es glaubt oder nicht, aber Rudolf Thome, stille Dauererscheinung des deutschen Films, hat aus dieser Utopie eine schöne Geschichte gemacht. Und zwar mit Leuten, die er kennt, genau wie sein Protagonist Adam Bergschmidt. Hanns Zischler, auch einer aus der vertrauten Thome-mannschaft, spielt den erfolgreichen Komponisten, der zum sechzigsten Geburtstag die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens zu einer Landpartie einlädt. Der Künsler ist Gastgeber in einem malerischen Haus am Mecklenburgischen See, dort entspannt er sich in der Natur und findet Stille für die Tonschöpfung.

Regisseur Thome, im gleichen Alter wie der soignierte Bergschmidt, findet eine sensible Balance zwischen dieser bunt zusammengewürfelten Gesellschaft. Sommergäste mit E-Mail-Anschluss, ganz der Zeit zugewandt und doch mit ihrer Vergangenheit stark beschäftigt. Amouröses verklärt sich im Rückblick, dennoch verliert sich hier keiner an Sentimentalitäten.

Da sind Lilith und Marion, Berenice und Lulu, freundlich empfangen von Eva (sehr apart, die Sängerin Cora Frost), die junge Ehefrau des Komponisten mit ihren zwei Kindern. Nur andeutungsweise erfährt man vom verästelten Beziehungsgeflecht, warum wer wen verließ, welche Enttäuschungen damit verbunden waren und weshalb man sich doch in Freundschaft begegnet oder in neu entdeckter Erotik die bürgerlichen Grenzen wie eh und je hinter sich lässt.

In animierender Atmosphäre gibt Thome behutsam Einblick ind die Seele durchaus eigenständiger Frauen, die zu ihren Gefühlen stehen und durch die heiteren Tage am See etwas von sich selbst wiederfinden. Ohne Psycho-Stress und Therapie-Runden. Gut geeignet für einen Sommerabend.




    Paradies und Kleinfamilie

Marcus Welsch
Kommune - Forum für Politik, Ökonomie, Kultur
8/2001
  Ich misstraue Filmen, die einem vom Glück kontemplativen Gleichgewichts in Fluss- und Seenlandschaften überzeugen wollen. Meist sind es bildungsbürgerliche Sonntagsausflüge, die das Glück außerhalb der Städte suchen, und am Schluss über das Gekreische im Wasser nicht hinauskommen. - Es gibt jedoch Bilder, die so einfach und leicht sind, dass sie keine weiteren Überredungskünste brauchen. Ein Mann geht mit zwei Gießkannen früh morgens an einen See und holt Wasser für seinen Garten. Er blickt über den See und seine Haltung sagt, dass ihm alles andere egal sein kann. Das ist im Prinzip alles, was es zum Glück im Kino braucht. Fast alles.

Paradiso von Rudolf Thome erzählt vom Komponisten Adam, einem Mann in den besten Jahren, der seinen 60. Geburtstag an einem der mecklenburgischen Seen feiert. Dazu hat er sich mit seiner jungen Frau etwas Besonderes einfallen lassen. Adam lädt alle Frauen ein, die er in seinem Leben geliebt hat. In aller Ruhe wird von diesen sieben Tagen erzählt, die sich irgendwann zwischen dem Kosovokrieg und der Sonnenfinsternis 1999 ereignet haben. Sieben Frauen, die sich eigentlich hassen müssten und auch Adam irgendwann gehasst haben. Auf die große Katastrophe wartet man vergeblich. Die Spannung ist spürbar, die Verletzungen werden nicht vertuscht, aber zu psychischen Explosionen kommt es nicht. Immer, wenn sich ein Abgrund anbahnt, biegt der Film vorher ab und Adam steht gerührt bis hilflos zwischen seinen Frauen, als sei er selbst nur Besucher auf seinem eigenen Fest. Das Miteinander der sieben Frauen bleibt unverschämt entspannt.

Den Konflikt muss ein anderer übernehmen. Adam hatte mit seiner ersten Frau einen Sohn, Billy, den er nie kennen gelernt hat. Wie bei dem grandiosen dänischen Film Das Fest ist es der älteste Sohn, der den Vater zur Rechenschaft zieht. Im Unterschied zum Dogmafilm ist der Komplize nicht der Koch, sondern ein Politiker. Am Anfang von Paradiso traut man seinen Augen nicht: Billy schreibt eine E-Mail an seinen Ziehvater Joschka Fischer und beschwert sich über dessen Engagement in der NATO-Politik. Billy war immer ein Kämpfer, der sich nichts gefallen ließ. Nun trifft er zum erstenmal auf seinen leiblichen Vater. Aus Sohn Billy wird Billy the Kid, der seinen Vater bei einem der Spaziergänge nicht nur verbal angreift und ihm seinen unerträglichen Patriarchen-Gestus vorhält, sondern seiner Wut mit einem Ast tatsächlich Luft verschafft. Danach kann der eigentliche Film, der eigentliche Traum beginnen. Manchmal braucht es ein Stück Gewalt.

Ein zutiefst biblischer Film, befürchtet man. Doch wer wie Thome seinen Film lückenlos mit biblischen Namen überzieht und dem Adam nicht nur eine Eva zur Seite stellt, sondern auch die Kinder eine Schlange fangen lässt, pflegt eher die Ironie als die Auslegung strenger Gleichnisse. Paradiso ist ein zärtlich utopischer Film, der im Grunde von der Sehnsucht nach Familie erzählt. Wobei die Versuchsanordnung, die Thome dazu gewählt hat, jedem Mitglied der CDU-Sozialausschüsse die Schuhe ausziehen würde.

