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Rudolf Thome im Gespräch mit Karlheinz Oplustil und Gudrun Max in Berlin,
17. Januar 2009

Pink oder Das rote Zimmer

G: Für dich ist der Titel beim Schreiben eines Films immer der Ausgangspunkt. Wie bist du auf den Titel PINK gekommen?

RT: Wenn ich anfange zu schreiben, lege ich auf dem Boden vor mir alle Schreibhefte aus, die ich im Laufe der Jahre auf allen möglichen Festivals auf der ganzen Welt zusammengekauft habe. Ich muss mich dann für eines von ihnen entscheiden. Vor genau 10 Jahren habe ich einmal ein französisches Schreibheft benutzt zum Schreiben von PARADISO. Das war ein Schreibheft, auf dem war vorne ein gemaltes stilisiertes Südseebild mit Meer und einer Palme drauf, und es stand darüber "Paradiso". Das habe ich benutzt, und als ich überlegt habe, was könnte ich für einen Titel nehmen, dachte ich: warum nicht PARADISO? Das habe ich dann auch gemacht, und das hat gut funktioniert und war sehr erfolgreich. An so etwas denkt man natürlich, wenn man in der Situation ist. Man denkt, wenn ich so etwas Ähnliches wieder mache, klappt es ja vielleicht genauso gut. In diesem Fall hatte ich zwei Schreibhefte in der engeren Wahl, und eins davon hatte die Farbe pink, und sonst nichts drauf. Da habe ich gesagt: warum nicht PINK?

Am ersten Schreibtag hatte ich dann in meinen handschriftlichen Notizen geschrieben: Titel PINK oder DAS ROTE ZIMMER. Ich habe diesen Film in einem Raum auf meinem Bauernhof geschrieben, wo ein Zimmer kurz davor rot gestrichen wurde, und ich habe da einen alten roten Tisch hinein gestellt. Aber ich habe mich dann für PINK entschieden, weil PINK irgendwie verrückter und auch ungewöhnlicher klang als meine anderen Titel. Ich wollte hier etwas ganz anderes machen als ich in den Filmen, die ich vorher gemacht habe.

Am ersten Schreibtag stand schon fest: es wird ein Film über eine Frau, die drei Männer heiratet. Ich wollte einen kurzen Film machen, nicht über 90 Minuten lang, und er sollte schnell sein. Wenn man von einer Frau erzählt, die in kurzer Zeit drei Männer heiratet, muss man schnell sein, es geht nicht anders.

K: Wie kam es dazu, dass Pink eine Dichterin sein soll?

RT: Kurz zuvor hatte ich im Spiegel einen Text über eine Lyrikerin gelesen, die in den 20er Jahren geschrieben hat: Mascha Kaléko. Ich habe mir das Buch bestellt, ein paar Gedichte gelesen und dachte: so müsste Pink schreiben.

Drei Jahreszeiten

K: Wenn du etwas anderes machen wolltest als in Deinen anderen Filmen, ging es dir nur darum, schnell und relativ kurz zu sein?

RT: Nein, anders in jeder Hinsicht. Die Kamera sollte anders sein, näher dran an den Personen, und es sollte mehr Schnitte geben. Normalerweise hat ein Film von mir bei 120 Minuten vielleicht 180 Schnitte. Ich kriege sogar einen besonders guten Preis beim Kopierwerk, weil ich so wenige Schnitte habe. Aber dieser ist 80 Minuten lang und hat 320 Schnitte. Das ist mehr als doppelt so schnell als sonst bei mir.

G: Es spielen drei Jahreszeiten eine Rolle. War das auch eine Idee, die relativ schnell gekommen ist?

RT: Da die Handlung in einem kurzen Zeitraum spielen sollte, mussten es ja  zwangsläufig verschiedene Jahreszeiten sein. Ich brauchte also Herbst, Winter und Frühling.

Beim Drehen gab es leider nicht so viel Schnee wie ich es gerne für die Winterszenen gehabt hätte. Wir hatten nicht das Glück mit dem Wetter, das ich bei DAS GEHEIMNIS hatte. Da hatte ich im Drehbuch in der letzten Szene geschrieben: es beginnt zu schneien. Und was passiert beim Drehen: es schneit!                                                        

Für das, was ich bei PINK für den Herbst haben wollte, hätten wir am 7. Oktober anfangen müssen. Das ging aber wegen Hannah Herzsprung nicht, weil sie in diesem Zeitraum einen Film nach dem anderen gedreht hat. Wir haben im November 2007 angefangen, der 2. Dezember 2007 war der letzte Herbstdrehtag. Dann drehten wir noch im Januar und im Mai 2008. Nach dem Ende des Mai-Drehs hatten wir noch drei Drehtage in Florida.

