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    Rudolf Thome im Gespräch mit Gudrun Max und Karheinz Oplustil am 4. Februar 2002 in Berlin

- Eine Erfolgsautorin schreibt ein neues Buch. Sie sitzt in einem Glashaus in Berlin, ihre Texte stehen im Internet, und sie wird von Webcams beobachtet. Du selbst hast mehrere deiner Drehbücher auch im Internet geschrieben. Wie weit sind da deine eigenen Erfahrungen in den Film eingegangen?

Meine Mitarbeiterin Sülbiye Günar hat gesagt: das ist ein Selbstporträt und ich verkleide mich als Frau. Natürlich spiegelt sich da meine Erfahrung wieder. Nur habe ich nicht vor einer Webcam geschrieben. Das würde ich auch nie tun. Aber es hat mir ein paarmal gefallen. Ich werde nicht mehr live im Internet schreiben, dazu habe ich mich entschlossen. Wenn ich das heute bedenke, es war ja schon sehr kühn. Diese Art wie ich schreibe: zehn Tage handschriftliche Notizen und vom elften Tag an, egal, was mir eingefallen ist, geht es los mit dem eigentlichen Drehbuch. Das ist ja ein akrobatischer Akt ohne Netz, das kann total in die Hose gehen. Aber mir hat das Spaß gemacht, daß da auch Leute zuschauen können. Und eine ähnliche Motivation habe ich bei Venus angenommen, dass sie einfach weiß, dass sie das kann.

- Warum würdest du nicht mehr im Internet schreiben wollen?

Weil es bei meinem letzten Drehbuch nicht gelungen ist, unmittelbar danach den Film zu drehen. Dadurch ist dieser Prozeß einmal unterbrochen worden, und jetzt kehre ich wieder zurück zu dem, wie ich es vorher gemacht habe.

Im Glashaus

- Wie kamst du zu dem Glashaus als Drehort?

Den gibt es real. Man hat ihn mir gezeigt bei der Vorbereitung von „Tigerstreifenbaby“ vor drei Jahren. Ich habe damals einen Drehort gesucht. Einen Raum, der hoch oben liegt. Der relativ leer ist, und von dem aus man einen tollen Blick hat. Dabei hat man mir diesen Raum gezeigt. Ich war total begeistert davon und habe gesagt, der Raum ist zu schade, um ihn als Nebenschauplatz in einem Film zu gebrauchen. Für diesen Raum muß man direkt ein Buch schreiben, das nur dort gedreht werden kann. Das Drehen war dann allerdings sehr schwierig, weil es ein winzig kleiner Raum ist. Die Möglichkeiten der Kamera sind spätestens nach zehn Einstellungen erschöpft. Wir hatten mehr als sechzig Einstellungen in dem Raum. Am Anfang waren wir natürlich immer ganz selig, wenn wir gedreht haben, und ein Schiff fuhr vorbei oder die U-Bahn fuhr über die Oberbaumbrücke im Hintergrund, aber nach drei oder vier Tagen war uns das völlig egal. Die fahren dauernd. Die Szene, wo sie zum erstenmal den Raum betritt und das Fenster aufmacht, das sind alles Dinge, die ich auch gemacht habe, als ich da rein kam und das zum erstenmal gesehen habe. Und ich habe auch Angst gekriegt, als ich da runter geguckt habe. Das ist ja direkt über der Spree.

- Wenn sie zu schreiben anfängt, hat sie ja offenbar keine rechte Beziehung zu den Apparaturen, zum Computer und zum Internet. Sie setzt sich erstmal hin und breitet ihre Bleistifte aus und macht zunächst Notizen. Sie scheint Schwierigkeiten zu haben, mit dem Schreiben zu beginnen?

Das ist immer so.

- Als Venus anfängt zu arbeiten, sagt sie einmal den Satz „ein Pentagon, alles teuflisch einsehbar. Ich bin eine einzige Lüge. Was kann denn hier entstehen? Da kann doch nur Schrott entstehen. (...) die Welt ist für mich eine Fremdsprache“. Ist dieser Text von dir?