Irgendwann steht Adam in seinem Landhaus vor einer Tür, auf der "Betreten verboten" steht. Er öffnet sie. Paradiso macht vor dem Paradies nicht Halt. Und gäbe es nicht Sohn Billy, der sich klar zu den Regeln der Kleinfamilie bekennt, würden die sieben Frauen vielleicht tatsächlich die fröhlichen Urzustände der freien Liebe feiern. Was ist das für eine seltsame Utopie, wo nur der Vater im Himmel beziehungsweise Adam auf Erden Sex hat und alles sich nach dem heimlichen Plan des Patriarchen richtet? Man muß die Utopie woanders suchen. Denn eigentlich zeigt Thome in seinen Filmen immer die gleichen unspektakulären Dinge des Lebens. Die Leute liegen im Bett, die Leute frühstücken, die Leute gehen am Wasser spazieren. Beim letzten gemeinsamen Frühstück hält Sohn Billy eine Rede, in der er eingesteht, dass die Zumutungen der letzten Woche ihm eine neue Seite von Familiensehnsucht gezeigt haben - nämlich von Vergangenem abzusehen und den Moment zu schätzen. Die Versuchsanordnung, die sich um den Geburtstag von Adam entspinnt und Thome meisterlich ausführt, nützt natürlich die Zumutungen der Situation. Statt eines möglichen Psychokriegs, in dem die Kränkungen und Enttäuschungen zur Entfaltung kommen, fordert Adam das Leben seiner Lieben heraus. in den traumähnlichen sieben Tagen findet die Gegenwart wieder ihren Platz.

Natürlich ist die Frage nach dem Glück immer eine vergebliche Frage, und mit Zenweisheiten ist auch nicht jedes Lebensproblem zu meistern. Thome ist gerade deswegen ein großartiger Film gelungen. Denn zum Glück im Moment gehört auch die Frage, wie man mit einem Gartenschlauch eine Maus fängt.

Nach den großen Feierlichkeiten steht Adam mit seinem zweiten Sohn im Garten. Das Glück ausgeglichener Ruhe ist zum Greifen nahe. Doch der Sohn, der noch ein Junge ist, bringt den Vater kurz aus dem Gleichgewicht. Mit kindlicher Unschuld fragt er: "Du Papa, gehört das eigentlich nach deinem Tod alles mir?" Thome liebt seine Figuren und erreicht eine entwaffnende Einfachheit und Offenheit, die man hier zu Lande selten findet. Das Risiko ist hoch und die Gefahr, in Kitsch und Romantik abzustürzen, liegt auf der Hand. Dass sich eine Traumreise nicht zwangsweise in romantischer Schwelgerei verheddern muss, hat Thome bewiesen. Vielleicht ist man deswegen bereit, seine tranceartigen Wanderungen mitzumachen, weil man immer spürt, wo seine Figuren herkommen. Es liegt bestimmt auch am Vertrauensvorschuss gegenüber den Schauspielern, dass die Figuren Adam und Eva von Hanns Zischler und Cora Frost in ihrer Vagheit so überzeugend gespielt sind.

Berenice war die erste Ehefrau von Adam, die nach der Trennung das Kloster vorzog. Nonnen sind die dankbarsten Symbolfiguren des Kinos, weil in ihrem Gewand das Affektbild besonders gut funktioniert. Man weiß nie, ob man sich wirklich auf die Person hinter dem halb verdeckten Gesicht einlässt oder letztendlich die Symbolik in der Einbildungskraft die Oberhand gewinnt. In Paradiso gelingt es der alten Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann, alle Klischees hinter sich zu lassen. Sie steht auf kunstvolle Weise neben sich, ohne dabei ihrer spirituellen Mission abhanden zu kommen. Sie ist die eigentliche Herausforderung für Adam. Früher wollte Adam in seiner Musik nur die Wahrheit, nichts als die schonungslose Wahrheit finden und hat darüber drei Ehen zerschlissen. Mit Sechzig hört er den Bäumen an den Seen zu.



    Kritiken zur Premiere auf der Berlinale 2000



    Wo bist du, Adam?

Harald Martenstein
Der Tagesspiegel
14.02.2000
  Ein Mann, sieben Frauen: Rudolf Thomes neuer Film "Paradiso”

Rudolf Thome hat einen zärtlichen, utopischen Film gemacht, über die Sehnsucht nach Familie. Unter "Familie” versteht er etwas anderes als, sagen wir ein Familienpolitiker von der CSU. Für Thome bedeutet Familie: Aufgehobensein. Geborgenheit. Gemeinschaft. Klingt konservativ, aber Thomes Traumfamilie ist eine hochmodeme Patchwork-Konstruktion. Sie schlagen sich, beinahe kommt es zum Gruppensex. Den Familienpolitikem von der CSU kann "Paradiso” unmöglich gefallen.

Adam (Hanns Zischler) wird sechzig, ein erfolgreicher Komponist. Er hat ein Haus am See, eine junge Frau namens Eva und zwei kleine Kinder. Zum Geburtstag lädt er die wichtigsten Frauen seines Lebens ein. Es sind sieben. Drei davon hat er geheiratet. Eine ist Nonne geworden - Irm Hermann als Grenzgängerin zwischen Innigkeit und Sinnlichkeit. Außerdem hat er seinen Sohn aus erster Ehe eingeladen, den er seit 30 Jahren nicht gesehen hat. Und seinen besten Freund - Marquard Bohm.

Der Film handelt davon, wie aus dieser befangenen, eifersüchtelnden, zusammengewürfelten Menschengruppe, im Verlaufe einer sonnigen Sommerwoche eine harmonische Gemeinschaft entsteht - wodurch? Durch die Kraft der Liebe, durch Gnade vielleicht, der Film heißt schließlich "Paradiso". Er spielt in freier Natur. Einmal finden die Kinder eine Schlange und lassen sie leben.

