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Rudolf Thome im Gespräch mit Karlheinz Oplustil und Gudrun Max in Niendorf,
21. Juli 2007

Fünfundzwanzig Filme

KH: Wenn deine Hauptfigur Marquard heißt, muss man natürlich an Marquard Bohm denken, der in vielen deiner Filme gespielt hat. Inwieweit spielte er für den Film eine Rolle?

RT: Als ich angefangen hatte, das Drehbuch zu schreiben, am zweiten oder dritten Tag, rief mich sein Bruder, Hark Bohm, an und sagte mir, dass Marquard gestorben ist. Ich habe darauf die Hauptfigur des Films Marquard genannt. So, wie ich sie beschreibe, ist sie zum Teil auch tatsächlich Marquard Bohm. Marquard hat diese Art gehabt, die Marquard von Polheim im Film hat. Bis hin zu manchen Sätzen, die Marquard Bohm gesagt hat, und die die Filmfigur auch sagt. Gleichzeitig habe ich mich beim Schreiben natürlich selbst in diese Figur hineingelebt und reingesteigert, und auch mein Gefühl skizziert. Also bin auch ich dieser Marquard von Polheim. Es ist nun mal zufällig mein fünfundzwanzigster Film. Und mein Gefühl war, dass fünfundzwanzig Filme eigentlich genug sind. Das ist eine runde Zahl, mit der man aufhören könnte. Diese Todessehnsucht, die dieser Marquard von Polheim im Film vom Anfang an, von der ersten Einstellung an, hat, die hatte ich auch. Guntram Brattia, der diese Rolle spielt, ist da also mein alter ego -so wie früher Hanns Zischler und Marquard Bohm.

KH: Marquard Bohm würde ich zum Beispiel darin sehen, dass deine Hauptfigur trinkt und als wilder Mann auftritt. Das machst du nicht.

RT: Als wilder Mann trete ich nicht auf.

KH: Und du trinkst keinen Wodka, Gott sei Dank. Dieser wilde Mann, das bist du nicht. Das ist Marquard.

RT: Ein Kritiker hat mir eine e-mail geschickt, nachdem er den Film bei der Teampremiere gesehen hat. Er fragte, wieso ich solche Männer in meinem Film zeige, wo ich doch selbst so ein sanfter und freundlicher Mensch sei. Aber Marquard war so. Der hatte nach seinen nächtlichen Touren öfters ein blaues Auge, und er hat wirklich gesoffen, auch Wodka und Whisky und was auch immer.

KH: Ich will nicht indiskret sein… Diese Beziehung zu Maria ist ja sehr schwierig durch sein Verhalten und diese Trinkerei. Geht das auch auf Marquard Bohm zurück?


RT: Marquard war nicht ein Typ, wo man denkt, der ist attraktiv für Frauen, nicht wirklich. Aber der kam nach jeder Sauftour zurück mit einem neuen Mädchen. Und er hatte die schönsten Mädchen in München damals. In „Rote Sonne“ sagt er ja zu Uschi Obermaier am Ende: „Ich weiß, ich bin unwiderstehlich mit meinem kaputten Charme“.

Liebe und Hass

G: Beim ersten Sehen fand ich die Figur des Marquard ganz unsympathisch, aber das hat sich später geändert, da fand ich die Figur der Maria eher unsympathisch. Das mag daran liegen, dass sie sehr schroff auf ihn reagiert.

RT: Das ist so nicht richtig. Eine meiner Lieblingsszenen mit den beiden ist die Szene nach der Preisverleihung am Küchentisch. Da ist sie giftig. Mit Recht. Er hat ja offensichtlich bei der Feier nach der Preisverleihung, die wir nicht sehen, heftig mit der Blondie rumgemacht. Nachdem er nun seinen Rausch ausgeschlafen hat und in der Küche auftaucht, ist sie wirklich total bissig mit ihm. Aber das ist nicht einfach Ablehnung, das ist nicht einfach Hass. Wenn er dann geht und sie ihm nachruft: „Arschloch“ und er noch mal zurückkommt und sie küsst -dieser Kuss ist Guntram Brattia eingefallen, der stand nicht im Drehbuch -, wie sie auf den Kuss reagiert, mein Gott, das ist nicht Hass, das ist Liebe. Der Schauspieler Guntram Brattia versteht genau wie ich auch sehr viel von der Ehe. Das haben wir beide schon beim Drehen von „Paradiso“ gemerkt.

