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Viennale 2010, Vierter Tag

"Die Zahlen des Tages: 1939, 1938, 1940. Die Namen dazu: Rudolf Thome, Larry Cohen, Klaus Lemke. Geburtsjahre von Regisseuren im, nimmt man Manoel de Oliveira zum Maßstab, mittleren Alter. Keine Zahlen, mit denen man im Lotto gewinnt. Lebende Legenden in eher kleinen Kreisen. Cohen ist auf der Viennale eine Retro gewidmet. Thome und Lemke sind mit neuen Filmen hier, haben in München einst gemeinsam angefangen, sich auseinanderentwickelt und nun sind sie, wie man bei Thome nachlesen und auch sehen kann, einander nach vierzig Jahren erstmals wieder begegnet. (12. Stock, Hilton, Wien, Executive Lounge.) Aber der Reihe nach.
Kussforschung also, Philematologie. Diese Wissenschaft gibt es tatsächlich, dennoch verbirgt sich hinter diesem recht genau ausskizzierten Forschungsgebiet des Fred Hintermeier kein Ankerwurf, eher ein Angelwurf in die Realität. Kann man so sagen, weil in DAS ROTE ZIMMER geangelt wird, strikt nach humorvollem Lehrbuch, und mal beißt ein dicker Fisch, mal die Wirklichkeit an und mal die Göttin der Liebe, die nackt aus dem Wasser steigt und den Mann so verführt, dass er hinterher nicht mehr will oder kann. Forschende sind sie alle und Liebende auch und also wie stets noch Forschende nach Formen der Liebe in Thomes neuem Film, der in Berlin seinen Ausgang nimmt, in einem blauen Haus auf dem Land in Klein-Blittersdorf seinen Fortgang und der auf dem Weg ans Meer dann bei Regen im Auto ein mehr schönes als offenes Ende findet, himmelwärts. Auf der Suche nach der Seele des Mannes: Sibil und Luzie in Berliner Bibliotheken. Sibil angelt sich, alles Bücherwisse geht dabei passenderweise zu Boden, einen Mann in der Stabi, der aufs Land kommt und recht schnell wieder in die Großstadt zurückgeschickt wird. Luzie dagegen fängt einen Professor (der keiner ist, das hatten wir bei Hong schon, einem Forscher der Liebe ganz anderer Art), der kommt, bleibt, nicht mehr geht.
 Luzie und Sibil leben zusammen, lieben sich, und sehen, das nicht zuletzt, gemeinsam die Tagesschau. Ein kleines Paradies, das, anders als man denken sollte, durch die angewandte gemeinsame Seelenforschung am lebenden Exemplar nicht wirklich aus der Balance gerät. Und Balance ist das Schlüsselwort. DAS ROTE ZIMMER ist ein Film, in dem in Gesten, in kleinen Taten, in Worten, in Sitzordnungen und Tagesschauguckordnungen und (Miteinander)Schlafordnungen und zuerst und zuletzt in Blicken tariert wird, immerzu. Lauernd tariert, liebevoll tariert, streng tariert, sanft tariert, begütigend und herausfordernd tariert und zuletzt vertraglich tariert: vorsichtige Ausformung der Grammatik eines Glücks zu dritt in einem Idiom, das sonst keiner spricht.
Wie in PINK schon wählt die Frau (hier als  dioskurisches Liebespaar, Sibilluzie, Luziesibil) den Mann (der wieder so ein bisschen ein Tropf ist, ein Philosoph ohne Picht). Der wiederum hat - wie Pink damals von Gott - einen Befehl bekommen, von Karlheinz Oplustil, bei Gelegenheit seiner Scheidung: Geben Sie beim nächsten Mal mehr Acht bei der Partnerwahl. Voilà. Wieder ist diese Liebe eher ein Spiel, ein weit weniger böses diesmal, zwei Frauen findet einen, an dem nichts weiter toll ist, der einfach passt. Er wird auch nicht passend gemacht, die Gewalt, wo sie ausgeübt wird, bleibt stets außerordentlich sanft: ein anweisender Blick, du sitzt da, geh jetzt. Die Kräfte, die hier walten, sind fast unirdischer Art.
 DAS ROTE ZIMMER ist ein Fantasiestück und hat doch immer Wirklichkeitsreste an der Angel. Das ganze funktioniert (und es funktioniert wunderbar), weil es in sich selbst so perfekt balanciert und tariert ist. Der Auftritt der Göttin Venus etwa ist das Selbstverständlichste von der Welt. Alles hat hier das gleiche Gewicht und keine Tat zieht eine schlimmmögliche Folge nach sich. Thome wiederverzaubert die Welt, aber er tut das, und es ist ein genialer Trick, durch Banalisierung. Man schläft mit der Göttin, man guckt zusammen die Tagesschau, man unterschreibt mit Blut oder Wein einen Vertrag, und all das wird detailliert präsentiert als der natürliche Lauf der Dinge. Die Einübung eines ganz besonderen, sanft ironischen Blicks. DAS ROTE ZIMMER lehrt, das Verrückte anzusehen mit nicht zu verblüffenden Augen. Irgendwie hat Thome einen - keineswegs reaktionären - Weg zurück ins Paradies gefunden, und zwar, anders als Kleist sich das gedacht hat, nicht im Durchgang durch die Reflexion. Eine merkwürdig post- oder präromantische, kleine, balancierte, blicksanft handfeste Utopie."
Ekkehard Knörer in "cargo-film.de"

 


Viennale 2010: Das rote Zimmer, Rudolf Thome, 2010

"Nur ein wenig jetzt, mehr wird es hoffentlich später zu sagen geben über diesen schönen Film, aber dazu muss und möchte ich auch Das rote Zimmer wohl zuerst noch ein zweites Mal sehen; so kunstvoll versteckt der Film seine kunstvolle Konstruktion.
Vielleicht sind alle Thome-Filme inzwischen Beschreibungen von Inseln. Beschreibungen weil sie eher beschreiben denn erzählen, wie etwas geschieht: nicht unbedingt nüchtern, aber stets genau und ein wenig pedantisch (das Kino darf pedantisch sein), eins nach dem anderen, jeder Schritt hat dieselbe Emphase, ob sich zwei küssen und eine dritte den Kuss beobachtet (das passiert oft im Film und der Blick der Beobachtenden hat ganz unterschiedliche Bedeutungen, ist mal nur wissenschaftlich-neugierig, mal eifersüchtig, mal irgendwas dazwischen), oder jemand nur mit einem Auto an Weizenfeldern (?) entlang fährt, anhält und aussteigt. Was würde es bedeuten, wenn...? Und genau dieses "was wäre, wenn" ist die Form der Filme, das resultiert allerdings nicht in fantastischen Konstruktionen, sondern in Welten knapp neben der Realität, Welten, in denen man sich auch nicht wundern muss, wenn in den Fernsehnachrichten vom Oderhochwasser die Rede ist. Inseln, weil die Filme auf inselartige Organisationsstrukturen zustreben. Häuser mit eigenem Garten und Teich, Selbstversorger aus freiem Willen, vertraglich geregelte Absonderung. (Aber die Insel ist nicht völlig isoliert, sie braucht ihr Außen, die Stadt. Und es ist nicht so, dass allen Thome-Figuren in der Stadt unbedingt etwas fehlt.) Auf einer Insel gibt es andere Organisationsformen (oder: es kann andere Organisationsformen, solche, die es sich im Kino zu beschreiben lohnt, nur noch dort geben) als an Orten, die keine Inseln sind. Und diese Formen zu beschreiben ist nicht dasselbe wie eine einfache Flucht ins Private.
Wie in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan: Ein Mann, zwei Frauen, ein Haus auf dem Land. Aber das Ende ist völlig anders und im ganzen Film geht es um Wissenschaften und um Verträge, um Formalisierungen. Fred, der Mann ist außerdem diesmal kein Alien, sondern Kussforscher und schreibt einmal ein biochemisches Paper mit allerlei Formeln und Statistiken, während ihm die Kamera über die Schulter blickt. Die beiden Frauen, auf die er trifft, erforschen Gefühle, erstellen Fragebögen, formulieren Verträge. Luzie, die eine Frau, schreibt außerdem Romane, sie ist es, die Fred findet und in das gemeinsame Landhaus einführt. "Ich werde Dich lieben, bis ich sterbe", sagt sie. Sibil, die andere Frau, ist erst sehr bossy, als Fred dann aber mit verbundenen Augen in Richtung rotes Zimmer geführt wird, hebt sie sanft die Äste eines Baumes, damit die ihm nicht ins Gesicht geraten. Ein anderes Mal legt sie ein, so nennt es der Abspann: Buschfeuer. Diese Szene habe ich nicht ganz verstanden. Auch deshalb möchte ich diesen Film bald wieder ansehen."
Lukas Foerster, "Dirty Laundry"

 

 

Bekämpfung des jeweiligen Ungetüms

Rudolf Thome qualifiziert sich als polyamouröser Philematologe. Noel Burch und Allan Sekula verkennen die Dialektik des Welthandels. Festivalfilme über Filmfestivals tappen in die Falle des Narzissmus. Aber am Ende stellt sich heraus: Das Monster hat irgendwie recht.

In den Kategorien des Filmproduzentenverbands ist die Viennale "nicht-kompetitiv": Es gibt keinen internationalen Wettbewerb, kaum Welt- oder auch nur Europapremieren, wenige internationale Stars reisen an. Dafür kann sich der Festivaldirektor Hans Hurch den Luxus erlauben, die Rosinen aus den A-Festivals (Berlin, Cannes, Locarno, Venedig) zu picken und neben Perlen zu platzieren, die von den Großen übersehen wurden. Ein Liebhaberfestival mit treuer Kundschaft ist die Viennale, das Programm kennt keine Hierarchien und ist so umfangreich und vielfältig, dass kein noch so breit angelegter Festivalrückblick Vollständigkeit oder auch nur Repräsentativität für sich beanspruchen darf. Im Folgenden fällt also zwangsläufig Großartiges unter den Tisch, so zum Beispiel ein koreanisches Trio veritabler Meisterwerke (die beiden radikal dekonstruktivistischen Komödien Hahaha und Oki's Movie von Hong Sang-soo sowie Poetry, Lee Chang-dongs neuer Versuch, den Humanismus fürs Kino zu retten) oder das hoch interessante Comeback eines fast Vergessenen (Monte Hellmans komplexe Noir-Etüde Road to Nowhere).

Wenn Hans Hurch doch die eine oder andere nicht-österreichische Premiere nach Wien holt, dann sind das Filme, die ihm und dem Festival besonders am Herzen liegen. Rudolf Thome, dessen letzte Regiearbeit Pink auf der Berlinale 2009 unverständlicherweise in einer Nebensektion verklappt wurde, ist Stammgast der Viennale und bekam für sein neues Werk Das rote Zimmer dieses Jahr die Aufmerksamkeit, die er und der Film verdienen.

Das rote Zimmer ist eine Variation von Themen und Motiven, die Thome bereits seit seinen filmischen Anfängen in den sechziger Jahren umtreiben. Ein weiterer Versuch in Polyamorie, eine weitere Liebesutopie, ein weiterer Versuchsaufbau: Ein Mann, zwei Frauen, ein Haus auf dem Land. Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan aus dem Jahr 1998 hatte exakt dieselbe Ausgangsposition, ein gefühltes Dutzend weiterer Thome-Filme eine, die sich höchstens in Nuancen unterschied. Aber die unterschiedlichen Aktualisierungen des Thome-Universums fühlen sich immer wieder anders und frisch an. Und auf ihre Art immer wieder auch sehr zeitgemäß: Kaum ein Regisseur begleitete die Computerrevolution der achtziger Jahre so konsequent wie Thome (siehe zum Beispiel System ohne Schatten, 1983), im neuen Film kann man ein wissenschaftliches Papier zu physikalischen Vorgängen während des Küssens bewundern.

Ein Kussforscher (= ein Philematologe) steht denn auch im Zentrum des Films. Die beiden Frauen, auf die er trifft, erforschen lieber Gefühle, auch sie erstellen Fragebögen und am Ende formulieren sie Verträge. Das Forschen, Verhandeln und Formalisieren steht der Liebe nicht im Weg, im Gegenteil. Luzie, die eine Frau, schreibt Romane, sie ist es, die Fred findet und in das gemeinsame Landhaus einführt. "Ich werde Dich lieben, bis ich sterbe", sagt sie. Sibil, die andere, jüngere Frau, ist erst sehr herrisch, als Fred dann aber mit verbundenen Augen in Richtung rotes Zimmer geführt wird, hebt sie sanft die Äste eines Baumes, damit die ihm nicht ins Gesicht geraten. Seyneb Saleh, die Sibil wundervoll unbefangen spielt, ist eine Entdeckung.
Lukas Foerster, "Perlentaucher 2.11.2010"

 

 

Eine Wahlverwandtschaft: Bei Rudolf Thome erforscht ein Trio auf kuriose Weise die Liebe.

Manchmal scheint immer noch die rote Sonne durch Thomes Arbeiten, auch wenn es nun eher Tigerstreifenbabys sind, die auf Tarzan warten: So bergen die Frauen weiterhin einen gehörigen Männerhass, stolpern aber letztlich über ihre Gefühle. Diesmal zieht ein zumindest biologisch reiferer Mann zu einem Jahrzehnte jüngeren Frauen-Pärchen von Berlin ins ländlich-idyllische Häuschen, um eine Kommune für praktische Forschung an der Liebe zu bilden. Fred (Peter Knaack), seines Zeichens frisch geschiedener Kussforscher, der seine Ex immer noch begehrt, lernt die selbstbewusste Luzie (Katharina Lorenz) kennen, die sich in erstaunlicher Selbstüberschätzung berufen fühlt, die Seele der Männer in ihren Romanen zu erforschen. Sie wohnt mit ihrer Intimfreundin Sibil (Seyneb Saleh) in einem vorpommerschen Haus im Grünen, wo der Sommerwind durch den nahen Wald rauscht. Wieder kommen die Figuren erst in diesem Rückzugsraum zu sich und gehen eine Ménage à trois ein, die mehr an Antonioni als Rohmer erinnert.

Autorenfilmer Thome geht unbeirrt seinen Weg, so unspektakulär und kunstvoll kunstlos er auch scheinen mag. Er beschreibt mehr das Geschehen als dass er eine Story erzählend voranbringt und er verbirgt seine Intention. So weiß man nie genau, ob er diese Versuchsanordnung ernst, augenzwinkernd, satirisch oder gar komisch meint, so naiv, wie sich die Figuren verhalten. Sein nüchterner, mitunter harter Duktus, der Wichtiges und Unwichtiges irritierend gleichwertig inszeniert, gibt den Schauspielern Entfaltungsraum. Er tut einerseits nichts, um eine Brücke zum Zuschauer zu schlagen, lässt andererseits aber sein unbeholfenes Trio sich im titelgebenden Zimmer näher kommen, auf der Suche nach ihren Gefühlen und dem Mysterium der Liebe. Klar, dass ihren wissenschaftlichen Methoden bald die objektive Distanz verlustig geht. Besonders die beiden Mädchen irren in der Annahme, das Spiel mit der Liebe zu beherrschen. Unter der kühlen Hülle brennt ein romantisches Feuer, der Beginn einer Beziehungs-Utopie.
Thorsten Krüger, Blickpunkt Film

 

 

Die Liebe als Experiment, Märchen und sommerliche Utopie

Man glaubt es kaum, doch die wissenschaftliche Disziplin der Philematologie gibt es tatsächlich. Wer diese Berufsbezeichnung auf seiner Visitenkarte stehen hat, der versteht sich aufs Küssen – zumindest in der Theorie und streng wissenschaftlich. Fred Hintermeier (Peter Knaack) ist Philematologe und wie alle Wissenschaftler (zumindest im Kino) ein eher weltfremder Mensch. Was bei Quantenphysikern und Evolutionsbiologen nicht so sehr ins Gewicht fällt, weil sowieso kein Normalsterblicher etwas vom Forschungsgebiet versteht, ist bei Hintermeier umso tragischer. Denn Küssen, das kann ja jeder. Und fast jeder tut es. Außer eben jenem, der sich damit tagein tagaus beschäftigt. Weil Hintermeier in der Liebe einfach kein Glück hat: Die Frau ist ihm weggelaufen und kann es sich nicht mal nach erfolgreich absolviertem Scheidungstermin vor dem Gericht verkneifen, ihrem Ex noch tüchtig verbal eine überzubraten.

So genau weiß man eigentlich gar nicht, warum das mit Fred und den Frauen nicht klappen mag. Sicherlich: Der Wissenschaftler wirkt auf den ersten Blick ein wenig steif und linkisch, doch keinesfalls ist er ein hoffnungslos verklemmter Bücherwurm, sondern vielmehr ein ebenso attraktiver wie zurückhaltender Mensch, der bei seinen bisherigen Beziehungen offensichtlich nicht allzu viel Glück hatte. Was ihm sogar von der Scheidungsrichterin als abschließende Bemerkung mit auf den weiteren (Lebens)Weg gegeben wird. Das ändert sich erst, als er in einer Buchhandlung zufällig der Schriftstellerin Luzie (Katharina Lorenz) begegnet, die sich gemeinsam mit ihrer Freundin Sibil (Seyneb Saleh) auf Männerfang befindet. Wie Fred, so sind auch die beiden Frauen (Er)Forscherinnen der Liebe. Wobei es ihnen weniger um die Ausschüttung von Hormonen und körpereigenen chemischen Transmittern geht, sondern um das, was die Wissenschaft nur unzureichend erfassen kann – um die Emotionen, die Seele der Männer. Sofern diese überhaupt eine haben.