Märchen und Alltag

K: In PINK gibt es von Anfang an einen Märchenaspekt, warum hast du diese Märchenmotive verwendet?

RT: Wenn ich eine Geschichte schreibe, dann zeige ich ja gerne alltägliche Situationen. Also wie sie frühstücken, wie sie essen, miteinander reden, im Bett liegen und schlafen und fernsehen. Ich zeige alltägliche Situationen. Aber ich versuche, die Geschichte für mich komplexer zu machen, mit märchenhaften Anklängen oder mit Anklängen an religiöse Motive  oder auch mit Anklängen an die griechische Götterwelt. So versuche ich, um das komplexer zu machen, eine mythische Dimension in den Film zu bringen.

Das habe ich von Anfang an so gemacht. In ROTE SONNE geht es um Frauen, die alle Männer, die sie treffen, umbringen. Aber wie zeige ich das?  Ich zeige, wie die frühstücken. Ich zeige, wie die im Bett liegen. Also alltägliche Situationen.  Als der Film in der FSK gezeigt wurde,  damals 1969 an meinem 30. Geburtstag, sagte der Leiter der FSK zu mir, der Film erinnere ihn an eine griechische Tragödie.

Ich habe schon lange kein Märchen mehr gelesen. Wenn ich schreibe, fange ich auch nicht an, Märchen zu lesen, um Anregungen zu kriegen. Die einzige Anregung, die ich am Anfang brauche, ist der Titel. Und wenn ich den Titel habe, dann stellen sich die anderen Elemente der Geschichte durch Assoziation ein, die kommen halt zu mir. Und dann verdichtet sich das ganze, wenn es gut geht, immer mehr, so dass ich quasi nach 10 Tagen Notizen am 11. Tag sofort loslegen kann und eigentlich den Film schon vor Augen habe. Aber hier bei PINK war es ja so extrem, dass quasi am ersten Tag schon fast alles da war.

Glaubst du an Gott?

K: Die Geschichte kommt eigentlich dadurch in Gang, dass Pink ihren drei Verehrern sagt, sie hätte am Vortag die Stimme Gottes gehört. Man weiß dabei nicht so recht, ob das real sein soll. Sie sagt ja selbst, dass sie sich das vielleicht nur eingebildet hat. Wie ernst ist das gemeint?

RT: Es ist ja eigentlich nur wichtig, was der Film zeigt. Der Film zeigt, dass Pink es in dieser Situation, wo sie das sagt, ernst nimmt. Es gibt eine andere Szene, wo Balthazar mit Pink in der Hängematte liegt und er sie fragt: glaubst du an Gott? Und dann sagt sie: manchmal ja, manchmal nein.

Wenn Pink das den drei Männern erzählt, gucken die sehr befremdet, und es war mir wichtig, das zu zeigen, weil ich dem Zuschauer ja auch nicht allzu viel zumuten will. Auf Grund dessen, wie Hannah Herzsprung es spielt, und auf Grund dessen, wie ich die Männer zeige, ist man als Zuschauer gezwungen, das ernst zu nehmen.

Liebe nach Punkten

K: Die Entscheidung, wenn sie heiraten soll, trifft Pink mit einem komplizierten Punktesystem. Wer da die höchste Punktzahl hat, den wird sie heiraten. Sie schreibt schließlich "Liebe ist das Produkt planvollen Vorgehens plus kalter Verstand ".

RT: ich hatte kurz vorher einen Artikel gelesen, dass man versucht, Gefühle und Glück zu berechnen, aber dass das unmöglich sei. Ein anderer Ausgangspunkt bei mir war, dass ich als Student eine Doktorarbeit über den Roman "Sonne und Mond" von Albert Paris Gütersloh begonnen habe. In diesem Roman gibt es eine Szene zwischen den beiden Hauptpersonen, wo beide in Blitzesschnelle die Eigenschaften des jeweils anderen registrieren und wie Zahlen addieren, und dann halt angefangen haben, sich zu verlieben. Dieses mechanische Vorgehen beim Verlieben, das hat mir damals, als ich 23, 24 war, imponiert. Dass man sich das im Kopf quasi zusammenstellt, so wie die beiden Personen bei Gütersloh, und daraufhin seine Entscheidung trifft. Ich finde es nicht so abwegig, aber eigentlich mache ich mich ein bisschen darüber lustig, und Hannah Herzsprung spielt das ja auch ein bisschen wie ein kleines Mädchen. Ich mochte das sehr, wie sie so Grimassen macht, und habe sie darin bestärkt, das zu tun.