Eine Männerphantasie. Ein Harem! Ja, aber warum sollen die Männer keine Phantasien haben dürfen? Man kann "Paradiso” als eine Antwört auf "Das Fest” von Thomas Vinterberg verstehen, wo ebenfalls ein Familienpatriarch die Seinen zum Geburtstagsfest ruft. Während bei Vinterberg die Dämonen der Vergangenheit aus ihren Ritzen kriechen, siegt bei Thome der fromme Wunsch von heute über die Schuld von gestern. Die Personen scheinen aus der Zeit herauszufallen, sie werden mit wenig Psychologie ausgestattet, wie in Trance bewegen sie sich interessiert aufeinander zu. Aus vielen wird eins. Ein Paradies, ohne Eifersucht. Sex hat ohnehin nur der alte Herr, das macht die Sache leichter.

Der Himmel sind immer die anderen. "Paradiso” hat etwas Traktathaftes, das allerdings durch Ironie erträglich gemacht wird. Der verlorene Sohn ist Pazifist, trotzdem verprügelt, er mit SFOR-hafter Selbstgewissheit seinen treulosen Vater. Die Schlägerei verbessert das VaterSohn-Verhältnis deutlich. Gewalt ist manchmal doch eine Lösung.

Auch Rudolf Thome ist kürzlich sechzig geworden, und er bevölkert "Paradiso" mit den Darstellerinnen seiner früheren Filme - Cora Frost, Adriana Altaras, die wunderbare Sabine Bach aus "Berlin Chamissoplatz". Uschi Obermeier fehlt leider; sie war zu teuer. Für Thome ist es die erste Teilnahme am Wettbewerb der Berlinale, in einem Jahr, in dem die älteren Herren des jungen deutschen Films als Terzett antreten - Schlöndorff, Wenders und er. Vielleicht ist Thome am frischsten, weil er die alten Fragen stellt Warum sind die Menschen nicht glücklicher? Was können sie tun, um glücklicher zu sein? Rudolf Thome gibt keine Ruhe, er sucht immer noch das Paradies auf Erden, und dafür muss man ihn lieben.



    Wahlverwandtschaft der Seelen

KATJA NICODEMUS
die tageszeitrung
14.2.2000
  Utopischer als jede Revolution: In "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" inszeniert Rudolf Thome eine alte Männerfantasie als merkwürdig-opulente Landpartie in Mecklenburg-Yorpommern

Rudolf Thomes Kino ist ein Kino des Utopischen. Nur gilt die Sehnsucht seiner Filme nicht dem radikal anderen, entfemten, dem Nicht-Ort. Thomes Utopie hat mehr mit Rousseaus Gemeinschaft der Seelen zu tun, mit dem aufklärerischen Ideal der Empfindsamkeit, mit einem Zustand heiterer Wahlverwandtschaft. In "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen” lädt ein Komponist (Hanns Zischler) alle wichtigen Frauen seines Lebens zum 60. Geburtstag in sein Haus im Mecklenburgischen. Wenn es einem Mann, der die eine für die andere verlassen und diese mit jener betrogen hat, gelingt, diese exzentrische Lebensbilanz einigermaßen harmonisch hinter sich zu bringen, sich sieben Ex- und Noch-Rivalinnen weder an die Gurgel gehen noch um die Substanz ihrer jeweiligen Erinnerung bringen - dann ist das utopischer als jede Revolution.

Natürlich entspricht die Situation einer klaren Männerfantasie, so klar, wie Adam und Eva, die Vornamen des Gastgebers und seiner jetzigen Frau (Cora Frost), auf die mythische Einheit eines elementaren Urpaares verweisen. Dass die Grundkonstellationen bei Thome so entwaffnend daherkommen (in seinem letzten Film "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" war es die Dreierbeziehung zwischen zwei Frauen und einem Außerirdischen), macht seine Filme nur auf den ersten Blick durchschaubar.

Am Anfang ein zenhaftes Gleichgewicht. Das Licht ist silbrig, der pastellgrüne See verschwimmt am Horizont mit der Luft eines ganz frühen Morgens, und das Schilf bewegt sich leicht im Wind. Adam geht zum Ufer, um die Gießkanne zu füllen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so alt werden würde", beginnt Hanns Zischlers Stimme aus dem Off. Die Streicherklänge schweben. In "Paradiso” geht es um einen Mann, der sich selbst ins Verhältnis setzt zur Natur und zur Vergänglichkeit und der sich an seinem 60. Geburtstag vergewissern will. Dessen, was bleibt, ob das nun die Musik, ein Kind oder vielleicht eine Spur ist - aus den sich überkreuzenden, parallel laufenden und sich wieder verlierenden Geschichten von acht Menschen.

Adam will es wirklich wissen, deshalb setzt er sein inneres Zentrum, das auch der musikalisch-stimmliche Mittelpunkt des ganzen Films ist, dem Ansturm der Vergangenheit aus. Wenn nacheinander die Ex-Frauen und -Freundinnen eintreffen, entstehen ganz beiläufig verschiedene Formationen und Welten des Weiblichen, von latenter Eifersucht, solidarischen Verschwesterungen bis zu einem einzigen kurzen Blick im Auto, der alle Fremdheit aufhebt.

Thome gruppiert diese merkwürdige Landpartie zu einer opulenten Folge von Monetschen Picknicks, ausufernden Abendessen, Tanzfesten, Frühstücken und Spaziergängen. Dabei wird vieles besprochen, manches klärt sich in einem Gespräch, anderes bei einer Umarmung oder einem Mozart-Ständchen zum Geburtstag. Nur der erwachsene Sohn erweist sich als Spielverderber, der das alles albern findet und seinem Vater zwischendurch einen dicken Ast über den Schädel haut.

Dass sich die Spannung legt und der Film auch sonst aus dem Hintergrund zusammengehalten wird, das liegt an Cora Frost bzw. der geradezu biblisch-großzügigen Gastfreundschaft ihrer Figur, von der man sich auch als Zuschauer eingeladen fühlt. In der Frost liegt die ganze Ruhe des Sees, denn sie weiß von Anfang an, was Adam noch herausfinden muss: Die Dinge sind, wie sie sind, und es ist ihnen ziemlich gleichgültig, ob es einem 60-jährigen Komponisten in Mecklenburg-Vorpommem noch gelingen wird, eine Musik zu schreiben, "die alles vereint”. Zumal diese Ambition Adams längst von der durch und durch musikalischen Struktur des Films aufgehoben wurde - mit einer Ouvertüre der Leitmotive, mit einem Mittelstück der kleinen Missklänge und mit einem Schlussteil, der alle wieder ins Leben entlässt und in wunderbar heiterer Gelassenheit verklinigt.