Weil gerade (praktischerweise) Semesterferien sind, folgt Fred der Einladung Luzies, sie im vorpommerschen Klein-Blittersdorf zu besuchen, wo sich die beiden Frauen den Sommer mit träge-spielerischem laissez-faire vertreiben. Durch den Besuch des Mannes, der sich zunächst mit einem weiteren Kandidaten messen muss, der aber bald in die Wüste der Stadt zurückgeschickt wird, erweitert sich das bislang vorwiegend homoerotische Verhältnis der beiden Frauen zueinander um eine weitere Facette. Weil Geschlechter und Konstellationen in ihrem spielerischen Umgang miteinander und mit den Körpern (den eigenen wie den fremden) eigentlich gar keine Rolle mehr spielen, werden die Übergänge fließend. Je länger Fred bleibt, umso mehr finden die beiden Frauen Gefallen an ihm. Was in anderen Filmen zu einer Tragödie geraten würde, gerät bei Rudolf Thome nun zunehmend zu einer erotischen Utopie, die schließlich ein einem Liebesvertrag mündet, mit dem alle drei Beteiligten leben können...

Auch in seinem neuesten Film Das rote Zimmer variiert Rudolf Thome, der vielleicht unermüdlichste Autorenfilmer deutscher Herkunft, seine Themen, die ihn seit vielen Jahren und Jahrzehnten umtreiben – die Unmöglichkeiten von Liebe und Beziehungen, die Suche nach dem Glück, die Stärken der Frauen und die Schwächen der Männer und all das, was es sonst noch so über das Liebesleben beinahe ganz normaler Menschen zu sagen gibt. Und über allem schwebt wie oft bei Thome die Farbe Rot: Sie taucht das Zimmer in dem Haus auf dem Land in ein glühendes und anheimelndes Licht, das so gar nichts von der Plüschigkeit eines etwas anrüchigen Etablissements hat. Bei aller sexuellen Freizügigkeit ist Thomes Film eigentlich eine sanft erotische und manchmal hinreißend naive Liebeskomödie, die es wagt zu träumen, wie ein Leben jenseits der Monogamie aussehen könnte.

Auch stilistisch vertraut Thome auf die seit langem erprobten Mittel: Die überaus bemerkenswerte Kameraarbeit von Ute Freund, die verschmitzte Montage (Beatrice Babin), die stets zur rechten Zeit einen Schnitt setzt, um den Personen und Handlungen bei aller Nähe noch einen Rest von Geheimnis zu lassen, der unaufdringliche Musikeinsatz, das Pendeln zwischen Ernsthaftigkeit und Komik, mildem Spott und großer Zärtlichkeit, das unterschiedslose Nebeneinanderstellen von Banalem und Existenziellem. Während andere Regisseure aus diesem Spiel bitterbösen Ernst gemacht hätten, bleibt Thome stets optimistisch, dass sich am Ende selbst die verzwicktetsten Konstellationen noch in Wohlgefallen auflösen. Sein Liebesfilm ist ohne jeden Zweifel neben der Komödie vor allem auch ein Märchen – und zwar eines mit einem guten Ende. Und wenn sie nicht gestorben sind, meint man am Ende fast auf der Leinwand zu lesen, dann lieben sie sich noch heute...

All das ergibt einen wundervoll schwebenden Film, der bei allem Realismus die Realitäten allerhöchstens als Basis für Gedankenflüge, tänzelnde Utopien und sommerlich-träges Dahinfließen nimmt und daraus einen durch und durch französisch anmutenden Film in der Tradition großer auteurs wie Eric Rohmer oder Francois Truffaut zaubert, den man zu den besten Werken Thomes zählen möchte. Eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kino ist der Mann ja sowieso schon lange. Es wird höchste Zeit, dass dies endlich einmal im angemessenen Rahmen wertgeschätzt wird.
Joachim Kurz in kino-zeit.de

 

 

"Filmtitel: Das rote Zimmer, Deutschland 2010
Regie: Rudolf Thome
Inhalt: Ein Kussforscher verliebt sich - und das gleich doppelt.

Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll erteilt.

Hart spielt das Leben mit dem Kussforscher Fred Hintermeier. Sein Chef setzt ihn unter Druck, endlich mit wissenschaftlich fundierten Ergebnissen über seine Kussexperimente aufzuwarten. Seine Frau lässt sich von ihm scheiden. Diese hat absolut kein Verständnis für seine berufliche Leidenschaft und drückt ihm zum Abschied auch noch den Stempel des notorischen Machos auf. Aber weit gefehlt: Fred ist absolut kein Macho, eher ein Frauenversteher, den das gnädige Schicksal in die Fänge von zwei Frauen lenkt. Jetzt wird der Forscher selbst zum Probanden, der schnell erkennen darf, dass Küssen nicht nur unter hormonellen Gesichtspunkten betrachtet werden sollte, sondern durchaus sehr emotional sein kann. Und so wird Fred vom Forschungsobjekt der beiden Frauen zu deren sehnsuchtsvollem Liebesfall. Locker, elegant und mit feiner Ironie inszenierte Rudolf Thome diese Ménage a trois. Ein an dramaturgischen Kniffen reiches Drehbuch - der Kussforscher wird zum Forschungsobjekt der Frauen und dem Kusslabor wird das Liebeslabor "rotes Zimmer" gegenübergestellt - bietet eine Fülle reizvoller Gesprächspartien. So zieht das Spiel der Geschlechter den Zuschauer wie im Sog in seinen Bann. Man spürt die Sinnlichkeit, die Erotik, und wird dann statt mit den sonst üblichen "Bettbildern" in liebevolle Geheimnisse geleitet. Schöne Übergänge und Parallelen (Luzie betrachtet sich im Spiegel, während Sibil mit Fred im Bett kuschelt) sind ein Verdienst der guten Montage. Die wundervolle Kamera von Ute Freund gibt dem Film seine ganz besondere Atmosphäre in der herrlichen Landschaft Vorpommerns wie auch im und um das Traumhaus der Frauen. Hier sollte man auch dem Set-Design und der Ausstattung selbst ein großes Lob zollen. Bleibt noch die geglückte Auswahl der Charaktere und deren überzeugendes Spiel zu würdigen. Wenn doch alle filmischen Märchen so viel Freude bereiten würden wie dieses."
FBW-Gutachten zu "DAS ROTE ZIMMER"

 

 

Das rote Zimmer

Ein einsamer Kussforscher verliebt sich beim Küssen. Rudolf Thomes neuester Film handelt einmal mehr von einem Mann, der von kapriziösen Frauen in undurchsichtige, aber letztlich durchaus lustvolle erotische Fangnetze gezogen wird.

Nichts wäre missverständlicher, als den neuesten Film des mittlerweile 71-jährigen Regisseurs Rudolf Thome als Alterswerk zu bezeichnen. Denn auf den ersten Blick erkennt man, dass Thome in seinem 26. Kinospielfilm einmal mehr das Kunststück gelungen ist, sich den diskreten Charme des Anfängers zu bewahren. Tatsächlich zeigt kaum ein Hochschulabschlussfilm, der heutzutage den Weg in die Kinos findet, eine vergleichbare Unbekümmertheit, was Erzähl- und Dialogkonventionen angeht, ohne gleich zu Experimentalkinoformen zu greifen. Auch in puncto Mut zur Peinlichkeit oder zur Entblößung eigener Lieblingsfantasien kann kein Jungregisseur der Gegenwart es mit dem erklärten Filmliebhaber und ehemaligen Filmkritiker aufnehmen. Gerade mit der Entblößung kommen nicht alle Zuschauer gleichermaßen zurecht. Die Uneingeweihten mögen ungläubig den Kopf schütteln ob des sorglosen Bekenntnisses zu gewissen Obsessionen. Kenner und Verehrer aber schätzen oft gerade Szenen wie diese: Ein einsamer Mann sitzt am Ufer eines Flusses in der Abenddämmerung vor einem Feuerchen. Da kommt eine Frau – die Credits weisen sie als „Venus“ (Isabel Hindersin) aus – herangeschwommen, tritt nackt aus dem Wasser, bindet sich ein bereitliegendes Handtuch um und setzt sich neben den Mann. „Ich habe Lust auf Sex“, sagt sie. Und dann, einen Schnitt später: „Es war schön mit dir.“

Bei dem einsamen Mann handelt es sich um Fred (Peter Knaack), seines Zeichens Kussforscher an einem Berliner Institut. Die allererste Filmszene zeigt ihn bei den Vorbereitungen zu einem romantischen Abendessen mit Kerzenlicht. Als es klingelt, steht aber nicht die von ihm erwartete – und offenbar bestellte – Jacqueline vor der Tür, sondern eine ihm unbekannte Frau im Trenchcoat, die, auf den Ausdruck seiner Enttäuschung hin, schnell den Mantel öffnet, darunter ihren nackten Körper präsentiert und argumentiert, sie sei keinesfalls weniger schön als Jacqueline. Fred hat ein Einsehen.

Wie überhaupt Fred in der langen Tradition der Thome-Männerfiguren steht, die das starke Geschlecht als verletzlich, verwirrt und von Frauenintrigen umschwirrt zeigen. Zwar lässt sich seine eigene Frau (Annika Kuhl) auf recht rüde Weise von ihm scheiden und weist ihn am Telefon mit der Bitte ab, er solle sich nie wieder bei ihr melden. Doch kurz darauf begegnet er Luzie (Katharina Lorenz), die ihn zusich und ihrer Freundin Sibil (Seyneb Saleh) aufs Land einlädt. Dort angekommen, führen die beiden Frauen ihn bald in ihr „rotes Zimmer“. Dort wird zunächst „Tagesschau“ geguckt, bevor sie ihn darin einweihen, dass auch sie an Kussforschung interessiert sind, allerdings auf etwas andere Weise als er. Wo er Serotoninspiegel misst, geht es den Frauen um Gefühle und das „Mysterium Mann“. Eher wenig mysteriös ist allerdings die Dreiecksgeschichte, die sich daraufhin entwickelt.

Das alles klingt peinlicher, ungelenker und lüsterner, als es auf der Leinwand tatsächlich ist. Was eben mit Thomes Begabung für jugendlichen Leichtsinn zu tun hat. In Gastauftritten sind unter anderem Milan Peschel, Hanns Zischler und epd-Film-Autor Karlheinz Oplustil zu sehen.
Barbara Schweizerhof in epd-Film 1/2011

 

 

Das rote Zimmer

 „Das Leben ist teuer heute, auch die Liebe..." Mit diesen Worten, die aus ihrem Mund ein wenig unsicher klingen, so als könnte sie selbst nicht an sie glauben, entschuldigt sich das Callgirl Manuela bei ihrem Kunden, dem Kussforscher Fred Hintermeier, für die hundert Euro Aufschlag, die sie gerade verlangt hat. Dabei wäre eine solche Ausflucht gar nicht nötig gewesen. Der gerade 39 Jahre alt gewordene Philematologe kann einer Frau sowieso keine Bitte abschlagen. Aber letztlich ist es gerade diese nicht widerlegbare und doch recht fadenscheinige Erklärung, die unausgesprochen über nahezu allem schweben wird. Rudolf Thomes „Das rote Zimmer" ist eben auch – und das nicht zuletzt – eine in ihrer märchenhaften Selbstverständlichkeit ungeheuer mutige und beglückende Komödie über den Preis des Lebens wie der Liebe.

Als Philematologe erforscht Fred Hintermeier (Peter Knaack, „Yella") die chemischen und physiologischen Prozesse, die im menschlichen Körper während des Küssens ablaufen. Ein Kuss ist eben doch nicht nur ein Kuss, zumindest für diesen etwas weltfremden Wissenschaftler, dem selbst sein Scheidungsrichter mehr Glück für die nächste Partnerwahl wünscht. Auch die 29-jährige Romanautorin Luzie (Katharina Lorenz, „Keine Lieder über Liebe") versteht sich als Forscherin. Gemeinsam mit ihrer 21-jährigen Freundin und Geliebten Sibil (Seyneb Saleh) will sie die Seelen der Männer entdecken und erkunden. Dafür machen sich die Zwei in Bibliotheken und Buchhandlungen auf die Suche nach entsprechenden Kandidaten. So lernt Luzie auch Fred kennen, der sie nur Tage später in ihrem blauen Haus in der vorpommerschen Provinz besucht. Anders als der zweite Kandidat, den Sibil in der Berliner Stabi gefunden hat, fällt er bei dem Test der Beiden nicht sofort durch und darf erst einmal bleiben.

Seit mehr als vier Jahrzehnten erkundet Rudolf Thome, der selbst mit 71 Jahren wohl noch jüngste und freiste deutsche Autorenfilmer, nun schon die unendlich vielfältigen Variationen und Konstellationen der Liebe. Immer wieder hat er sich dabei auf den Spuren Goethes bewegt. So finden sich alleine zwei, teils sehr freie Verfilmungen von dessen „Wahlverwandtschaften" in Thomes Oeuvre. Aber auch in nahezu all seinen anderen Arbeiten hat zumindest die Konzeption dieses monolithischen Romans ihre Spuren hinterlassen. Wie einstmals Goethe vertraut auch er auf die Methoden der Wissenschaft. Sie sind ein reizvoller Umweg, auf dem Kunst schließlich ganz zu sich selbst finden kann.

Insofern hat „Das rote Zimmer" natürlich auch etwas von Freds Laborversuchen, bei denen sich mehrere Pärchen unter wissenschaftlicher Beobachtung fünfzehn Minuten lang küssen. Das Dreieck, das sich in Gestalt von Luzie, Sibil und Fred schließlich in dem malerischen Dörfchen Kleinblittersdorf bildet, gleicht dabei zweifellos einer klassischen Versuchsanordnung. Nur blickt der Altmeister des Neuen Deutschen Films der 60er Jahre anders als Tom Tykwer, dessen filmische Petrischale „Drei" durchaus einige Berührungspunkte zu Thomes utopischer menage à trois hat, nicht durch ein Mikroskop auf seine Figuren. Er bewegt sich vielmehr zwischen ihnen, darin gleicht er Fred und seiner Assistentin in den Uni-Laboren.

So kann Thome ihnen ganz auf Augenhöhe begegnen, mit einer eben an Goethe und an Thomas Mann geschulten Ironie, die zwar die Schwächen der Menschen schonungslos offenlegt, aber trotz allem voller Verständnis für sie ist. Natürlich gibt Peter Knaacks Fred eine etwas lächerliche Figur ab. Nicht ohne Grund vergleicht er sich einmal selbst mit einer Fliege, die im Netz einer Spinne gelandet ist. Er hat sich letztlich sogar in den eng verwobenen Netzen zweier Spinnen verfangen. Aber deren sehnsuchtsvolle Motive sind so rein, dass sich diese Fliege einfach wie im Paradies fühlen muss. Das ganz nah an einem See gelegene blaue Haus der beiden Frauen und das rote Zimmer, in dem Luzie und Sibil Abend für Abend auf zahllosen Kissen liegend die Tagesschau gucken, um danach über alles Mögliche zu sprechen, sind sowieso nicht ganz von dieser Welt. Wenn es irgendwo noch einen Garten Eden geben sollte, könnte er auf jeden Fall so aussehen. Freds Weg ins Netz ist in Thomes poetischer, allerdings auch durch einen recht schnöden Vertrag besiegelter Vision von der Liebe zu Dritt auch einer raus aus der Stadt hinein in ein Märchenreich. Das deutet sich schon in Freds Fund an. Kurz nach seiner Scheidung entdeckt er in einem kleinen Antiquitätengeschäft ein hölzernes Tablett, das eine naiv-bunte Südsee-Szenerie ziert. Dieses verwunschene Motiv ist letztlich so etwas wie sein ganz eigenes Kaninchenloch, durch das er schließlich ins Wunderland gelangt.

„Design for Living", so heißt „Serenade zu dritt", Ernst Lubitschs klassische Komödie über eine menage à trois, im Original. Einen Entwurf zum Leben suchen auch Thomes Figuren und sie finden ihn in einem perfekten gleichseitigen Dreieck. Die Geometrie der Liebe, die Thome in „Das rote Zimmer" entwirft, hat dabei trotz ihrer mathematischen Exaktheit – der ganze Film ist eine grandiose geometrische Konstruktion von Blicken, die mal Nähe schaffen und mal von Distanz zeugen – etwas wundersam Alltägliches. Nichts muss gewaltsam erklärt oder gar begründet werden. Sibils Sinneswandel, in dessen Verlauf sich ihre anfängliche Eifersucht und ihre vehementen Besitzansprüche in eine absolut offene, sich in einem perfekten Gleichgewicht befindende Liebe zu Luzie und Fred verwandeln, ist genauso selbstverständlich wie Freds Begegnung mit der Göttin Venus, die seegeboren auf ihn zu tritt und sich ihm ohne Umstände anbietet.