G:. Sie spricht ja auch mir ihrem Vater in Gedanken. Sie sagt: Papa, du würdest stolz sein auf deine Tochter. Sie nimmt dann ihre Pistole und schießt auf die Vase.  Das war für mich sehr irritierend. Wie ist das zu verstehen?

RT: Wir erfahren später, dass ihr Vater und ihr großer Bruder auf jeden Fall sehr früh gestorben sind. Und dass das irgendetwas bei ihr ausgelöst hat, worunter sie leidet, dass es sie verletzt hat. Und während sie diesen Off-Text spricht, dass ihr Vater stolz sein würde, wie sie da jetzt vorgeht bei der Auswahl eines Ehemanns, da kommt diese Erinnerung wieder hoch, und das äußert sich dann in einer aggressiven Geste, sie hat eine Pistole und schießt.

Viele Sachen, die später kommen und wichtig sind, sind da halt auch schon angespielt, vorweggenommen. Die Pistole, da hat sie dann später, wenn sie im Zug von einem Verehrer angesprochen wird, und sagt wenn du nicht verschwindest, dann schieße ich. Später wird  der zweite Ehemann mit der Pistole aus seiner eigenen Wohnung gejagt, und sie gibt einen Schreckschuss ab. Sie zieht die Pistole nach oben in die Luft und der Schauspieler ist total geschockt.

G: Das wird sehr deutlich, Florian Panzner, der Schauspieler, erschrickt richtig.

RT: Das war eine Panne. Es war nur eine Platzpatrone, aber auch bei einer Platzpatrone kommen ja gewisse Teile der Munition raus. Die sind ganz scharf an seinem Gesicht vorbeigestrichen, so dass er den Luftzug gespürt hat und wirklich erschrocken ist. Das ist also nicht gespielt, es hätte auch schlimmer ausgehen können.

Wir konnten die Szene nicht mehr wiederholen. Hannah Herzsprung war total erschüttert und konnte für eine halbe Stunde gar nicht mehr spielen, weil sie sagte, was hätte alles passieren können. Und Florian Panzner war geschockt. Aber danach haben wir dann die Fortsetzung gedreht, wie sie hinter ihm hergeht und er seine Koffer rauspackt und geht.

Jetzt musst du mich glücklich machen

G: Pink geht sehr naiv an die Ehe mit Carlo heran und sagt: jetzt musst du mich glücklich machen…

RT: Das ist wie ein Märchen zu verstehen. Ich mache mich ein bisschen über sie lustig, weil das natürlich eine absolut kindliche Haltung ist, von einem Mann zu erwarten, dass er ab sofort dafür sorgen muss, dass alles schön und gut und toll wird. Aber in einem Märchen kann man sich so etwas vorstellen, dass sich plötzlich alles verändert. Hätte ich den Titel DAS ROTE ZIMMER genommen, hätte ich geschrieben, dass eine Person ein bisher weißes Zimmer rot streicht. Ihr Leben war vorher ein totaler Schlamassel, und kaum war dieses Zimmer rot gestrichen, geht plötzlich alles ganz wunderbar.

In einem Märchen kann sich durch irgendeine Kleinigkeit wie durch Magie alles verwandeln. Ich habe das  auch in DAS MIKROSKOP so gemacht. Wenn durch das Mikroskop geguckt wird, geht zwischen diesem Paar plötzlich alles gut. Und um das zu verstärken, habe ich ja noch diese Parallelgeschichte, da ist noch eine Frau, die liest „Aladin und die Wunderlampe“. Das Mikroskop ist die moderne Wunderlampe. In dem Moment, wo man durch das Mikroskop guckt, gehen Wünsche in Erfüllung. Und bei dem roten Zimmer wäre es halt in dem Moment, wo das Zimmer rot gestrichen wird, da klappt alles im Leben, was vorher nicht geklappt hat.