G: Gleich eine der ersten Szenen beginnt damit, dass sie sagt: „Ich hasse dich“, wobei sie sich ihren Mund rot anmalt. Das kam mir sehr glaubwürdig vor, dieses „Ich hasse dich“. Warum malt sie sich diesen Clownsmund?

RT: So fühlt sie sich halt. Wenn ein Paar gemeinsam zu einem doch großen Ereignis verabredet ist, und er einfach nicht auftaucht, und sie wahrscheinlich mitgekriegt hat, dass er mit seinem Motorrad irgendwo in der Ge-gend herumbraust und das nicht wirklich ernst nehmen will, da kann man doch zornig werden. Und aus dieser Zornreaktion heraus verschmiert sie sich plötzlich das Gesicht, statt sich ordentlich die Lippen mit dem Lippen-stift anzumalen. Damit nimmt sie auch das, was sie später macht, vorweg, diese
Kriegsbemalung. Quasi im alle-rersten Filmbild, in dem sie zu sehen ist, fängt dieses Motiv an -sich zu bemalen. Sich zu bemalen aus Zorn, aus Wut.

KH: Es wird gleich deutlich, dass es um starke Gefühle geht. Sie hat ja auch starke Gefühle für Marquard. Nur sind es sehr gemischte Gefühle, eine Hassliebe.

RT: Das ist nach meiner Ansicht in jeder Ehe oder langen Beziehung so. Ich glaube nicht an die reine totale Liebe, ohne dass da irgendwie auch Hass dabei ist. Wahrscheinlich stört Maria das Trinken beim Malen. Wahr-scheinlich empfindet sie auch sein Motorradfahren als aggressiv. Sie reden ja nicht über ihre Beziehung. Wir sehen nur einzelne Momente, und die sind halt ganz widersprüchlich und komplex. Sie redet nur ein bisschen mit Gregor, mit dem sie vorher zusammen war und von dem sie sich getrennt hat, weil sie mehr erleben wollte im Leben als mit ihm zusammenzubleiben und ihn vielleicht zu heiraten. Und in der Südsee ist sie diesem Marquard begegnet.

In der Südsee

KH: Ich dachte, sie war mit Gregor zusammen und ist dann mit Marquard in die Südsee gegangen, dass sie ihn wegen Marquard verlassen hat.

RT: Nein, sie haben sich in der Südsee kennen gelernt. Man kann dass aus dem Gespräch mit Gregor am See schließen. Er sagt zu ihr: „Du wolltest weg. An mir hat‘s nicht gelegen. Du wolltest was erleben.“ Da ist nicht die Rede davon, dass sie mit einem andern Typen zusammen sein wollte. Daraus kann man schließen, dass sie Marquard dort erst getroffen hat. Vielleicht auf einem Schiff oder einem Flieger. Aber von meinem Gefühl her eher auf der Insel selbst, auf Moorea.

KH: Moorea. Das ist ja für sie so ein Privatmythos. Jetzt trauern sie diesem Glück nach, wenn sie in der Misere stecken. Bei Südsee und Maler, denkt man schnell an Gauguin.

RT: Er kriegt ja auch den Paul Gauguin-Preis.

KH: Es gibt bei Marquard sogar einige Parallelen zu der Biographie von Gauguin. Er hatte eine Frau, die ihn finanziell unterstützt hat, und er selbst hat in der Südsee viele Affären gehabt und mehrere Kinder gezeugt und hat sich ziemlich wild aufgeführt, als er in Paris war. Hast du diese reale Biographie von Gauguin als Modell gehabt?

RT: Nein.

KH: Wieso bist du für den Preis auf Gauguin gekommen?