Nein, diesen Text hat eine Schriftstellerin geschrieben, eine Romanautorin, Inka Bach, die merkwürdigerweise eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Sie war ein halbes Jahr lang Stadtschreiberin irgendwo in der Uckermark, und als solche war sie ja auch gewissermaßen unter ständiger Beobachtung. Ich kannte sie aus dem ersten Berliner Drehbuchseminar, und sie war auch ein Vorschlag meiner Cutterin. Sie hat alle inneren Monologe geschrieben.

Venus in der Stadt

- Offenbar sind dir die Jugendlichen in diesem Film sehr wichtig. Wie hast du die Darsteller gefunden?

Sülbiye Günar, die das Casting gemacht hat, hat von überall her Jugendliche angebracht. Für diese haben wir uns entschieden. Aber schon beim Schreiben habe ich diese Szenen sehr geliebt, sehr.

- Von Anfang an und durch den ganzen Film sind die Ebenen der Jugendlichen und der Erwachsenen einander gegenübergestellt. Andererseits kommt es mir so vor, als ob Venus sich eigentlich eher pubertär verhält mit dem, was sie da so anstellt in Berlin: in Discos geht, in Cafés geht, sich mit Fabrizio einläßt usw. Siehst du das auch so?

Also so weit würde ich nicht gehen, zu sagen, daß sie sich pubertär verhält. Ich finde das völlig normal. Nach so einer langen Ehezeit ist es verständlich und nachvollziehbar, daß sie sich, wenn sie alleine in der Stadt ist, in der Männerwelt ein bißchen umschaut. So alt ist sie nun nicht, daß sie nicht mehr in eine Disco gehen könnte. Sie legt es nicht darauf an, jemand kennenzulernen. Wenn Fabrizio sie anspricht, ist sie sehr zurückhaltend. Wenn er sie dann einlädt, auf dem Motorrad mit ihm zu fahren, sagt sie zuerst nein, aber dann macht sie es doch! Es passiert ihr.

- Man überlegt natürlich, wie die Beziehung zu ihrem Mann ist. Nach meinem Eindruck wirken sie am Anfang beinahe etwas verliebt.

Die erste Sache, die man von beiden sieht, ist, dass Musik gespielt wird und sie ihren Mann fragt, ob er mit ihr tanzt und dann sagt er, ich schau lieber zu: das ist eine Ablehnung. Daraufhin tanzt sie zunächst alleine, und dann mit jemand anderem. Das ist ein ziemlich wilder Tanz, den sie da macht. Wo sie sehr intensiv, durchaus erotisch, mit ihrem Produzenten tanzt. Man sieht auch, dass es Max nicht gefällt, er guckt sehr irritiert.

- Ich war schon etwas überrascht, daß sie sich, kaum angekommen in Berlin, so schnell in ein Abenteuer stürzt und gleich mit diesem jungen Mann ins Bett geht.

Sie genießt das Großstadtleben ein bißchen! Und genießt die Möglichkeiten, die sich in der Stadt bieten! Da draußen auf dem Bauernhof, auf dem Land, da hat sie das nicht. Selbst wenn sie die Möglichkeit hätte, könnte sie das nicht tun. In so einem kleinen Ort, da würden es sofort die Spatzen von den Dächern pfeifen, da kennt ja jeder jeden.

Am Rand, wo sonst?

- Im Café liegt eine Zeitung, mit einem Artikel, der heißt „Am Rand, wo sonst“ und ist ein Interview mit Botho Strauß. Wie kam es dazu?