Thome hinterfragt all dies nicht einen Moment lang. Er lässt es einfach geschehen, und das mit einer sublimen, wissenden Unschuld, die von wahrer künstlerischer Größe zeugt. Am Ende steht dann ein Vertrag, der noch einmal bestätigt, wie teuer das Leben und die Liebe sind. Aber selbst das Preisschild, das Luzie so an diese unbezahlbare Dreierbeziehung heftet, steht keinesfalls im Widerspruch zum märchenhaften Grundton. In dieser Wendung offenbart sich noch einmal die liebevolle Ironie des Films. Der Vertrag ist nichts als die moderne Variante von „...und lebten glücklich bis ans Ende aller Tage". Also geht es nach der Unterschrift mit Blut, das aber eher wie Rotwein aussieht und damit noch ein ganz anderes Wunder ins elysische Spiel bringt, gleich weiter ans Meer, dem himmlischen Fluchtpunkt so vieler Filme Rudolf Thomes.
Sascha Westphal in "Filmstarts.de"

 

 

Das rote Zimmer

Eine sommerlich entspannte Utopie ganz nach dem Geschmack des französischen Liebesdiskurses, irgendwo zwischen dem naiv exaltierten Schäferroman und Choderlos de Laclos’ skandalösem Klassiker „Gefährliche Liebschaften“. Ein märchenhafter Lichtblick im Winter, fern der sozialen Realität einer Republik, die chronisch mit Krisenmeldungen zu kämpfen hat, angesiedelt in einem bildungsbürgerlichen Milieu, das Berlin gerne den Rücken kehrt und inmitten einer arkadisch beruhigten Landschaft Trost beim Angeln, Schwimmen, Wein und der Erforschung der Gefühle sucht. Ein typischer Rudolf-Thome-Stoff, der aber diesmal trotz aller augenzwinkernden Konstruiertheit so jugendlich unbeschwert daher kommt, dass man sich wundert, dass man dieses makellose, neben der Jetztzeit schwebende Kleinod einem „Urgestein“ des deutschen Autorenfilms verdankt. Hier und da schwingt auch eine Portion altersmilde Freude an der Banalität der Erzählung mit. Rudolf Thome inszeniert sie im unaufdringlichen Rhythmus einer perfekt austarierten Gelassenheit, man meint sogar die vom Wind liebkosten Holzbalken des vorpommerschen Landhauses zu hören, nah am Wald und Wasser, wo eine sonderbare Ménage à trois zu gedeihen beginnt.

Ein unscheinbarer, frisch geschiedener Philematologe, womit allen Ernstes die Kussforschung gemeint ist, gerät in einer Berliner Buchhandlung in die Fänge eines um Jahrzehnte jüngeren Frauen-Liebespaars, das ihn zum lebenden Studienobjekt auserwählt. Die Schriftstellerin unter ihnen möchte die Funktionsweise der Männerseele erkunden und die Ergebnisse der stundenlangen Interviews für ihren Roman verwenden. Der einsame Kussforscher erweist sich als perfektes Opfer, zumal er in seiner latenten Sexbedürftigkeit jede Strapaze auf sich nimmt, um in die Nähe des so erotischen wie mit spitzen Zungen gesegneten Duos zu kommen. Obwohl dessen Angst vor Kontrollverlust manch hässliche Blüte vom herrischen Befehlston bis zum mokanten Spott trägt, siegt auf halber Strecke die Neugier, und die verschworenen Freundinnen lassen es sich nicht nehmen, die amourösen Qualitäten des sanft werbenden Wissenschaftlers zu testen. Im roten Zimmer, wo sie jeden Abend auf einem Berg von Kissen kollektiv die Tagesschau sehen, kommt es zum ersten Austausch von Körpersäften. Erst will das studienhalber verordnete und beobachtete Küssen samt Hormonwallungen nicht gelingen. Umso intensiver beherrscht die Eifersucht die irritierten Gemüter. In den Nächten fallen dann nach und nach die Hemmungen, die Verlockung der möglichen Konstellationen siegt über den Intellekt, und der Tag des feierlich mit Blut geschlossenen Liebesvertrags kann kommen. 3.000 Euro soll der kokett in die Enge getriebene Adorator monatlich für seinen exklusiven „Harem“ bezahlen. Nach einer Begegnung mit einer unbekannten Venus am Teich, die sich ihm, kaum aus dem Wasser entstiegen, sogleich in voller Pracht anbietet, nimmt er auch dieses kostspielige Angebot widerstandslos an und wird in der wunderbar lakonischen Schlussszene mit einem Ausflug ans Meer belohnt, hinaus aus dem bukolischen Paradies, das aber in seiner maritimen Variante mit Sicherheit in keine Vertreibung münden dürfte.

Ein schöneres Glücksversprechen zu dritt wird man im deutschen Kino wohl lange nicht mehr zu sehen bekommen. Jedes irdische Konfliktpotenzial löst sich unter dem Schutz göttlicher Kräfte von allein oder vielleicht doch nur dank der überaus ironisch kommentierenden Musik auf. Das fragile Gleichgewicht zwischen Realität und Fantasie gerät selbst in den zur Nüchternheit neigenden Bildern nie aus den Fugen, und der Kampf der Geschlechter ist längst zugunsten der Frauen entschieden. Sie haben das Kommando, üben willensstark sanfte Gewalt aus, manipulieren, ohne Schmerzen zu bereiten, analysieren, um zu besänftigen, als wäre es nie anders gewesen. Vorbei die Zeiten, als das Auftauchen eines Mannes das Ende ihrer Liaison bedeutet hätte. Wozu streiten, wenn man doch teilen kann? In diesem neuromantischen Kosmos ist ohnehin jede Verrücktheit möglich, und selbst die vielen Fragebögen, biochemischen Statistiken, Sitzordnungen und Verträge können seiner Leichtigkeit nichts anhaben, laden sie doch nur dazu ein, als verzauberte Anweisungen zum Genuss des Augenblicks gelesen zu werden.
Alexandra Wach in "film-dienst" 1/11

 

 

Küssen in Ost-Vorpommern

Einmal mehr erforscht Rudolf Thome in "Das rote Zimmer" die Möglichkeiten von Beziehungen und Geschlechterverhältnissen

Seit fast 50 Jahren blickt Rudolf Thomes Kino sanft, ironisch und häufig utopisch auf Geschlechterverhältnisse. Auch in "das rote Zimmer" wird eine überraschende Konstellation um zwei Frauen und einen Mann durchdekliniert. Der Film erzählt die Geschichte von einem zurückhaltenden, romantisch veranlagten Berliner Wissenschaftler, der die Biochemie des Kusses erforscht, während sein Privatleben auseinanderzufallen scheint. Zufällig trifft er gerade zum richtigen Zeitpunkt auf zwei Frauen, die am Rande eines Dorfes in Ost-Vorpommern mit heiterer Ernsthaftigkeit Männerseelen erkunden und den Forscher nach und nach in ein locker gespanntes, amouröses Dreieck eintreten lassen.

Leicht verschmitzt, zärtlich und amüsiert erzählt der Film dabei von den Handlungen seiner Protagonisten, die sich mit traumwandlerischer Sicherheit innerhalb ihres Beziehungswagnisses bewegen. Die Erzählung versetzt sie dabei in Zustände, die locker an die sommerliche Realität von Stadt- und Landleben gebunden sind, sich aber auch jederzeit davon lösen können, wenn beispielsweise unvermittelt die Göttin der Liebe aus dem nahen See auftaucht und zum Stelldichein bittet. Als sei er selbst von der lässigen Kühnheit der Geschichte überrascht, scheint sich Thomes meisterlich komponierter Film dabei verwundert die Augen zu reiben. Nie jedoch verliert die Erzählung ihre sicher ironische Fassung.

Mit leichter Hand skizziert und von fein schwebendem Musikeinsatz unterlegt, wird bei Thome die Schwerkraft des Identifikationskinos außer Kraft gesetzt. Die meist knapp gehaltenen Szenen sind von der Kammerfrau Ute Freund souverän in klaren, von mittleren Distanzen und Halbtotalen geprägten Bildern fotografiert. Aufgefächert werden dabei unaufdringlich "Formen der Liebe" (so der Titel eines lesenswerten, kürzlich erschienenen Sammelbands über Rudolf Thome), die mit sanft-faktischer Überzeugungkraft die Figuren ergreifen.

Mit der Liebe sei nicht zu spaßen, sagt einmal der Kussforscher, als sich unauflöslich scheinende Knofflikte um Eifersucht und Verlustangst zwischen die Figuren setzen. Doch Thomes Möglichkeitssinn kennt auch da einen Ausweg.
Michael Baute in TIP 2/2011

 

 

Das rote Zimmer

Die Lösung liegt bei Rudolf Thome mal wieder im Weiblichen: Ein Kussforscher wird von zwei jungen schönen Frauen eingeladen, einen Harem zu gründen. Und das Subgenre des Dreiecks-Films wird um einen schönen Beitrag bereichert.

Rudolf Thome ist mittlerweile in einem Alter, das in fast jeder Rezension über seine Filme erwähnt wird. Auch in dieser: Er ist einundsiebzig Jahre alt, dreht seit mehr als vier Jahrzehnten Filme und gilt lustigerweise noch immer als eine Art Geheimtipp. Um seine Werke zu sehen, muss man schon in der richtigen Stadt mit den richtigen Kinos leben oder die Fernsehzeitschrift jenseits der 23-Uhr-Marke aufmerksam studieren. Die Bezeichnung „Autorenfilmer“ trifft wohl auf keinen anderen deutschen Regisseur so sehr zu wie auf Thome. Sogar die Ansichts-DVDs für die Kritiker (unter denen er eine nicht kleine Fangemeinde hat) tütet er selbst ein.

Der neue Film Das rote Zimmer, der, um es gleich vorweg zu sagen, ganz wunderbar ist, deutet, wie eigentlich fast alle Thome-Filme, mit seiner Geschichte über starke Frauen und passive Männer weit zu den Anfängen des Regisseurs zurück. In Rote Sonne von 1969 etwa gab es auch schon eine Frauen-WG (mit Uschi Obermaier), allerdings wurden damals die übergangsweise vorhandenen Männer nach getaner Pflicht umgebracht. Aber das waren auch wildere Zeiten als heute, und Thome ist ja, wie gesagt, schon einundsiebzig – eine Tatsache, über die er übrigens in seinem Blog regelmäßig öffentlich nachdenkt.

Die heutigen Frauen, sie heißen Luzie und Sibil und werden gespielt von Katharina Lorenz und Seyneb Saleh, sind auch selbstbewusst, schön und langbeinig (in beliebiger Reihenfolge), aber sie schauen jeden Abend die Tagesschau. Danach wird der Fernseher ausgeschaltet, „und wir unterhalten uns“. Schon aus solchen beiläufigen minimalen Abweichungen vom üblichen deutschen Alltag, in größtmöglicher Naivität ins Drehbuch geschrieben, spricht eine kleine Sehnsucht nach einer Neuerfindung der Normalität.

Das sich liebende Frauenpaar will dem Geheimnis Mann auf die Spur kommen und schreibt darüber ein Buch. Arbeitstitel: „Die Seele der Männer“. Probanden werden für Tiefeninterviews auf ihren einsamen Bauernhof eingeladen. Mancher Frauenversteher ist darunter, wird aber umgehend wieder zurück nach Berlin geschickt. Kein Interesse. Einer darf bleiben. Der Auserwählte ist Fred (Peter Knaack), ein frisch geschiedener Wissenschaftler, der die tatsächlich existierende Disziplin der Kussforschung betreibt. Wie schon in Pink (2009) nehmen die Frauen den Männern die Entscheidungen ab. Das Liebesdreieck pendelt sodann mal zu der einen, mal zu der anderen Seite. Aus dem Gleichgewicht gerät es aber nie, weil in diesem Märchen eben vieles geht, von dem man sich gemeinhin fragt, warum es eigentlich immer nicht geht.
Thome ist mit dem Alter nicht distanziert und kühl geworden, sondern geht seinen Leidenschaften und Träumen mit unerhörter Offenheit nach, in einem gelassenen Rhythmus, der selbst die gröbsten Banalitäten in die richtige Balance bringt. Es ist noch keine Minute von Das rote Zimmer vorbei, da steht eine nackte Frau im Türrahmen. Eine andere entsteigt einem See, wickelt sich ein Handtuch um, setzt sich zu Fred ans Ufer, stellt sich als Venus vor und macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Auch so eine Männerfantasie, die aber in ihrer beiläufigen Inszenierung nicht als solche daherkommt, sondern als schöne Utopie, als Dialog zwischen Menschen und Göttern mit den Mitteln des Smalltalks.

Die Kunst dabei ist, die persönliche Fantasie auf die Realität loszulassen, sich dabei ständig der eigenen potenziellen Lächerlichkeit bewusst zu sein – und dennoch alles souverän in ein Happy-End zu führen. „Halt die Klappe, Professor. Alle alten Männer träumen von einem Harem. Du bist da keine Ausnahme.“ Das rote Zimmer ist sozusagen die Verfilmung dieses Satzes, den Luzie einmal zu Fred sagt. Die Verfilmung sowohl der (vermutlichen wahren) Aussage als auch der ironischen Tonart, in der sie vorgetragen wird.

Was nicht heißen soll, dass es dem Film nicht ernst wäre mit dem Paradies. Es wird sogar ein Vertrag darüber aufgesetzt und, wie der Pakt zwischen Faust und Mephistopheles, mit Blut unterschrieben. Fred muss für die Erfüllung seiner Harems-Wünsche aber nicht seine Seele verkaufen, sondern nur jeden Monat 3.000 Euro überweisen. Billiger ist das Glück nicht zu haben, schon gar nicht bei Rudolf Thome.
Thorsten Funke auf critic.de 6. 1. 2011

 

 

Die Seele der Männer

Zwei Frauen und ein Kussforscher: Rudolf Thomes trilateraler Beziehungsfilm "Das rote Zimmer"

Stellen wir uns den deutschen Film einfach mal als große Familie vor, mit ein paar weisen alten Männern, mit der einen oder anderen Grande Dame, mit Jungs, die ins Ausland gehen und hinterher vor Kraft kaum laufen können, mit ausgemachten Nervensägen, notorisch Verkannten, stillen Brütern, vielen Kleingewerbetreibenden und einigen jungen Wilden, die auch schon deutlich älter aussehen, als sie selbst sich eingestehen dürfen. Rudolf Thome wäre in diesem weitverzweigten Familienzirkus der ältere Onkel, den viele der Jüngeren nur vom Hörensagen kennen, der nicht auf den großen Familien- und Betriebsfeiern erscheint, um den sich keine Legenden bilden, der auch nicht dabei ist, wenn es an die Fleischtöpfe geht. Er ist der Mann, der einfach weiterarbeitet, der in den letzten zehn Jahren acht Filme gemacht hat; ein Mann in einer Nische, der unbeirrbar erscheint, der ins Ausland reisen muss, um seine Arbeit gewürdigt zu sehen, der Drehbuch, Regie, Produktion und mittlerweile auch den Verleih seiner Filme selbst übernimmt. Der Überlebenskünstler, der schon seit Jahren von der deutschen Filmförderung kein Geld mehr sieht.

Thome, inzwischen 71 Jahre alt, hat sein Arbeits- und Finanzierungsmodell auch bei seinem neuen Film beibehalten, der ein wenig geheimnisvoll, wie der Strindberg-Roman, "Das rote Zimmer" heißt. Ausgerechnet die Degeto, die Filmeinkaufsorganisation der ARD, die mit ihren Schmonzetten nicht nur den Freitagabend verstopft, ausgerechnet sie ist die verlässliche Geldgeberin der Thome-Projekte, seit Jahren schon. Man muss nicht rätseln, warum die Degeto das tut; es ist gut, dass sie es tut, weil es sonst wohl kaum noch Filme von Rudolf Thome gäbe und weil man damit eine Menge verpasste.

"Das rote Zimmer" ist zunächst mal eine Dreiecksgeschichte, vielleicht auch eine kleine utopische Phantasie, aber das bleibt eher vage, ähnlich wie in Tom Tykwers "Drei", der allerdings erheblich mehr Aufwand treibt und Pirouetten dreht, um herauszufinden, was zwischen drei Menschen in Liebesverhältnissen alles passieren kann. Manche Magazine würden wegen dieser Parallele jetzt womöglich schon eifrig melden, da sei ein Trend im deutschen Kino, von der Paarbeziehung zur menage à trois: nur dass es bei Thome eher Tradition als Trend ist.

Seine Konstellation sieht so aus: Fred (Peter Knaack) ist Philematologe, ein Kussforscher, einer dieser typischen, ein wenig schüchtern und harmlos wirkenden Thome-Männer. Er ist geschieden und ein bisschen einsam, erst recht, wenn er mit Schutzbrille im Labor steht, während sich Paare rings um ihn küssen, damit er die physiologischen Vorgänge beim Austausch von Körperflüssigkeiten erforschen kann. Dann: Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh), zwei junge Frauen, die in einem Haus auf dem Land leben und einander lieben, die eine Schriftstellerin, die andere ohne rechtes Ziel, außer dass sie als Kurdin der Zwangsheirat entfliehen wollte.