    Rio Bravo in Mecklenburg

VOLKER GUNSKE
TIP
02/1999
  Kleine Utopien und eine märchenhafte Geburtstagsfeier - der deutsche Wettbewerbsfilm "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" von Rudolf Thome

Die Sache mit Howard Hawks und "Zwölf Uhr mittags" hat Rudolf Thome schon immer gut gefallen. Nachdem der Western - Veteran Hawks "Zwölf Uhr mittags" gesehen hatte, entschloss er sich, eine Antwort zu geben. Zu blöd erschien ihm das Verhalten von Gary Cooper als Sheriff. Die Antwort hieß "Rio Bravo" - und darin machen John Wayne und Dean Martin immer das Gegenteil von "Zwölf Uhr mittags".

"Das ist mir unauslöschlich im Kopf geblieben", sagt Rudolf Thome lachend, "weil auch ich ‘Zwölf Uhr mittags' nicht mochte und ‘Rio Bravo' geliebt habe." Im April letzten Jahres kam schließlich für Thome sein Howard-Hawks-Tag. Thome sah "Die Ewigkeit und ein Tag" von Theo Angelopoulos, der dafür die Goldene Palme in Cannes bekommen hatte, und ärgerte sich furchtbar. Als pathetisch, als ausgestellte hohe Kunst, tiefsinnig und bedeutungsschwer empfand er die Geschichte eines Schriftstellers, der auf sein Leben zurückblickt. In seinen Notizen hielt Thome fest, dass er das Gegenteil tun wolle, etwas ganz, ganz Einfaches, einen Film, der ganz leicht sein sollte, komisch und ironisch. "Daraus ist dann ‘Paradiso' geworden", sagt Thome und grinst.
Thomes alternder Künstler ist Musiker und heißt Adam, seine Frau Eva. Das ist nahehegend in einem Film mit dem Titel "Paradiso". Eine Schlange kommt natürlich auch vor, aber die ist ganz harmlos und kein Anlass für Vertreibungen. Denn Rudolf Thome hat seinem Adam ein sehr irdisches Paradies gebaut, irgendwo in Mecklenburg an einem See steht dessen Haus. Dort feiert Adam (Hanns Zischler) sieben Tage lang seinen 60. Geburtstag - mit den sieben wichtigsten Frauen in seinem Leben, drei Ehefrauen und vier Geliebten.
Nach und nach treffen die nichts ahnenden Teilnehmerinnen dieser ungewissen Unternehmung ein. Da ist zum Beispiel Berenice (Irm Hermann), Adams erste Ehefrau, die er vor 30 Jahren verlassen hat und die mitderweile als Nonne im Kloster lebt. Da ist die Schauspielerin Lulu (Adriana Altaras), seine zweite Ehefrau, oder die Opernsängerin Lucia (Isabel Hindersin), die nach Lilith (Sabine Bach) kam. Und natürlich seine jetzige Frau, die junge Eva (Cora Frost), die das einwöchige Beisammensein mit unsichtbarer Hand auf die richtige Bahn bringt.
Man unternimmt Spaziergänge, geht ins Konzert, macht Picknick, trinkt Kaffee oder wäscht ab. Und das ist schon das erste Wunder dieses Films. Alles passiert mit solch einer Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit, dass man nicht einen Moment an "Paradiso" zweifelt. Es gibt noch andere kleine Wunder. Einmal redet Hanns Zischler zum Beispiel mit einem Baum, ohne dass es tiefsinnig oder esoterisch wirkt. Es ist vielmehr ein ganz normaler morgendlicher Smalltalk von Nachbar zu Nachbar, nicht weiter von Bedeutung. Auch Marquard Bohm, der schon 1966 in Thomes"Rote Sonne" neben Uschi Obermeier spielte, taucht bei dieser wundersamen Geburtstagsfeier auf, als verlebter, immer leicht alkoholisierter Bankdirektor. Und plötzlich wünscht man sich, dass alle Bankdirektoren wie Marquard Bohm sein sollten. Überall blitzen bei Thome diese kleinen Glücksversprechen auf.
Natürlich werden auch Fragen nach der Vergangenheit und der Zukunft, nach der Zeit, Erwartungen und verpassten Gelegenheiten gestellt. Aber eben nicht gramgebeugt und grüblerisch wie bei Angelopoulos, sondern so, wie Thome sich das vorgenommen hatte: leicht, ironisch, verspielt. Adams Sechzigster ist keine therapeutische Veranstaltung, an deren Ende alle bessere Menschen sind. Thome lässt seinen Figuren ihre Geheimnisse, und darum ist "Paradiso" vor allem ein Film der Gesten und Blicke, nicht einer der großen oder vielen Worte. Das Leben geht einfach weiter, nachdem sich für einen kurzen Moment eine ganz irdische Utopie aufgetan hatte.
Für den 60-jährigen Rudolf Thome ist die Teilnahme am Wettbewerb der Berlinale eine Premiere. Im Forum war er bereits mit fünf Filmen vertreten, drei seiner Filme liefen in der Sektion "Quinzaine des Réalisateurs" in Cannes. Doch der Wettbewerb ist Neuland für Thome. Schuld daran, dass es so weit gekommen ist, sind seine Cutterin Karin Nowarra und seine Spielernatur. Nach dem Rohschnitt schlug Nowarra ihm vor, "Paradiso" doch diesmal dem Wettbewerb anzubieten. Nach erster großer Skepsis ging Thome die Sache an: "Da man ohnehin eine Spielernatur sein muss, wenn man Filme macht, sagte ich mir: Warum nicht?" Außerdem sei es ja die 50. Berlinale im Jahr 2000 und "Paradiso", die Kurzfilme mitgezählt, sein 25. Film. "Das passt doch eigentlich alles gut zusammen."
Bei den Dreharbeiten war Howard Hawks dann auch anwesend. Wie Thome da zusammen mit seinem guten Freund Hanns Zischler, mit dem er schon drei andere Fihne gemacht hat, die Geschichte von Adams 60. Geburtstag drehte, fühlte er sich an ein anderes Duo erinnert: Es war ein bisschen wie bei Howard Hawks und John Wayne in deren späten Filmen. Das waren einfach zwei alte Männer. Und so waren Zischler und ich halt auch: Zwei alte Männer mit vielen gleichen Erfahrungen, mit einer gemeinsamen Vergangenheit. Wir haben von früher erzählt, und die jungen Leute um uns rum haben zugehört." Vielleicht stammt die Lässigkeit von "Paradiso" ja doch aus einem texanischen Kaff namens Rio Bravo. (Wettbewerb)