RT: Weil er in der Südsee gemalt hat. Ich habe nicht lange drüber nachgedacht. Aber ich kenne die Gauguin-Bilder, und sie gefallen mir. Und ich kenne vor allem selbst die Südsee und weiß, wie es ist, in der Südsee ein oder zwei Jahre zu sein, wie das Leben da sich abspielt. Ich weiß, was sich da verändert bei Leuten, die so was machen. Ich habe ja einen Film in der Südsee gedreht, “Beschreibung einer Insel”, und habe ein halbes Jahr da gelebt. Alle Personen, die da dabei waren, haben ihr Leben danach geändert. Ich liebe die Szene, wenn Maria mit Gregor ganz am Ende des Films am Strand entlang spaziert und ihm sagt, dass in diesem grellen Licht in der Südsee er quasi unsichtbar geworden sei, dass dieses grelle Licht ihn verdeckt hätte, und sie ihn also vergessen hat. Ich finde die Erfahrung auch ungewöhnlich. Das ist etwas, das man nicht erwartet, wenn man es nicht erlebt.

KH: Eine Art Rückblende in die Südsee ist das Picknick mit Marquard am See, wenn Maria alle möglichen Sachen auf die Decke legt.

RT: Ich konnte mir die Szene zunächst überhaupt nicht vorstellen. Ich war wie blockiert. Für mich war es das größte Problem, wie sie die Decke ausbreitet. Ich habe das selbst immer wieder probiert und gemerkt, dass es schwierig ist -vielleicht hat Hannelore Elsner mich dabei beobachtet. Und dann machte sie das einfach so. Schon bei der ersten Probe. Ich hätte sie am liebsten umarmt und geküsst, weil ich war hin und weg, wie sie das machte. Man sagt, Schauspielerei ist, große Sachen mit dem Gesicht machen, aber es sind so kleinen Din-ge, das ist das, was so schwer ist. Es ist auch lustig. Der Film ist in vielen Momenten wirklich lustig. Ich habe ihn in München in einem vollen Kino erlebt, da sind immer Leute am Kichern. Auch bei der Küchenszene, nachdem Marquard weg ist, wenn sie da einen Schluck aus seiner Wodkaflasche trinkt. Das ist Hannelore Elsner eingefallen. Das hat sie aus ihrem Spiel heraus einfach so gemacht. Hannelore Elsner ist einfach eine geniale Schauspielerin.

Der Maler in der Krise


KH: Soll man Marquard als ausgebrannten Künstler verstehen? Vieles, was er sagt, klingt so, als ob er eigentlich nicht mehr arbeiten kann.

RT: Ich hasse das Wort „ausgebrannt“. Den Begriff „ausgebrannter Künstler“ hasse ich total. Jeder Künstler kann neue Sachen machen, finde ich. Er kann bloß keine Lust mehr haben, er kann die Lust verlieren. Aus welchem Grund auch immer. Das muss nicht unbedingt mit dem Erfolg oder Nichterfolg zusammenhängen, sondern das kann ganz viele Ursachen haben, dass man seine Lebenslust verliert. Marquard sagt, mir fällt nichts ein. Ja gut, das ist halt eine Krise, mein Gott! Vor der Entscheidung, mit Salomé zu arbeiten, habe ich mehrere Maler kennengelernt. Einer von ihnen, den ich sehr mochte und dessen Bilder mich unglaublich begeistert haben, war todunglücklich, gerade als wir in sein Atelier kamen. Er hatte die ganze Nacht gemalt und auch getrunken Der war ganz unglücklich, weil er eine Figur in einem größeren, komplexen Bild verhauen hatte. Da ist ihm was schief gelaufen, da hat er die Figur zerstört und zeigte es. Ich habe ihm gesagt, das ist doch kein Grund unglücklich zu sein. Sie können das Bild doch dauernd verändern, arbeiten Sie damit, was Ihnen da passiert ist. Dann hat er mir eben erzählt, dass er seine Bilder ununterbrochen verändert und dass er früher sogar das, was er jeweils in einer Nacht gemacht hat, am nächsten Morgen fotografiert und ins Internet gestellt hat, und dass dann quasi die einzelnen Phasen eines Bildes im Internet zu sehen waren. Es ist ihm schon passiert, dass sein Galerist gekommen ist und ihm die Bilder weggenommen hat und gesagt hat: das ist toll so.