Das habe ich gelesen, als ich das Drehbuch geschrieben habe, und ich habe dann dieses Exemplar sorgfältig aufbewahrt, und das war dann hinterher eine Requisite.
Ein Autor interessiert sich generell dafür, was andere Autoren sagen. Das ist doch normal. In der Regel lese ich auch Interviews von anderen Filmregisseuren, um zu sehen was sie denken, im Moment. Das war der naheliegendste Grund, warum sie das liest. Ein zweiter Grund ist sicherlich auch, daß sie in einer ähnlichen Situation lebt, wie der Autor Botho Strauß, nämlich weit, weit weg auf dem Land. Uckermark oder Fläming ist gleichgültig. Weiter habe ich darüber nicht nachgedacht, nicht wirklich. Ich sollte ja mal von Botho Strauß „Die Fremdenführerin“ verfilmen. Da habe ich mich mit ihm getroffen, wir haben lange miteinander geredet. Ein Thema, das ich nicht vergessen werde, war die Auflagenzahl von ihm und die Zuschauerzahlen von mir, die wir dann miteinander verglichen haben. Damals ging’s mir erheblich besser als ihm. Damals, nach der „Fremdenführerin“ war er noch nicht in der Situation, in der er heute ist. Ich war allerdings auch nicht in der Situation, in der ich heute bin. Damals hatte ich gerade „Chamissoplatz“ und „System ohne Schatten“ gedreht. Mit fast gigantischen Zuschauerzahlen, verglichen mit den Filmen, die danach kamen.

Der Fänger im Roggen

- Hat es einen bestimmten Grund, dass Venus die „Herbstgeschichte“ von Rohmer sieht?

Weil ich drei Monate vorher einen Artikel für die Frankfurter Rundschau zum 80. Geburtstag von Rohmer geschrieben habe. Die „Herbstgeschichte“ war einer der wenigen Filme von ihm, den ich vorher nicht gesehen hatte, der kam dann zufällig im Fernsehen, und ich war sehr davon angetan, ich mochte ihn sehr.

- Max, der Ehemann, ist Lehrer. Man sieht einmal eine Stunde bei ihm. Darin scheint es offenbar um Salinger zu gehen.

Das steht auch auf der Tafel: Salinger „Catcher in the Rye“.
Ich habe „The Catcher in the Rye“ zur Zeit von „System ohne Schatten“ gelesen, vor genau 20 Jahren, und ich war begeistert. Für den Film jetzt habe ich mindestens die Hälfte nochmal gelesen, in Deutsch und Englisch parallel, und habe mir diese Stelle ausgesucht. Die war für diesen Film speziell gewählt. Was da gesagt wird, hat für mich einen Bezug zu dem Film. Später im Film wird Salinger nochmal erwähnt, wenn Fabrizio sagt, daß in Filmen gestelzt geredet wird, nur bei Salinger würde so geredet wie im Leben. Das war nicht von mir, das kam zufällig dazu. Ich hatte mich vorher bereits für das Salinger-Zitat entschieden. Salinger kann man eigentlich nur im Original lesen, weil die deutsche Übersetzung, obwohl sie von Heinrich Böll ist, soviel schlechter ist. Als ich die deutsche Übersetzung und das Original gelesen habe, habe ich noch gedacht, wenn ich mal keinen Film mehr machen kann, dann übersetze ich Salinger nochmal ins Deutsche.

Spiegelbildlich

- Gab es noch andere Literatur, die mit „Venus“ im Zusammenhang steht?

Beim Schreiben, beim Überlegen, was ich machen könnte, gab es drei Sachen. Einmal dieses Heft, wo etwas von Planeten draufstand, also Venus und Pluto, das war ein Aspekt. Der zweite war, daß ich zufällig zum ersten Mal diese Fernsehsendung „Big Brother“ gesehen habe. Zufällig habe ich die Folge gesehen, in der Verona Feldbusch zu Besuch kam, und habe die Reaktionen der „Big Brother“-Mannschaft auf sie gesehen. Das hatte durchaus seinen Reiz. Dann hatte ich einen Spiegelartikel gelesen über eine New Yorker Fotografin, die alle ihre Liebesgeschichten vor einer Webcam live zeigt. Also sehr exhibitionistisch. Diese drei Sachen brachten mich auf die Idee, den Film zu schreiben. Und dadurch kam ich dann auch auf die Idee mit dem Glashaus. Es war nicht zuerst das Glashaus da, und dann die Geschichte, sondern umgekehrt. In fast all meinen Filmen versuche ich das zu zeigen, was jetzt, heute, ist. Ein Bild unserer Zeit. Eine Momentaufnahme der Gegenwart. Deshalb mag ich auch keine historischen Filme drehen.