NORBERT GROB
WDR 3
16.2.2000
  Ein Mann zwischen sieben zugeneigten Frauen. Dazu ein paar Kinder. Und ein renitenter Sohn. Das Idyll als Paradies und Hölle zugleich.
Diese aufgeladene Situation inszeniert Thome mit einem zärtlichen Blick auf seine Figuren und ihre Umgebung. Was dem Film einen ganz eigenen Charme verleiht.
Eine Poesie des Alltäglichen - wie bei Rivette.
Eine gelassene Heiterkeit - wie bei Renoir.
Und eine ironische Lakonie - wie bei Rossellini.
Ein kleines Wunder ist Thomes PARADISO: der erste wichtige deutsche Film des neuen Jahrtausends.




    Der sechzigste Geburtstag oder Dinner für acht

MATTHIAS EHLERT
FAZ
16.2.2000
  Nicht immer, wenn Frauen zusammenkommen, denken sie sich unangenehme Arbeiten für Männer aus: Rudolf Thomes "Paradiso" im Wettbewerb

Der Komponist Adam Bergschmidt erfüllt sich zu seinem sechzigsten Geburtstag einen besonderen Wunsch. Er lädt die sieben Frauen, die in seinem Leben wichtig waren. in sein Refugium, ein einsames Landhaus an einem See in Mecklenburg ein. wo sie mit ihm gemeinsam eine Spätsommerwoche verbringen sollen. Die Frauen, die sich einander früher schmerzvoll ablösten, gehen auf diesen überraschenden Wunsch ein. Sie kommen alle - und mit ihnen ein vor dreißig Jahren verloren gegangener Sohn. Eine Konstellation stellt sich ein, die nach Abrechnung dürstet, nach Vorhaltungen und dem Erscheinen böser Geister aus der Vergangenheit. Doch obwohl diese Geister noch nicht restlos ausgetrieben sind, bemühen sich alle Gäste von Anfang an um ein taktvolles und liebenswürdiges Benehmen. Am Ende sitzen sie gemeinsam glücksversunken beim Frühstück im Freien und versichern sich, wie sehr sie sich mögen. Mehr Harmonie ist nicht möglich, die Vernunft des Herzens hat gesiegt.

Rudolf Tlome wendet sich in seinem Film "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen” erneut seinem bevorzugten Thema zu: den komplizierten Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Sein Fest hat den Charakter eines utopischen Modells: Wie wäre es, wenn aus den Lieben unseres Lebens eine Art erweiterte Familie entstünde? Eine Familie, die nicht das gleiche Blut verbindet, sondern die gemeinsam verbrachte Zeit, die schönen, intensiven Erlebnisse und Erinnerungen. Böte diese selbstgesuchte Familie nicht mehr Geborgenheit und Verständnis als die herkömmliche?

Thome führt diese Idee recht plausibel vor. Adams sieben Frauen hätten allen Grund, sich seinem Wunsch zu verweigern oder zumindest ein ordentliches Drama aufzuführen. Berenice. seine erste Frau, ging ins Kloster, nachdem er sie verlassen hatte. Ihre Nachfolgerin erhoffte nichts sehnlicher, als mit Adam und vielen Kindern alt zu werden. Nun ist sie allein und verbittert. Die jüngeren Frauen haben das Scheitern ihrer Beziehung besser verkraftet, wenngleich auch hier einiger Schmerz angehäuft wurde. So hatte die Jüngste in der Runde, die Literaturstudentin Marion, ein Verhältnis mit Adam, als Eva, seine gegenwärtige Frau, schwanger war. Eva empfängt sie deshalb ein wenig kühler, umarmt sie aber dafür umso herzlicher zum Schluss. Ein großes Verstehen und Verzeihen breitet sich im Laufe der sieben Tage aus. Neugier besiegt die Vorurteile, der Frieden der Landschaft wirkt zusätzlich besänftigend.

Nur einer wehrt sich zunächst hartnäckig gegen die alle narkotisierende Harmonie. Es ist Billy, Adams vergessener Sohn, der gekommen ist, um mit seinem Vater abzurechnen. Thome hat diesen Sohn als einzige widersprüchliche Figur angelegt. Billy ist ein Rebell, der schon früh den Staat bekämpfte und sich jetzt der grünen Politik verschrieben hat. Zugleich pflegt er ein konservatives Familienbild: Seine Frau und Kinder sind ihm wichtiger als alles andere auf der Weit. Als Ersatzvater hat er sich "Joschka” gewählt, den er in E-Mails beschwört, die NATO-Angriffe af Serbien einzustellen. Er beharrt darauf, dass Gewalt keine Lösung sei. Seinen Vater schlägt er dann beim ersten gemeinsamen Spaziergang im Wald nieder, weil er die über Jahre aufgestaute Wut nicht anders loswerden kann. Später leeren die beiden zusammen eine Flasche Mouton Rothschild und sind ganz froh, sich gefunden zu haben.