KH:. Marquard wird als kaputter Typ eingeführt, der nicht mehr als Maler arbeiten kann. Der Eindruck entsteht natürlich, wenn er sich bei dieser Preisverleihung so aufführt, und wenn er sagt, er sei am Ziel angekommen. Da müsste man sich, wenn du das wärst, große Sorgen um dich machen.

RT: Ich habe am Anfang gesagt, dass ich auch an dem Punkt war. Aber jetzt beim Schreiben meines neuen Projekts, nämlich “Pink”, war es für mich so, als hätte ich mich mit der eigenen Hand aus dem Sumpf der tiefen Melancholie herausgezogen. Ich habe jetzt richtig Lust, diesen Film zu machen.

KH: Ich würde die Bemerkung von Marquard, dass der Preis zwanzig Jahre zu spät kommt, auf dich beziehen. Ich denke, das ist ein Gefühl, das du teilst. Dass du als Regisseur nicht die Anerkennung gefunden hast, die dir eigentlich zustehen müsste.

RT: Vielleicht, ein bisschen. Ich kriege allerdings demnächst einen Preis mit immerhin 5.000 Euro. Und da der Preis von der Firma Oki gestiftet worden ist, kriege ich bis ans Ende meines Lebens immer neue Oki-Drucker. Das ist viel mehr wert als 5.000 Euro. Ich muss halt nur sehr alt werden und noch viele Filme machen.
Malen mit Salomé

G: Wie war die Zusammenarbeit mit Salomé?


RT: Sehr gut. Wir waren zwei Leute, die sich gegenseitig respektieren. Mit Salomé konnte ich auch sehr gut drü-ber reden, wie funktioniert das eigentlich bei euch Malern. Zum Beispiel, ist das Trinken beim Malen nun eine Klischeevorstellung von mir oder ist das real so. Das Drehen selbst war hart für Salomé. Er war ja schon beim ersten Malen der Bilder dabei, und dann haben wir genau diese Szenen beim Drehen nach dem Wechsel des Kameramanns wiederholt.

G: Die Schauspieler mussten ja beim Spielen auch gleichzeitig noch malen.

RT: Oder umgekehrt -beim Malen auch spielen. Vor allem Guntram Brattia musste beim Malen seines Bildes auch noch so langsam sterben. Ich finde es ganz wunderbar, wenn ihm am Ende beim Schreiben seines Namens der Pinsel aus der Hand fällt. Hannelore Elsner hatte es da leichter. Sie wurde beim Malen ihres Bildes durch Salomé angeleitet. Wenn man vor einer zwei Meter mal einssechzig großen Leinwand steht, ist das ja eine Riesenfläche. Hannelore Elsner ist nicht so groß, da kriegst du ja Angst. Und da hat Salomé ihr geholfen und gesagt, wie sie vorgehen könnte. Er hat ihr gesagt, sie möge doch Begriffe nennen, die ihr wichtig sind, also „Sonne“, „Mond“, „Schlange“, „Herz“, und ihr quasi einen Weg gezeigt, wie sie von diesen Begriffen zu einer Bild-komposition gelangen könnte. Sie hat eben nicht ein Bild von Hannelore Elsner gemalt, sondern ein Bild der Filmfigur Maria. Salomé hat ihr geholfen, wie sie da vorgehen könnte, dass man das erstmal als Umriss skizziert, und bei der Auswahl der Farben hat er sie auch beraten. Aber sie hat die Arbeit gemacht, und es ist ihr Bild. Das Malen hat drei oder vier Stunden gedauert. Danach rief sie mich an und sagte: Ich habe ein Bild gemalt! Ich bin sofort zu Salomés Atelier gefahren und schaute es mir an. Da war auch das Bild von Salomé schon fertig, das Bild, das am Schluss des Films von Guntram Brattia gemalt wird. Das ist ein Bild von Salomé. Ich habe sein Bild ein bisschen beeinflusst, weil ich wollte, dass die Wolken in dieser Südseelandschaft nicht weiß, sondern rot sind. Die Maske, die die Figur auf dem Bild in der Hand hat, gab es bei Salomé ursprünglich nicht. Diese Idee ist ihm erst beim Darüberreden gekommen. Ich hatte im Drehbuch das Bild ein bisschen beschrieben. Dann hat er den ursprünglich gestreckten Arm angewinkelt und ihr eine Maske in die Hand gegeben. Das hat er innerhalb von fünf Minuten gemacht. Er kann das einfach richtig gut. Ich habe noch gesagt, er soll auf die Maske auch dieses weiße Zeichen machen, das Hannelore im Film macht, wenn sie auf dem Kriegspfad ist. Übrigens ist auch das Bild, das man bei der Preisverleihung sieht, ein Bild von Salomé. Ich habe es ausgesucht, weil es einen Südseebezug hat. Das ist nicht für den Film gemalt.