- Du sagtest, die inneren Monologe sollten ursprünglich einen größeren Platz einnehmen. Warum hast du dich dagegen entschieden?

Zum ersten Mal habe ich das in „Paradiso“ gemacht und mir damit einen Traum erfüllt. Und da ist es sehr gut gegangen. Da ja ohnehin die beiden Filme ein bißchen spiegelbildlich funktionieren „Paradiso“ ist das Portrait eines älteren Mannes, und „Venus“ das einer nicht mehr ganz jungen Frau. Beide sind Künstler. Einer der Vorwürfe, die ich bei „Paradiso“ habe einstecken müssen, war ja, daß es ein Macho-Film sei! Dann habe ich gedacht: na gut, ich mache mal einen Film über eine Frau. Wo ich die Rolle der Frau einnehme und den Film aus der Perspektive der Frau erzähle, und dazu gehörte dann auch der innere Monolog. Vor zwei Wochen auf dem Würzburger Filmfestival hat eine Zuschauerin in der Diskussion nach dem Film gesagt, sie habe gedacht, der Film sei von einer Frau gedreht worden! Ich fühlte mich da sehr verstanden und geehrt. Denn genau das war meine Absicht. Das habe ich damals auch im Internet geschrieben.

- Im ganzen Film spielt das Internet eine große Rolle, auch die Webcam. Meinst du, diese technischen Veränderungen wirken sich aus, auf die Beziehungen der Jugendlichen und der Leute allgemein?

Zweifellos. Meine schriftliche Kommunikation heute ist vielleicht zu 90 % email, zu 5% Fax und 5% richtige Briefe. Wenn mir jemand ein email schickt, schicke ich meistens auch ein email zurück. Email ist die unverbindlichste Stufe der schriftlichen Kommunikation, darüber kommt ein Fax, und die höchste Stufe ist der richtige Brief, und wenn man das nochmal toppen will, der handgeschriebene Brief, der ist natürlich noch höher einzuschätzen als ein am Computer ausgedruckter Brief. Insofern verändert sich das schon, dadurch, daß email so einfach geht. Wenn ich schreiben müßte, ist der Widerstand des Materials einfach größer, also der Aufwand ist größer. Es ist schon ein bißchen so, je nachdem wie verbindlich ich einen Schriftwechsel ansehe, dementsprechend reagiere ich.

- Mein Eindruck vom Film her ist eigentlich anders. Der Sohn und Isabelle unterhalten sich zwar mit Webcams, aber was da abläuft zwischen ihnen, das ist etwas, was immer schon passiert.

Das wird auch so bleiben. Insofern denke ich nicht, daß die Form der Kommunikation die Form der Beziehungen verändert.

- Andererseits ist es sehr ungewöhnlich, wenn sich zwei junge Menschen vor der Webcam ausziehen!

Das ist ganz wichtig: So wie die beiden miteinander sind, wie sie reden und wie sie gucken, würden die sich niemals im Leben, in einem Raum, in einer Wohnung, voreinander ausziehen. Das würden sie nicht tun. Die Webcam ist eine Möglichkeit etwas zu tun, was sie, wenn sie sich von Angesicht zu Angesicht sehen würden, nicht trauen würden. Die Webcam erleichtert es, sich auszuziehen. Sie ist etwas Neutrales, das Distanz schafft.

- Die Webcambilder, die du etwa von Venus im Bett zeigst, wirken bewußt grob und unscharf gegenüber den normalen Filmbildern.

Das ist auch technisch gar nicht anders machbar. Wenn du Bilder wie ein Filmbild übertragen wolltest mit der Webcam, das ist utopisch, das geht nicht. Das geht auch mit den modernsten Geräten und den schnellsten Verbindungen nicht. Insofern kann man auch noch keine Filme im Internet übertragen, zumindest nicht in der Qualität. Und das was den Kindern zur Verfügung steht, da hab ich eher noch übertrieben, das ist nicht realistisch. Das, was technisch machbar ist im Moment für Kinder, ist noch schlechter. Es sind so winzig kleine Bildchen, fast wie eine Briefmarke, mit schlechter Auflösung.