Thomes Film gleicht vom Rhythmus her einem entspannten Sommerspaziergang und macht wie ein solcher manchmai ein wenig schläfrig. Einzelne Motive kehren immer wieder, aber unaufdringlich und leicht wie am Himmel kreisende Vogelschwärme. Dass Adam Adam heißt und seine Frau Eva, dass den beiden oft versichert wird, sie lebten hier wie im Paradies, dass das Geburtstagsfest sieben Tage dauert, dass Adam ein Haus gebaut hat, seinen Sohn wiederfindet und am Ende auch noch Bäume pflanzt - das alles verweist auf keine tieferen Bedeutungsschichten, sondem ist nur ironische Spielerei. Eine Schlange taucht auch noch auf, aber niemand wird durch sie in Versuchung geführt oder aus dem Paradies vertrieben. So wie Tbome das in seinen Figuren angelegte Konfliktpotential bewusst unterläuft, lässt er auch seine Motive ganz selbstbezogen für sich blühen wie die Sommerblumen der Mecklenburger Wiesen.

Der Regisseur hat für "Paradiso” Schauspieler um sich versammelt, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mit ihm gearbeitet haben: Hanns Zischler, Cora Frost, Adriana Altaras, Irm Hermann, Sabine Bach, Valeska Hanel, Marquard Bohm. Eine selbst gewählte Filmfamilie also, mit der sich auf der Ebene der Produktion die Philosophie des Films fortsetzt. Wenn man dann noch weiß, dass der Regisseur vor wenigen Monaten selbst seinen sechzigsten Geburtstag feierte. dann kann man wohl vermuten, dass "Paradiso” ein sehr privater Film ist: ein sanfter, altersweiser Versuch über die Liebe, das Glück und die Zeit.




    Über einen Film, bei dem das Herz der Kritikerin höher schlug

Gesine Strempel
Radio Kultur ORB/SFB
  Adam und Eva heißt das Paar in Rudolf Thomés Paradiso. Und es gibt auch eine Schlange, die schließlich vom Land in die Stadt Berlin mitgenommen wird. Die Landschaft in Mecklenburg Vorpommern - an einem frühen Spätsommermorgen - ist herzzerreißend schön: Vom Wasser steigt der Nebel auf, denn die Luft ist kühler als der See, ein zartgrauer Schleier liegt über dem Grün des Gartens, den Blättern der Bäume und spiegelt sich in den Scheiben des Hauses. Die Linie zwischen See und Himmel ist nicht zu erkennen. Mit nackten Füßen und im japanischen Morgenmantel, der in dieser Landschaft auf seltsame Weise fehl am Platz ist in seiner strengen Geometrie, geht der Hausherr zum See. Man spürt förmlich den Tau des nassen Grases unter seinen Füßen, den scharfen Geruch nach Tomatenstauden, See und dunkler Erde. Adam wird sechzig an diesem Tag und wird den Geburtstag mit Eva feiern, die etwa so alt ist wie sein ältester Sohn, und mit zwei verflossenen Ehefrauen und vier früheren Freundinnen. Die Begegnungen der Frauen untereinander sind nicht so ganz einfach, aber der heiße Sommertag und der gute Wille macht alles möglich. Das gemeinsame Picknick mit Frauen, Kindern und Enkeln wird zum harmonischsten Familienidyll, und wieder schlägt mein Herz höher. Wie schön, wenn alle zusammensitzen können, keine sich einsam grämen muß. Eva nimmt die Schlange mit nach Berlin. Damit ist Adams Landsitz ein Paradies ohne Versuchung. Eine schöne Ironie. Nur eins hat mir bei Thomés Haremsphantasie gefehlt: In meiner Vorstellung jedenfalls ist ein Pascha nicht nur wohlhabend, sondern steinreich. Jede seiner Lieben müßte ein ordentliches Gehalt, so etwas was wie eine Apanage, von ihm beziehen. Dann wäre er noch glaubwürdiger im Sinn von unverzichtbar.



    Jenseits der Stile

H.G. Pflaum
Süddeutsche Zeitung
16.2.2000
  Auch Rudolf Thome scheint insgeheim einer literarischen Vorlage zu folgen: Zumindest der Ausgangspunkt von "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" gleicht Gottfried Kellers Erzählung "Der Landvogt von Greifensee". Kellers Landvogt war seiner Sehnsucht gefolgt, "alle die guten Liebenswerten, die er einst gern gehabt, auf einmal beieinander zu sehen und einen Tag mit ihnen zu verleben". Bei Thome ist es der Komponist Adam Bergschmidt, der sieben Verflossene für eine Woche in sein idyllisches Haus einlädt - und erneut erfüllt sich der alte Macho-Traum: Die Frauen vertragen und mögen sich, auf dass es dem geliebten Manne zum 60. Geburtstag an Harmonie und Schmeicheleinheiten nicht fehle. Hatte sich Thome in seinen letzten Filmen manchmal etwas zu hartnäckig geweigert, endlich erwachsen zu werden, gleichzeitig aber versucht, den Philosophen zu spielen, so erzählt und inszeniert er nun weit gelassener, manchmal immer noch ein wenig naiv, aber wohltuend ruhig und heiter. Er zeichnet seinen Helden mit sanften Mitteln als eitlen Egozentriker, doch statt der früheren infantilen Momente in Thomes Geschichten klingen jetzt ernstere Zwischentöne an: Der alte Adam weiß, es wird Zeit, sein Leben zu ordnen. Hatte er einst als Musiker alles Bisherige zerstören wollen, so sehnt er sich jetzt danach, es zu vereinen. Von diesem Traum ist der ganze Filrn geprägt: die Einstellungen, die Bewegungen der Kamera, der Rhythmus der Montage und selbst noch die Figuren. Denn Thome erzählt auch von der Sehnsucht der alternden Singles nach familiärer Geborgenheit.