Wie im Märchen
Das Schöne an dieser Konstellation ist, dass zunächst undurchsichtig bleibt, wo sich ihre Wege kreuzen werden. Luzie, die für ihren Roman die Seele der Männer erforschen will - "wenn sie überhaupt eine haben"-, spricht Fred schließlich in einem Buchladen an. Er besucht sie auf dem Land, und nichts passiert; er besucht sie wieder, die beiden Frauen testen ihn, sie gucken im roten Zimmer zu dritt "Tagesschau", sie baden, trinken Rotwein, er angelt, sie küssen sich, schlafen miteinander, verlieben sich in ihn und er in sie, sind eifersüchtig. Und am Ende wollen sie einen trilateralen Liebesvertrag schließen und mit ihrem Blut - vielleicht ist es auch nur Rotwein - besiegeln.

Das geht so leicht dahin, so selbstverständlich, wo andere Dramen und Turbulenzen entfachen. Rudolf Thome dagegen ist ein Märchenerzähler, der, so könnte man es paradox sagen, sich nicht viel aus Märchen macht. Jedenfalls nichts aus Phantasiewelten, Spezialeffekten, Märchendekor und Märchenpersonal. Es geht auch ohne Feen, Hexen oder Prinzessinnen, sieht man mal ab von der Frau, die in der Dämmerung aus dem See steigt, sich als "Göttin der Liebe" vorstellt und mit dem überrumpelten Fred schläft; oder von dem alten Holztablett mit einer Zeichnung der Bucht von Rio, das Fred bei einem Trödler kauft, woraufhin die Dinge für ihn auf einmal besser laufen.

Man könnte das vielleicht eine Art Verzauberung nennen, aber eben kein Märchen. Im Gegenteil. Die Schauplätze in Thomes Filmen wirken sehr realistisch, da werden nicht Wohnungen stilvoll aufgebrezelt. Meist sieht es so aus, auch wenn das gar nicht stimmt, als würde einfach mit dem gearbeitet, was man vorfindet. Es gibt eine natürliche Ökonomie der Dinge und zwischendurch mal ein winziges Zitat. Die Szene, in der Fred einen Japaner imitiert, hat Thome aus Howard Hawks' "El Dorado", und Hawks' Angler-Film "Man's Favorite Sport?", auch bekannt unter dem albernen deutschen Titel "Ein Goldfisch an der Leine", mussten Hauptdarsteller und Kamerafrau sich zur Vorbereitung ansehen.

Wie im Kino
So sieht man, was Thome mag und schon als Kritiker gemocht hat. Kleine Reverenzen, keine Imitate. Und dass man ihn schon mal den "deutschen Rohmer" genannt hat, weil junge und nicht mehr so junge Menschen viel über Liebe reden und sich dabei mal auf dem Land, mal in Berliner Altbauwohnungen aufhalten, trifft es auch nicht. Seine Filme mögen die Leichtigkeit und Redseligkeit haben, welche man französischen Filmen oft unbesehen nachsagt, aber sie haben auch diese versponnenen, leicht absurden und grundsätzlichen Seiten, die viele eher für deutsch halten. Thomes Eigenart ist, dass er all das genau ausbalanciert, dass seine unermüdlich zusammengetragenen und durchprobierten Fragmente einer Sprache der Liebe nie zum geschlossenen Bild werden. Und wer, was schon vorgekommen ist, abschätzig von "Männerphantasien" redet, kann nicht übersehen, dass die Männerphantasie des Autors Thome eine solche ist, in welcher die Frauen die Spielregeln bestimmen.

Nur die Bilder und ihre Montage, die sind dann doch eher amerikanisch als französisch, eher Hawks als Rohmer. Die Einstellungen sind klar und einfach kadriert, die Kamera operiert gerne in Augenhöhe, es gibt keine bedeutungsschwer langen Einstellungen, die man gern mit dem Autorenfilm in Verbindung bringt, und auch keine hohe Schnittfrequenz. Thome zeigt das Wesentliche - und zwar genauso lange, wie es dauert, um als Zuschauer eine Szene zu erfassen. Das war schon die Devise von John Ford. Es geht ihm um die Blicke, um die verschiedenen Blickachsen, nicht um Schuss-Gegenschuss-Sperrfeuer oder extreme Positionen. Das ist ja auch der größte Reiz bei einer Dreiecksbeziehung: sehen zu lassen, wie sie einander sehen und belauern. Und wenn es nötig ist, nimmt Thome auch mal das ansonsten gleichmäßige Tempo heraus und lässt sich viel Zeit, bis Fred in seinem roten Volvo zum ersten Mal vorm Haus der beiden Frauen ankommen darf. Das alles hat eine so große Sicherheit und einen so ausgeprägten Sinn für einfache Lösungen, dass man vielen Liebesgeschichtenerzählern nur empfehlen kann, sich mal einen Thome-Film anzuschauen.

Man möchte auch zu gerne verraten, wie es ausgeht, um die Eleganz zu würdigen, mit der Thome sich am Ende aus all den Fragen, Folgeproblemen und denkbaren Sackgassen befreit. Aber das wäre nicht ganz fair. Deshalb nur der kleine Hinweis, dass auf der Heckscheibe von Freds rotem Volvo ein Schild mit der Aufschrift "Just married" klebt. So heißt ein Thome-Film aus dem Jahr 1997. Sein Held ist Kinobesitzer. Es bleibt also alles in der Familie.
Peter Körte in FAZ am Sonntag 9. 1. 2011

 

 

"Das rote Zimmer"
Drama von Rudolf Thome
Erkundungen des Lebens und der Liebe, von Beziehungen und Familienverhältnissen sind die Filme des Berliner Filmemachers Rudolf Thome. Mit Filmen wie Rote Sonne (mit Uschi Obermaier) oder Berlin Chamissoplatz hat er deutsche Filmgeschichte geschrieben. Seit über vierzig Jahren dreht er beharrlich und inzwischen fast jedes Jahr ein neues Werk, gegen alle Widerstände als Autor, Regisseur, Produzent und Verleiher, und obwohl er seit vielen Jahren von der deutschen Filmförderung übergangen wird.

Am Donnerstag kommt Thomes neuer Film Das rote Zimmer ins Kino, in dem der Regisseur auf bewährte Weise Beziehungsexperimente anstößt: Da gibt es wie so oft einen schüchternen, linkischen Mann, Fred (Peter Knaack), knapp 40, geschieden, einsam und "Kussforscher", das heißt, er lädt Paare in sein Labor ein, um die physiologischen Vorgänge beim Küssen zu untersuchen.

Dann kommen zwei junge Frauen ins Spiel, Luzie und Sibil, die ein Paar sind und auf dem Land leben, in einem der typischen, abgeschiedenen Thome-Paradiese. Auf ihre, sehr weibliche Weise betreibt auch Luzie Liebesforschung, als Schriftstellerin sammelt sie für ihren neuen Roman Erkenntnisse über die Seele und die Gefühle der Männer, die sie in der Stadt aufliest und zu einem Besuch auf dem Lande einlädt. Als Fred auf diese Weise in ihren Einflussbereich gerät, entspinnt sich eine verspielte, experimentelle Ménage à trois.

Was auf den ersten Blick
wie unverhohlene Männerphantasien anmutet, ergibt sich bei näherer Betrachtung aus den Strategien der Frauen, sie treffen die Entscheidungen und ergreifen die Initiative. Dabei hält der Film eine schöne Balance zwischen einem fast spröden Realismus und einer geradezu schamlosen Märchenhaftigkeit. Der Zauber entsteht dabei eher beiläufig, aus der Idylle der Natur, und aus kleinen zarten Momenten zwischen den Schauspielern, aus der leisen Ironie, aus den sanft versponnenen Kompositionen von Katia Tchemberdji, aus Qualitäten, die man sonst eher mit französischen Regisseuren wie Eric Rohmer oder Jacques Doillon verbindet. Dazu gehören auch Schauspieler, die sich auf Dialoge und Situationen einlassen können, die eine herbe Poesie entfalten und bisweilen auch zum Peinlichen tendieren.

Für seinen jüngsten Film hat Thome lauter neue Gesichter versammelt, wie die zauberhafte Neuentdeckung Seyneb Saleh als jüngere der beiden Frauen und der vom Burgtheater kommende Peter Knaack, der den typischen, ein wenig unbeholfenen, scheuen Thome-Mann verkörpert, der sich in den Bann der Frauen ziehen lässt, wie die Fliege ins Netz der Spinne.

Ganz leicht und beschwingt entwirft Thome seine Utopien der Liebe, Männerphantasien, in denen die Männer auf magische Weise zum Spielball der Frauen werden.
Anke Sterneborg, rbb-kulturradio 11.01.2011
Bewertung: 4 von 5 Sternen


 

 

BALLADE VOM UNBEZAHLBAREN WERT DER LIEBE
Ein hinreißender Film von Autor-Regisseur Rudolf Thome

Rudolf Thome stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Er ist der Sohn eines Buchhändlers. Dazu konnte er auch noch eine fundierte Bildung genießen. Der inzwischen 71-jährige hat beispielsweise Philosophie und Geschichte studiert. Und, last but not least, er hat den letztlich kläglich lächerlichen Versuch des bundesdeutschen Aufbruchs der so genannten 68-er zu neuen gesellschaftlichen Ufern miterlebt. Da darf es einen nicht wundern, dass dieser Mann kluge, schöne Kunstwerke schafft, getragen von dem Wissen um die Vergänglichkeit allen Menschlichen, getrieben, so scheint’s, immer auch von den Sehnsucht danach, genau dieser Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen. Und immer voller Ironie.

„Das rote Zimmer“, sein neuester Kino-Spielfilm, macht da keine Ausnahme. Wiewohl: Dieser Film kommt einem ungleich härter vor als mancher der davor entstandenen, wie beispielsweise – ja, das sind meine persönlichen Thome-Favoriten – „Das Mikroskop“ (1988), „Sieben Frauen“ (1989) oder „Das Geheimnis“ (1995). Thomes Filme feiern die Frauen. Aber, und das ist das Ehrliche daran: Thome tarnt sich nicht als männlicher Vorkämpfer der Frauenemanzipation. Er ist ein Mann, der Frauen bewundert, auch schon mal anbetet, der ihnen (das altmodische Wort bezeichnet es vielleicht am besten) huldigt. Ja, und, herrlich, dabei guckt er ihnen auch mal auf den Arsch!

In „Das rote Zimmer“ steht das Geld im Mittelpunkt; genauer gesagt: das Geld schwebt über dem Zentrum der Erzählung, mal ganz leicht, mitunter auch lastend. Damit verrechnen sich nahezu alle der Handelnden unentwegt gewaltig. Im übertragenen Sinn. Lässt sich der Wert des Menschen in Zahlen einfangen? Die böse Frage lauert durchweg in dieser mal angenehm melancholischen, mal herrlich albernen, immer intelligenten Komödie. Es geht nun mal darum, was das Leben kostet, erst Recht die Liebe, und das Sterben auch. Das ist ja die größte Angst aller Thomeschen Typen: Tot zu sein bei lebendigem Leib.

Hierfür lässt Rudolf Tome eine kleine Anzahl skurriler und rührender Protagonisten aufleuchten. Da ist erst einmal Fred Hintermeier (Peter Knaack). Der Enddreißiger erforscht, was im menschlichen Körper beim Küssen passiert. Kein Wunder, dass der Mann vorm Scheidungsrichter landet. Auch die etwa ein Jahrzehnt jüngere Schriftstellerin Luzie (Katharina Lorenz) forscht. Zusammen mit ihrer noch mal knapp zehn Jahre weniger auf dem Buckel habenden Geliebten Sibil (Seyneb Saleh) sucht sie nach den Seelen, dem Inneren, dem Wert (!) der Männer. Dadurch trifft die Luzie auch den Fred. Er landet in ihrem Haus im Nordosten Deutschlands. Er bleibt. Damit kommt Bewegung in die verschiedenen teuren Lebensläufe. Was Rudolf Thome, wie wunderbar, nicht in Hektik verfallen lässt. Er schaut weiter augenzwinkernd zu, ganz ruhig, und er vermittelt uns, dem Publikum, so die Lust am Schauen. Das hat nichts Voyeuristisches. Dazu ist das zu rein. Unschuldig, nein unschuldig ist es nicht. Thome ist nicht weltfremd. Aber er braucht keine Schmuddelbilder, um wahrhaftig zu erzählen.

Ganz klar: Der Buchhändlersohn ist wieder auf den Spuren der Wahlverwandtschaften. Wie schon Goethe zeigt er eine Versuchsanordnung, wenn er das Dreigestirn der zwei Frauen und des einen Mannes in dörflicher Idylle voller Ecken und Kanten begleitet. Anders als Tom Tykwers thematisch durchaus ähnliche Vision „Drei“ hat das aber nie etwas Angestrengtes, Angeschafftes, Aufgesetztes. Thome zeigt einen wirklich flotten Dreier. Hier wird nicht unentwegt gequatscht, wenn’s ans Eingemachte geht. Hier wird gelebt und geliebt und ein bisschen gelitten.

Das geheimnisvolle rote Zimmer? Das ist ein ganz banaler Raum, in dem Banales geschieht. Nur, wie es geschieht, und wie dieser Raum dazu einlädt, sich einzulassen aufs Banale, das ist einfach märchenhaft schön. Und auch ein bisschen gespenstisch. Märchen erschrecken einen ja immer etwas. Die Quadratur des Kreises bohrender Leidenschaften, die Thome hier mit einer durch und durch kunstvoll choreographierten Schauspielführung und Inszenierung gelingt, bekennt sich selbstbewusst zum Spiel mit dem Naiven. Da hat denn sogar die Göttin Venus ihren hübsch beiläufig anmutenden Auftritt. Rudolf Thome hat den Mut, nichts und niemand groß zu erklären. Das Leben erklärt bekanntlich auch selten. Es schlägt nur sehr oft unvermittelt herzhaft-gemein zu. Auch hier. Am Ende drängt sich das Geld noch einmal resolut in den Vordergrund. Ein Vertrag muss her. Der Schlag der Herzen allein genügt nicht zur Besiegelung der Einigkeit des Trios. Glück will bezahlt sein, und damit abgesichert, wenigstens auf dem Papier. Da bleibt einem nur das ewige Raunen der See als Trost. Mit ironischem Blick auf unser aller Harmoniebedürfnis hat Rudolf Thome auch das parat – und entlässt sein Publikum damit aus einem der schönsten Liebesmärchenfilme voller bittererer Wahrheiten, die je im deutschen Kino herausgekommen sind. Ein Hochgenuss für ein an Geistreichem interessiertes Publikum, das keine Angst vor Gefühlen hat, und erst Recht nicht vor Geheimnissen. Chapeau!
Peter Claus auf getitdan

 

 

Rudolf Thome
Das rote Zimmer
Ein Kussforscher gerät in eine Dreiecksbeziehung mit zwei klugen Schönen auf dem Lande und besiegelt sie mit Blut: Erotische Romanze von Rudolf Thome, Spezialist für Utopien der Liebe.

Sein Beruf klingt zu schön, um wahr zu sein: Fred ist Philematologe (diesen Forschungszweig gibt es wirklich). Er lässt Paare schmusen und untersucht dabei ihre körperlichen Reaktionen – unter Laborbedingungen. Privat ist Fred seit seiner Scheidung allerdings ungeküsst.
Bis ihn Luzie und Sibil aufgabeln: Sie locken Fred in ihr Landhaus in Vorpommern. Zwischen Seen und Wäldern schreibt Luzie dort an ihrem Roman über die «Seele der Männer – falls sie eine haben», während ihre Freundin in den Tag hinein lebt. Fred verfällt sofort beider Charme und dem Reiz der Sommeridylle.
Und Luzie treibt die Kussforschung im roten Zimmer voran: erst sie mit Fred, dann Sibil mit ihm. Es bleibt nicht beim Küssen – und Eifersucht bleibt nicht aus. Doch Luzie findet eine märchenhaft einfache Lösung für ihre menage à trois, die alle emotionalen Fallstricke elegant
Bewertung:
Auch in seinem 27. Langfilm bleibt Rudolf Thome seinem Lebensthema treu: der Liebe. Er lotet aus, was abseits der monogamen Alltagsmoral alles möglich ist – zu dritt, zu viert oder zu vielen. Dass das nach Männerfantasie riecht, weiß er: «Alle alten Männer träumen von einem Harem», lässt er Luzie lästern.
Doch Thome ist kein Erotomane, sondern utopischer Romantiker: In seinem Filmkosmos haben Frauen die Hosen an. Sie ignorieren Konventionen und wissen genau, was sie wollen – und eher schüchterne, passive Männer empfangen ihre Zuneigung als Geschenk. Der Krieg der Geschlechter weicht gefühlvoller Koexistenz.
Solch zwanglose Harmonie kommt nicht ohne Stereotype zustande. Wie meist bei Thome wird gern gekocht, gut gegessen und viel Wein getrunken: genießen mit allen Sinnen. Konflikte sind dazu da, um mit Herzensklugheit gelöst zu werden, derweil die Sonne scheint.
Aber nie rutscht der Film in Klischees ab. Dafür sorgen die nüchterne Bildsprache und Dialoge, die zwischen Banalem und Überraschendem mühelos hin- und herpendeln. So entsteht eine völlig kitschfreie Vision vom Liebesglück. Vermutlich wäre die erotische Emanzipation erst erreicht, wenn es auf der Welt zuginge wie in Thomes Filmen.
Oliver Heilwagen in Kultiversum, 12.01.2011

 

 

Die Träume des Kussforschers: „Das rote Zimmer“

Rudolf Thomes „Das rote Zimmer“ erzählt von einem Liebesexperiment in Vorpommern. Der Wissenschaftler Fred, der beruflich das Küssen erforscht, lernt die beiden jungen Frauen Luzie und Sibil kennen. Sie laden ihn in ihr rotes Zimmer ein und schlagen ihm eine Beziehung zu dritt vor.
Auch in Ostvorpommern trägt die Göttin der Liebe den Namen Venus. Sie trägt ihn spielerisch und leicht, wie das Badetuch, in das sie sich schlägt, nachdem sie einem Weiher entstiegen ist. Den fremden Mann, der im Sand vor einem kleinen Lagerfeuer liegt, steuert sie zielsicher an, und nachdem sie unbefangen eingestanden hat, dass sie schon beim Schwimmen einen Orgasmus hatte, steht ihr der Sinn nun nach einem Weiteren: „Mit einem Mann ist es einfach besser.“
Da ist er wieder, der unverwechselbare Tonfall, in dem bei Rudolf Thome die Geschlechter miteinander sprechen: ein wenig naseweis, ein wenig poetisch, mythologisch resonant und doch immer dem Praktischen zugewandt, das in dieser Szene in seinem neuen Film „Das rote Zimmer“ ein abendlicher Liebesakt unter dem großen Himmel Ostvorpommerns ist. Es ist eine Begegnung wie im Spuk, die aber in das Liebesexperiment, von dem Thome hier erzählt, ein wichtiges Moment bringt: Balance, Umverteilung des Begehrens, libidinösen Ausgleich.