Vater und Tochter

KH: Die Geschichte zwischen Vater und Tochter erscheint im Film relativ spät, aber dann dominiert dieser Aus-flug von Vater und Tochter die zweite Hälfte des Films. Vorher hat man von der Tochter ziemlich wenig erfahren, nur dass sie eine spezielle Beziehung zu dem Vater hat. Später ist sie ja möglicherweise inzestuös geprägt.

RT: Sie schreibt ihm einen Zettel, da sie nicht miteinander sprechen: „Darf ich heute bei dir schlafen?“ Und er schreibt darauf zurück „Nein“.

KH: Wir wissen nicht, was in der Nacht passiert ist. Da ist eine Lücke im Film.

RT: Es gibt viele Lücken. Wir sehen sie aber dieses und jenes tun. Es kommt darauf an zu gucken, wie sie sich verhalten, wie sie sich bewegen, wie sie sich zueinander verhalten.

KH: Du lässt ganz bewusst offen, ob sie in der Nacht möglicherweise doch miteinander schlafen oder nicht.

RT: Also das würde ich ausschließen. In dieser Nacht! Das halte ich für undenkbar. Sein „Nein“ ist so klar, und sie geht ja, und er liegt allein im Bett. Wir sehen sie am nächsten Tag, wie sie am Strand spazieren gehen. Das ist für mich eine der wichtigsten Szenen, die zeigt wie ihr Verhältnis ist. Wie sie einfach miteinander am Strand gehen und wie sie Muscheln aufliest und ins Wasser schmeißt, und mal neben ihm läuft, mal vor ihm ein Stück herläuft, er legt mal einen Moment den Arm um ihre Hüfte. Das ist wie ein Tanz fast zwischen den beiden, oder ein Liebes-Spiel, so ist dieser Gang. Die einzige Regieanweisung, die ich der Schauspielerin Anna Kubin gegeben habe,war: du musst bei allen Szenen mit deinem Vater auf jede Körperbewegung, auf die geringste Kleinigkeit reagieren. Mehr musst du nicht tun. Guntram Brattia musste ich gar nichts sagen. Er hat seit „Paradiso“ fast in jedem Film von mir mitgespielt. Wir kennen uns so gut. Ich liebe diese Szene am Strand total. Durch dieses ständige Aufeinanderreagieren sieht man, wenn man genau hinschaut, die Nähe, die sie zueinander haben. Die sind total aufeinander bezogen.

Lucias Zauber

KH: Lucia sagt ja, sie will durch das Nichtsprechen einen Zauber ausüben. Das funktioniert auch, finde ich. Das ist so ein entrückter Zustand. Außerhalb des Normalen, des Alltäglichen.

RT: So habe ich es mir gedacht.

G: Ich habe es bedauert, dass der Zauber nicht mehr da war, als sie wieder miteinander sprachen.