Versuchsanordnungen und Alltag

- Du hast gesagt, der Film wäre ein Pendant zu „Paradiso“. Mir kommt er eher vor als Pendant zu „Just Married“. Dort ist es die Geschichte einer Ehe, die ganz frisch ist, und hier sieht man ein Paar so nach fünfzehn Jahren Ehe.

Bei „Just Married“ hatte ich das Gefühl: ich mache jetzt den ultimativen Ehefilm, ein Film für Leute, die die Absicht haben zu heiraten. „Venus“ könnte man auch in Bezug setzen zu „Made in Germany und USA“.

- „Venus“ kommt mir auch vor wie eine Art Experiment, ein bißchen so wie bei den „Wahlverwandtschaften“, wie eine Experimentieranordnung. Venus geht für eine beschränkte Zeit, für sechs Wochen, an diesen besonderen Ort und will da etwas erreichen und dann auch sehen, welche Erfahrung sie damit macht. Das wäre schon so eine Versuchsanordnung.

Das sind ja doch mehr oder weniger alle meine Filme. Alle enthalten diese Experimentieranordnung. Das gilt auch für „Paradiso“ oder „Tigerstreifenbaby“. Da sind es ein Mann und zwei Frauen und die leben zusammen. Gleichzeitig, nicht nacheinander und nicht als Seitensprung, sondern zusammen. Das Thema gibt es schon in meinem zweiten und dritten Kurzfilm. Es existiert bei mir von Anfang an. In „Stella“ und vor allem „Galaxis“. Der Film spielt in der Zukunft. Die Männer sind von Bewohnern eines anderen Planeten entführt worden, und auf der Erde leben nur noch 10 Prozent der Männer, die vorher da gelebt haben, und die Frauen müssen sich einen Mann teilen. Also vier, fünf Frauen müssen sich einen Mann teilen.
Das ist ein Thema, das immer wieder auftaucht. Man hat mich schon oft gefragt, ob das ein Wunschtraum von mir ist. Ich sage jedes Mal, es ist schon schwierig genug mit einer Frau zu leben. Was glauben Sie, wie schwierig es ist mit mehreren Frauen.
Das gilt wirklich fast für jeden Film von mir, daß ein Modell aufgebaut wird, wie ein chemisches oder physikalisches Experiment, und ich dieses Künstliche, das es ja immer ist, zu durchbrechen versuche mit möglichst realistischen Details. Ich versuche eine extreme Konstellation zu haben, die ich aber so erzähle als sei das Alltag. Der Gegensatz von dieser Künstlichkeit - oder der Versuchsanordung, - und der Alltäglichkeit und Banalität, mit der ich meine Geschichten erzähle, der fasziniert mich. Damit versuche ich meine Zuschauer zu verführen. Manchmal gelingt mir das. Wobei ich bei „Venus“ denke, dadurch daß zu den Erwachsenen auch noch zwei Kinderpaare dazukommen, ist es die umfassendste Darstellung dieser Situation, die ich bisher gemacht habe.

Schlange im Paradies

- In „Venus“gibt es einen Inneren Monolog, der sich offensichtlich auf „Paradiso“ oder auf „Tigerstreifenbaby“ bezieht, diese Wunschvorstellung: alle verzeihen sich und alle sind glücklich miteinander. Andererseits scheint Venus selbst nicht ernstlich irgendwie mal zu überlegen, daß sie mit den beiden Männern zusammenleben könnte oder auch nur wollte... Insofern gilt dieser Bezug zu so einer Utopie des Zusammenlebens nicht.

Es ist realistischer. Das würde sie vermutlich auch nicht tun wegen ihrer Kinder. Die Reaktion des Sohnes ist ja nun sehr klar: Wenn sie das weiter macht, dann geht er nicht mehr in die Schule.

- Ich war sehr irritiert über die Reaktion des Mannes, wenn sich beide in einem Restaurant treffen, um miteinander zu reden. Als erstes sagt er: ich will mit dir schlafen. Das ist schwer nachvollziehbar.