Über die Jahre hat der über München nach West-Berlin gelangte, mittlerweile neben Wim Wenders wohl ausdauerndste Vertreter des Neuen deutschen Films ein Werk zustande gebracht, das sich recht gut als riesiges Venus-Projekt begreifen lässt - dem göttlichen Potential der Frau steht dabei immer wieder das intellektuelle Interesse von Männern gegenüber, die ihre Philosophie oder eine andere Wissbegierde (und schließlich auch den Phallus) hinter sich zu lassen bereit sind, um in eine andere Ordnung einzutreten.

In der Kuschelbude läuft „Tagesschau“


Der Mann, der sich im Ostvorpommerschen mit der Venus vereinigt, gehört auch in diese Reihe. Fred Hintermeier (Peter Knaack) ist Philematologe. Er erforscht wissenschaftlich, was geschieht, wenn Menschen küssen. Er ist ein Speichelrechner, und schon in einer der ersten Szenen von „Das rote Zimmer“ tritt ihm die Skepsis gegenüber seinem Fach in Gestalt seines Vorgesetzten Prof. Mühsam (Hanns Zischler mit einer bizarren Krawatte) entgegen. Aber Fred Hintermeier wäre keine Figur von Rudolf Thome, wenn er nicht in stiller Unbeirrbarkeit einfach das täte, was er sich vorgenommen hat. Er wird schließlich, gleich nach seiner Scheidung in Berlin, zum Teil eines Liebesexperiments, für das er nach Ostvorpommern fahren muss.
Dort leben nämlich Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) in einem schönen Haus inmitten wogender Felder und bergender Wälder. Die beiden Frauen sind ein Paar, das sich die Erforschung der Geheimnisse der Seele zur Aufgabe gestellt hat. Gelegentlich fahren sie nach Berlin und lassen sich an Orten mit Büchern von Männern ansprechen, die sie dann zu einem Interview einbestellen, nach dem sie meistens schnurstracks wieder nach Hause geschickt werden. Nur bei Fred ist das anders, er wird einem „Ewigkeitstest“ unterzogen, der ihm unter anderem Zugang zu dem roten Zimmer gewähren wird - wer sich dort nun aber Tantra und andere kosmische Experimente erwartet, liegt fehl, in der Kuschelbude läuft zuerst einmal die „Tagesschau“.

Ausgewanderte aus der Gegenwart

Dieser (unbeabsichtigt?) urkomische Moment verdeutlicht sehr schön das seltsame Wirklichkeitsverhältnis, das die Figuren bei Rudolf Thome immer schon hatten. Sie sind Ausgewanderte aus der Gegenwart, und wenn sie im Fernsehen eine Nachrichtensendung sehen, dann tun sie das so, als wüssten sie gar nicht, wovon die Rede ist. Sie leben auf einer Insel, die sich in diesem Fall aus den Feldern der deutschen Tiefebene erhebt. Stärker noch als zuletzt verweist Thome in „Das rote Zimmer“ auf sein eigenes Schaffen, auf die Vamps aus „Rote Sonne“, auf die Südseeträume aus „Beschreibung einer Insel“, auf die erotischen Gleichungen der achtziger Jahre (“Tarot“ oder „Sieben Frauen“).
Seit über vierzig Jahren entsteht dieses Werk nach ganz eigenen Gesetzen (und in einer wundersam erscheinenden Ökonomie, die zuletzt vor allem auf Verbindungen zur Degeto, der Trivialtochter der ARD, beruht). Manchmal wirkt die Entrücktheit wie eine besonders nachhaltige Form der Unbotmäßigkeit, dann aber gibt es wieder Phasen einer schwer nachvollziehbaren Verschmocktheit. Diese Konjunkturen, in denen in den besten Momenten eine großartige Intuition gegen den jeweiligen Zeitgeist erkennbar wird, in den schwächsten Momenten aber die vielen schönen Seelen Thomes in Biedersinn ersticken, verlaufen in den letzten Jahren, nach einer Reihe von gegenwärtigeren Filmen mit Hannelore Elsner, wieder stärker ins Esoterische. „Das rote Zimmer“ gehört, wie zuletzt schon „Pink“ und in Ansätzen „Das Sichtbare und das Unsichtbare“, in das Genre einer Idylle, in der um Götterbesuch kein großes Aufhebens gemacht werden muss, weil auch die anderen Figuren wie nicht ganz von dieser Welt sind.
Bert Rebhandl in FAZ 12. 01. 2011

 

 

Spontaner Sex am Baggersee

Ein vorpommersches Filmwunder, in dem aller guten Dinge am Schluss drei sind, ist Rudolf Thomes jüngstes Werk "Das rote Zimmer".

Vor einem Jahr ließ Rudolf Thome im Kino (in "Pink") noch eine Frau unter drei Männern auswählen - am Ende stand das Glück in trauter Zweisamkeit. Ein Jahr später, in "Das rote Zimmer", trennt sich nun eine Frau von ihrem Mann, der sich wiederum in Folge für zwei Frauen entscheidet - auf der Suche nach dem Glück in trauter Dreisamkeit.

Der Mann, um den es geht, ist der Berliner Kussforscher (!) Fred (Peter Knaack), der zwar zu Prostituierten geht, aber eigentlich Romantiker ist: Mit seiner liebsten Prostituierten will er anfangs bei Kerzenlicht Geburtstag feiern, seiner Frau sagt er kurz vorm Scheidungstermin noch, dass er sie liebt. Zweifel an seiner Aufrichtigkeit kommen indes ebenso wenig auf wie Zweifel an einer Biene, die von einer Blüte zur nächsten fliegt. Im Grunde ist Fred kein böser Mensch, nur die üblichen "Formen der Liebe" (so der Titel eines Zyklus im Werk des Regisseurs sowie eines gerade erschienenen Buches über seine Filme) sind nicht die seinen.

Auf dem Land, etwas abgelegen in einem seltsam künstlich blau ins Feld getupften Häuschen, lebt die wenig beachtete Schriftstellerin Luzie (Katharina Lorenz) mit ihrer jüngeren Freundin Sibil (Seyneb Saleh). Um ihren ersten Bestseller zu landen, will Luzie die Seele der Männer erforschen. Der zufällig von Sibil in Berlin aufgegabelte Fred ist dafür gerade der rechte Kandidat. Für den von Scheidung und Jobkrise gebeutelten Fred tut sich in dem blauen Haus mit dem geheimnisvollen roten Zimmer, mit Luzie und Sibil die Möglichkeit einer Utopie auf.

Und wäre nicht Thome verantwortlich, man müsste Schlimmstes erwarten. Im "Roten Zimmer" tauchen auf: Drogen, lesbische Beziehungen, Polyamorie, Arbeits- und Lebenslaufverweigungerungen, Prostitution, ein gelegtes Buschfeuer, eine junge Kurdin, die nicht für eine Türkin gehalten werden will, Sex zwischen Menschen, die rund 20 Jahre auseinander liegen, eine Scheidung, spontaner Sex am Baggersee, Eifersüchteleien, ein mysteriöses Hinterzimmer, in dem wer weiß was geschieht (und es an dieser Stelle zu verraten, hieße einem wunderbaren Film Gewalt antun), alles also, was einem schlechte Roehler- und miese deutsche Problemfilme von der eigenen Relevanz unbedingt überzeugt um die Ohren hauen.

Vom Trara solchen Filmboulevards ist "Das rote Zimmer" allerdings so weit entfernt wie Godard zuletzt von seiner eigenen Oscarverleihung. Es zeichnet den Film gerade aus, dass er die in jeder Ecke lauernden, oben skizzierten Fallen mit souveräner Geste noch nicht einmal ignorieren muss. Vielmehr ist "Das rote Zimmer" ein sanftes, sommerlich entrücktes, von süßer Musik sacht aus dem Hintergrund umspieltes Kinowunder mit wunderbar lakonischem Witz, in dem sich nie erahnen lässt, was einen - buchstäblich - hinter der nächsten Tür erwartet, was in den nächsten zwei Minuten Spielzeit geschieht. Einmal etwa taucht eine Brandenburgische Aphrodite aus dem Baggersee auf, ganz einfach so, und verschwindet wieder. Thome erklärt das nicht - Traum? Günstige Gelegenheit an einem Sommerabend? Bedarf das wirklich der Erläuterung? Eben.

"Das rote Zimmer" ist ein Märchenfilm, wenn es denn zuletzt einen Märchenfilm gegeben hat, der sich mit Mut zur Verknappung auf das allerwesentlichste konzentriert. Rudolf Thome filmt hier im Alter von 71 Jahren mit der Frische eines jungen Filmemachers, der das Wunder, einen eigenen Film drehen zu dürfen, womöglich gar nicht fassen kann. Was er erzählt, ist keine Anweisung, wie das Leben glücken könnte, sondern die fragile Utopie, dass das glückende Leben wirklich gelingt - in einem Sommer, in einer Küche, in einer Hängematte und im roten Zimmer aus dem Titel.
Thomas Groh, Perlentaucher 12. 1. 2011

 

 

Sorge dich nicht, küsse!

Das rote Zimmer“ von Rudolf Thome überzeugt als lustvolle Versuchsanordnung

Irgendwie passt das zu der Umsicht, mit der man heutzutage seine Beziehungsverhältnisse sortiert, zu den Ratgeberbüchern wider das unordentliche Gefühl der Liebe, zum Digital-Check frischer Kontakte, bevor man sich denn doch ins unvermeidlich analoge Abenteuer stürzt. Im Kino, der populären Welterklärungsmaschine, häufen sich derzeit die Versuchsanordnungen. So wenig wie möglich bleibt dem Zufall überlassen und die Filmemacher gehen mit geradezu wissenschaftlicher Akribie ans Werk

Der Nachteil solcher Konstrukte – man könnte sie auch Versuchungsanordnungen nennen – ist eine gewisse Künstlichkeit. Alltagslebensmodelle, vor allem feste Zweierbeziehungen, werden einem Experiment unterworfen und am Ende fein austarierter Zuspitzungen findet das Geschehen, wie zuletzt in Massy Tadjedins „Last Night“ oder auch Tom Tykwers „Drei“, denn doch in eine eher klinische Beweisführungsmaßnahme. Mal steht sie für das Gelingen, mal für das Scheitern dieser oder jener Utopie.

Auch Rudolf Thome gehört, so scheint es, zu jenen Schmetterlingsforschern, die keine Ruhe geben, bis auch das letzte Exemplar aufgespießt und katalogisiert ist – und endlich bewiesen, was zu beweisen war. Unvergessen sein „Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“, den er sich 1999 zum 60. Geburtstag schenkte: Ganz schön grausam das Vorhaben des von Hanns Zischler gespielten Komponisten, zum herbstlich runden Wiegenfest mal eben die Frauen seines Lebens einzuladen. Und was ist, wie zuletzt in „Pink“ (2008), erst von einer Frau zu halten, die die Wahl zwischen drei Heiratskandidaten ihrem Taschenrechner überlässt?

Generell geht Rudolf Thome genau umgekehrt wie seine Versuchsanordnungskollegen vor: Er entwirft möglichst absonderliche Ausgangssituationen, um von dort die Reise ins Offene anzutreten. Sein männliches Beziehungsforschungssubjekt in „Das rote Zimmer“, Dr. Fred Hintermeier (Peter Knaack), arbeitet als Wissenschaftler auf dem noch jungen Forschungsfeld der Philematologie. Besonders witzig: Der Kussforscher, der seine Probandenpaare zwecks Analyse hormoneller Wallungen zu minutenlangen Oralvereinigungsmarathons zusammenführt, ist selber gerade reichlich ungeküsst. Doch frisch geschieden lernt er mit Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) zwei ebenso rätselhafte wie reizvolle Frauen kennen, die ihn ihrerseits zum Gegenstand lustvoller Kreativrecherche machen.

Wieder einmal spielt ein Thome-Film im Sommer – und das beschwerlich entfremdete akademische Großstadtleben findet luftigen Ausgleich auf dem Land. Luzie und Sibil locken den weichen, stillen Fred in ihr Häuschen nach Kleinblättersdorf ins Ostvorpommersche – und eine so wundersame wie behutsame Ménage à trois beginnt. Klar, Luzie schreibt, per Laptop auf dem Hochsitz im Wald, an einem Roman über die Seele der Männer, da kann ein Versuchskaninchen im Bett und am Frühstückstisch nicht schaden. Und Sibil, die sich ihrer Zwangsverheiratung Richtung Türkei in die norddeutsche Provinz entzogen hat, ist nicht nur Luzie erotisch innig verbunden, sondern findet auch an dem diskret bedürftigen Fremden Gefallen.

Welchem Ziel aber die bald im roten Zimmer anhebenden, von den Frauen besonders initiativ betriebenen Kussforschungsexperimente dienen, bleibt lange unklar. Der „Ewigkeitstest“, dem Fred sich unterworfen sieht, könnte in eine sehr freie Variante von „Arsen und Spitzenhäubchen“ münden – schließlich ging es schon in Thomes legendärer Versuchsanordnung „Rote Sonne“ (1969) durchaus mörderisch zu. Oder die „Fliege im Spinnennetz“, als die sich Fred bald in sanfter Klage begreift, bleibt bloßer Zeitvertreib für das lesbische Paar, bevor es – einer Laune folgend – das Interesse an ihm verliert. Immerhin darf er sich zwischenzeitlich mit der im nahen See herbeischwimmenden „Göttin der Liebe“ trösten. Oder ist das ganze Nixen- und Hexenwesen bloß geträumt?

Immer weiter treibt das Trio aus üblichen Verhältnissen davon in eine heitere Menschenfantasie. Auch Thomes Spiel läuft auf eine Utopie hinaus, aber sie fungiert ausschließlich als Pointe. Ob der Regisseur selber überrascht war von seiner charmant vorantänzelnden Erfindung? Schon sind die bunten Schmetterlinge, eben noch für die Ewigkeit in ihren Schaukästen festgesteckt, mit lustig-lustvollem Ziel davongeflogen.
Jan Schulz-Ojalla, Tagesspiegel 13, 1. 2011

 

 

Stadt, Land, Kuss

Es sind ja immer Experimente, von denen Rudolf Thomes Filme handeln, und im Werk keines zweiten Filmemachers ist »der Geist von 1968« so präsent, wie bei diesem. Alles ist leicht und entspannt, alles ist offen. Forschergeist dominiert, und das Politische steckt immer im Privaten. Es gibt, auch das gehört dazu, zudem einen gewissen, hinter der Schüchternheit und Passivität der Thome-Männer versteckten Machismo: Diese Männer kommen gut weg und heraus aus diesen Geschichten, oft genug sind auch mehrere Frauen um sie bemüht – umgekehrt ist das eher selten der Fall -, und weil diese Frauen auch noch schön und stark und selbstbewusst sind, ist das alles dann um so schmeichelhafter.

So auch diesmal: Fred (Peter Knaack), ist Kussforscher. Diesen Beruf gibt es wirklich, Philematologie heißt er. Fred lebt in der Stadt, wo er in Labors seine seltsamen – und in der Praxis auch ein wenig absurden – Studien betreibt. »Die Wissenschaft bedankt sich bei ihnen.« sagt er, bevor er die Paare verabschiedet, die zuvor im Labor vor seinen Kameras geknutscht haben. Fred wird vom Regisseur eingeführt als Volvofahrer, also nach landläufiger Betrachtung ein Schwächling und Spießer. Er ist frisch geschieden, er ist reserviert und blind für die Avancen seiner Mitarbeiterinnen. Seinen Geburtstag feiert er mit einer Prostituierten. Man darf in ihm wohl vor allem einen Verlorenen sehen, einen der etwas sucht und nicht genau weiß, was, und der sich darum etwas hilflos hinter seinen Studien verschanzt. Die Romantik der Objektivität.