RT: Klar ist der dann noch da. Wenn sie im Auto sitzen und Lucia schreibt „Jetzt darfst du wieder sprechen“ und er dann sagt: „Ich weiß gar nicht, ob ich jemals wieder sprechen will.“, das ist ja todtraurig. Da kann man sich auch überlegen, was war zwischen ihnen. Dann steigt er aus und sie geht ums Auto rum und geht zu ihm hin. Wie sie sich voneinander verabschieden: sie küssen sich auf den Mund, und sie berührt kurz vorm Weggehen seinen Arm und sagt: „Das war die schönste Zeit meines Lebens.“ Danach sehen sie sich nicht mehr.

Stell dir vor, das Leben wär’ einfach


G: Wir sehen dann parallel dazu, wie sich die Geschichte von Maria und Gregor entwickelt.

RT: Auch da wird aber noch erzählt, wie die Beziehung zwischen Marquard und Maria ist. Die Szene, in der Gregor das Lied für Maria singt, und sie dabei eine Skizze macht, war ursprünglich nicht im Drehbuch. Das Lied, das Gregor da singt, das hat Hansa Czypionka, der Schauspieler, der den Gregor spielt, einfach gesungen, als ich mit Hannelore Elsner in einem Restaurant saß. Er kam etwas später dazu, holte plötzlich eine Ukelele heraus und sang dieses Lied. Hannelore Elsner und ich fanden das toll. Und dann machte Hannelore Elsner den Vorschlag, das in den Film reinzunehmen. Es ist ein Lied von Fanny van Dannen. Ich habe versucht, die Rechte zu kriegen, und bekam sie sofort. Als ich zum Münchner Filmfest fuhr, saß neben mir im Flugzeug ein junger Mann, offensichtlich ein Maler, der während des Flugs zwei, drei Sachen skizzierte, und ich dachte, das muss ich unbedingt im Film haben. Das hat uns auch Salomé gesagt, dass Maler immer einen Skizzenblock dabeihaben. Ich habe dann diese beiden Sachen vermischt, diese Skizze zu machen und dieses Lied zu singen. Was sie skizziert, während Gregor singt, ist im Grund genommen das, was Marquard in seinem Atelier als sein letztes Bild malt. Wenn Maria dann aufhört und mehr Gregor zuhört, der auf seiner Südsee-Ukelele spielt und singt, da war ich beim Drehen total fasziniert von ihrem Blick, von dem, was sich in ihrem Gesicht abspielte. Eine ungeheure Trauer, und dann wieder eine Hinwendung zu Gregor. Sie ist in dieser Szene bei Marquard, sogar so stark bei Marquard, dass sie quasi durch Gedankenübertragung das ahnt, was er malt. Und wenn Gregor singt „Du ziehst dein schönstes Kleid an, und ich mein schönstes Hemd”, dann berührt sie ihn ganz liebevoll.

KH: Ist diese Ukelele ein reiner Zufall?


RT: Reiner Zufall glaube ich nicht. Ich weiß nicht, was sich der Schauspieler gedacht hat. Natürlich hat er das Drehbuch gelesen und wusste schon, dass das gut passen würde. Es ist wie eine Werbung um sie. Gregor versucht quasi auch, ihr die Südsee zu bieten.

KH: Parallel dazu zeigst du Marquard, das ist sehr hart. Wenn es heißt „Stell dir vor, das Leben wär einfach“, ist Marquard dabei, sich umzubringen. Eine Kontrastmontage.


RT: Ja natürlich. Und wie!

KH: Warum bringt sich Marquard eigentlich um?


RT: Weil er keine Lust mehr hat. Vielleicht hat er tatsächlich doch mit seiner Tochter geschlafen und findet das so furchtbar und grauenhaft, dass er sich deswegen umbringt. Aber diese Todessehnsucht ist bei ihm von Anfang an da -schon wenn er am Anfang sich beim Motorradfahren in die Kurve legt.

Die Kamera auf Schienen

Gudrun: Wie war die Stimmung während des Drehens?