Drei Monate später

G: Wenn Pink und Carlo geheiratet haben, ist Balthazar der einzige, der ihr bei der Feier gratuliert.

RT: Balthazar ist immer so! Wenn Pink Balthazar besucht, um ihm zu sagen, dass sie sich von Carlo getrennt hat und dass sie jetzt Georg heiraten will, dann schluckt er und sagt schließlich: ist doch gut.

G: Von der Ehe mit Carlo sieht man nicht sehr viel. Man sieht noch, wie Carlo ein Frühstück macht und eine Nachricht hinterlässt, dann kommt der Zwischentitel "Drei Monate später".

RT: Naja, er muss zur Arbeit, nicht? Und dann kommt ein Zwischentitel "Drei Monate später". Das ist natürlich ein gewaltiger Sprung und eine Herausforderung für den Zuschauer. Aber ich denke, durch dieses Frühstücksbild und den Brief, den er auf den Frühstückstisch legt, steht das quasi für diese drei Monate. Es wird den folgenden drei Monaten, die wir nicht sehen, im Prinzip jeden Tag so ähnlich sein. Als nächstes Bild kommt einfach, dass sie an die Küchenschränke mit der Farbe pink "Tschau" schreibt. Und als nächste Szene sieht man dann, wie sie ein Zimmer bemalt und wütend an der Wand ihre Hand- und Fußabdrücke hinterlässt. Und dann sieht man sie im Badezimmer, wo sie sich sauber machen will, und da schreibt sie dann auch wieder in pink: "Keine Lust alleine zu sein". Da erfährt der Zuschauer, was in diesen drei Monaten passiert ist.

G: Du zeigst das nur indirekt. Der Zuschauer muss es sich denken.

RT: Ja klar, er muss diese Lücken ausfüllen. Das ist ein Prinzip bei diesem Film, das kommt immer wieder vor.

Ich tue immer, was ich sage

K: Ich finde es sehr provokativ, dass dann die Episode mit der Therapeutin Lilli Berg eingeschoben ist. Die läuft parallel zu dem Schicksal von Carlo, der sich nämlich aufhängt.

RT: Während die beiden Frauen zusammen im Bett liegen, sitzt Carlo in seinem Büro und schreibt einen Abschiedsbrief für Pink: Ich tue immer was ich sage. Er legt auch ordentlich den Ehering ab und schaltet das Licht aus.

Wir hatten nur einen Drehtag für dieses Motiv, das eines der schwierigsten Motive des ganzen Films war. Wir hatten die Szene, wo seine Sekretärin rein kommt und ihn hängen sieht, vorher gedreht, aber da brannte kein Licht. Niemand hatte daran gedacht, dass man das Licht der Schreibtischlampe hätte anlassen können. So waren wir gezwungen, dass er, bevor er sich aufhängt, vorher noch das Schreibtischlampenlicht ausmacht. Das hat mir total gefallen, weil es sein Handeln in einen noch alltäglicheren Zusammenhang setzt. Das tue ich ja sowieso gerne, dass ich versuche, Dinge so alltäglich wie nur möglich zu zeigen. Auch die extremsten und verrücktesten Dinge versuche ich ja immer in einen Alltagszusammenhang stellen.

Carlo erhängt sich

K: Es ist sehr komisch, wenn Carlo da sitzt und grübelt und da hängt schon die Schlinge bereit. Das Aufhängen selbst ist sehr originell und toll inszeniert.

RT:. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, wie machen wir es? Wir durften kein Loch in die Decke bohren, um da einen Haken anzubringen, und wir hatten keine Möglichkeit, irgendeine Leiter zu holen, auf die Guntram Brattia hochsteigen kann. In diesem Raum war nur der Chefsessel, an dem er saß. Und das war eine etwas schwierige Situation, weil der ja auf Rollen ist. Sich da drauf zu stellen, das war nicht so einfach, aber er hat es hingekriegt.

G: Guntram Brattia spielt das sehr gut. Wenn er anfängt zu zählen, dann Zahlen weglässt und dann richtig schreit.