Immer wieder gegengeschnitten zu den Portraits seines Lebens ist die Geschichte zweier Frauen, die auf dem Land leben: Sibel und Luzie. Beide sind ein Paar, aber haben auch Männerbeziehungen. Sie essen viel und trinken noch mehr, und sagen schöne Sätze wie: »Alles, was gut schmeckt ist ungesund.« Luzie raucht auch. Diese gesunde Lust am Ungesunden durchzieht ihr ganzes Leben, so wie wir es kennenlernen, und nach heutigen Maßstäben vom Prenzlauer-Berg-Neospießertum sind Luzie und Sibel einfach etwas verrückt. Diese Frauen sind toll, wie eine Erlösung, also schon auch eine Männerphantasie, aber doch auch eine Frauenphantasie in ihrer Antiromantik, in der sie dann Sätze wie diesen sagen: »Wenn Du mit mir Händchen hältst, dann willst Du mich später küssen, und wenn Du mich küsst, dann willst Du mit mir schlafen und wenn Du mit mir schläfst, dann kriegen wir ein Kind, und dann willst Du mich heiraten – und da hab ich absolut keinen Bock drauf.«
Das Rote Zimmer ist also wie man merkt von Anfang an ein sehr heiterer, angenehmer und ungewöhnlicher Film.

Eines Tages trifft Fred beide, zuerst Sibel, der er gefällt und die mit ihm flirtet, aber er ist zu verpeilt, um das auch nur zu merken. Dann Luzie, die ihn anspricht, weil sie Schriftstellerin ist, und für ihr neues Buch über »die Seele der Männer« noch mehr über Männer lernen will. Er fährt zu ihr hinaus aufs Land, und trifft Sibel. Alle drei lernen sich kennen und beginnen ein Liebesverhältnis zu dritt – und wer jetzt an Tom Tykwers Drei denkt, wo es ja auch um eine menage à trois geht, dem muss man sagen, dass der ja am Prenzlauer Berg wohnt, wo auch Drei spielt und dass Thomé, der in Kreuzberg wohnt, das im Unterschied zum bedeutungsschwangeren Tykwer ganz gelassen erzählt; dass Tykwer hier einmal lernen kann, was das Wort Utopie bedeutet, um das es ja in seinen Filmen auch gehen könnte.

In diesem Haus auf dem Land, das, nicht nur mit seinem Matriarchat wie eine jener Utopien aus Shakespeare stücken wirkt oder aus dem 18. Jahrhundert, und auch an Camus' Haus vor der Welt erinnert, in diesem Haus fallen in den nächsten Film-Minuten dann Sätze, die schon für sich genommen, das Nachdenken und auch mal Nachfragen lohnen, wie »Spaß ist kein Gefühl«, oder »Man darf nicht mit der Liebe spielen«, und die Menschen sind fähig, schwierige Dinge ganz einfach auszusprechen: »Ich bin eifersüchtig. Obwohl ich das nicht will.« Darin, in dieser Einfachheit liegt Thomés große Fähigkeit. Ein bisschen ist auch er natürlich ein Kussforscher, einer der anderen dabei zuschaut, wie sie einfach da sind, und sich offenbar beim Dreh unsichtbar genug zu machen versteht. Und so gelingt es ihm dann, auch einfach Glück zu haben, wie in dem Augenblick, in dem zwischen Sibel und Fred der Satz fällt: »Du bist keine Fliege«, da krabbelt Fred dann eine Fliege über die Hand.

Bei Thome geht es auch viel eher um das Leben, als um die Liebe. Liebe wird nicht hysterisch aufgeladen zu einem Alleserlöser, der sie ja im wirklichen Leben, wie jeder weiß, auch viel zu selten ist. Sie ist einfach Teil des ganzen, ganz normalen Lebens. Und das besteht aus Reden, Rotweintrinken, Fernsehgucken, und bei Thomé immer auch Autofahren.
Darin, in der Annahme, dass das ganz normale Leben schön sein kann, und zugleich alle Magie, alle Ideale enthalten, liegt aber eine andere Utopie, und darum sagen hier auch Menschen allen Ernstes: »Wir müssen die Liebe neu erfinden«, machen einen Liebesvertrag, der durchaus die Ökonomie nicht vergisst, sprechen von der »Schönheit des gemeinsamen Lebens« und eine Liebesphantasie ersetzt die realexistierende Zweierbeziehung.

Hier sind wir dann wieder beim »Geist von 1968«, bei politisch-sein des Privaten. Davon hat Thome schon oft erzählt, vielleicht immer wieder seit Rote Sonne, mit dem er berühmt wurde. Darin ging es, wie in so manchem Thome-Film danach, auch um Frauen, die sich nehmen, was sie wollen, aber erzählt aus der Perspektive eines Mannes, der das erlebt und geschehen lässt.

So ist Das Rote Zimmer vielleicht Thomes Version einer Geistergeschichte. Vor allem bleibt er bis zum Ende eine kluge Komödie bleibt, ein wunderbarer Film, der Spaß macht, und dabei die Intelligenz des Zuschauers nicht beleidigt, ein Film, durch den andere Regisseure und wir Zuschauer viel erfahren können: Darüber wie man einfach und klar Geschichten erzählt, ohne in Kunstfilmmanierismen zu verfallen, ohne sich aber auch an Technik oder bloße Moden zu verkaufen. Darüber, wie leicht und klar Kino sein kann, wie verständlich und relevant. Ob Thomé in seinem Kino jetzt eher französisch ist oder eher amerikanisch, eher Howard Hawks verpflichtet oder eher der deutsche Rohmer, darüber kann man dann ja streiten. Es wird dies jedenfalls ein Streit auf dem richtigen Niveau sein. Thomé ist, irgendwo zwischen Rohmer und Hawks also im guten, einzig sympathischen Sinne konservativ: Einer der das Kino bewahrt, und dessen Filme dadurch in die Zukunft weisen.
Rüdiger Suchsland, Artechock, 13.01.2011

 

 

Gern geht man ihm ins Netz

FELD DER LIEBE Rudolf Thomes Filme zeichnet eine besondere Form von Ironie aus. Das zeigt auch "Das rote Zimmer"


Spät im Film sagt Fred (Peter Knaack) einmal, er komme sich vor wie eine Fliege, die ins Spinnennetz geraten ist. Dann blickt er auf seine Hand und man sieht eine Fliege darauf krabbeln. Keiner hat die Fliege dahin gesetzt. Sie war rein zufällig da, man ist auf dem Land, die Kamera hält das ephemere Tier für die Ewigkeit fest. Dennoch wird sie in ihrer bescheidenen Art zum schlagenden Zeichen dafür, dass ein Realfilm auch als Spielfilm immer zugleich Dokumentation dessen ist, was vor der Kamera zum Zeitpunkt der Aufnahme wirklich geschah.

Das Glück dieses von der Kamera festgehaltenen Zufalls ist bezeichnend für die Filme von Rudolf Thome. Der Regisseur, der seit vielen Jahren seine Drehbücher selbst schreibt, ist ein gewitzter Geschichtenerzähler, ein Erfinder von Versuchsanordnungen und Liebeskonstellationen um Männer und Frauen. Sein eigentliches Interesse gilt aber nicht den von ihm gesponnenen Netzen, sondern den Fliegen und anderen Tieren, die sich darin verfangen.

In Thomes neuem Film "Das rote Zimmer" ist das Fred, der an zwei Frauen gerät. Sibil (Seyneb Saleh) und Luzie (Katharina Lorenz) leben in Ostvorpommern auf dem Land und sind ein Liebespaar. Fred ist an der TU Berlin Kussforscher (gibt es wirklich), Luzie schreibt Romane. Gemeinsam mit Sibil arbeitet sie nun an einem Buch über die Seele der Männer. Der Forscher Fred wird folglich zum Forschungsobjekt.

Vieles an Rudolf Thomes Filmen ist wundersam. Am allerwundersamsten ist die Ironie, die sie prägt. Ironie ist in der Regel eine Geste der Distanzierung, eine Haltung, mit der man sich potenziell Peinliches vom Leibe hält. Nicht so bei Thome. Seine Ironie widerspricht nämlich niemals der bedingungslosen Liebe zu den Figuren, sie mildert nicht, sondern schärft, und sie steht auch nicht im Gegensatz zum Märchenhaften, das seinen Erzählungen eignet.

So kann eine Frau nackt einem See in Vorpommern entsteigen und sehr ernsthaft zu Fred sagen, er dürfe sie Venus nennen, sie sei die Göttin der Liebe. In ähnlicher Weise stand in "Das Geheimnis" einst Marquard Bohm mit einem riesigen Holzkreuz auf seiner Schulter vor einer Haustür und sprach: "Ich bin Jesus Christus." Ironie bei Thome heißt: Er schreibt keinem vor, wie die oft absonderlichen Dinge, die da geschehen, zu nehmen sind. Das ist ein starkes Stück Freiheit, ja, eine Zumutung. Schon gar, wenn im nächsten Moment dann Spagetti mit Butter und Käse für Jesus Christus zubereitet werden.

Dieses Gericht wird auch in "Das rote Zimmer"gekocht. Zur Ironie und dem Märchenhaften und den großen Worten wie dem vom "Mysterium der Liebe" kommt unweigerlich das Banale. Die Liebesexperimente, zu denen sich Luzie, Sibil und Fred durchaus auch kussforschend hier versteigen, enden regelmäßig mit dem gemeinsamen Ansehen ausgerechnet der "Tagesschau". Märchenmotive, Tagesreste, ein Mann, zwei verführerische Frauen: Fred weiß nicht, wie ihm geschieht, und ist damit eine sehr typische Thome'sche Männerfantasie. Dieser Regisseur träumt von parzenhaften Frauen und von weltfremden Männern und erzählt, wie sich das ineinander verstrickt.

Alles Gelingen ist hier Sache des Tons. Katia Tchemberdji macht dazu eine tolle Musik. Wie ein durchsichtiger Firnis ist sie auf die Oberflächen getupft und entrückt das, worauf sie fällt, sanft dissonant in eine andere Welt. Fabelhaft in sich ruhen auch die Bilder der Kamerafrau Ute Freund. Es ist bei aller Genauigkeit viel Luft zum Atmen in ihnen. Die größte Lust aber ist es, den großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern dabei zuzusehen, wie sie Angeln werfen, sich in Worten und Blicken verständigen, dabei in ihren Rollen nicht aufgehen, sondern zugleich die Individuen sind, die sie sind. Die Blicke und Haltungen, die Arten des Sitzens und Schweigens und Lachens, des Verführens und des Irritiertseins, des Lauerns und des Kosens sind immer nur ihre.

Das ist, wenn man es genau betrachtet, in den darstellenden Künsten grundsätzlich so. Bei Thome aber wird das Eigene der Darsteller in aller Selbstverständlichkeit als das Eigentliche der Erzählung sichtbar. Nichts geht darum je ganz auf in den Geschichten, nie wird man zu eindeutigen Gefühlen erpresst. Die Wahrheit über die Netze, die Thome spinnt, ist, dass ihre Fäden nicht kleben. Man verfängt sich aber umso lieber darin und legt sich wie das Lamm zum Löwen zu Spinnen und Fliegen.

"Das rote Zimmer". Regie: Rudolf Thome. Mit Seyneb Saleh, Katharina Lorenz, Peter Knaack. Deutschland 2010, 101 Min.
Ekkehard Knörer, TAZ 13.1.2011

 

 

Der Lieblingssport in Arkadien
Rudolf Thomes „Das rote Zimmer – eine aufregende Studie über die Träume der Männer und die Regeln der Frauen

„Das Leben ist teuer heute“, sagt das Mädchen gleich am Anfang, „auch die Liebe, verstehst du?“ Der Mann – Fred, etwa Ende dreißig, lockiges Haar, ein Naturwissenschaftler – weiß, wovon sie spricht, er zündet ihr eine Zigarette an, gibt ihr die verlangten hundert Euro extra. Es geht ums Arrangement für den Abend, ob sie den Mantel ablegen soll beim Essen zu zweit am sorgfältig gedeckten Tisch. Ein bisschen sieht man ihm die Irritation schon an, er hatte Jacqueline erwartet, um mit ihr seinen Geburtstag zu feiern, aber die kann nicht, hat die Kollegin geschickt.

Es geht um Liebe und Sex in den Filmen, die Rudolf Thome seit über vierzig Jahren macht, mit einer spielerischen Beharrlichkeit, einer unerhörten Leichtigkeit, bei der alles zusammenzuspielen scheint, die Menschen und die Natur, die Landschaft und der Wind, das Lächerliche und das Seriöse, Travestie und Traurigkeit. Kurz nach seinem Geburtstag wird Fred von zwei Mädchen aus der Stadt gelockt, zu Forschungszwecken, in ein blaues Haus. „Ich erforsche, was im Organismus des Menschen vor sich geht, da wissen wir viel zu wenig darüber“ erklärt Fred – was durchaus auf ihn zutrifft, er ist eben geschieden und kommt doch nicht los von seiner Ex-Frau. Philematologie heißt seine Wissenschaft, Kussforschung, und so steht es tatsächlich, wenn man das Suchwort eingibt, bei Google. Thome und sein Akteur Peter Knaack nehmen das ziemlich ernst, nur Freds Chef kann eine gewisse Skepsis in der Stimme nicht kaschieren: „Die Kollegen in Tokio machen sich schon lustig über Sie… Sie halten Sie für einen Sexmaniac.“ Er hat einen Großteil des Budgets seines Instituts dem Kussprojekt zugestanden, nun will er Resultate sehen, wissenschaftlich. Hanns Zischler spielt ihn mit freundlicher Süffisanz – er war als Akteur bei einigen der schönsten Lebens- und Liebesexperimente des Filmemachers Rudolf Thome dabei.

Der Forscher als Testperson

Die zwei Mädchen ihrerseits erforschen die Seelen der Männer, das fängt mit drögen Fragebögen an und führt in einem unnachsichtigen Ausleseprozess hinauf ins rote Zimmer. Der Forscher wechselt die Seiten, er packt seinen Koffer und wird selber zur Testperson. Im roten Zimmer – ein Rot, das anders als so oft in Literatur und Kino nicht mit Dekadenz und Verruchtheit gekoppelt ist – gruppiert man sich vor dem Fernseher, schüttelt die Kissen zurecht und schaut „Tagesschau“, zunächst.

Die Liebe kommt dann schnell zu Wissenschaft und Romantik hinzu, in jeder Kombination, mit oder ohne Wissen des Dritten, auch unter seinen Augen. Es ist die Tradition der klassischen Liebesspiele, von der Schäferliteratur bis zu Goethes Romanen, die Thome in seinen Filmen am Leben hält – er hat „Stella“ auf die Leinwand gebracht und „Die Wahlverwandtschaften“. Die vorpommersche Landschaft liefert den arkadischen Dekor, die Akteure schaffen die phantastische Balance zwischen Naivität und Ritual. Zwei Burgschauspieler hat Thome sich ausgeguckt, Peter Knaack und Katharina Lorenz, als Luzie, eines der beiden Mädchen, und Seyneb Saleh, als die Dritte im Bunde, verstehen es großartig, ihre wahren Gefühle so zu verbergen, dass man nicht im Zweifel sein kann über sie. Die Liebe macht nur Sinn zu Dritt – was Tom Tykwer so heftig prklamierte für „Drei“ und doch nicht wirklich hinkriegte auf der Leinwand, bei Thome wird es ganz evident. Sein Kino nimmt die Schimäre er idealistischen Liebe auseinander, Liebe bei ihm ist absurd und aufrichtig zugleich, von Impulsen und Verträgen gleichermaßen dirigiert, von den Frauen dominiert, ihrer Überlegen- und ihrer Überheblichkeit, und immer hart an der Grenze zur Prostitution.