    Deutsch-amerikanische Bibelstunden

Rüdiger Suchsland
Frankfurter Rundschau
16. 2. 2000
  Überraschende Motiv-Verwandtschaften, offenbarte der zweite Wettbewerbsfilm: Audolf Thome erzählt in Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen eine ganz persönliche Männerphantasie. Der zum dritten Mal verheiratete Komponist Adam (Hanns Zischler) lädt mit seiner Frau Eva (Cora Frost) zur Feier seines sechzigjährigen Geburtstages “die sieben wichtigsten Frauen" seines Lebens” für eine Woche in sein Haus. Dazu kommt noch sein Sohn, den er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat, mit Frau und Kindern. Paradies, Adam und Eva, sieben Tage, eine Schlange kommt auch vor - die Metaphorik ist so platt wie aufdringlich. Zeit- und handlungslos wie das Leben im Paradies plätschert auch der Film dahin. Keine unangenehme Sommerphantasie, in Teilen witzig und anspruchsvoll, hübsch anzusehen (etwa Irm Herrmann als Nonne und erste Ehefrau) aber auch ziemlich beliebig. Selbst wenn Thome vielleicht der einzige deutsche Regisseur ist, dem es gelingt, so etwas wie Rohmer-Stimmung zu erzeugen, fehlt das Salz in der Suppe: Gefühle wie Neid und Eifersucht, Eitelkeiten werden in diesen Tagebüchem der Toskana-Fraktion nur gestreift.
Aber wie zuvor bei Anderson steht hier - über beider überdeutliche Bibelmetaphorik hinaus - die Geschichte von der Heimkehr des verlorenen Sohnes im Zentrum, von einer Versöhnung der Generationen und der Zuflucht vor aller Unbill im Schoß der Familie. Es scheint nicht ganz unberechtigt, auch heute solche Versöhnung zuerst unter den Verdacht zu stellen, eine letztlich falsche zu sein. Dass sie es diesmal doch nicht ist, davor schützt in beiden Fällen wohl nur die Intelligenz der Regisseure. In Paradiso ist zudem die Eitelkeit des Vaters davor, in Magnolia, noch treffender, der Tod.



    Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen

Rolf-Ruediger Hamacher
Filmecho/Filmwoche
18.3,2000
  Rudolf Thome, eine der wenigen Ikonen der 68er-Filmemacher-Generation, deren Schaffensweg sich bis heute ununterbrochen fortgesetzt hat, war über die Jahrzehnte hinweg auch immer mal wieder auf der Berlinale vertreten - den Sprung in den Internationalen Wettbewerb aber schaffte er nie. Die Einladung seines "Paradiso” in den diesjährigen Jubiläums-Wettbewerb, zusammen mit Wim Wenders "The Million Dollar Hotel” und Volker Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuss”, war wohl auch so etwas wie eine Hommage an diese Veteranen des Neuen Deutschen Films.

Genau wie sein Held, der Komponist Adam Bergschmidt (Hanns Zischler), feierte auch Rudolf Thome vor kurzem seinen 60. Geburtstag. Und ähnlich wie Adam, der zu seinem Geburtstag die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens eingeladen hat, hat Thome noch einmal einige seiner Lieblingsschauspielerinnen hier vor der Kamera versammelt: Cora Frost, Adriana Altaras und Sabine Bach. Frost spielt Adams jetzige dritte Ehefrau Eva, Altaras seine zweite, Lulu. Sabine Bach mimt jene Geliebte, mit der er seine erste Frau Berenice (Irm Hermann) betrogen hatte. Neben Berenice und Adams Sohn Billy, den der Vater seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hat, gesellen sich unter anderem noch die Studentin Marion, und drei weitere Gespielinnen früherer Jahre zur Geburtstagsgesellschaft. So beginnt ein 7-Tage-Fest in der paradiesischen Seen-Landschaft von Mecklenburg-Vorpommern.

Man hat Thomes Filme oft mit denen von Eric Rohmer verglichen. Aber während der französische Film-Minimalist eher literarisch überhöhten Beziehungsgeflechten verpflichtet ist, interessiert sich Thome mehr für poetische Visionen von Liebe und Familie. Beider Zugriff auf die Personenkonstellationen sind natürlich ihre eigenen (Alt-)Männer-Phantasien - und die stellen Thome schon gleich eine Falle: soll er dem Zuschauer seinen Adam als selbstgefälligen Egozentriker oder naiv-schwärmerischen Famillenmensch präsentieren? Dank Hans Zischlers unaufdringlich-überzeugendem Spiel gelingt der Spagat und für Augenblicke werden die Picknicks am See zu harmonischen Familien-Utopien.

Aber hinter der Idylle verbergen sich auch tragische Schicksale: Die zwischen Frömmigkeit und Sinnlichkeit schwankende Berenice liebt Adam immer noch, die alt und einsam gewordene Lilith hätte so gerne mit ihm eine Familie gegründet und der Pazifist Billy haut seinem "treulosen” Vater erstmal eins über den Schädel.

Richtig getrübt wird das "Wochen-Paradies” dennoch nie. Vielleicht deshalb, weil Thome nicht allen Figuren eine nachvollziehbare Psychologic mitgibt, sondern einige Charaktere einfach verhungern lässt. Trotzdem sicht man dieser erzwungenen und dann doch irgendwie funktionierenden Familien-Idylle gerne zu, weil Thome sie mit Ironie zu unterfüttern versteht und die Darsteller sie mit Leichtigkeit aufnehmen. Nur die etwas nervige Musikuntermalung reißt immer wieder aus Thomes Phantasien, in denen sich das Publikum manchmal auch selbst wiederfinden kann.