RT: Beim ersten Castinggespräch haben wir sofort über diese Szene gesprochen. Er hatte mehr Ahnung als ich, wie man sich umbringen kann. Wir haben über die verschiedenen Möglichkeiten gesprochen. Aber wir waren beim Aufnehmen geschockt, als er es so machte. Das hat er nicht vorher gesagt, wir hatten es auch nicht genau geprobt. Wenn ich mich recht entsinne, hat er sogar verlangt, dass alle, die nicht unbedingt am Drehort sein mussten, den Raum verlassen sollten, also fast wie bei einer Liebesszene. Als wir das gedreht hatten, dann war uns klar, warum er das so wollte. Er gibt alles in diesem Moment, er gibt alles.

G: Am nächsten Morgen wird Carlo von der Sekretärin entdeckt. Sie schreit nicht, sie weint nicht, sie steht mit offenem Mund versteinert da. Es wirkt echt und doch auch komisch.

RT: Christine Knispel, die Schauspielerin, die das macht, sie hat vorher in DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE eine Kellnerin gespielt, die mir ein Glas Bier bringt. Das ist die einzige Szene, wo ich mal auftrete im Film, auf Wunsch des Kameramanns Fred Kelemen. Ich mochte sie sehr und habe ihr diese Rolle gegeben. Wir hatten schon beim Casting überlegt, wie kann man das spielen, wie reagiert sie. Sie hat so reagiert, wie man es jetzt sieht, sie bleibt einfach stehen und tut gar nichts. Sie guckt total fassungslos und betroffen.

Am Grab

 K: Bei Carlos Beerdigung wird Pink von den noch verbliebenen Heiratskandidaten begleitet ...

RT: Im Drehbuch stand, dass das nur eine ganz kurze Totale des Friedhofs ist. Deswegen hat die Kamerafrau Ute Freund einen riesigen Aufbau gemacht, von wo aus die Kamera die Szene aufnimmt. Um etwas mehr zu zeigen als nur die Totale, haben wir auch eine Nahaufnahme auf Pink gemacht. Da sieht man dann, wie Pink die Erde auf den Sarg wirft, und nach ihr werfen die beiden anderen Männer, links und rechts neben ihr, die Erde in die Grube. Sie ist eingerahmt von den beiden Männern und ist beschützt, das spürt man ganz stark. Wenn  man so will, ist sie ja schuld daran, dass Carlo tot ist.
Und dabei sind die beiden Männer fast genauso wichtig wie sie. Aber ich zeige nur sie. Die Männer sind immer so halb angeschnitten. Nur wenn sie vortreten und die Erde reinwerfen, sieht man mehr von ihnen.

Die wichtigste Behörde im Land

G: Die nächste Szene ist das Abholen der Sterbeurkunde. Es gibt dort den Standesbeamten, der mich beeindruckt hat, weil er eine sehr schöne Stimme hat.

RT: Er ist kein Schauspieler, sondern ein Regisseur, Frieder Venus. Beim Casting mochte ich ihn unglaublich, und sein Text ist ja nicht ganz einfach. Es ist einer der längsten Dialogtexte im Film. Ich kannte vorher keine Sterbeurkunde und habe dann im Internet danach geguckt und habe gesehen, wie eine Sterbeurkunde aussieht. Zu meiner Verblüffung sehen die genau so aus wie Geburtsurkunden. Geburtsurkunden kannte ich. Daraus entwickelt er dann seinen ganzen Dialog und sagt. Wir sind die wichtigste Behörde im Land, weil bei uns alles vorkommt. Die Menschen werden geboren, dann gibt es eine Geburtsurkunde, dann heiraten sie, dann gibt es eine Heiratsurkunde, dann sterben sie, dann gibt es eine Sterbeurkunde. Und dann sagt er: ist das nicht ein wunderbarer Kreislauf? Und dann fragt er sie, Wollen Sie nicht noch mehr Exemplare. Dann sagt Pink: Wieso, wozu? -  Naja, vielleicht wollen sie wieder heiraten.

Leichen pflastern ihren Weg

G: Pink heiratet Georg auf dem Standesamt, und sie haben wieder ein Hochzeitsessen mit Gästen, und sie sagt dabei: Ich habe dazu gelernt.

RT: Bei dem Essen sagt sie zu ihm, auch ganz logisch:  Aber wenn ich dich verlasse, schwör, dass du dich nicht umbringst. Ich will nicht in der Zeitung hinterher lesen "Leichen pflastern ihren Weg". Und dann sagt er: Nein ich werde dich auf Händen durchs Leben tragen. Und dann sieht man ihn sie über die Schwelle tragen.

K: Die Ehe mit Georg sieht man im Wesentlichen als Reise nach Florida.