Sie spielen ihre Unschuld, hat Frieda Grafe über die Bilder von Rudolf Thome geschrieben, das war 1979, bei „Beschreibung einer Insel“, einem Film, den er gemeinsam mit Cynthia Beatt auf der Südseeinsel Ureparapara drehte. Die Unschuld, das meint auch die alte Frage von Dokument und Fiktion, das Brüderpaar Lumière und Méliès – man merkte jedenfalls in der „Insel“ überhaupt keinen Unterschied zu dem, was Thome vorher gemacht hatte, in München und Berlin. „Das rote Zimmer“ ist nun endgültig jenes Kino, von dem er seit „Rote Sonne“ träumt, eine Hommage an Hawks und die amerikanische Komödie, „Mans Favorite Sport“. Es gibt hier tatsächlich eine Szene im Angelladen, und Katharina Lorenz und Seyneb Saleh lassen an Paula Prentiss und Maria Perschy denken. Thome träumt von jenem unwiederholbaren Agenblick der wahren Reflexion, als das amerikanische Kino sich aufzulösen begann und noch einmal seinen verlorenen Illusionen durchspielte.
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung 13.1.2011

 

Ein Mann, zwei Frauen

Rudolf Thomes Film "Das rote Zimmer"

In dem Film "Das rote Zimmer" geht es wie bei Tom Tykwers neuem Film "Drei" um eine Dreicksbeziehung. Bei Thomes Film werden jedoch keine Thesen abgehakt, dafür aber ganz besondere erotische Phantasien gelebt.
Dieser Film hat 123 Szenen. Es gehören ein paar der schönsten in den deutschen Filmen der letzten zwölf Monate dazu. Das schafft der ehemalige Filmkritiker der Münchner "Süddeutschen Zeitung" und des Berliner "Tagesspiegels" eigentlich in jedem Jahr. Die Filme des nun 71-Jährigen gelten als ungewöhnliches, eigenartiges und sehr geschlossenes Oevre. Manchmal wird Rudolf Thome, der seine Filme stets selber finanziert, produziert, inszeniert und auch noch ins Kino bringt, mit dem französischen Filmemacher Eric Romer verglichen, weil er stets den leichten Sommerton mit seinem Panoptikum der aktuellen Beziehungsunordnung trifft. Das war schon 1970 bei seinem ersten Film "Rote Sonne" mit Uschi Obermaier und ihrer mörderischen Frauenkommune so. Danach sind die Liebesunfälle im Werk von Thome immer sanfter geworden. Er hat eher immer neue Versuchsanordnungen in Sachen Liebe leicht selbstironisch durchdekliniert.

"Halt die Klappe, Professor. Alle alten Männer träumen von einem Harem. Du bist da keine Ausnahme."

Das ist die These seines 20. Films. Manche der vorherigen Filme haben so schlichte Titel wie "Frau fährt, Mann schläft", den er mit Hannelore Elsner 2003 drehte. Die Liebe ist bei Thome eine Sache, die man Wissenschaftlich angehen sollte. Einer seine Filme zum Thema heißt zum Beispiel "Das Mikroskop". Nun also "Das rote Zimmer". Der Kussforscher Fred lernt zwei Frauen kennen, die in einem Haus am See im vorpommerschen Klein-Bittersdorf zusammenleben und auch einer ménage à trois gegenüber nicht abgeneigt sind. Anders als bei dem Dreierverhältnis, das Tom Tykwer vor ein paar Wochen zum Thema seines leicht angestrengten Filmes " Drei" gemacht hat, ist Thome auf dem für ihn vertrauten Gelände der grundsätzlichen Liebesforschung unterwegs. Es werden keine Thesen abgehakt, dagegen ganz besondere erotische Phantasien gelebt. Bevor er der Lebensgemeinschaft der beiden Frauen beitreten kann, erlebt Fred nebenher ganz neue Wunder:

Sprecher: Szene 100. Am Ufer des Sees, an dem er die beiden Fische geangelt hat, macht FRED ein Feuer. Er schaut traurig in die Flammen. Eine schöne, junge FRAU schwimmt zum Ufer. Sie ist splitternackt. Sie geht zu ihren Sachen und trocknet sich ab. Dann wickelt sie sich das Handtuch um und geht zu FRED.

Sprecherin: Hallo!

Sprecher: FRED: Hallo. Haben Sie keine Angst, dass ich Ihnen etwas antun könnte?

Sprecherin: FRAU: Ich schwimme hier jeden Tag nackt im See.

Sprecher: Die FRAU setzt sich zu ihm ans Feuer. Sprecherin: FRAU: Ich habe Lust auf Sex. Du auch? Ich hatte zwar schon im See einen Orgasmus. Das ist bei mir immer so. Aber mit einem Mann ist das noch besser. Zieh dich einfach aus!

Sprecher: FRED: Wie heißen Sie?

Sprecherin: FRAU: Ich bin die Göttin der Liebe.

Sprecher: Die FRAU fängt an, FRED auszuziehen.

Sprecherin: FRAU: Nenn mich Venus, wenn du unbedingt einen Namen brauchst.

Ein Auszug aus dem Drehbuch, das Rudolf Thome nebst einem Tagebuch der Dreharbeiten und einer Chronik der Montagearbeiten auf seiner Website de zur Verfügung stellt. Man kann also dem Filmautor beim Verfertigen seines Films - übrigens aller seiner Filme - in allen Stufen zuschauen. "Das rote Zimmer" mit wenig Geld und viel Experimentierfreude jenseits des deutschen Filmförderungssystems entstanden, ist Thomes äußerst entspannt ausgebreitetes Vermächtnis. Worum dreht sich das Leben der Menschen. Doch am Ende immer nur um die Liebe. Auch Fred ist im Film schließlich bereit für "Das rote Zimmer", in das er von den beiden Frauen geführt wird, um einen mit Blut besiegelten Liebesvertrag zu unterzeichnen. Ein Harem ist teuer und hat seinen Preis. Im märchenhaften Zauberton entwickelt Thome eine ganz besondere filmische Poesie, die ihresgleichen sucht nicht nur im deutschen Kino. Einen Thome-Film anschauen, das ist wie ein Kurzurlaub in der Phantasie.
Josef Schnelle, Deutschlandfunk

 

Die Liebe als seltsames Spiel

In "Das rote Zimmer" entwickelt ein Mann eine Beziehung zu zwei jungen Frauen. Der Film erzählt keine Männerfantasie, sondern angenehm leise von einer Ménage-à-trois.

"Die Liebe ist ein seltsames Spiel", sang vor 50 Jahren Connie Francis. Das Lied passt zu einer Reihe von Filmen, die derzeit in den Kinos laufen. Wobei sich das "seltsam" des Schlagers in der Bedeutung von "rätselhaft" und "sonderbar" auf das Auf und Ab monogamer heterosexueller Liebe bezog. Das Seltsame der heutigen Filme geht darüber hinaus – von Lisa Cholodenkos lesbischer Familie in The Kids Are All Right über Tom Tykwers Dreieicksgeschichte Drei bis hin zu dem neuen Film von Rudolf Thome, Das rote Zimmer. Der Film ist im Grunde das Pendant zu Tom Tykwers Film. Auch bei Thome geht es um drei Liebende, jedoch nicht um zwei Männer und eine Frau, sondern um zwei Frauen und einen Mann.

Dr. Fred Hintermeier ist Philematologe an einer Berliner Universität, das heißt, er erforscht die Reaktionen des Körpers auf das Küssen. Das klingt wie eine Erfindung von Woody Allen, aber diese Forschung gibt es wirklich. Über das Küssen versucht Hintermeier mehr über die emotionalen Abläufe im Körper des Menschen zu erfahren. Es setzt eine ganze Reihe von messbaren physiologischen Reaktionen in Gang, denn sowohl die Lippen als auch die Zunge enthalten besonders viele Nervenzellen. Hintermeiers Frau brachte allerdings wenig Verständnis für das Forschungsinteresse ihres Mannes auf und hat die Scheidung eingereicht. Sie hält nichts mehr von ihm: "Du bist und bleibst ein elender Macho." Peter Knaack, der sehr gute, im Kino nur selten zu sehende Burgschauspieler, spielt diesen Mann in einer Mischung aus naiver Ratlosigkeit und vermeintlicher Männlichkeit, beinahe schon zurückhaltend weiblich.

Dominant sind in diesem Film die Frauen, Luzie und Sibil, in ihrer Selbstgenügsamkeit, wunderbar gespielt von Katharina Lorenz und Seyneb Saleh. Sie sind aktiv und treiben die Geschichte voran. Sie wohnen in einem blauen Holzhaus auf dem Land irgendwo in Vorpommern. Luzie schreibt an einem Roman und Sibil, die Jüngere der beiden, lebt in den Tag hinein. Sibil versteht nicht, warum ihre Freundin Männer braucht, ist sie doch auch ohne sie mit Luzie glücklich. Aber ihre Freundin will unbedingt "die Seele des Mannes erforschen". Sie sagt, Männer seien "das Salz in der Suppe". Um an Forschungsobjekte zu gelangen, fahren die beiden von Zeit zu Zeit nach Berlin.

In einer Buchhandlung trifft Luzie dann Fred Hintermaier, den sie mit mehr oder weniger eindeutigen Avancen in ihr Haus einlädt. Sibil hat währenddessen einen weiteren Kandidaten aufgetan. Auf die Frage, was in ihm vorgeht, wenn er mit einer Frau schläft, antwortet dieser: "Dann tauche ich ein in das ganz große Mysterium der Liebe." Die beiden Frauen schicken ihn ziemlich schnell wieder nach Hause.

Zwischen Fred und den jungen Frauen entwickeln sich hingegen langsam Beziehungen. Man denkt: ein Mann, zwei Frauen – die ewige Männerfantasie! "Alle alten Männer träumen vom Harem, da bist du keine Ausnahme", sagt denn auch Luzie zu Fred und es scheint gar nicht zu ihr und Sibil zu passen, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Am Ende findet Thome für die drei einen Schluss, der an den Realismus der Liebesgeschichten von Henry James erinnert.

Thome gelingt es, die Geschichte dieser Ménage-à-trois überzeugend, aber auf angenehm undramatische Weise, mit leisen Tönen zu erzählen. Das ist auch wörtlich zu nehmen, denn Thome hat seinen Film mit der wunderbaren Musik von Katia Tchemberdij unterlegt. Eine zurückhaltende Musik, die etwas Gegenläufiges hat und nie, wie so häufig in konventionell inszenierten Filmen, zur Verstärkung der Gefühle eingesetzt wird, sondern eher wie ein zusätzlicher Kommentar zu den Bildern und Dialogen wirkt und damit zur Differenzierung der Geschichte beiträgt. Thome, in dessen Filmen stets die Liebe im Zentrum steht, ist – wie seine Helden – ein Forscher; ein Forscher der Seltsamkeiten der Liebe. Übrigens: Das Wort "seltsam" stammt von "selten" und von "sehen" ab. Und Das rote Zimmer ist genau das: ein Film über eine seltene Liebe, gesehen mit einem anderen, mit einem besonderen filmischen Blick.
Focke Joel, ZEIT online 14. 1. 2011

 

 

Sommerspiele

Ein Esstisch wird einigermaßen liebevoll eingedeckt, der Mann im Anzug, Fred Hintermeier, zündet Kerzen an, rückt die Gläser zurecht. Einen Hunderteuroschein legt er an den Rand eines der Teller – eine erste kleine Irritation. Die zweite klingelt an der Tür und heißt Manuela. Sie ist zwar nicht die Prostituierte, die Fred erwartet hatte, um seinen Geburtstag in erkaufter Romantik zu feiern, aber als Manuela noch auf dem Hausflur sogleich ihren Mantel öffnet und ihren gänzlich nackten Körper zur Begutachtung entblößt, ist Fred das egal. Ob sie ihren Mantel beim Essen ausziehen soll, fragt sie. Fred findet das nicht schlecht. Auch, dass das einen Hunderter mehr kosten soll, stört ihn nicht weiter. Das Leben ist teuer geworden – auch die Liebe.

Fred Hintermeier ist Philematologe an der Berliner Technischen Universität – er erforscht das Hormonverhalten im menschlichen Körper beim Küssen. Fünfzehn Minuten lang lässt er freiwillige Probanden Dauerknutschen, dann können die Ergebnisse verwertet werden. Am Abend dann wird er seiner Noch-Ehefrau am Telefon mit großer Ernsthaftigkeit und Klarheit sagen, dass er sie bis zum Tage seines Todes lieben wird und kümmert sich überhaupt nicht darum, dass sie ihn nur angerufen hat, um ihn noch einmal daran zu erinnern, dass morgen der Scheidungstermin vor Gericht ansteht. Rudolf Thomes neuer Film, so möchte man meinen, ist ein bisschen so wie seine Hauptfigur: Zwischen Experimentalfilm und Groschenroman, Gestelltem und Improvisation, zwischen Kitsch und schönsten Einsichten.  

Wie vom Himmel fallen gleich zwei Frauen in Freds Leben ein: Luzie gräbt ihn in einem Antiquariat an und lädt ihn ein, sie in ihrem kleinen Häuschen in Vorpommern zu besuchen. Dort lebt sie mit der jüngeren Sibel in einem weltflüchtig-idyllischen Reich der Frauenliebe, in das ab und an Männer gelockt werden, weil sie – ist das jetzt peinlich oder einfach authentisch? – „das  Salz in der Suppe“ seien und die besten unter ihnen werden in das ominöse „rote Zimmer“ geführt. Ansonsten versucht Luzie, einen großen Roman zu schreiben (ihr erster trug den verheißungsvollen Titel „Warum? Der Sinn des Lebens“), während Sibel herumhängt, Fische fängt und Beeren isst, die „viel besser schmecken als aus dem Supermarkt“.    

Dass all das nie unerträglich und selten mal eine Minute langweilig wird, ist der großen, reifen Inszenierungskunst Thomes zu verdanken, die nichts mehr beweisen muss, tut und lässt, wonach ihr ist und keinerlei Auftragen kennt. Einen Sommerfilm hat er gedreht, von dem man meinen möchte, er könne nur im August spielen, jenem Monat, von dem Alexander Kluge einmal sagte, er fühle sich an wie eine Fläche: Drückende Hitze, langsam verdunstende Zeit, endlose Abende, die Platz schaffen für Wein, Wagnisse, Liebe und Verlust. Und wie Thome das filmt, diese Annäherung Freds an die beiden Frauen, das gemeinsame Schwimmen im See, das lange Vorspiel, das bisschen Sex mit beiden, die kleinen Eifersüchteleien, die mit einem Kuss weggewischt werden können, das ist nichts weniger als eine virtuose und dabei ganz bescheidene Verkettung der „Fragmente einer Sprache der Liebe“.

Einmal liegt Sibel mit Fred auf einem Bootssteg, dessen eigentlich schon viel zu heißes Holz man zu spüren und zu riechen glaubt. Sie spannt ihren Körper zur Sonne hin auf, Fred küsst sie, sie sagt: Ich glaube, du hast mich ein bisschen verhext. Durchaus kitschig, irgendwie rührend. Und ziemlich echt.
Janis El-Bira auf filmgazette.de

 

 

Am Küssen soll die Welt genesen

Endlich ein Problemverweigerungsfilm: In Rudolf Thomes "Das rote Zimmer" macht die Liebe zu dritt keine Mühe


Es dauert sehr lange in diesem Film, ehe ein Augenblick kommt, in dem man vor ihm in Deckung gehen möchte wie vor beinahe jedem Film, aber dann kommt er doch. Eine Frau und ein Mann gehen an einem Sommernachmittag durch einen Wald, einer dritten Frau entgegen, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Blätter rascheln, alles ist perfekt, gleich könnten Küsse ausbrechen. Doch dann fragt der Mann: "Und was machen Sie so beruflich?" Ach nein, muss das sein, denkt man, bis eben war doch alles so panikruckfrei, so erleichternd dem Leben entronnen.

Noch in den Schrecken hinein wird man von Rudolf Thome erlöst: "Nichts", sagt die junge Frau. Danach geht es wieder so weiter, wie es immerzu gehen müsste, in den Filmen wie im Leben. Man wird Wein trinken und miteinander essen, schönen Sex haben und nicht allzu viel miteinander reden, jedenfalls nichts, was mit Berufen, Positionen und Status zu tun hat, die Fische werden anbeißen und die Wellen plätschern, und es wird das Müheloseste sein, wenn drei Menschen beschließen, zu dritt miteinander weiter zu machen, ohne zuvor in Endlosdebatten alle seelischen Eventualitäten durchzuhecheln.

"Das rote Zimmer" heißt der Film, in dem diese Geschichte erzählt wird. Es ist Rudolf Thomes 27. Spielfilm und schon sein achter in diesem Jahrhundert. Doch auch diesen wird vermutlich kaum jemand sehen, obwohl er unterhaltsam ist und so leicht, dass einem seine Virtuosität auch verborgen bleiben könnte. Es gibt hierzulande keinen, der sich so gut aufs Timing versteht, und auch keinen, bei dessen Filmen man so gerne im Kino einschlafen würde, weil man wüsste, dass man von ihrem Glauben ans Glück bestens behütet würde. Aber vermutlich ist exakt dieses Anstrengungslose an Rudolf Thomas Filmen das Geheimnis ihres kommerziellen Misserfolgs, der ihn dazu zwingt, mit seinen 71 Jahren zu arbeiten wie der unbekannteste Jungfilmer, sogar den Verleih selbst in die Hand nehmen zu müssen. In Deutschland hat es das Anstrengungslose bekanntlich schwer, man hat Probleme damit, an etwas Vergnügen zu finden, dem man die Arbeit nicht ansieht (obwohl es das Allerschwerste ist, an der Leichtigkeit zu arbeiten). Thomes Filme sind ein wenig wie Essays, die in Deutschland ja auch keinen guten Stand haben, weil in ihnen ein Autor seinen Gedanken hinterher mäandert, wo immer sie ihn hinführen, statt mit Behauptungen auf den Tisch zu hauen, um etwas auszulösen, was man Debatte nennt und in das man sich verbeißen könnte. Tom Tykwers "Drei", der kürzlich in die Kinos kam, war so ein Behauptungs-Film; auch in ihm ging es um drei Menschen, die beschließen, statt als Paar zu dritt weiter zu machen, aber bis sie so weit sind, müssen erst noch jede Menge Positionen verhandelt, Zitate und Ängste abgearbeitet werden.