    “Alle Frauen hassen Adam" aber dann, nach einer Weile, lieben sie, ihn wieder"

Guntram Lenz
Wetzlarer Neue Zeitung
8.11.2001
  “Ich war 14, als ich die erste Sonnenfinsternis gesehen habe, durch verrußte Gläser. Irgendjemand in meinem Dorf sagte zu mir: Wenn du 60 bist, wird die nächste Sonnenfinsternis kommen. Ich konnte mir das damals nicht vorstellen, und vor allem nicht, wie die Zeit dazwischen aussehen wird", sagt Hans, der erfolgreiche und arrivierte Komponist in einer Bilanz zu seinem 60. Geburtstag. Eine Ahnung von dem, was in dieser “Zeit dazwischen” geschah, vermittelt Rudolf Thome, der wichtigsten deutschen Filmemacher einer, in “Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen”, einer Phantasie über das vermeintlich Unmögliche, das doch wahr wird. Seit 1964 ist es der 19. Spielfilm des vor 61 Jahren In Wallau an der Lahn geborenen Regisseurs, der den Vergleich mit seinen frühen Meisterwerken”Rote Sonne” (1969) und “Berlin Chamissoplatz” (1980) nicht zu scheuen braucht.

“Es gibt Filme, die einem reines Zuschauerglück bereiten, nämlich Zufriedenheit darüber, dass man nach all dem Schrott und Schund wieder einmal einen Film sieht, den man am liebsten so oder ähnlich selbst gedreht haben möchte und der den Aufenthalt im Kino nicht zu lästiger Rezensentenpflicht werden lässt”, schrieb ich vor zwei Jahrzehnten in einem Essay über “Berlin Chamissoplatz”, und gleiches gilt ausnahmslos auch für “Paradiso”.

Am Beginn des Film geht Adam in des frühen Morgens blauer Stunde, in der die Welt noch mit sich im Einklang ist, barfuß durch seinen Garten, redet mit den Bäumen, schöpft mit der Gießkanne Wasser aus Mecklenburgs idyIlisch gelegenem Kummerower See, an dem sein Haus steht, in dem er ungestört schöpferisch tätig sein kann.

Der 60. Geburtstag steht an, zu dem ihm seine sieben wichtigsten Frauen seinen größten Wunsch erfüllen, eine Woche gemeinsam mit ihm zu verbringen, zu feiern, zu essen, zu reden, und schließlich nach einer Landpartie, bei der er der Hahn im Korb ist, der Uraufführung seiner jüngsten Komposition im nicht allzu fernen Berlin zu lauschen.
Drei Ehefrauen, von denen die dritte noch aktuell ist, allerdings mit den Kindern in Berlin lebt, und vier Geliebte aus der Zeit der Ehen wie den Zeiten dazwischen geben sich ein Stelldichein - Frauen, mit denen Adam durch Liebe, Freundschaft und Sex verbunden ist, die er verließ oder die ihn verließen, je nachdem.

Kein Platz für Eifersucht und Neid
Unspektakulär, friedlich und schön vergehen die Tage, an denen kein Platz ist für Eifersucht oder Verbitterung, Neid oder Zorn. “Alle Frauen hassen Adam, aber dann, nach einer Weile lieben sie ihn alle wieder”, heißt es über das Geburtstagskind, das. sich gleichermaßen eitel und selbstgefällig wie auch schüchtern und gerührt gibt.

Gattin eins, die, vom Leben enttäuscht, zur Nonne geworden ist, schenkt ein Heiligenbild, Opernsängerin Lucia schmettert eine Liebesarie, die kokette Lulu kredenzt augenzwinkernd einen Tangaslip und schließlich noch 60 Pappeln, die es zu pflanzen gilt, die anmutige Germanistikstudentin offeriert ihm erregende Lektüre, ein Werk des Wissenschaftlers Georg Picht.
Wie ein Fremdkörper erscheint da Billy, der seit 30 Jahren nicht gesehene verlorene Sohn aus erster Ehe, der nicht nur mit seinem einstigen Idol Joschka Fischer ob dessen Kriegslüsternheit im Kosovo hadert, sondern auch mit dem Vater, da beide einander in Hassliebe verbunden sind.
Thome und sein Kameramann Reinhold Vorschneider setzen einmal mehr auf elegische Bilder, lange Szenen am Wasser, Blicke in die Sonne, poetische Einstellungen und verwunschene Landschaften, zeigen aber auch, dass das Idyll gleichermaßen Paradies und Hölle sein kann.

“Silbemer Bär” fürs Schauspielerensemble
Dabei steht ihnen ein großartiges Schauspielerensemble zur Seite, das in seiner Gesamtheit bei den Berliner Filmfestspielen des vergangenen Jahrs mit dem “silbernen Bären” ausgezeichnet wurde.
Viele Weggefährten aus früheren Thome-Filmen tauchen hier wieder auf. Hanns Zischler ist die Idealbesetzung für Adam, die Chansonette Cora Frost ist Adams aktuelle Ehefrau Eva. Sabine Bach, die schon in “Berlin Chamissoplatz” an der Seite Zischlers den Zauber einer zufälligen Begegnung verkörperte, bereichert ebenso den Frauenreigen wie Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann als Nonne Beatrice; Guntram Brattia spielt Billy, der diesen Vornamen Adams Vorliebe für den Westernheftchen-HeIden Billy Jenkins verdankt.

Manifest gegen Kommerzialisierung
Drei Wochen lang hat Rudolf Thome im Sommer 1999, zur Zeit der Sonnenfinsternis eben, diesen Film für den Spottpreis von gerade mal 700000 Mark gedreht. Er ist, ganz nebenbei, auch eins seiner Manifeste gegen “das schlimme Stadium der Kommerzialisierung des deutschen Films, der nur noch bemüht ist, amerikanische Rezepte möglichst erfolgreich zu kopieren”.

“Früher wollte ich in der Musik rücksichtslose Wahrheit, das Alte zerstören. jetzt träume ich von einer Musik, die alles vereint, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft”, umreißt Hans sein schöpferisches Credo. Rudolf Thome vereint in seiner Versuchsanordnung über Vergangenheit und Gegenwart und das Vergehen der Zeit betörende Leichtigkeit, gelassene Heiterkeit und ironische Abgeklärtheit zum mit Abstand besten, schönsten und wichtigsten deutschen Film, den das neue Jahrtausend bislang zu bieten hat.