RT: Er sagt: erstmal holen wir deine Sachen aus dem Hotel und dann nehmen wir den erstbesten Flieger und fahren in ein Land, wo es warm ist. Und dann sieht man sie schon in Florida auf einer von Palmen begrenzten Straße in einem schwarzen Ford Thunderbird Cabrio fahren. Und dann sagt sie: So habe ich mir als kleines Mädchen mein Leben immer vorgestellt. Also er versucht, für sie der tolle Supertyp zu sein, der er gerne sein möchte.

G: Ist das dieselbe Straße mit der hohen Brücke, die man in MADE IN GERMANY UND USA sieht?

RT: In MADE IN GERMANY UND USA gibt es auch eine Straße, die über einen Teil des Meeres geht. Damit darunter die Schiffe durchfahren können, geht die Fahrbahn nach oben und bildet quasi einen Bogen. Man fährt ganz steil hoch und dann am Gipfel wieder runter. Aber hier diese Straße ist in der Mitte von Florida, wo wir halt gedreht haben. Die in MADE IN GERMANY UND USA  ist vor New Orleans. Es ist beides Mal eine ähnliche Situation. Auch hier in Florida geht es darum, dass Schiffe drunter durch fahren können. Ich kannte diesen Platz eben, weil ich oft da war, und mochte immer diese Straße ganz besonders.

K: Die Frau, bei der sie dann sind, Radhe Schiff, kennen wir aus der SONNENGÖTTIN. Sie heißt jetzt im Film Silver.

RT: Radhe Schiff lebt da. Sie heißt Silver, weil ich mal für den WDR ein Drehbuch umgeschrieben habe, das hieß "Unterwelt 2012" oder so ähnlich, da habe ich einen Science-Fiction-Film draus gemacht. Da hätte Radhe Schiff auch spielen sollen und hätte Silver geheißen. Da dieses Projekt nicht zustande kam, habe ich das jetzt nachgeholt.

K: Sie erinnert natürlich auch an einen früheren Film von dir, an DIE SONNENGÖTTIN, wenn man ihn kennt. Das machst du öfter, dass du Schauspieler aus früheren Filmen wiederbringst.

RT: Ja, wie Marquard Bohm oder Hanns Zischler. In PARADISO ist es ein Prinzip bei der Besetzung. Der Hauptdarsteller im Film, Hanns Zischler, versammelt alle Frauen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben, an seinem 60. Geburtstag sieben Tage lang zu einem großen Fest. So ähnlich wie er habe ich fast ausschließlich Schauspielerinnen genommen, mit denen ich vorher gearbeitet habe. 

Lass dich nicht vom Hai fressen

G: In Florida gibt es eine schöne Szene wenn Pink schwimmen geht. Man sieht, wie sie zum Strand runter läuft und dann ins Wasser geht. Georg sagt vorher noch: Lass dich nicht vom Hai fressen. Und dann sieht man irgendwo weit draußen im Meer Fische hochspringen.

RT: Ich habe das so gedreht, weil Hannah Herzsprung diesen Drehort kannte. Sie ist da früher in allen Sommerferien gewesen, und ich fand das natürlich unglaublich, dass so ein Zufall zustande kommen konnte. Aber sie hatte seit der Zeit eine wahnsinnige Angst vor Haien und hat gesagt: Ich kann das nicht machen, ich kann da nicht weit raus schwimmen ins Meer. Am Morgen, bevor die anderen da waren, bin ich ins Wasser gegangen und habe überlegt, wo beginnt der Punkt, dass ich Angst habe vor einem Hai, wie weit schwimme ich raus? Und das ging dann relativ schnell.

Wir haben dann versucht, das weite Rausschwimmen durch diese extreme Totale darzustellen. Ich habe beim Drehen gar nicht gesehen, dass da ein oder zwei Delfine hoch gesprungen sind. Das habe ich erst hinterher bei den Mustern gesehen. Die Einstellung, wo das passiert ist, habe ich natürlich genommen. Das ist ein Glücksfall, dass einem so etwas passiert.

Beschützt im Drehstuhl

 G: Es gibt eine ungewöhnliche Szene, wenn Pink vor diesem Bild mit der Palme und dem blauen Meer steht, sich dann setzt und versucht, etwas zu schreiben. Da wird sie sehr lange beobachtet. Wie kam es dazu?