Das ist die zentrale Szene des Films. Das ist das Zentrum des Films. Daß er als erstes sagt, ich will mit dir schlafen. Es klingt natürlich absurd, das als erstes zu sagen, aber ich halte es für möglich, als ein Versuch, einen fast hilflosen Versuch, sie zurückzugewinnen. Aber sicherlich auch aus dem Gefühl heraus, das jetzt zu wollen. Das ist total absurd, so etwas zu sagen oder zu wollen, aber so sind Menschen. Sie tun in Extremsituationen völlig absurde Dinge und sagen absurde Dinge. Und dann springt er: Hast du denn ein Präservativ benutzt? Das ist doch logisch, aber es ist ein Sprung. Und die Szene endet damit, daß er einfach aufsteht und sie sitzen läßt und vorher noch sagt: ich hasse dich. Was er mit Sicherheit nicht tut. So wie er ist und wie er reagiert, haßt er sie natürlich nicht, aber er sagt es und fühlt es auch in dem Moment. Das ist widersprüchlich. Auf die Szene bin ich ziemlich stolz, sie zeigt sehr stark die Widersprüchlichkeit in Extremsituationen.

- Vollends absurd wird das Gespräch ja eigentlich, wenn sie darüber reden, was mit dem Kind werden soll... ob sie das Kind abtreiben lassen würde...

Das ist die immanente Logik, die dann weitergeht.

- Sein Gedanke ist ein bißchen abstrus, verstiegen, es gibt doch keinen wirklichen Anlass anzunehmen, dass sie gleich ein Kind kriegt. So schnell geht’s ja meistens auch nicht.

Nachdem sie gesagt hat, daß sie kein Präservativ hatte, ist das doch normal. Er ist gezwungen, sofort so zu denken. Ich finde ihn wunderbar in seiner Logik und in seiner Attacke auf sie und absolut verständlich. Und sie versucht sich halt zu wehren und zu entschuldigen, und er hackt halt, sowie sie was sagt, sofort drauf los und versucht sie noch mehr anzugreifen.

- Diese Szene spielt in einem Restaurant, das „Amore“ heißt, sicher nicht ganz zufällig.
..
Natülich nicht. Sich zu verabreden in einem Restaurant, das „Amore“ heißt, wenn die Liebe zu Ende ist, ist doch in höchstem Grade widersprüchlich. Im Hintergrund sieht man auf einer Wandmalerei das Paradies, eine Schlange, die sich um einen Baum ringelt.

- Die gibt es wirklich da, das habt ihr nicht malen lassen?


Nein, um Himmels willen. Das ist doch kein Zehn-Millionen-Film. Der hat gerade mal 750.000 gekostet.

- Daran schließt sich die Szene an, wo er das Mädchen kennenlernt und sich bitterlich beklagt, er hätte auf die Kinder aufgepaßt, während sie Karriere gemacht hat ... Das was er dem Mädchen sagt, hätte er doch eigentlich Venus sagen müssen.

So was kann er ihr nicht sagen, es wäre schlapp und läppisch gewesen. Da hätte er schlechte Karten gehabt. Im Grund genommen sein kräftigster Schlag ist, aufzustehen, zu sagen, ich hasse dich, und zu gehen. Das versetzt ihr einen Schlag, der fast die Kraft hat von dem, was sie getan hat, als sie ihn betrogen hat.
Dem Mädchen gegenüber, naja gut... wichtig ist, daß das Mädchen ihn anmacht. Ein Ehemann, der einem jungen Mädchen sein Ehedrama klagt... naja das ist nicht so toll. Bloß, da geht er kein Risiko ein. Das hat nichts mit dem Kampf, den er mit seiner Frau führt, oder zumindest in der Szene im Restaurant geführt hat, zu tun. Das kann er machen. Das tut ihm nicht weh. Das Mädchen sieht er nie wieder. Da kann er das rauslassen. Er kann sich abreagieren, jammern, er kann weinen, wenn du willst. Es ist ja wie ein Weinen...

Die Rückkehr

- Der Schluß ist relativ abrupt, man muß schon genau hingucken, um mitzukriegen, was da passiert. Offenbar freut sie sich wieder zurückzukehren zu ihrer Familie und ist froh, daß sie ihren Roman beendet hat und erwartet eigentlich eine freudige Begrüßung, womöglich ein Fest... Das kann sie nicht wirklich erwarten, weil sie viel Mist gebaut hat. Man muß in der Szene hingucken, daß ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.