In Thome-Filme dagegen kann sich niemand verbeißen. Man kann ihnen bloß zusehen, ihren Geschichten folgen, die alles anders machen als die Geschichten anderer Regisseure, es gibt keine hintergründigen Motive und nur wenig Exposition, es gibt keine Grübeleien, keine seelischen Konflikte und keine Läuterungen, stattdessen das Glück der Präsenz, und Menschen, die bei hellwachem Bewusstsein mit traumwandlerischer Sicherheit ihrem Leben Form und Richtung geben.

In "Das Rote Zimmer" sind das zwei Frauen, Luzie und Sibil, von Katharina Lorenz und Seyneb Saleh hinreißend gespielt. Die eine schreibt einen Roman über die Seele der Männer, die andere macht beruflich nichts, sie bewohnen in Vorpommern ein hübsches Haus am See, und manchmal fahren sie nach Berlin, um Männer anzusprechen. In der Bibliothek lernen sie Fred (Peter Knaack) kennen, einen Kussforscher, der die Liebe auf die naturwissenschaftliche Weise zu enträtseln versucht, indem er Speichelproben nimmt und Hormonspiegel misst, und er gefällt ihnen so gut, dass er sie besuchen darf. Draußen auf dem Land nimmt das Glück seinen Lauf. Man redet, isst, zieht durch die Wälder, springt in den See, zuerst verliebt sich Luzie in den Professor, dann schläft Sibil mit ihm. Nur kurz gehen sie einander aus dem Weg, weil doch ein Mann die Freundschaft der Frauen nicht in Gefahr bringen sollte, doch dann sagt Sibil, mit Luzie in der Hängematte liegend, dass sie es nicht aushält, nicht mit ihm zu schlafen, und so denkt sich Luzie einen Liebesvertrag für alle drei aus. Auf dem Weg dazu betreiben sie auch irgendwann Kussforschung im roten Zimmer, das Thomes Film den Namen gegeben hat; "was fühlst du?", fragt Sibil, den beiden zusehend, "in meiner Unterhose ist es klatschnass", sagt Luzie, "ich wollte nicht wissen, was in deiner Unterhose los ist, sondern was du fühlst", sagt Sibil - und erhält darauf keine Antwort. Auch das ist so ein genauer Thome-Moment: endlich mal jemand, der sich eine Utopie zutraut, in der sich der Leib-Seele-Dualismus erledigt hat und das eine für das andere einstehen kann.

So ein Film ist "Das rote Zimmer" also, ein entschiedener Lebenslauf- und Problemverweigerungsfilm, etwas, das es in Deutschland sonst nicht gibt, weder bei den Vornedran-Regisseuren noch bei den Kitschhandwerkern, die einen ja alle unaufhörlich mit gesellschaftlicher Relevanz behelligen und deswegen nie der Gesellschaft entkommen können. Thomes utopisches Kino dagegen handelt von einem verzauberten Deutschland - von einem Land, wie es sein könnte, wenn es sich endlich einmal zutrauen würde, leicht zu sein, von Menschen, wie sie sein könnten, wenn sie auf die Frage "Und was machen Sie so beruflich?" zur Abwechslung "Nichts" sagen würden.

Peter Praschl, Die Welt 15.1.2011

 

 

Ein Professor an der Angel
Das rote Zimmer. Der Regisseur Rudolf Thome inszeniert einen sommerlich-pastoralen Liebesreigen.

Fred Hintermeier (Peter Knaack) ist Philematologe, sprich Kussforscher, der die physiologischen Prozesse erforscht, die sich beim Küssen abspielen. Selbst küsst der Kussforscher eher selten, denn seine Frau hat sich von ihm getrennt, weil sie ihn für einen Macho hält.

Der Scheidungstermin steht unmittelbar bevor; seinen Geburtstag feiert Fred deshalb routiniert mit einer Prostituierten. Aber für einen Macho ist Fred viel zu zurückhaltend, zu unsicher und auch zu romantisch. Während also Freds Privatleben in Trümmern liegt, machen sich zwei Frauen aus Ostvorpommern auf gen Berlin. Auch Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) sind Forscherinnen, allerdings eher Privatgelehrte, auf der Suche nach der Seele der Männer.

Allein der Filmemacher Rudolf Thome, 71 Jahre alt und seit 1964 kontinuierlich im Geschäft, besitzt hierzulande den Mut, auf solch skizzenhafter und zugleich kolportagehaft zugespitzter Basis seine Liebesfantasien hemmungslos ins Kraut schießen zu lassen. Natürlich treffen der weltfremde Professor und die kecken Forscherinnen aufeinander, und schon bald entspinnt sich in wunderschöner Landschaft ein sommerlich-pastoraler Liebesreigen, von dem ein derart märchenhafter Zauber ausgeht, dass selbst das sehr physische Auftauchen einer Göttin der Liebe selbstverständlich erscheint. Thome schildert das wundersame Geschehen mit der ihm eigenen Mischung aus Hingabe und sanfter Ironie, mit Sinn für Details und Beharren auf der Fantasie.

Es ist natürlich Zufall, wenn zwei thematisch verwandte Filme wie Tom Tykwers "Drei" und Thomes "Das rote Zimmer" so kurz hintereinander anlaufen, aber die beiden Filme könnten unterschiedlicher nicht sein. Wo der Ingenieur Tykwer eher auf Tricks und Effekte, auf Abstraktionen und Verdichtungen setzt, um Thesen zu formulieren, schaut der Ethnologe Thome staunend dabei zu, was die in diesem Fall wirklich famos inspirierten Darsteller mit seiner Geschichte anstellen. Und die Schauspieler - vielleicht ist dies das Geheimnis von "Das rote Zimmer" - schauen einander gleichfalls staunend beim Spielen zu.

Gemeinsam webt man an einer fragilen Textur, in die der ehemalige Filmkritiker Thome Anspielungen auf Filme von Howard Hawks, Jean Renoir oder Eric Rohmer ebenso eingeflochten hat wie auf zahlreiche eigene Filme. Von Goethes "Wahlverwandtschaften" ganz zu schweigen: man angelt, badet, isst im Grünen, flirtet, spielt mit den möglichen Paarkonstellationen. Alles unterlegt von der äußerst subtilen, präzisen Filmmusik von Katja Tchemberdji, die ihren Anteil am die Realität transzendierenden Spiel hat. So gelingt dem Altmeister Thome - durchaus eine Überraschung nach dem muffigen Vorgänger "Pink" (2009) - das erste Kino-Meisterwerk des Jahres.
Ulrich Kriest, Stuttgarter Zeitung 15.1.2011

 

 

Das rote Zimmer. Wenn ein Kuss mehr als nur ein Kuss ist…

Die Story: Fred Hintermeier ist Ende 30 und von Beruf Kussforscher. Er untersucht, was beim Küssen im Organismus des Menschen so vor sich geht. Seine Frau hat sich vor Kurzem von ihm scheiden lassen. In einer Buchhandlung lernt Fred die junge Schriftstellerin Luzie kennen, die mit ihrer Freundin Sibil auf dem Lande lebt. Luzid plant, einen Bestseller über die "Seele des Mannes" zu schreiben. Schon wenig später betreiben die drei im roten Zimmer Kussforschung nach Art der Frauen. Hier geht es nicht um Hormone, sondern um Gefühle. Fred verliebt sich dabei in Luzie und Sibil - und die beiden Frauen in ihn. Aber wo Liebe ist, da ist auch Eifersucht nicht weit. Und so müssen die drei erst einmal aushandeln, ob und wenn ja, was für eine Art von Liebe sie leben wollen. Und wenn alles nicht hilft, eben eine neue Art der Liebe erfinden.

Die Schauspieler: Ob die schon etwas Erfahreneren Peter Knack ("Yella") und Katharina Lorenz oder die Debütantin Seyneb Saale - alle drei agieren mit einer Selbstverständlichkeit, wie es Schauspieler in deutschen Filmen außer bei Rudolf Thome nur sehr selten tun. Das gilt auch für Hans Zischler, Milan Peschel oder den Filmkritiker Karlheinz Oplustil, die in Nebenrollen zu sehen sind.

Der Regisseur: Rudolf Thome schafft es seit 40 Jahren immer wieder, vollkommen künstliche Konstellationen denkbar unsentimental und mit einem derartigen Realismus sowie einer Genauigkeit im Detail plausibel zu machen, dass man als Zuschauer ein ums andere Mal in Verzauberung gerät. In Sachen Liebe zu dritt geht der 71-Jährige in seinem 27. Film nun so unerschrocken zu Werke, dass jemand wie Tom Tykwer mit seinem Liebesfilm "Drei" dagegen reichlich bemüht, um nicht zu sagen alt aussieht.

Fazit: Ein wunderbar leichtfüßiger Liebesfilm. (Fünf Sterne)
Eckart Alberts, Hamburger Morgenpost, 14.1.2011

 

Aus der Zeit gefallen
Rudolf Thome erzählt in "Das rote Zimmer" von starken Frauen und dem Leben zu dritt

Rudolf Thome ist eine Konstante im Film-Geschäft: Seit Mitte der Sechziger ist er dabei und seine Filme wirken stets etwas aus der Zeit gefallen. Eben das macht den Reiz seiner Arbeiten aus. Dabei hat der Regisseur – man mag kaum glauben, dass er schon 71 Jahre ist – ein gutes Gespür dafür, was die Menschen umtreibt. In „Das rote Zimmer“, den Titel hat sich Thome bei August Strindberg geliehen, geht es um die Liebe im 21. Jahrhundert. Fred (Peter Knaack) nähert sich dieser wissenschaftlich: Er ist Philematologe, Kussforscher, dessen Privatleben in Trümmern liegt. Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) dagegen leben fern gesellschaftlicher Normen in einem Stück vom Paradies, irgendwo in der Wildnis Ost-Vorpommerns. Thome beobachtet nun, wie sich zwischen den beiden starken Frauen und dem Mann eine Dreiecksgeschichte entwickelt. Während „Drei“, Tom Tykwers aktueller Menage-à-trois-Film, oft bedeutungsschwer und konstruiert daherkommt, hält Thome „Das rote Zimmer“ in einer schwebenden, spielerischen Leichtigkeit. Und obwohl mancher Dialog hölzern ist, folgt man den Figuren gern auf ihren Pfaden durch Amors Garten. Die Kamera begleitet diesen Reigen mit traumwandlerischer Langsamkeit – auch sie ist aus der Zeit gefallen. (In München: Monopol.)
„Das rote Zimmer“
mit Katharina Lorenz Regie: Rudolf Thome
Sehenswert. Dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie Abwechslung zum Kino-Mainstream suchen.
Michael Schleicher, Münchner Merkur 13.1.2011

 

"Das rote Zimmer". Ein Haus in sommerlicher Natur, ein Badesee, zwei neugierige junge Frauen und ein schratiger Professor in mittleren Jahren spielen die Hauptrollen im neuen Werk des bekannt erotomanen
Regisseurs Rudolf Thome, 71. Erzählt wird von einem Experiment der sexuellen Attraktion und der Poesie: Die Mädchen möchten einen Roman schreiben, der Mann möchte mit Mitteln der Wissenschaft herauskriegen, was beim Küssen genau passiert. Alle Menschen in diesem Film haben einen netten Spleen, ihr Gerede ist oft völlig gaga, doch die Schönheit der Bilder und die Anmut der Körper fügen sich zu einem sonnigen Sittenbild über die Liebe in Zeiten der digitalen Videokameras.
Wolfgang Höbel, Der Spiegel 17. 1. 2011

 

Kussforscher im Märchenland
Rudolf Thomes neues Liebesexperiment: „Das rote Zimmer“

Märchenhafte Liebesgeschichten sind eine Spezialität von Rudolf Thome. In „Das rote Zimmer“ lässt er einen Kussforscher auf zwei junge Frauen treffen, die die Seele der Männer erforschen.

Man kann nur staunen, mit welch unverbrauchter Frische der 71-jährige Altmeister des Neuen deutschen Films immer wieder neue Versuchsanordnungen der Liebe ersinnt. Diesmal entwirft er eine menage à trois in einem idyllisch gelegenen Holzhaus irgendwo in Vorpommern. Dorthin wird der mit Speichelproben hantierende Wissenschaftler Fred (Peter Knaack) von dem Liebespaar Luzie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh) zum Küssen eingeladen – auch die beiden Frauen sind Kussforscherinnen, doch geht es ihnen nicht um Hormone, sondern um Gefühle.

Thome schert sich nicht darum, dass das natürlich ein schöner Männertraum ist. Er bleibt einfach in der Märchenwelt, lässt alles selbstverständlich geschehen und kreiert herrlich verkitschte archetypische Momente, wenn die Göttin Venus aus dem See steigt und sich dem kurzzeitig aus dem Liebesparadies vertriebenen Cowboy am Lagerfeuer anbietet.

Mehr und mehr verbannt Thome alle anfänglichen Störgeräusche aus seiner Utopie. Wenn Fred für den Liebespakt am Ende zur Kasse gebeten wird, ist das nur der mit Blut besiegelte Schwur für die Fortdauer des Märchens. „Jeder trägt auf seine Weise zur Schönheit des Lebens bei“, sagt Luzie weise lächelnd. Der Zuschauer stimmt dem gerne zu angesichts eines Films, der so frohgemut, witzig, leicht und schwebend daher kommt wie man es nur selten im Kino sieht. (D/ 101 Min.; Metropolis, Nürnberg)
Regina Urban, Nürnberger Nachrichten, 13.1.11


 

Zwischen Idylle und Inferno
In Rudolf Thomes Film „Das rote Zimmer“ geht es um neue Formen der Liebe.

Lange hieß er „der deutsche Rohmer“. Denn wie der vor einem Jahr gestorbene Nouvelle-Vague-Veteran hat auch Rudolf Thome ein großes Thema: die Liebe. Und insbesondere die Unruhe und Übertreibung, also das Verrückte, sowie die Fallen und Verkennungen, also das Gefährdende und Auslöschende, die sie in ihren extremeren, haltloseren Formen mit sich bringt. Bei beiden sind der dokumentarische Gestus und die scheinbare Lust an der Improvisation nur Oberfläche. Ihre wechselnden Versuchsanordnungen sind hochabstrakt, idealisiert, urphilosophisch.

Thomes neuester Held, Dr. Fred Hintermaier, ist wieder ein Wissenschaftler, ein Kussforscher, der akribisch untersucht, was physiologisch passiert, wenn zwei Menschen sich nahekommen. Im Labor ermuntert er seine Versuchsobjekte zum Durchhalten bei ihren intimen Verrichtungen. Er braucht schließlich Daten und Fakten. Im Alltag hilft ihm diese Expertise wenig. Seine Frau lässt sich von ihm scheiden.

Die Prostituierten sind verstört

Für die Triebbefriedigung nimmt er einstweilen die Dienste der Sex-Expertinnen vom „ältesten Gewerbe“ in Anspruch, die er freilich durch eher ungewöhnliche Bedürfnisse verstört. Das romantische Abendessen als Vorspiel rechnen sie extra ab.

Hintermaiers eher trostloses Dasein nimmt eine überraschende Wende, als er zwei „Kolleginnen“ in die Hände fällt. Die leben als Lesben-Pärchen glücklich in der vorpommerschen Provinz. Zumindest die eine, die „Schriftstellerin“, kann aber vom Mann nicht ganz lassen. Er ist das sexuelle „Salz“; hilfsweise sucht sie nach seiner „Seele“. Innig ironisch erzählt Thome, wie sich dieses Trio, das nie das Inferno, oft aber eine verquere Idylle im Kopf hat, umwegereich und experimentierfreudig näherkommt. Bis hin zu einem abschließenden, mit Blut unterzeichneten Vertrag, dessen vermeintlicher Profiteur der Mann ist – Zwei Frauen! Und das auf Dauer! –, während der kühlere Blick den Verdacht nicht los wird, dass er am Ende die Zeche bezahlen soll: 3000 Euro. Monat für Monat.

Mehr Frauen- als Männerphantasie

Und während bei der bürgerlich-monogamen Ehe neuerdings das Verfallsdatum immer schon mitgedacht ist, soll dieses polygame Paradies unauflöslich sein. Vermutlich handelt es sich eher um eine Frauen- als um eine Männerphantasie. Fred verdient das Geld, und Luzie und Sibel bestimmen, was auf den Tisch bzw. ins Bett kommt. Wie immer schätzt Thome die märchenhafte Züge seines Tableaus. Selbst eine splitternackte Venus steigt nächtens aus dem See, um Fred durch purste Lust zur Raison zu bringen. Aber kaum je konnte sich der Zuschauer so wenig sicher sein, wie der Regisseur meint, was er so drastisch zeigt. Ist er, wie einst Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse, der Ansicht, dass Frieden einkehrt auf der Welt und zwischen den Geschlechtern und in unser aller Seelen, wenn nur genügend geküsst und kopuliert wird? Oder ist diese neue, quasi mit einem Teufelspakt kodifizierte Liebesunordnung die weibliche Variante der obszönen, „zerreißenden“, vor-gesetzlichen Vater-Welt der gnadenlosen Liebe und der mörderischen Lust, wie sie Freud in „Totem und Tabu“ beschreibt?

Helmut Hein, Mittelbayerische Zeitung 13.2.11

 
 
 
 
 
 
 
 
 
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