RT: Ich liebe die Szene, weil sie sich ja dann in so einen Drehstuhl setzt. Sie sitzt an einem kleinen Tisch, wo ihr Computer steht, fängt an zu schreiben, klappt das Ding aber gleich wieder zu. Und dann dreht sich der Stuhl von alleine, und dreht sich auch von alleine wieder zurück. Das war Zufall, das hat sich so ergeben. Aber das ist eine wunderschöne Szene, die auch sehr lang ist. Und ich, der ich es so eilig habe bei diesem Film, habe sie so gelassen. Weil es einfach zu schön ist und auch ganz viel aussagt. Das ist ja so ein Sessel, wo man an der Seite eingerahmt ist. Sie ist in diesem Sessel irgendwie beschützt von der Außenwelt, und das Licht ist sehr warm. Man spürt in dieser Szene, dass sie in einer ganz schwierigen Situation ist, dass sie aber einen Schutz um sich herum hat. Und sie ist sehr, sehr alleine.

K: Ich sehe das formal als Beispiel dafür, dass du dir sehr viel Zeit nimmst für etwas Alltägliches, das die Geschichte nicht unbedingt vorwärts bringt. Das ist dieser Gegensatz, einerseits erzählst du jetzt in 80 Minuten eine unendliche Menge an Stoff, nimmst dir aber die Zeit für eine so lange und auch langsame Szene.

RT: Das ist wie ein epileptischer Anfall. Es geht immer in Schüben, und mit diesen gigantischen Löchern drinnen. Aber die Szenen, die so langsam sind, haben immer noch eine über die Szene hinausgehende Funktion, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Da könnten Filmkritiker, die den Film lieben, aber auch Zuschauer, die den Film lieben, sicherlich stundenlang Texte dazu verfassen, was wie viel bedeutet und welche Zusammenhänge da existieren, auch Zusammenhänge zwischen diesem Film und allen meinen anderen Filmen. Es gibt eine Doktorarbeit über die ersten fünf Minuten von ROTE SONNE, und der hat versucht, alles, was man interpretieren kann, zu analysieren. Ich habe das gelesen und fand es spannend wie einen Krimi. Natürlich habe ich das nicht alles gedacht, was da dann rausgefunden wurde, aber es war als Assoziation bei mir beim Drehen und beim Schneiden da.

Seitdem ich die Drehbücher selbst schreibe, sind immer viele Assoziationen und Zusammenhänge bei mir vorhanden. Aber nur als vage Assoziationen, da ich mir ja nicht ein bestimmtes Thema abstrakt vornehme, das ich dann umsetze und in eine konkrete Geschichte verwandle, sondern bei mir geht es ja andersherum. Ich schreibe die Geschichte und daraus entwickeln sich dann die dazugehörigen Gedanken. Das verdichtet sich natürlich beim Schreiben immer mehr, und mal ist es mir richtig gut gelungen, mal etwas weniger. Ich denke, hier bei PINK ist es mir ziemlich gut gelungen. Ich denke ja auch, weil ich ja älter werde bei jedem Film, das könnte auch der letzte sein. Da muss man dann irgendwie etwas machen, was die Dinge zusammenfasst, die man die ganze Zeit vorher gemacht hat. 

K: So ähnlich hast du das schon bei DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE gesagt.

RT: Da habe ich ja nun sehr ernsthaft daran gedacht, das könnte der letzte Film sein.

Heute ist mein Glückstag

G: Dann gibt es die Szene der Scheidung, die sehr kurz ist, aber auch sehr hübsch, weil Pink die Frage an die Richterin stellt: Wann kann ich denn wieder heiraten? Und dann sieht man Balthazar, der glücklich singend durch die Landschaft mit gelben Rapsfeldern fährt. Er singt "Heute, heute ist mein Glückstag,..."  Der Schlussteil steht im Zeichen von Balthazar, der eine etwas eigenartige Figur ist, die man nicht ohne weiteres ernst nimmt.
Er ist immer fröhlich und unbeschwert...

RT: Unbeschwert ist er mit Sicherheit nicht. Wir sehen ihn in zwei Szenen, wo er wirklich mit den Tränen kämpfen muss. Nein, also unbeschwert ist er mit Sicherheit nicht. Vielleicht ist er in der Lage, die Dinge leichter zu nehmen als andere, weil er sehr bodenständig ist. Der ist mit seinem Garten verbunden, und er lebt quasi für sich in einem selbst geschaffenen oder wieder gefundenen Paradies.