Aber das siehst du doch! Du siehst die Reaktionen. Die Kinder wenden sich ab und gehen rein in den Hof. Damit endet das.
- War das nicht mal anders?
Es war im Drehbuch anders. Im Drehbuch findet tatsächlich ein Fest statt. Mit Verleger und Gattin, wo quasi die Fertigstellung des Buches gefeiert wird. Und da passiert das aber auch, daß sich der Sohn von ihr abwendet. Und an irgendeinem Punkt des Festes sucht sie ihren Sohn, und sie findet ihn draußen vor dem Hof auf der Straße auf dem Trabbi sitzend, und sie hat ein ganz hartes Gespräch mit ihm, gibt sich gar keine Schuld, sondern sagt ihm klipp und klar, wie sie ihre Handlungsweise sieht, und der Sohn hört sich das an und sie packt ihn mit sanfter, mütterlicher Gewalt, legt den Arm um ihn, und sie gehen gemeinsam zurück in den Hof. Das ist eigentlich optisch die schönste Szene des Films. Das wäre dann die allerletzte Einstellung des Films gewesen, wie sie am Ende des Festes mit ihrem Sohn spricht.

- Ist die gedreht worden?

Ja, die ist gedreht worden.

- Die mußt du auf die DVD-Ausgabe drauftun.

Da kommt die dann drauf. Mit Sicherheit. Die Reaktion sämtlicher Leute während der Fertigstellungsphase des Films war eben, daß eine Frau, der das passiert ist, was ihr passiert ist, nämlich von Seiten des Verlegers und seines Helfershelfers, der diese Computerinstallation gemacht hat, daß sie danach nicht ein Fest feiern kann und so tun kann als sei alles wieder okay, da würde sie ihr Gesicht verlieren. Das war die Reaktion aller Leute, die den Rohschnitt gesehen haben. Dann hab ich halt gesagt: Na gut, wenn ihr das alle so seht, dann lassen wir das dann eben. Und ich war nicht ganz unglücklich, weil die Festszene, die in der Nacht stattfindet, die hat mir nie gefallen. Dieses sehr offene Ende gegenüber dem etwas weniger offenen Ende dieser ursprünglichen Version, daß das die Zuschauer irritiert, kann ich mir nicht vorstellen. Man muß doch bloß nachdenken, was wird passieren. Sie ist wieder da. Sie geht auf ihre Kinder zu, sie geht auf ihren Mann zu. Eine Woche später oder ein paar Tage später wird mit den Kindern wieder alles okay sein. Sie ist schließlich die Mutter und die Kinder können nicht ihre Mutter einfach so wegschieben und sagen: ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.

- Für sie ist es wahrscheinlich eine neue Erfahrung, wenn sie diese Ablehnung erfährt. Es heißt ja auch mal: alle Männer lieben Venus, und so war‘s ja wohl bis dahin. Sie war immer everybod‘ys darling, und jetzt wird sie abgelehnt. Man muß genau hinsehen, weil diese Ablehnung überhaupt keine Dialoge hat.

Die Kinder haben die Szene mit absoluter Natürlichkeit auf Anhieb so gespielt. Das ist eine wunderbare Szene. Ich denke sowieso, man muß den Film, um ihn verstehen zu können, mindestens zweimal sehen, um ihn wirklich zu verstehen, um alle Dinge wahrnehmen zu können. Da knüpft er an Filme an, die ich früher gemacht habe, an Filme wie „Berlin Chamissoplatz“ und „System ohne Schatten“. Ich meine, die Reaktion des Sohnes, nachdem er seine Mutter im Internet gesehen hat, ist ja auch ganz beiläufig. Da hat er plötzlich seine Haare rot gefärbt. Das ist ganz wichtig. Das ist seine Reaktion. Der Ehemann, wenn er nach Berlin fährt, um seinen Zorn rauszulassen, trägt übrigens ein rotes Hemd.