RT: Schwierig. Total schwierig! Nach vier Drehtagen habe ich mich von meinem ursprünglichen Kameramann getrennt, und das hat das Filmteam fast nicht akzeptieren wollen. Es war sowohl für ihn wie für mich hart, aber es war die einzige Lösung. Ich hätte es eigentlich schon vorher machen müssen, denn schon bei der Motivsu-che, die sich über einen Monat hinzog, hatte es Auseinandersetzungen zwischen ihm und mir gegeben. Und dann sind nach ein paar Tagen technische Pannen passiert, die ich mehr oder weniger durch Zufall, durch Nachfragen beim Kopierwerk, rausgekriegt habe. Dann eskalierte das einfach, was dazu führte, dass ich gesagt habe, das geht nicht. Zum Glück haben wir schnell Fred Kelemen gefunden. Meine Regieassistentin Serpil Turhan ist mit ihm befreundet und hat ihn gefragt. Ich habe ihn getroffen, wir haben eine Dreiviertelstunde mit-einander geredet. Dann waren wir uns einig, und wir haben gedreht. Das war eine extrem gutes Verhältnis. Das war völlig unkompliziert. Es war auf beiden Seiten ein großer Respekt. Seine Art gefiel mir, und ich hatte Spaß. Eine Sache zum Beispiel: am vorletzten Drehtag haben wir die Motorradszene unter den Titeln gedreht. Zunächst mal bin ich vorher in diesen Kurven mit meinem Wagen gefahren, und Fred Kelemen hat nach hinten geguckt, wie das gehen könnte. Und ich bin sie mit meinem Volvo sehr, sehr schnell gefahren und fragte dann hinterher Fred: Hast du nicht ein bisschen Angst gehabt? Da sagte Fred: Man muss bereit sein zu sterben, wenn man Filme dreht! Das fand ich einfach toll. Wir haben die Szene dann mit einem Stuntman und einem Audi A6 mit Vierradantrieb gedreht. Aber der Motorradfahrer war Guntram Brattia. Der Stuntman ist übrigens auch nicht viel schneller gefahren als ich mit meinem Volvo. Guntram Brattia allerdings wäre gerne noch schneller gefahren, aber das wäre für uns alle im Kamerawagen zu gefährlich geworden.

KH: Wenn man den Film sieht, ist es ja eine auffällig sorgfältige und interessante Kamera, ohne dass sie sich in den Vordergrund spielt. Gab es ein Konzept für die Kameraarbeit, für die vielen Fahrten zum Beispiel und die langen Einstellungen?

RT: Die Kamera ist ständig auf den Schienen. Ich glaube, es gibt keine Einstellung, wo die Kamera nicht auf Schienen ist. Wir haben darüber nicht geredet. Ich überlasse es immer dem Kameramann und frage ihn, wie willst du das machen. Es war ein gigantisches Ding manchmal, was wir da gemacht haben. Wir waren auch gar nicht so richtig auf diese Art des Drehens vorbereitet. Aber Fred Kelemen wollte es so, und da hat er einmal sogar vierzig Meter Schienen gelegt. Wir hatten gar nicht so viel Unterbaumaterial und die haben dann alle möglichen Holzkisten und Bretter zusammengesucht, um es doch irgendwie hinzukriegen. Für diesen Film hatte ich wirklich kein Konzept. Wenn der Kameramann oder die Kamerafrau ein bisschen intellektuell funktionieren, dann denken die unglaublich viel nach und haben sich unglaublich viel überlegt. Martin Schäfer ist in Paris in den Louvre gegangen und hat sich Bilder angeguckt, bevor wir einen Film gedreht haben. Und Ute Freund hat sich ganz viel überlegt, bevor wir unsere beiden Filme gedreht haben. Ich muss mit ihnen nicht unbedingt darüber reden. Aber dann, wenn die einzelnen Szenen gedreht werden, sehe ich natürlich, was passiert. Und da sage ich ja oder nein. Ich kann auch nein sagen. Bei Martin Schäfer habe ich oft nein gesagt.

KH: Weil es zu aufwendig war oder zu zeitraubend?