Wir haben gerade diesen Prospekt von Kinowelt gekriegt: Thome's Cinema in Search of Paradise. Das habe ich denen vorgeschlagen, weil das ein Thema ist, das in vielen meiner Filme vorkommt. Ein Film handelt quasi nur davon: BESCHREIBUNG EINER INSEL, das Paradies der Südsee, das sich dann doch als ein ziemlich verlorenes Paradies darstellt. Bei RAUCHZEICHEN hatte ich zunächst vor, auf Murnau zurückzugreifen, und hatte im Drehbuch Zwischentitel vorgesehen, am Anfang eben "Das Paradies" und dann einen zweiten "Das verlorene Paradies", genau wie bei TABU. Das habe ich dann aber weggelassen.

Balthazar lebt eben in einem Paradies. Und das ist das, wo Pink hinwollte, denn sie ist auf der Suche nach dem Glück, und sie findet das Glück da. Hinzu kommt, dass er,
wenn sie da ist, sich ganz um sie kümmert, nur noch für sie da ist. Was ja auch noch nötig wird, weil sie sich den Arm bricht. Und dann muss er sie ja bemuttern wie ein Baby. Sie anziehen, sie waschen, zurechtmachen.

G: Wie bist du bei ihm auf den Namen Balthazar gekommen?

RT: Also erst mal natürlich der Film von Bresson AU HASARD BALTHAZAR. Das zweite natürlich der biblische Name. Es ist ja einer der drei heiligen Könige, die zur Geburt von Jesus kommen. Einer der heiligen Könige heißt Balthazar, es ist auch diese Schreibweise.

Heute ist Vollmond

K: Pink schreibt in diesem Schlussteil ein Gedicht, das sie dann auch zusammen vortragen. „Heute ist Vollmond, ich bin eine Wölfin, ich heule den Mond an…“ In dem zweiten Teil dieses Songs feiert sie sozusagen ihr Glück. Sie sagt sowas wie: Ich hätte nicht geglaubt, dass alles so schön sein kann, die Wolken, die Erde und sogar die Tagesschau, die man sich vor dem Einschlafen ansieht.  Es ist ein Gegenstück zu dem Gedicht, das sie am Anfang mal rezitiert: „Ich bin ein Killer… Liebe ist Mord“, nachdem sie jetzt ihr Glück gefunden hat. Allerdings sagt sie auch im dritten Teil: Vielleicht ist es nur eine Fata Morgana, die verschwinden könnte.

RT: Sie sagt damit ja quasi: Jetzt bin ich glücklich, aber es könnte sein, dass das Glück nicht ewig dauert, dass es wieder weggeht. Das würde ja der Erfahrung entsprechen, die sie mit den beiden Männern davor gemacht hat. Und sie zieht es einfach als Möglichkeit in Betracht, dass es auch beim dritten Mann so sein kann. Dass also dieses totale, märchenhaft, paradiesische Glück nicht dauerhaft ist. Da hat sie dann eben eine ganze Menge gelernt.

Glück auf roter Decke

G: Der Film hört auf mit einem Bild des Glücks.

RT: Ja natürlich. Sie sitzt auf einer roten Decke mit einem Baby im Arm, ein Jahr später unter einem blühenden Magnolienbaum, und der Mann kocht. Balthazar kommt zu ihr und sagt: In einer halben Stunde ist das Essen fertig. Sie sitzt auf einer roten Decke, was natürlich übertrieben ist, weil es in diesem grünen Gras raus knallt, so etwas mag ich halt. Ich habe darauf bestanden, ich habe gesagt, es muss eine rote Decke sein. Meine Ausstatterin hat zunächst gar keine gefunden. Und dieses Pathetische durch die rote Decke wird zurückgenommen dadurch, dass eben der einzige Dialog in der Szene ist, dass er sagt: In einer halben Stunde ist das Essen fertig. Das ist ein extremer Kontrast. Pathos und Understatement gleichzeitig in einer Szene. Das trifft, denke ich, auch auf den ganzen Film zu. Da ist immer ganz viel Pathos, weil ich mit dem Pathos alles zu einem Extrem zuspitze, und gleichzeitig ist es wie alltäglich gezeigt.
So drehe ich fast immer, das ist die Essenz meiner Art, Filme zu machen.

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