RT: Nein -weil es zu kunstvoll war. Aber ich bedaure noch heute jedes Mal, wenn ich einen Film drehe, dass Martin Schäfer nicht mehr lebt. Dass er das, was ich jetzt mache, nicht mehr mit mir machen kann. Und das ist natürlich die Schwierigkeit für jeden Kameramann oder jede Kamerafrau, mit denen ich arbeite, dass sie sich immer daran gemessen fühlen.

Das Sichtbare und das Unsichtbare

KH: Hast du eigentlich einen anderen Maler-Film im Kopf gehabt, “La Belle Noiseuse“ von Rivette?


RT: An den habe ich natürlich gedacht, das ist klar. Was mich da beeindruckt hat, war das Herstellen eines Bildes, die Arbeit, die da drin steckt, dass man die Arbeit sieht. Wie Straub bei „Chronik der Anna Magdalena Bach“ gesagt hat: er will nicht nur einfach die Musik zeigen, sondern die Arbeit des Herstellens der Musik. Das war mir hier auch wichtig. Das Malen des Bildes, besonders bei dem Bild von Hannelore Elsner, das wollte ich so genau wie möglich zeigen.

KH: Wobei es recht kompliziert ist, das so abzustimmen, was der Maler vorgeben kann und wie weit der Schau-spieler dabei selbst auch malen muss …

RT: Hannelore Elsner musste malen. Man sieht die Leinwand von hinten und sieht, wie sie die Formen des Bil-des durch die Leinwand hindurch mit roter Farbe vorskizziert.

G: Soll die rote Form das Herz sein?

RT: Sie malt ein Herz, aber es ist mehrdeutig.

KH: Maria malt das Bild ja eigentlich als Bruch mit ihren Pferdebildern, und macht also für sich etwas absolut Kühnes und Abenteuerliches. Warum nennt sie dieses Bild „Das Sichtbare und das Unsichtbare“?


RT: Wenn man so malt, wie sie jetzt malt, und wenn man so Filme macht und Drehbücher schreibt, wie ich es tue -in diesem Fall bin ich auch ein bisschen Maria, wenn sie das sagt. Und unter dem Aspekt, den ich hatte, das könnte mein letzter Film sein, wollte ich quasi noch mal einen Schlussstrich drunter ziehen, ein Fazit meiner Arbeit.

G: So könnte man alle deine Filme auch nennen: „Das Sichtbare und das Unsichtbare“?


RT: Ja gut, bitte! Das habe ich gemeint. Es war mir schon ziemlich ernst damit, dass das der letzte Film ist.

KH: Wie soll man das verstehen mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren? Willst du etwas Unsichtbares zeigen, wenn du dich auf Sichtbares konzentrierst?


RT: Ja klar. Ich habe ganz früh mal, ich glaube bei „Made in Germany und USA“, in einem Interview gesagt, dass ich durch das, was man sieht, was die Personen machen und reden, dass man etwas sehen kann, was man gar nicht sehen kann, nämlich ihre Seele. Ich kann ja nur das Äußere zeigen. Aber das Eigentliche von dem, was ich zeige, ist etwas, was man nicht sehen kann. Ich habe allerdings oft gesagt, ich erzähle einfach eine Geschichte und da ist nichts dahinter. Das ist natürlich ein Widerspruch. Aber so ist es halt, ich bin so widersprüchlich. Es ist beides richtig, es ist nämlich doch kein Widerspruch! Ich weise ja nicht mit dem Zeigefinger explizit darauf hin, was das Unsichtbare ist, sondern es ist da. Leute, die tiefe menschliche Probleme darstellen wollen oder sonst irgendwie ein großes Thema haben, wenn sie einen Film machen, die machen ja Hinweise und versuchen, das Thema zu bewältigen. Das fehlt bei mir. Aber trotzdem ist etwas Unsichtbares immer gleichzeitig auch da. Das Sichtbare und das Unsichtbare werden eins. Ich kann es nicht besser sagen, ich weise nicht auf etwas hinter dem Sichtbaren Liegendes hin, ich arbeite nicht mit Symbolik, ich stoße die Zuschauer nicht mit der Nase drauf.